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ОглавлениеIII. Was heißt hier Krautrock?
»Krautrock ist nach wie vor ein schwieriges Wort. Wir haben es nie benutzt.«
– Roman Bunka, Gitarrist und Oud-Spieler unter anderem bei den »Erfindern« des Ethno-Pop, Embryo, und der Herforder Jazz-Krautrock-Gruppe Missus Beastly –
»Der Ausdruck ›Krautrock‹ hat mich damals nicht gestört, auch wenn das vielleicht ein bisschen abfällig gemeint war. Heute ist es ein Qualitätsbegriff. Ein Musiker hat den Begriff ›Krautrock‹ jedenfalls nicht erfunden – es sind andere Leute, die sich um so etwas Gedanken machen.«
– Lothar Stahl, Schlagzeuger unter anderem bei den Karlsruher Deutschrock-Pionieren Checkpoint Charlie –
»›Kraut‹ war für mich ein Schimpfwort. Da war ich nicht drauf aus, und mit dieser ganzen Szene wollte ich auch nichts zu tun haben. Ich wollte mich schleunigst davon absetzen. Das konnten wir nur, wenn wir so viel Erfolg hatten, dass man uns ›Kraut‹ nicht mehr unterstellen konnte. Wir mussten also in den offiziellen Charts auftauchen. Das war bis dato für eine deutsche Band durch Plattenverkäufe nicht möglich.«
– Frank Bornemann, Sänger und Gitarrist der Hannoveraner Band Eloy, ehemaliger Produzent der Scorpions –
»Die Scherben sind kein Krautrock, Embryo ist kein Krautrock. Krautrock ist etwas, das woanders gewachsen ist – Eloy, Hölderlin und was es in dieser Ecke nicht alles gab. Die Band, die immer dazwischen stand, war Can. Es war schon phänomenal: Man konnte sie nirgends einordnen. Die Leute von der Industrie sind immer die Ersten, die eine Schublade für die Vermarktung brauchen. ›Krautrock‹ war ein Begriff, der dann auch international akzeptiert und erfolgreich wurde. Darunter verstand man aber meistens diejenigen Bands, die schon etwas erfolgreicher waren als die Szene, von der wir hier sprechen. Für uns war ›Krautrock‹ daher immer schon mehr an den Konsumgeschmack, den Publikumsgeschmack angelehnt.«
– Othmar Schreckeneder, Musikmanager und Gründer von Schneeball Records –
»Was man gemeinhin unter Krautrock versteht, das sind vielleicht fünf Bands. Später hat man da alles mögliche noch dazu gepackt. Das war ein Markenartikel, der sich gut verkauft hat.«
– Hans-Joachim Irmler, Keyboarder der in Hamburg gegründeten Krautrock-Legende Faust –
»Ich glaube nicht, dass es Krautrock als Bewegung gab. Es gab einfach ein paar Marketing-Leute, die ein paar Bands unter Vertrag genommen haben, die dann einem bestimmten Etikett gerecht werden mussten. Labels wie Pilz oder später Brain haben versucht, ein Etikett auf die Flasche zu kleben, was natürlich auch legitim ist. Wenn es ein Etikett gibt, bekommt so eine Sache gleich viel mehr Schwung. Ich bin auch schon mal mit Elton John verglichen worden. Warum, habe ich gefragt; wegen der Brille, hat es dann geheißen. Na gut.«
– Hellmut Hattler, unter anderem Bassist der Ulmer Formation Kraan, Fehlfarben, Tab Two –
»Das Harmonia-Album ›Deluxe‹ war für mich der Moment, in welchem diese Musik, die ich eigentlich nur mit ein paar wenigen Bands in Zusammenhang gebracht hatte, zumindest für mich zu einer Bewegung wurde, zu etwas Größerem als nur einer zufälligen (stilistischen) Ähnlichkeit. Ich glaube, der Begriff Krautrock hat sich über seine wörtliche Bedeutung hinaus entwickelt und steht heute für eine ganz bestimmte Ästhetik.«
– Brandon Curtis, Sänger, Bassist und Keyboarder der New Yorker Band The Secret Machines –
»Ich finde, dass Can, Embryo und Amon Düül schon etwas gemeinsam hatten. Bei Can war dieses Motorische gemischt mit einer gewissen Mystik. Das war alles eben auch sehr psychedelisch, wie damals weltweit.«
– Nick McCarthy, Gitarrist, Keyboarder und Sänger der schottischen Band Franz Ferdinand –
Wort und Unwort
