Читать книгу Das Friedrich-Lied - 2. Buch - Henning Isenberg - Страница 5
44. Kapitel
ОглавлениеWann brecht Ihr wieder auf, Herr?“
Friedrich vernahm Stimmen.
„
Morgen in der Früh reiten wir zum zweiten Treffpunkt.“
„
Wo ist Tibald?“
„
Tibald von Dortmund ist tot.“
„
Und dein Herr?“
War das Waleran?
„
Auch.“
Das war Cedrics Stimme – ganz klar. Sein flämischer Akzent war unverkennbar.
Nein, nein, ich bin nicht tot. Friedrich versuchte zu sprechen. Er versuchte, die Augen zu öffnen. Es ging nicht.
„
Um Himmels Willen. Wo ist er?“
„
Dahinten, Herr.“
„
Meine arme Sophie. Wie soll ich ihr das erklären?!“
Er spürte, dass jemand näher kam. Doch er hörte nichts. Er spürte dass jemand bei ihm war. Er versuchte aufzuwachen, die Augen zu öffnen. Sich zu bewegen oder irgendetwas zu tun. Zwecklos. Die Kräfte verließen ihn und es wurde wieder still.
In der Nacht erwachte Friedrich endlich. Von dort vorne, wo seine Fußspitzen sein mussten, drang ein Licht durch seine geschlossenen Augenlieder. Er versuchte die Augen zu öffnen. Als er es endlich geschafft hatte, blickte er auf ein Leinentuch, welches sich ungefähr um die Länge eines Mannes über ihm spannte. Er lag in einem Zelt – erhellt durch das schwache, flackernde Licht, dass von flackernden Fackeln im Zelteingang herkam, die er jetzt über seinen Fußspitzen sehen konnte. Er konnte den Kopf nicht bewegen. Er suchte den Raum, so gut es ging, mit den Bewegungen der Augen ab. Sie schmerzten. Etwas lag rechts neben ihm. Ein Mann? Mit letzter Anstrengung wandte er den Blick dort hin. Beine in Ketten. Ein gelb schwarzer Surkot. Bestickt mit kleinen schwarzen Adlern. Dortmund!, schoss es ihm in den Kopf. Seine Augen wanderten über den verschmutzten Surkot über die Brust, hinauf zum Kopf des reglosen Körpers. Bleiche Haut, wie der Talg einer Kerze. Bartstoppeln. Schwarzes Haar. Die Nase mit einem kleinen Buckel. Tibald. Das war Tibald von Dortmund. Regungslos und tot. Tibald war tot….
Bin ich es selbst auch?! Liege ich hier neben einem Toten in der Vorhölle? Wird der tote Tibald gleich wie ich die Augen aufschlagen und zu mir herüberglotzen? Ihn ängstigte.
Doch nein. Warum sollte er Angst haben? Er fühlte keinen Schmerz. Es war kein Gefühl von Angst in ihm. Alles, was die Angst auszumachen schien, war der Geburt seines Kopfes entsprungen. Es war der Gedanke an die Hölle und daran, dass der Tod ja schlimm sei, so wie es ihm immer und immer wieder versichert wurde, und dass ihn ein Toter aus toten Augen anglotzen könnte. Einzig echt war die Trauer in ihm, dass sein kraftvoller, junger, nun verfaulender Körper eines geschossenen, aber nicht gefundenen Rehs im Walde gleich, von seinem Geiste gehen und von Maden zerfressen würde.
In einem nahen Dorf wurden alle Arten von Karren, die von Pferden gezogen werden konnten, beschlagnahmt. Friedrichs Getreue betten ihren Herrn und Tibald auf jeweils einen der Karren. Und so setzte sich der stöhnende und matte Tross in Richtung Limbourgh in Bewegung, jeder mit dem Gedanken beschäftigt, was für ihn nun folgen würde. Conrad hatte den Blick gedankenverloren auf den kräftigen Nacken seines Schlachtrosses gerichtet und nahm nur das Auf und Ab des Pferdekopfes über dem grasbewachsenen Weg wahr. Dann schaute er auf den Karren vor ihm. Über Agravains Rücken hinweg sah er Friedrichs blasses Gesicht.
Er wunderte sich, Tibald ist blasser als Friedrich. Nun, drängte die augenscheinliche Logik seinen Zweifel hinfort, er ist wahrscheinlich früher gestorben.
Den ganzen Tag über ritt das geschlagene Limbourghische Heer gen Osten.
Am Abend fing es an zu regnen und sie mussten einen halben Tagesritt vor Limbourgh das Lager aufschlagen. Missmutig schickte Waleran einen Boten zur Burg, der ihr Kommen für den nächsten Tag ankündigen sollte.
Aus Ästen hatten sich die Mannschaften kleine Schutzzelte gebaut, über die sie ihre Mäntel gelegt hatten. In diesen saßen sie um die Feuer, die in der Mitte solcher kleinen Plätze entzündet wurden und unterhielten sich gedämpft. Die Vorräte beschränkten sich auf die Feldnahrung, die sie mit sich geführt hatten. Allen knurrten die Mägen, doch am schlimmsten war der Durst, der sie nach den Strapazen des Tages überkommen hatte.
