Читать книгу Das Friedrich-Lied - 2. Buch - Henning Isenberg - Страница 9
48. Kapitel
ОглавлениеRom
Dem Einladungsschreiben zum zwölften lateranischen Konzil in den letzten Novembertagen des Jahres waren die Punkte der Kirchenreform und der Kreuzzüge zu entnehmen. Den Punkt über die Entscheidung des Doppelkönigtums in deutschen Landen hingegen suchte man vergebens, obwohl das Land weiterhin im Schwebezustand lag.
Doch wie war es möglich, dass der mächtigste Mann des Okzidents die Zäsur von Bouvines ungenutzt lassen würde, um neben dem Thronstreit auch offene Fragen im Cöllner Erzbistum zu klären? Schließlich brauchte der Papst einen loyalen und starken Statthalter im Nordreich.
Erzbischof Adolf konnte sich wenig Hoffnung machen. Auch, wenn er und Heimbach nun beide wieder die Staufer begünstigten – Innozenz III. hatte ihm seinen Vertrauensbruch, den er vor zehn Jahren begangen hatte, nie verziehen.
Die Menschen im Abendland waren sich sicher: Das zwölfte Laterankonzil würde über das Schicksal der weltlichen und geistlichen Macht entscheiden.
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Es war mäßig warm und ein leichter Windzug trieb den Staub auf der Via Romana auf. Der Herbst war trocken gewesen, doch nun verdunkelten graue Wolken den Himmel über Rom und kündigten die ersten Regengüsse des Winters zwölfhundertfünfzehn an. In Mailand hatte sich ein buntgemischter Zug aus lombardischn und deutschen Fürsten, Geistlichen und Bürgern zusammengefunden.
Tankred von Sartiano schlug den mit Zobel besetzten Kragen seines Mantels hoch und beugte sich im Sattel seines Pferdes nach vorn, so dass ihm der kühle Luftzug nichts anhaben konnte. In Mailand hatte er von dem Deutschen erfahren, den der Rat der Stadt Cölln nach Rom entsandt hatte.
Sie hatten die Tore von Mailand noch nicht lange hinter sich gelassen, als Tankred sich zu dem Zug der Deutschen begab.
„
Ist ein Bürger aus der Stadt Cölln unter euch?“, rief er immer wieder, indem er an der Reihe der Reisenden entlang ritt.
Scauffius horchte auf, als er seinen Namen vernahm. „Heh, Scauffius, du bist doch aus Cölln, wurde der Cöllner Bürger von Scholaster Heinrich, der ebenfalls im Deutschen Zug mitreiste, neben ihm angestoßen. Scauffius schaute seinen Nebenmann verwirrt an. Dann schaute er sich um und sah den stattlichen Ritter, in Schwarz und Silber gekleidet.
Trotz seiner Zugehörigkeit zur Cöllner Kaufmannsgilde, wollte die Erscheinung des prachtvollen Ritters Scauffius in den Bann der ständischen Unterschiede schlagen; doch der Adlige vor ihm machte einen freundlichen Eindruck und nahm dem Kaufmann die Ehrfurcht.
So rief er ohne Furcht: „Hier, Herr! Ich bin aus Cölln!“
Tankred sprang aus dem Sattel und führte sein Pferd am Zügel, während Scauffius an den Rand der Menschenschlange herüberkam.
„
Wie ist Euer Name Bürger aus Cölln?“
„
Mein Name ist Scauffius“, antwortete der zierliche Kaufmann, während er sich seinen Weg an den Rand des Zuges bahnte.
„
Sagt”, fragte Tankred den Älteren nach den ersten Worten des Kennenlernens, „Ihr vertretet die Bürgerschaft der Stadt Cölln auf dem Konzil auf Seiten des Kaisers?
Scauffius nickte, sich gegen Regen abschirmend, „ich vertrete den Rat der Stadt, der auf der Seite der Welfen steht, während es unser Stadtherr, Erzbischof Adolf, mit den Staufern hält.“
Tankred wusste, dass Scauffius ein Welfe war. Ihn interessierte etwas anderes.
