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Bruch mit alten Formen

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»Wir haben das bis dahin bestehende Sound-Gefüge an sich in Frage gestellt.«

– Hans-Joachim Irmler –

»Wir haben uns keine Limitierungen und keinen Rahmen gesetzt.«

– Hellmut Hattler –

Als musikalisches Spiegelbild der Spätsechziger-Gesellschaft erproben Can, Guru Guru oder Embryo die Auflösung herkömmlicher Strukturen. Kompositorische Arbeit wird als Technik eines künstlerisch überkommenen »Establishments« abgelehnt. Hans-Joachim Irmler: »Es war immer ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Musik, sich gegen das Alte zu richten. Das waren nicht nur die Eltern, sondern das gesamte System und alle, die mit dem System konform gegangen sind.« Dieser System-Nonkonformismus rebelliert nicht nur gegen Beat und Schlager, sondern auch gegen die sogenannte Neue Musik, die zeitgenössische Klassik. »Ich habe das Recht dieser Musik angezweifelt, zu behaupten, sie sei das einzig legitim Neue«, sagt Irmin Schmidt. »Teilweise war es spannend, teilweise nicht, teilweise wurde es so überintellektualisiert, dass es kaum noch jemandem verständlich war.«

Anderes wiederum kann gar nicht neu genug sein. »Starre Musik« nennt der Publizist Rolf-Ulrich Kaiser die kommerzielle Rockmusik der späten Sechziger. Mit Feuereifer forscht man nach einem Weg aus der musikalischen Krise. »Es ging darum, neue Hörgewohnheiten zu erschaffen und Stücke in Aufbau, Harmoniegerüst und Rhythmen neu zu erfinden«, beschreibt Othmar Schreckeneder die Ambitionen der Musiker. Bisweilen überschlagen sich die sendungsbewussten Bands freilich in ihrer Experimentierfreude: »Das wurde ausgereizt bis zum Gehtnichtmehr. Wenn sie dann mit ihren Sechzehn-Siebzehntel-Takten ankamen, konnte man nur noch sagen, ›Aha, sowas gibt’s auch‹.«

Roman Bunka spielt damals bei Missus Beastly, die über einem Grundgerüst aus Jazzrock und Funk ausgedehnte Experimentalstücke entwickeln: »Ich glaube, es war eine Zeit, wo man sich gegen alles Starre wehren wollte. Es gab ja viel mehr Schubladen in der Musik, und auch Starrheit innerhalb der Rockmusik. Missus Beastly wollten sich musikalisch freischwimmen.« Den Anfang dieser musikalischen Revolution müssen die Musiker jedoch bei sich selbst machen. Irmin Schmidt:

»Das alles war am Anfang schon reichlich provokativ, obwohl Provokation an sich nicht so sehr wichtig war. Sie richtete sich mehr nach innen als nach außen. Man musste sich selbst erst einmal entlasten und im wahrsten Sinne entladen, die ganze Last von angelerntem Zeug wegwerfen. Wir sagten, wir vergessen erst einmal alles, was wir gelernt haben. Es war nicht die Idee, dass daraus eine Rockgruppe entstehen sollte. Wir haben uns alle verboten, eine Idee zu haben, was das werden soll. Wir hatten kein vorgefasstes Ziel.«

Nicht zu unterschätzen ist dabei der Einfluss von Karlheinz Stockhausen. Der 1928 in Mödrath bei Köln geborene Komponist gilt als einer der wichtigsten musikalischen Neuerer des 20. Jahrhunderts und als zentrale Figur bei der Entstehung einer eigenständigen deutschen Rockmusik. Stockhausen befasst sich seit den Fünfzigern mit serieller Musik (eine Weiterentwicklung der Zwölftontechnik von Arnold Schönberg) und setzt als Mitbegründer der sogenannten punktuellen Musik Zeichen. Von 1953 an arbeitet er eng mit dem Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks zusammen. Seine Experimente mit elektronischen Klängen werden für eine Gruppe junger Musiker und Musikstudenten buchstäblich zur Initialzündung (auch im Ausland schätzt man den deutschen Hochschuldozenten: Sein Gesicht ist auf dem Cover des Beatles-Albums Sgt. Pepper zu sehen).

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