Die Knappen des Herzogs von Limbourgh hatten das Feldzelt für Waleran gerichtet. Waleran hatte seine Feldführer hier versammelt. Nicht weniger niedergeschlagen als die Mannschaften, saßen sie im Kreis. „Damit ist das Ende der Welfen wohl besiegelt“, sagte Conrad niedergeschlagen, „der Kaiser wird wohl ungeschoren in deutsche Lande zurückkehren, doch wird Friedrich von Staufen seinen Siegeszug nun ungestört fortsetzen können. Es ist wohl nur eine Frage kürzester Zeit, wann er in Aachen Einzug hält, um sich dort zum König krönen zu lassen. Nun steht ihm ja auch der Niederrhein nicht mehr im Wege oder werdet Ihr dem Staufer nicht huldigen, Herzog?“
„
Es ist wohl unklug, den Widerstand länger aufrecht zu halten. So wie ich es sehe, wurden in Bouvines viele Gefangene gemacht. Außer dem Lösegeld wird sicherlich eine Bedingung sein, dem neuen König die Treue zu schwören.“
Heinrich setzte hinzu, „die Fürsten im Rheinland müssen auf Veränderungen im Erzbistum Cölln achten. Denn der Papst wird sich dieser Frage sicherlich persönlich annehmen.
„
Der Staufer erwartet den Ausgang der Schlacht in Hagenau bis er ein Zeichen bekommt, um nach Aachen zu seiner Krönung zu ziehen.“
Und so ergingen sich die Geschlagenen in banger Hoffnung und Ermutigung bis tief in die Nacht in Spekulationen über die Zukunft des Adels nach Bouvines.
Als Conrad sich verabschiedete und aus dem Zelt Walrans trat, suchte mit schwerem Kopfe den Weg zu dem großen Turnierzelt Walerans, wo die beiden Toten aufgebahrt lagen.
Cedric hielt Wache vor dem Zelt.
„
Sei gegrüßt, lieber Cedric.“
Cedric nickte trübsinnig. Doch er folgte Condard ins Innere des Zeltes. Eine Weile standen sie still vor den Toten, bis Cedric die Stille durchbrach.
„
Herr, ich denke es jedes Mal, wenn ich nach meinem Herrn sehe. Mir ist, als sei Leben in ihm. Mir ist, als lebe er.“
„
Meinst du, Cedric?!“
„
Ja, schaut Euch den Herrn von Dortmund und dann meinen Herrn an. Er welkt nicht wie ein abgeschnittener Strauch. Seine Haut, schaut! Sie ist blass, aber ihr fehlt das Wachsige.“
„
Cedric, ich hatte denselben Gedanken heute auch schon.“
Conrad machte einen Schritt nach vorne, legte die rechte Hand auf Friedrichs Brustkorb und beugte seinen Kopf so nahe an Friedrichs Gesicht, dass er den Atem hätte spüren müssen, „aber, … ich vernehme keinen Atem.“
„
Ja...“, sagte Cedric zögerlich und traurig zugleich, als wolle er, das, was er als gegeben hinnehmen musste, durch das Vorenthalten seiner Zustimmung außerhalb der Welt halten.
Conrad schaute den Knappen an und sah das Flehen in seinem Blick.
„
Wir versuchen etwas, Cedric. Vielleicht hat es Erfolg. Ab jetzt träufelst du ihm jede Stunde etwas Wasser auf die Lippen. Ich wecke Wibold. Jetzt soll er endlich seine Kräuterkunst anwenden, anstatt immer nur davon zu reden.“
Die Nacht verging und Wibold nutzte den Mondenschein, um die notwendigen Heilkräuter zu finden, die seinen Trank ergeben sollten.
„
Sophie!“
Die dunkle Gestalt erschrak, als sie ihren Namen hörte.
„
Ach, Gilbert. Erschreck mich doch nicht so!“
Der gerüstete Mann löste sich aus dem Schatten des Stalles.
„
Geht nicht allein, mein Kind.“
„
Woher weißt du…?!“
„
Wenn ein gesatteltes Pferd im Stall steht und dann noch Eueres, dann ist nicht schwer zu erraten, was Ihr vorhabt. … Ich werde Euch begleiten.“
Sophie atmete erleichtert auf.
„
Weißt du denn, wo sie lagern?“
Der Alte nickte nur und ging zu einem der nächsten Ferche, wo er sein Pferd, das schon gesattelt bereitstand, losband und aus dem Stall führte. Sophie folgte ihm.
Der Innenhof der Limburg war silbrig erhellt vom vollen Mond, als sie vorbei an den Wachen das mächtige Tor passierten.
Wärme drang in seinen Körper und sein Kopf wurde von zwei kräftigen Händen leicht gewogen.