„
Ich hatte einstmals einen Gefährten und Freund auf dem Apulienfeldzug des Kaisers. Das war zwölfhundertelf. Sein Name ist Friedrich von Altena. Kennt ihr ihn?”
„
Ja,… Nein, „korrigierte er sich, „ich kenne ihn nicht persönlich, doch weiß ich, dass er auf Seiten des Kaisers in Bouvines gekämpft hat und sich dort als tapfer und mutig hervorgetan hat. Er ist mit der Tochter des mächtigen Grafen von Limbourgh und Luxembourgh verheiratet, in dessen Heer er dann auch kämpfte. Walern von Limbourgh ist mit der Stadt Cölln im Bunde und....”
„
Er hat sie geheiratet”, Tankred erinnerte sich versonnen an den Ring, den er Friedrich bei ihrem Abschied bei Brescia gemacht hatte.
„
Und ist er nach wie vor bei den Welfen?”
„
Ja, möglicherweise und andere auch.“
Scauffius kam wieder auf die deutsche Frage zu sprechen, die ihn weitaus mehr interessierte.
„
Aber die Situation in den deutschen Landen des Reiches hat sich verändert. Nach Bouvines wurde der Kampf um die Gunst heftig ausgetragen und der Staufer hat mit französischem Geld und Unterstützung der Kurie viele Fürsten und Bistümer gewinnen können. Aber Otto hat sich die Vertreter auf dem Konzil gut vorbereitet und hofft, dass sie ihn gut verteidigen.“
„
Hauptsächlich wird es wohl darum gehen, dass die Kurie ihn vom Bann befreit, denn dann ist er, ohne dass eine Neuwahl nötig ist, der von Rom bestätigte Kaiser und steht über Friedrich II.“
„
Der ist aber im Juli zu Aachen von einer großen Versammlung von Fürsten und Bischöfen zum König des deutschen Reiches gewählt worden.”
„
Es müssen schon viele sein, denn die Zahl eures Gefolges könnte größer sein.”
„
Nun, es könnten noch andere größere Gruppen nach Rom ziehen. Aber möglicherweise ist Euer Gedanke nicht abwegig, Herr Graf. Man darf nicht vergessen, dass immer noch die Kurie die Herrin der deutschen Bischöfe ist und viele werden sich hüten, als Parteigänger Ottos vor den Papst zu treten – außer den Engländern vielleicht.“
„
Also keine Anhängerschaft mehr aus den Bistümern im Nordreich?!“
„
Ihr könnt davon ausgehen, dass die meisten Bistümer im deutschen Norden und im Osten noch auf der Seite der Welfen stehen. Ich habe gehört, dass sich die Bischöfe von Lübeck, Ratzeburg und Schwerin ebenfalls auf dem Marsch befinden. Bei einigen Kirchenfürsten weiß ich nicht so recht, ob sie noch im Welfenlager stehen. Zum Beispiel gibt es da den Bischof von Utrecht. Er soll sich nach Bouvines von Otto abgewendet haben.”
„
Mit ihm verhält es sich wohl so ähnlich wie mit Wolfger von Aquileia. Er hat den Welfen auch den Rücken gekehrt. Dennoch, in Italien wird Otto wohl noch den stärksten Rückhalt haben. Nicht bei der Kurie aber bei den Städten und den Fürsten. Diepold hält Ancona und Spoleto in Schach, so dass sich kein Pfaffe nach Rom traut. Von den Rom nahen Bistümern sind von zehnen nur Todi, Amelia und Narni vertreten – wohl aus Angst vor den Diepolds Truppen. Rom selbst ist jedoch bis auf zwei vollständig auf der Seite der Kurie vertreten. Leider bleiben auch einige Vertreter aus dem kaisertreuen Siena und Tuszien fern.”
„
Schlimm sind die, die fernbleiben. Es gibt jedoch eine ganze Reihe, die erscheinen werden, wie zum Beispiel Siegfried von Mainz, die Erzbischöfe von Trier, Speyer und Magdeburg. Doch glaube ich von denen, dass sie im Lager des Staufers stehen. Den Gesandten Ottos ist zu wünschen, dass sie schlau sind, wenn sie die Vertretung des Kaisers Sache betreiben.”