Um die Frage, wer den Begriff Krautrock nun tatsächlich erfunden hat, ranken sich zahlreiche Legenden. Eine davon besagt, ein subversiv betiteltes Stück der Münchener Amon Düül habe die Vorlage geliefert: »Mama Düül und ihre Sauerkraut-Band spielt auf«. Dem widersprechen andere Kraut-Protagonisten freilich vehement, zumal das einstige Unwort inzwischen als Marke salonfähig geworden ist. »Den Begriff Krautrock gab es gar nicht – auch, wenn Amon Düül behaupten, das käme von ihrem Lied«, sagt Hans-Joachim Irmler von Faust. »Aber Sauerkraut und Krautrock ist doch noch ein gewisser Unterschied, oder?«
Als gesichert gilt jedenfalls, dass »Krautrock« nicht aus deutschen Wortschmieden stammt, sondern eine britische Erfindung ist. Wurden die Deutschen bereits in den Weltkriegen aufgrund ihres Sauerkrautverzehrs verächtlich als »Krauts« tituliert, so lag es nahe, auch der Musik der ehemaligen Gegner ein entsprechendes Etikett anzuheften. »Krautrock« verwies dabei nicht nur auf Rockmusik »Made in Germany«, sondern stellte gleichsam einen Widerspruch in sich dar: Die schwerblütigen, gemütlichen, rationalen Krauts und die lockere, freie Jugendmusik aus Amerika – zusammen eine mehr als lächerliche Vorstellung! Peter Leopold, Schlagzeuger von Amon Düül und Amon Düül II, bestätigt dies mit dem ihm eigenen Wortwitz: »Das Etikett ›Krautrock‹ haben uns die Engländer mit dem entsprechend negativen Wortsinn verpasst. Die haben das als Anti-Radar-Symbol erfunden.«
Taufpate, so wollen verschiedene Quellen wissen, sei der legendäre BBC-Radiomoderator John Peel gewesen. »Das ist ganz falsch«, winkt Hans-Joachim Irmler ab. »Bei wem das richtig eingeschlagen hat, das war Ian McDonald. Der war damals beim NME (New Musical Express). Er war ein begeisterter Anhänger der Musik, die aus Deutschland kam. Er hörte das Lied und war begeistert, weil es den Nagel auf den Kopf traf.« Bei dem angesprochenen »Lied« handelt es sich um das erste Stück der LP Faust IV aus dem Jahre 1973: »Krautrock«. Tatsächlich stellt der Titel aber nur eine Reaktion auf die von den Briten gebrauchte Bezeichnung dar, eine selbstironische Flucht nach vorn. Faust, die vor allem in England größere Erfolge verzeichneten, hatten freilich keinen Grund, sich hinter ihrem Deutschsein zu verstecken. Im Gegenteil: Man unterstrich voller Selbstbewusstsein die eigene Leistung. »Die Verknüpfung von Kraut und Rock ist entstanden, weil wir klarmachen wollten, wir sind nicht diese ›Krauts‹, für die ihr uns haltet und die ihr so hasst«, erklärt Irmler. »Wir spielen aber auch nicht diesen ›Rock‹, den ihr uns an den Hals hängen wollt. Also haben wir gesagt, jetzt machen wir mal so ein richtig fettes Lied, und das nennen wir dann ›Krautrock‹.«
Krautrock als Geisteshaltung
Wer immer die Wortschöpfung für sich beanspruchen darf – die musikalische Bandbreite jedenfalls ist enorm und macht eine genaue Einteilung in »Krautrock« und »Nicht-Krautrock« beinahe unmöglich: Am einen Ende der Skala dekonstruierten Faust mit Pressluftbohrern und Flipperautomaten die Fundamente der Rockmusik und legten bereits mit ihrem Debüt den Grundstein für Industrial-Rock und heutige Sampling-Techniken. Den Gegenpol bildeten Kraftwerk, die in monotonen Rhythmen und kühlen Melodien das Konzept der Maschinenmusik bis zu dessen logischer Konsequenz durchexerzierten und damit wiederum eine Basis für die künftige Entwicklung afroamerikanischer Musik schufen. Dazwischen eröffnete sich ein weites Feld unterschiedlichster deutscher Gruppen, deren Klangexperimente an der Schnittstelle von technologischem Fortschritt und Bewusstseinserweiterung so vielfältig waren wie die Persönlichkeiten der Musiker – vom Space-Rock der Amon Düül II über die Trance-Landschaften von Tangerine Dream bis hin zur östlich gefärbten Mystik von Popol Vuh. Krautrock (zumindest im Sinne dieses Buches) ist daher weniger ein klar definierter, einheitlicher Stil als vielmehr eine gemeinsame Geisteshaltung: Der Wille, alles Alte in Frage zu stellen, neue Territorien zu erkunden und so schließlich eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln.
TEIL I: Vorgeschichte