Über ein zu einer kleinen Rinne geformtes Holz, das er zwischen Friedrichs Zähne geschoben hatte, ließ Wibold seinen Kräutersud in Friedrichs Mund strömen, während Cedric den Kopf seines Herrn barg.
Grün sah er die warme Schlange, die ins Inneren seiner Brust drang. Doch es war kein Schreckenstier, sondern die Schlange des Äskulap. Es war ihm, als schwemmte ein nahrhaftes Nass auf ausgedörrten Boden und erweckte die darin geborgene Welt zu neuem Leben. Helles Licht durchflutete seine Sinne. Fahre ich jetzt doch zum Himmel auf - obwohl das Urteil des Herrn das welfisch-angivinische Bündnis zur Hölle geschickt hat?!
Doch was wollte sein Verstand? Was war wahr? Wer konnte das sagen? Niemand! Erschöpfung machte sich breit und er ließ jede angestrengte Kopfgeburt fahren. Schlafen, schlafen. Nur schlafen. Nur der Körper konnte das Wahre erfahren, und auch er konnte nicht in die Zukunft schauen. Auch er musste alles erfahren in dem Moment, in dem es geschah. Stille umfing ihn wieder. Stunde um Stunde.
Wo bin ich jetzt, fragte er sich, als sein Verstand wieder erwachte. Denn er vernahm ein neues Wesen in seiner Nähe. Es war ihm als wärmte eine kleine Hand seine Stirn und abwechselnd seine Schläfen. Diese neue Lebensquelle nahm die Spannung von seinem Nacken und aus seinen Schultern. Es war ihm, als sei diese neue Aura schon lange Zeit bei ihm. Auch war keine Schwere mehr in diesem neuen Raum, wie in der Nacht als er Tibald gesehen hatte. Vielmehr fuhr ein frischer Duft durch diese Aue. Er spürte nach diesem Wesen, das ihn umsorgte. Licht fuhr in seinen geschundenen Torso und umspielte eine wunde Stelle, deren Schacht sich wie ein tiefer Brunnen den Weg durch sein Schulterblatt gesucht hatte. Da erst spürte er einen unendlichen Schmerz, genau an dem Punkt, wo das Licht keine Macht hatte.
Er vernahm eine Stimme.
„
Wie geht es?“
„
Er röchelt kein Blut. Er hat die Nacht überstanden. Was der Tag bringt, müssen wir dann sehen…. Wenn er die Rippen gebrochen hat, kann Knochenmark ins Blut kommen. Dann bekommt er Fieber und er stirbt. Wenn das Mark zu Knochen wird, schafft er es.“
Da war sie wieder die Hand, die ihn in diesem wunderlichen Zwischenhades hielt.
Doch was tat sie? Sein Körper wurde bewegt. Er flog, er flog.
Und in dem Flug benetzte ein kühler Zug seine Haut.
Nun berührten ihn diese heilenden Hände an dem Brunnenrand.
Schmerz! Er wollte schreien. Doch stattdessen sah er einen kleinen Jungen, der fassungslos schrie. Was war dieser Schmerz?
Er sah die inneren Wände des Schmerzenbrunnens und flog langsam, wie eine Hummel, die nach Nektar sucht, an ihnen entlang, bis er zu einem funkelnden Gewässer kam. Doch was schaute er? Dort unten sah er eine Gestalt; umspielt von gleißendem Gewässer. Wer ist dieses Wesen? Ich kenne es! Die Gestalt begann ihm zu winken. Vater? Bist du das?
„
Ja, Junge, ich bin es.“
Schmerz, unendlicher Schmerz umfing ihn. Da war er, der kleine Junge und schrie und weinte vor Schmerz und Einsamkeit. Doch nun hörte das Animuswesen auf zu winken. Angst umfing ihn, und er begann noch tiefer und ängstlicher zu weinen. Doch das Wesen streckte ihm seine Hand entgegen und rief ihn. „Komm, komm. Du bist nicht allein. Ich bin da und ich war immer da…. Du hast mich nur nicht gesehen.“
Da lief der kleine Junge zu dem Wesen und sie fassten sich an den Händen, während die Spiegel des Wassers sich zu einem hellen Licht zusammenfügten. Und der Animus barg den Kindskörper solang, bis selbiger keinen Schmerz und kein Weinen mehr vernahm. Da verlies die tiefe Wut, die Friedrich ein Leben lang begleitet hatte, seinen Körper. Er wusste, dass er nie wieder die Verwirrung des Wütenden fürchten musste und er jederzeit das Schwert des entschiedenen Kriegers ziehen konnte.
Nach dieser Ewigkeit des Schmerzes und der inneren Heilung schwebte er wieder der Oberfläche zu, von der er gekommen war. Dort oben sah er, dass der Stein des Schachtes und des wunden Brunnenrandes demselben warmen Licht, das seinen ganzen Körper bereits umsponnen hatte, gewichen war. Auch der Brunnen heilte. In Gedanken fragte er sich, was nun als nächstes folgte. Fahre ich nun bald auf in die Ewigkeit? Angst umfing ihn erneut.