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Tatsächlich war eine eindrucksvolle Schar von Gesandten, geistlichen Würdentägern, Fürsten und sonstigen weltlichen und geistlichen Teilnehmern auf dem Konzil vertreten. Der englische König hatte die englischen Kardinäle Johann von Columna und Stephan Longchamps gesandt, um in seinem und Ottos Sinne zu verhandeln. Über tausendzweihundert Menschen wimmelten durcheinander und suchten in der riesigen Basilika von San Giovanni in Laterano einen guten Platz zu finden. Nach ein bis zwei Stunden hatte sich das Getümmel gelegt. Die romanische Kirche machte trotzt ihrer Größe den Eindruck eines eher zu kleinen Gotteshauses, zumal die Deckengewölbe nicht die Höhe der Kathedralen hatte, die nun überall in Europa nach dem Vorbild von Cluny entstanden.
Nach einer weiteren halben Stunde trat endlich Innozenz III., der Mächtigste unter den je gewesenen Päpsten, ein. Er war in ein purpurfarbenes Ornat gekleidet. Mittlerweile machten sich die Spuren des Alters, soweit Tankred dies von seinem Platz aus beurteilen konnte, bemerkbar.
Der Papst hob die Hand, als der Lärm sich legte und auch die letzten Stimmen wurden still.
„
Ich grüße alle Menschen, die den Weg nach Rom gefunden haben und dieses grundlegende Konzil beehren. Ein Konzil so grundlegend wie ein Passahmahl! Denn die Kirche befindet in einem Übergang. In einem Übergang von den Lastern zur Tugend. Ohne Fehl soll nun ihr Tempel erneuert werden.“
Innozenz’ geübte Stimme drang weit bis in die fernen Winkel des Kirchenschiffs. Unter den Deutschen keimte Hoffnung auf die Anhörung ihrer Anliegen auf.
„
Die Gemeinde soll gereinigt werden, indem die schwarzen Schafe, die Ketzer, aus der Herde der weißen Lämmer herausgetrieben werden.“
Die welfischen Abgesandten horchten erneut auf. Meinte der Papst hiermit ihren Kaiser? Sie warteten gespannt auf weitere Hinweise zur Frage des Doppelkönigtums, der Frage, weswegen eine große deutsche Schar angereist war.
Doch der Papst hielt sich an die genannten Punkte und erwähnte die Frage der Fragen mit keinem Wort. Wie wollte er das durchhalten?!
Auch die Vertreter der Stadt Rom wurden ungeduldig. Erst zaghaft, dann vehementer, forderten sie Innozenz mit Fragen zur Klärung des Kaisertums heraus. Über Stunden trieb es die römische Abordnung so weit, dass Innozenz, Patriarch der Stadt Rom, sichtlich gereizt rief: „Ich forderte die Bürger Roms zum Schweigen auf, denn Ihr verstoßt gegen die Bannordnung.“
Doch die Bürger ließen sich nicht einschüchtern. Sie kannten ihre Rechte und wendeten sich an das gesamte Konzil, das den Papst, im Chorgestühl, wie einen weichen, roten Mantel umspielte. Zwei Vertreter des Rates traten vor die Kardinäle. Zwei Forderungen brachten sie vor: „Erstens fordern wie die Absetzung des schismatischen Papstes und zweitens die Aufhebung der Exkommunikation des Welfenkaisers Otto IV.“
Innozenz thronte regungslos in seinem Stuhl. Doch war er in seiner Eitelkeit gekränkt, denn sah man ihm ins Aug, so erblickte man den Hass, den er den dreisten Römern entgegensprühte.
Die Menge stöhnte auf, ob dieser unerhörten und riskanten Forderungen.
„
Ein gewagter Schachzug von den Römern”, raunte Scauffius, „die Appellation des Kardinalskollegiums ist für den Papst wie ein Schlag ins Gesicht. Damit wird er selbst in Frage gestellt.“
Tankret war entsetzt, ob der Tollkühnheit der Bürger.
