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Frontbereinigung im Zentrum – Unternehmen „Hannover“ und „Seydlitz“

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Am 21. Mai hebt Hauptmann Freiherr von Malapert39 mit seinem Stuka von einem Feldflugplatz in der Nähe von Brjansk ab. Zu einem Spezialauftrag: Der Kommandeur der II. Gruppe/Schlachtgeschwader 1 soll eine wichtige Brücke im russischen Hinterland zerstören. Für den Ritterkreuzträger ist es der 510. Feindflug.

Aus der Vogelperspektive wirkt die 1.400 Kilometer Front der Heeresgruppe Mitte ziemlich unübersichtlich. Klare Verläufe sind längst nicht überall zu erkennen. Stattdessen blicken die Stuka-Piloten auf viele Einbuchtungen, die beim Überfliegen der Hauptkampflinie (HKL) fürs geschulte Auge sichtbar werden. Feldmarschall von Kluges Verbände halten eine zerbeulte Front von Welikije Luki bis südlich Mzensk. Wie Narben nehmen sich die tiefen sowjetischen Einbrüche der Winteroffensive aus. Und die Zeichen für 1942 stehen alles andere als günstig, da sich von Kluge den veränderten Prioritäten fügen muss. Der Schwerpunkt liegt im Süden. Die knappen Ressourcen der Wehrmacht werden in von Bocks Befehlsbereich gelenkt. Teilrückzüge zur Frontbegradigung, um der Heeresgruppe Mitte Kräfte einzusparen und Reserven zu gewinnen, lehnt Hitler indes ab. Damit würde er auch seine Absichten im Süden verraten. Statt dessen befiehlt der Führer weiterhin striktes Halten der Front im Zentrum plus örtlich begrenzte Offensiven zur Bereinigung. Mit einer Truppe, die allein schon für rein defensive Zwecke nicht übermäßig stark erscheint.

Schlagartig einsetzendes, konzentriertes Flakfeuer signalisiert von Malapert das Erreichen des Angriffsziels. Der Hauptmann kippt mit seiner Maschine über dem Flügel ab und stürzt im Adrenalinrausch auf die Brücke. Er hat jetzt nur noch das Ziel vor Augen. Riesengroß! Kurz über dem Boden klinkt der Darmstädter die Bombe aus und fängt die Maschine ab. Der erfahrene Pilot hat gut gezielt. Die Brücke fliegt in die Luft. Allerdings bekommt der Stuka einen Flak-Treffer in den Kühler.

Von Malapert und sein Bordfunker, der Oberfeldwebel Mees, können mit Mühe und Not im Niemandsland notlanden. Die beiden Luftwaffensoldaten bleiben unversehrt, können sich aus dem Flugzeug befreien. Doch als sie sich erheben, um zu den eigenen Linien zu flüchten, kracht ein Schuss. Ein sowjetischer Scharfschütze hat den Offizier aufs Korn genommen. Von Malapert fällt im gezielten Gewehrfeuer. Sein Bordfunker hat mehr Glück. Oberfeldwebel Mees schlägt sich zu den vordersten deutschen Stellungen durch und kann über den Tod seines Kommandeurs berichten. Freiherr Robert-Georg von Malapert ist 29 Jahre alt geworden. Er wird am 8. Juni posthum mit dem Eichenlaub ausgezeichnet.

Pioniere gegen Pioniere, lautet zwischenzeitlich das Motto im Kampfraum der 17. Panzerdivision bei Orel. Gruppenführer Andreas Wecker40 erlebt die Gefechte in der 2. Kompanie/Panzerpionierbataillon 27. Seine Einheit unternimmt einen Angriff gegen eine eingebrochene Pionierkompanie. Die russischen Elitesoldaten haben sich in einer Igelstellung verschanzt. Gefällte Baumkronen dienen als Sichtblende. Dahinter kauern, lauern die Rotarmisten in Erdlöchern. Wecker und seine Kameraden pirschen bis auf Handgranatenwurfweite an die Stellung heran. Dann stürmen die Pioniere mit „Hurra“ gegen den Feind. Handgranatensalven sprengen Schneisen in die Deckung aus Baumkronen. Der Gefreite Holler feuert mit der Signalpistole auf die Schützenlöcher. Die glühenden Leuchtpatronen setzen Rotarmisten in Brand. Und auch die Flammenwerfer der deutschen Pioniere leisten „ganze Arbeit“. Gruppenführer Wecker berichtet:

„Da war das ,Erschossen werden‘ schon eine Wohltat, als bei lebendigem Leib zu verbrennen.“

„Wie eine brennende Fackel“ türmen die in Flammen gehüllten Rotarmisten. Bis die Hitze sie zu Boden zwingt und umbringt. Nach einem halbstündigen Gefecht ist die russische Pionierkompanie aufgerieben.

Blutige Randnotizen. Unterdessen plant die Heeresgruppe Mitte zwei lokale Angriffsunternehmen, die zwischen Mai und Juli starten sollen: „Hannover“ bei der 4. Armee und „Seydlitz“ bei der 9. Armee.

Am 24. Mai tritt General Heinricis 4. Armee mit Unterstützung des XXXXVI. Panzerkorps von Reinhardts 3. Panzerarmee zum konzentrischen Angriff an. General Belows in der Winterschlacht vorgeprellte Truppen sollen in die Zange genommen werden. Stärker als die insgesamt 20.000 sowjetischen Verteidiger im Dreieck Smolensk-Wjasma-Spas-Demensk verzögern in den ersten Tagen starke Regenfälle die deutsche Offensive. Dadurch werden die Marschbewegungen durch das ohnehin schon heikle, waldreiche Gelände weiter erschwert. Als sich die Angriffsspitzen der beiden Stoßkeile am 27. Mai treffen, haben sich große Teile der Gruppe Below bereits der Einschließung entzogen.

Nach diesem ersten Fehlschlag folgt am 3. Juni noch ein weiterer Vorstoß, die Operation „Hannover II“. Das Unternehmen führt zwar zu Geländegewinnen bis zum Dnjepr, nicht jedoch zur angestrebten Vernichtung der Gruppe Below. Schlammiges Waldgelände und ein taktisch geschickt operierender Gegner verzögern den deutschen Zugriff. Erst Ende Juni kann die feindliche Gruppierung aufgerieben werden. OKH-Chef Halder konstatiert anerkennend über General Below: „Der Mann hat immerhin im ganzen 7 deutsche Divisionen in Bewegung gesetzt.“41

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Weiter nördlich stellen sich die Verbände der 9. Armee für das Unternehmen „Seydlitz“ bereit. Darunter der Funker Robert Schumacher42, Angehöriger des II. Bataillons/Infanterieregiment 232 der 102. Division. Ende Juni erlebt der Norddeutsche, wie eine Kugel den Stahlhelm des Unteroffiziers Czock glatt durchschlägt. Der Schwerverwundete ist nicht zu retten, ein Abtransport unmöglich. Die Kameraden können dem Bewusstlosen nur den Helm abnehmen und in den Schatten einer Birke legen. Vor den Sterbenden tritt ein Offizier des Bataillons, nimmt Haltung an, salutiert. Ein soldatischer Gruße zum Tode. Vier schrecklich lange Stunden währt der Endkampf des Unteroffiziers an diesem heißen Sommertag.

Ziel des Unternehmens „Seydlitz“ ist die Vernichtung der südlich und östlich von Bely stehenden Feindkräfte in Stärke von rund 60.000 Mann, namentlich der 39. Armee und des XI. Kavalleriekorps. Damit soll die Lage im Rücken von Generaloberst Models 9. Armee endgültig bereinigt werden. Der Angriff beginnt am 2. Juli. Von Norden tritt das XXIII. Armeekorps an, während sich von Süden die schnelle „Gruppe Esebeck“ in Bewegung setzt. Doch die 1. und 5. Panzerdivision rollen nur langsam voran.