„
Ja, da schmieden Rom und die Lombardei eine scharfe Waffe.“
„
Hoffentlich zerbricht sie nicht”, setzte Heinrich hinzu.
Der englische Kardinal Johann von Columna erhob sich, um die Römer zu beschwichtigen.
„
Ohne der scharfen Forderung des römischen Rates zu entsprechen, Exzellenz, raten wir dazu, den Welfen wieder einzusetzen. Mit Euerer Rehabilitation würdet Ihr ein Zeichen an die deutschen Reichsfürsten senden. Das wäre ein guter Dienst für das Reich, denn den Welfen trifft keine Schuld, wie wir gerne belegen wollen.“
Ein Raunen ging durch das Kapitel.
„
Nur, wenn Otto Reue zeigt, kann er vom Bann gelöst werden“, riefen die Kardinäle.
Schnell erkannte Berard von Palermo, der Friedrich II. seit Constanz auf den Thron geholfen hatte, dass die Lösung vom Bann die Staufer unter die Welfen zwingen würde. Schnell nutze er die nächste Gelegenheit, das Wort zu erheben.
„
Friedrich von Staufen ist der ‚Romanum imperator electus’ “, und um seinen Worten die nachdrückliche Unanfechtbarkeit hinzuzufügen, hob er die Urkunden mit den Siegeln der Wahlfürsten und sogar des Papstes vor der versammelten Menge in die Höhe.
„
Warum sollen wir eine gesegnete Wahl jetzt in Frage stellen?!“
Demonstrativ platzierte er das Pergament auf dem Altar und schaute in die Menge.
Die Menschen schauten sich fragend und ratlos an. Wie sollte es nun weitergehen? War das letzte Wort gesprochen?
Nein, das war es nicht. Die Abordnung aus dem welfentreuen Mailand bat um das Wort. Sogleich erhoben die Papsttreuen lautstarken Protest, so dass der Papst das eigene Lager zur Ruhe mahnen musste. Da trat aus eben dieser Gruppe der Markgraf Wilhelm von Montferrat hervor.
„
Euere Heiligkeit, Eminenz, wir erheben Einspruch, Mailand vor dem Konzil sprechen zu lassen.“
Der Papst nickte gefällig.
„
Habt Ihr Gründe, Montferrat?“
„
Die haben wir, Euere Heiligkeit.“
„
Welche wären das? Tragt sie vor!“
„
Drei an der Zahl, Euere Heiligkeit“, begann der Markgraf.
„
Sie haben dem Patrimonium den Treueid geschworen und diesen gebrochen, als sie dem Grafen von Spoleto mit Waffen gegen Rom gefolgt sind. Zweitens sind sie dem Welfenlager treu geblieben, als Otto von Braunschweig von Euch, Exzellenz, exkommuniziert wurde. Sie stehen damit außerhalb der Christenheit und dürften gar nicht in diesen Hallen sein!“
Erneut erhoben sich Stimmen des Protests.
„
Und drittens, … und drittens… beherbergen sie in ihrer Stadt Ketzer. Damit bezichtigen wir sie der Ketzerei!“
„
Lügen“, riefen die Mailänder, „alles Lügen! Lügner!“
Die Beleidigungen der Mailänder ließen sich Anhänger um Montferrat nicht gefallen und beschimpften nun ihrerseits die Mailänder.
„
Ruhe! Ruhe!“, rief der päpstliche Zeremonienmeister.
Innozenz hob drohend beide Hände.
„
Ruhe oder ich lasse euch hinausschaffen! … Die Worte des Markgrafen haben ihre Berechtigung. Aber, ich werde Milde walten lassen und sehen, ob ich Mailand später das Wort erteile.“
„
Dann lasst uns wenigsten darlegen, warum der Welfe auf keinen Fall Euere Absolution erhalten darf.“
„
Sprecht also, Montferrat.“
„
Ich danke Euch, Hochwürden.“
Montferrat holte Luft. Dann begann er seine Anklage gegen Otto von Braunschweig.
„
Wie Mailand hat er den Eid mit Euch gebrochen. Als er das Patrimonium verheert hatte, hat er Leid und Elend zurückgelassen, jedoch für den Schaden keine Wiedergutmachung geleistet und ist wieder in deutsche Lande zurückgekehrt. Dort hat er ebenso Frevel begangen, Eminenz.
Er hat Krieg gegen den rechtmäßig gewählten König Friedrich von Staufen geführt, der anders als er selbst ein untadliges Mitglied unserer Gemeinschaft ist. Um die Wahl Friedrichs von Staufen zu verhindern, hat er sogar Eueren Legaten in deutschen Landen, den Bischof von Münster, gefangen genommen und ihn so schlecht behandelt, dass dieser zu Tode erkrankt ist.“
Montferrat machte eine Pause, um das laute Applaudieren seiner Anhänger Wirkung entfalten zu lassen.
„
Er hat Kirchengüter geschändet, indem er das Frauenkloster Quedlinburg besetzt, die Nonnen vertrieben und dort eine Burg errichtet hat…“, Montferrat schaute immerzu nickend und mit ausgiebig viel Zeit in die Menge, um wiederum von Neuem auf die Welfen einzuprügeln.
„
Er hat den von Euch exkommunizierten Erzbischof Waldemar von Bremen gefördert und diesem die Regalien verliehen, als Ihr, Exzellenz, sie ihm nicht gabt. Er hat sich mehrfach über Euch stellen wollen, was ihm freilich nicht gelingen konnte. Aber er hat in seiner grenzlosen Arroganz den von den Reichsfürsten zum Kaiser erwählten Friedrich als Pfaffenkönig bezeichnet. Das ist unsere große Zahl von Anschuldigungen und wir kennen niemanden, der sie entkräften könnte. Deshalb darf dem Übeltäter nicht die Absolution erteilt werden, geschweige denn, dass er das Reich noch einmal in seinen teuflischen Bann ziehen darf.“
Großer Lärm brandete auf und aus dem Gestühl des Kapitels erhob sich nun Stephan Longchamps, der englische Kardinal, und trat vor.
„
Doch, Euer Gnaden. … Ich kann die Worte des Grafen von Montferrat widerlegen!“
Wie vom Donner gerührt fuhren der Papst und Montferrat herum und blickten missbilligend auf den Kardinal, der sich in ihrem Rücken erhoben hatte.
„
Schuldige und Unschuldige, arm und reich sind gleichermaßen zu hören, ja, der Teufel selbst, sofern er zu Reue imstande ist. So schwer die Vorwürfe gegen sie auch sein mögen. Die Welfen sollen sprechen. Aber Kardinal…, achtet die Heiligkeit des Ortes!“, mahnte ihn Innozenz.
Longchamps entrollte ein Pergament aus einer kaiserlichen Goldbulle und hielt es vor sich hin.
„
Bevor wir die Anschuldigungen besprechen wollen, werde ich die Appellation des Kaisers verlesen. ….“
„
Er ist nicht unser Kaiser“, rief Montferrat; doch Innozenz hob die Hand.
„…
Denn sie enthält sein Versprechen über seinen Gehorsam gegen die Kirche.“
Longchamps begann die Urkunde zu verlesen und ein jeder wartete auf die Passage, in der die Entschuldigung des Kaisers zu hören war. Doch sie blieb aus. Schlimmer noch, machte er weder Abstriche von der weltlichen Gewalt, noch ordnete er sich der päpstlichen Heiligkeit unter.
Als Longchamps geendet hatte, breitete sich in der Basilika erwartungsvolles Schweigen aus.
„
Das,… das entspricht“, brach der Papst das Schweigen süffisant, „aber ganz und gar nicht unseren Erwartungen an einen Reueschwur, Longchamps. Seine eidliche Versicherung zum Frieden reicht uns da nicht, Kardinal.“
Wieder breitete sich ein Schweigen aus, so dass man eine Nadel zu Boden fallen hätte hören können. Doch noch waren die welfischen Gesandten am Zuge.