Der Gefreite Otto Will43 nimmt an dem Unternehmen „Seydlitz“ teil. Als Angehöriger der 5. Panzerdivision dient der Melder im II. Bataillon/Schützenregiment 14. Der auf dem rechten Auge nahezu blinde Will berichtet über den Vorstoß seiner 5. Kompanie:

„2. Juli 1942. Um 3 Uhr ist das Warten vorbei. Die Spannung löst sich, der Angriff beginnt. Unter massierter Artillerievorbereitung und Einsatz von Fliegern greifen wir an. Gegen 5 Uhr haben wir erste Feindberührung. Es kommt zu einem Gefecht, als wir gegen Berasui 1 vorgehen. Die Russen verteidigen den Ort mit großer Hartnäckigkeit. Wir kommen nur schwer voran, weil der Himmel seine Schleusen geöffnet hat und wir wegen des starken Regens nicht weit sehen können […]

3. Juli 1942. […] Wir verfolgen den fliehenden Feind in den dahinter liegenden Wald. Mitten im Wald ist plötzlich die Hölle los. Hier haben sich die Russen im Unterholz festgesetzt und leisten erbitterten Widerstand. Man kann sie kaum ausmachen. Es knallt an allen Ecken und Enden. Die Baumkrepierer sind besonders gefährlich.“

Damit benennt der Gefreite drei Faktoren, die symptomatisch für alle Offensiven der Heeresgruppe Mitte im zweiten Kriegsjahr sind:

1. der zähe Feindwiderstand

2. der verregnete Sommer 1942 im Mittelabschnitt

3. das schwer passierbare Gelände

Für den Angreifer bedeutet das bestenfalls ein langsames Vorwärtskommen, noch dazu unter hohen Verlusten. Die unübersehbaren Schwierigkeiten des Unternehmens „Seydlitz“ verdeutlichen wie durch ein Brennglas alle Vorbehalte gegen einen zweiten großen Marsch auf Moskau.

Unter dem Druck sowjetischer Gegenstöße frisst sich die Offensive der Gruppe Esebeck schon nach wenigen Tagen fest. Am 4. Juli tritt das XXXXVI. Panzerkorps zur Unterstützung der festliegenden Verbände an. Für den verwundeten Generaloberst Model übernimmt zwischenzeitlich General der Panzertruppe von Vietinghoff die Führung der 9. Armee. Auf dem Schlachtfeld zeichnet sich schließlich eine Wende zugunsten der deutschen Angreifer ab: Die bislang in Reserve gehaltene und nunmehr ins Gefecht geworfene sächsische 14. I.D. (mot.) bringt die Entscheidung. Unter dem zusätzlichen Druck wird der Gegner weich. Die deutschen Zangenarme können Raum gewinnen und sich schließlich vereinigen. Bis zum 12. Juli werden die eingeschlossenen sowjetischen Verbände vernichtet. Am Monatsende meldet das Armeeoberkommando 37.000 Gefangene. Was aber noch viel wichtiger ist: Die 9. Armee hat ihre logistische Basis gesichert, der Nachschub kann ungehindert in den Frontbogen bei Rshew rollen.

Für Feldmarschall von Kluges Heeresgruppe Mitte sind es hart errungene, gleichwohl wichtige Teilerfolge. Zum einen setzen die offensiv begradigten Fronten eigene Kräfte frei, um überhaupt die befohlene Linie halten zu können. Andererseits stellt das Behaupten der Positionen nur 150 bis 200 Kilometer vor Moskau eine permanente Bedrohung der sowjetischen Hauptstadt dar. Eine Tatsache, die Stalin lange Zeit im Unklaren über den Schwerpunkt der deutschen Sommeroffensive im Süden und falsche Schlüsse ziehen lässt.

Von Stalingrad bis Kursk

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