„
Wir wollen etwas gegen die Vorwürfe Montferrats vorbringen”, rief schnell der Mailänder Hofrichter, Monacho de Villa.
„
Welchen Eid hat Otto von Braunschweig geleistet und könnt Ihr hier und jetzt den Beweis für die Eidbrüchigkeit vorlegen, Montferrat?! Zum Vorwurf der Behausung von Ketzern. Wie wollt Ihr ausschließen, dass Ketzer in eine Stadt kommen und könnt Ihr Beweise vorbringen, die unzweifelhaft die Förderung durch unsere Stadt belegen!?”
Während Monacho sprach, stellte sich Montferrat demonstrativ vor die Menge und zuckte, als sei er arglos, mit den Schultern und Armen.
„
Montferrat, ihr selbst geltet als exkommuniziert – nach eurer eigenen Anschuldigung…. Denn ihr selbst seid mit exkommunizierten Städten im Bunde.”
Und wie zum Beleg trat Caccia Previdus aus Piacenza vor.
Unter zunehmendem Lärm, begannen Monacho und Caccia nun auf die Otto vorgeworfenen Anschuldigungen einzugehen, indem sie sich direkt an den Papst wandten.
„
Heiliger Vater, Kaiser Otto hat in den Jahren zwölfhundertneun und danach die Klärung der Häretikerfrage eigenständig und ohne Weisung der Kirche in Gang gesetzt. Ich frage Euch, Exzellenz, kann er also einer Verbrüderung mit den Ketzern bezichtigt werden?“
„
Zugegeben“, sprach der Papst, „auch wenn mir keine zählbaren Resultate der Ketzerkommissionen berichtet wurden, können wir ihm diesen Punkt nicht guten Gewissens zur Last legen.”
„
Euere Heiligkeit“, sprach nun Caccia wieder, „lasst uns bitte sprechen, denn wir, die wir die Interessen des Kaisers zu vertreten haben, sind diesem Zeitpunkt von seinem obersten Hirten in den Schoß der heiligen römischen Kirche aufgenommene Schäflein.”
Einen Moment verharrte er, um dann, sich der Aufmerksamkeit aller Zuhörer, selbst der im hintersten Winkel der Kirche, gewiss zu sein. Wie auf ein vereinbartes Zeichen nutzte Monacho die stille Aufmerksamkeit.
„
Wenn der Kaiser also, mit dem Bann belegt, hier nicht sprechen darf, weil es ja genau um die Lösung von diesem geht – um wieder vor seine Heiligkeit treten zu dürfen – wer anders, als seine Parteigänger, die seine Interessen verstehen, soll dann für ihn sprechen oder wünscht Ihr, dass ein Gegner oder gar niemand für ihn spricht?!”
Monacho hatte mit einer bewusst übertriebenen Heftigkeit geendet und erwartete nun die Antwort, die ihn allein aufgrund seiner gelungen Schauspielkunst nur bestätigen konnte.
„
Nein, sicherlich, Ihr Herren“, gab sich der Papst überparteilich, „er soll seine Fürsprecher schicken dürfen, schließlich soll ein gerechter Prozess betrieben werden.”
„
Vielen Dank, Eure Eminenz”, ergriff Caccia wieder das Wort, um mit der letzten Anklage, die die Form betraf, fortzufahren, „während seiner Zeit in den italienischen Ländern hat der Kaiser nicht in dem Patrimonium Petri und Sizilien zweifelsfrei zustehende Gebiete eingegriffen.”
Die Miene des Papstes verschärfte sich und er richtete sich in seinem Thron auf.
„
Ist er also eidbrüchig?!” donnerte er nun.
Caccia hatte diese letzte und entscheidende Frage gestellt, ohne sich der Haltung und Stimmung des Papstes zu vergewissern und so schleuderte ihm der Papst, während er sich die ganze Zeit ruhig und besonnen gegeben hatte, nun erregt und sich aus dem Thron den Verteidigern Ottos hinzugebeugend, entgegen, „ja, das ist er, seit er sich nicht an die Speyrer Verträge gehalten hat, das Patrimonium unbehelligt zulassen!”
Doch unbeeindruckt Caccia lenkte ein, „dann, Heiliger Vater, prüft, wie es sich verhält. Wenn wir, das heißt die Städte Mailand, Piacenza und ihre Verbündeten, falsch liegen, dann bitten wir an dieser Stelle und im Namen des Kaisers um Verzeihung und bieten Wiedergutmachung des Schadens am Heiligtum an.”
Das beruhigte den Papst ein wenig.
„
Ihr Herren, der Reichtum der Städte und seiner Verbündeten reicht wohl kaum aus, um die von Otto dem Welfen verursachten Schäden an der heiligen römischen Kirche auch nur im Geringsten zu heilen.”
Ein Raunen ging durch die Basilika, denn die Aussage des Papstes kam einem Zwischenurteil gleich. Caccia und Monacho schauten sich an. Der Papst war Richter und Betroffener. Caccia hatte, wie Langchamps vor ihm, auf die falsche Karte gesetzt. Dieser Richter würde diesem Betroffenen, dem der Kaiser die sein Eigen geglaubten Gebiete verwüstet hatte, nicht widersprechen.
Ergriffen und betroffen verzogen die Welfischen unter den Zuhörern die Gesichter und bogen die Leiber, als seien sie von Schmerzen ergriffen. Mit letzten Versuchen fuhren Monacho und Caccia mit ihrer Verteidigung, in den sieben von dem Markgrafen erhobenen Punkten, fort. Doch der Kaiser schien verloren. Einige der Anklagpunkte des Markgarfen wie die Besetzung des Frauenklosters in Quedlinburg konnten entkräftet werden. Andere Punkte wie die Gefangennahme des Bischofs von Münster oder die Unterstützung des Bremer Erzbischofs hingegen blieben bestehen. Als es zur Verhandlung des Punktes, wonach Otto Friedrich II. als Pfaffenkönig bezeichnet hatte, kam, erhoben sich auf Seiten der Papsttreuen empörte Rufe gegen die Welfenpartei. Innozenz nahm diese erneuten Unruhen zum Anlass, die Verhandlung mit einer auffordernden Handbewegung von seinem Thron aus für beendet zu erklären. Sogleich begannen die Kirchendiener die Menge aus der Basilika hinauszudrängen.
Am dreißigsten November fand die dritte feierliche Plenarsitzung statt, mit der das Konzil gleichzeitig seinen Abschluss finden sollte.
Wieder eröffnete Innozenz die Verhandlung, indem er über die Fragen, wie mit den Häretikern zu verfahren sei und in dem er seinen Aufruf zum fünften Zug unter dem Kreuz gegen die Ungläubigen erneuerte.
Als das Konzil in vollem Gange war und die Unterwerfung König Johanns von England unter das Kreuz besprochen war, ergriff Siegfried von Mainz das Wort.
„
Verehrte Herren, es freut mich als deutscher Bischof zu hören, dass die Kirche ihre Position durch die Reform zu stärken im Stande sein soll, dass sich die deutschen und englischen Fürsten als Teil der kirchlichen Hoheit begreifen sollen. Doch frage ich, wird es der Kaiser sein, der die Heere nach Jerusalem anführen soll?”
Er hob an, um fortzufahren, doch der Bischof wurde von Innozenz unterbrochen.
„
Nun hört mir zu, Bischof und alle Ihr anderen, später höre ich euch wieder zu. Doch dies sei mein Spruch in dieser Frage.“
Nun endlich sollte das Unausgesprochene, das seit dem ersten Tag des Konzils im Raume stand, vom Papst selbst ans Licht befördert werden.
„
Es soll der deutsche Fürst unser Vertrauen besitzen, der von den Wahlfürsten und der Kurie gewählt wurde. Diesem wird meine Unterstützung auch für den Kreuzzug in das heilige Land zuteil.” Proteste erhoben sich von den welfischen Abordnungen. Denn mit dem päpstlichen Wort war offenkundig, dass der Papst für Friedrich II., den er selbst über die Alpen geschickt, dem er selbst durch die päpstliche Urkunde in Überlingen, Breisach und Aachen Einlass verschafft hatte, öffentlich Partei ergriff.
Die Proteste der Welfen wollten nicht abebben. Keinen interessierte nun noch, ob der Papst den Kaiser vom Bann befreien würde. Was hatte das noch für eine Bedeutung?
Die Welfen drängten ins Freie, auf dass das Konzil ohne sie beendet werde.
Als sich schließlich die großen Pforten öffneten, sah Tankred, wie Siegfried von Mainz, freudig ins Gespräch mit Dietrich von Trier vertieft, die Basilika verließ, während die ganze welfische Partei mutlos vor dem Gotteshaus stand.
„
Auch wenn der Papst, von Gott befohlen, die Entscheidung an den Rat weitergegeben hat, ist es offensichtlich, dass Erzbischof Siegfried, wie auf ein Signal, das Wort ergriffen hat und in feister und dummer Weise den Boden für die Ausführungen zugunsten des Staufers geebnet hat,“ sagte Tankred zu Scauffius.
„
Einen weiteren Kreuzzug gegen die Albiginser. Damals war ich dabei, als der Graf von Toulouse den Kaiser aufsuchte, um Nachsicht bei der Behandlung der Ketzerfrage zu erwirken. Ich fand es zu der Zeit und finde heute immer noch nicht richtig, diese armen Teufel zu verfolgen.“
„
Wollen sehen, ob er die Reise auch wirklich antritt.”
„
Ich habe damals die Kommission begleitet, die die Minoriten in den Bergen des Apennin befragen sollte“, sagte Tankred, „es waren alles Anhänger des heiligen Franz von Assisi, absolute Fanatiker. Unterscheiden sich wohl kaum von den Häretikern, aber die werden nicht verfolgt, stattdessen werden die Dominikaner auf die Häretiker angesetzt.”
„
Nur geistig sollen sie die Ketzer bekehren”, warf Heinrich ein, der sich zu ihnen gesellt hatte.
„
Wenn es da dann noch etwas zu bekehren gibt. Das heutige Glaubensbekenntnis Innozenz’ war fast Satz für Satz gegen den katharischen Glauben gerichtet; er kennt seine größte Bedrohung im Abendland genau und will sie vernichten; nur darum geht es ihm. Zwölfhunderundelf haben die Dominikaner auch keinen am Leben gelassen und genau so wenig werden sie es dieses Mal tun.“
Ich bin Eurer Meinung, Heinrich. Ich werde bei so etwas auf keinen Fall mitmachen; ich will nicht sagen, dass ich mit den Katharern sympathisiere, aber an Frauen und Kindern vergreife ich mich nicht.”
„
Also werdet Ihr dem Staufer nicht die Treue schwören?!“
Trankred hielt nachdenklich inne. „Ich sehe ihn noch nicht auf dem Kreuzzug.“
„
Und wenn er geht?!“
„
Quält mich nicht mit dieser Frage. Die Partei der Welfen ist stark. Wenn sie standhaft bleibt, wird es auch mir möglich sein, Welfe zu bleiben.“
Auch, wenn die Kaiserfrage entschieden schien, so wurde in der verbleibenden Nacht in den Wirtshäusern Roms um die Gefolgschaft des Staufers auf dem Kreuzzug gefeilscht. Doch die Macht der römischen Entscheidung trieb die Besucher des Konzils dorthin, wo sich nun ihre Geschicke entschieden. In den darauffolgenden Tagen leerte sich die heilige Stadt und die Menschen konnten wieder unaufgeregt ihren Geschäften nachgehen.
Die Zeit des Wartens war vorbei. Die Frage der Herrschaft im deutschen Reich würde sich binnen kürzester Zeit zugunsten des Staufers klären. Ebenso würde die Kurie bald das Tauziehen zwischen Adolf von Altena und Dietrich von Heimbach um den Stuhl des Erzbischofs zu Cölln beenden. Große Umbrüche standen nun an in den Landen nördlich der Alpen.