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Todeszone Orel – Unternehmen „Wirbelwind“

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Am Südflügel der Heeresgruppe Mitte ist die Stadt Orel der Dreh- und Angelpunkt, mit dem die Front steht oder fällt. Zu den Verbänden, die im Kampfraum der 2. Panzerarmee fechten, zählt die 25. I.D. (mot.). Generalleutnant Grassers Truppe führt während des Sommers 42 einen verbissenen Kleinkrieg an der Suscha. Darunter auch Bertold Elzer85, der als Zugführer im Infanterieregiment 35 eingesetzt ist.

Am 11. Juli schleicht ein deutscher Stoßtrupp durchs Niemandsland. Der Auftrag der Einheit: Einen Steg über die Suscha zerstören. Unterwegs trifft der Trupp plötzlich auf eine Gruppe Rotarmisten. Leutnant Rauscher reißt die Maschinenpistole hoch. Aber auch der russische Führer bringt seine automatische Waffe blitzschnell in Anschlag. Die beiden Offiziere drücken ab. Zugleich. Treffen. Fallen. Beide. Zwei Gegner, im Tode vereint.

Tragische Fälle, die sich dieser Tage hinter der Phrase „keine besonderen Kampfhandlungen“ verbergen. Die „Todeszone“ im Großraum Orel gilt als einer dieser leidigen Nebenkriegsschauplätze, damals wie heute wenig beachtet. Als Bertold Elzer am 28. Juli den Divisionsfriedhof in Deschkino besucht und die vielen bekannten Namen auf den Grabkreuzen liest, verliert er die Fassung. – „Nach zwei, drei Reihen war ich so erschüttert, dass ich weglief.“

Am 10. Juli notiert Divisionspfarrer Wolf von der 18. Panzerdivision: „Die Toten mehren sich, die Verluste werden unheimlich. In meinem schwarzen Büchlein steht schon ein schwarzes Kreuz hinter dem anderen [...]“86

Angesichts der über 400 Gräber für die Gefallenen des Schützenregiments 52, die die Abwehr eines russischen Großangriffs, vorgetragen von 150 Panzern und 21 Bataillonen, mit Stoßrichtung Shisdra, Fernziel Orel, gekostet hat, sagt der übernächtigte Kommandeur nach langem Schweigen: „Da liegt meine alte Garde. Eigentlich gehörten wir auch da hin. Dann wäre es vorbei.“

Für die letzten zehn heißen Sommertage vom 1. bis zum 10. Juli meldet die 18. Panzerdivision den Abgang von 43 Offizieren und 1.363 Unteroffizieren und Mannschaften. Bereits im Vorjahr hat der sächsische Großverband einen überdurchschnittlich hohen Blutzoll an der Ostfront zahlen müssen. Zwischen dem 22. Juni und 31. Dezember 1941 verzeichnete die 18. Panzerdivision 1.009 Gefallene, 3.560 Verwundete, 480 Vermisste, dazu kamen noch 2.274 Kranke. Das bedeutete 7.323 Gesamtabgänge bei einer Ausrückstärke von zirka 13.000 Mann zu Beginn des Unternehmens „Barbarossa“. Allein der Anteil der blutigen Verluste betrug somit annähernd 40 Prozent, während es beim gesamten Ostheer gut 25 Prozent waren.

Nach dem erneuten schweren Opfergang Anfang Juli 1942 sieht Divisionspfarrer Wolf den wegen „besonderer Tapferkeit und persönlichem Einsatz“ in den letzten Gefechten zum Ritterkreuz vorgeschlagenen Chef der 7. Kompanie/Schützenregiment 101, Oberleutnant Günter Schulze, „weinend über das Schlachtfeld“ laufen. Der verzweifelte Offizier ist auf der Suche nach seinem Bataillon, „das zerschlagen war“. Von einer Siegesstimmung über den hart errungenen Abwehrerfolg, die vernichteten 91 Feindpanzer, berichtet Pfarrer Wolf indes nicht. Am 18. Juli wird die ausgeblutete 18. Panzer- durch die 52. Infanteriedivision abgelöst, um endlich aufgefrischt zu werden. Es ist die erste Frontablösung seit August 1941.

Noch einmal Vorwärtsstürmen soll die 2. Panzerarmee am 11.8.1942. An diesem Tag beginnt das Unternehmen „Wirbelwind“, der lange geplante konzentrische Angriff von Generaloberst Schmidts Großverband auf den sowjetischen Frontvorsprung bei Suchinitschi, nördlich Orel. An Artillerie haben immerhin 46 Batterien, insgesamt 184 Geschütze87, Feuerstellungen bezogen. Die Operation sieht vor, von Süden her eine schnelle Kampfgruppe auf die Schisdra anzusetzen, den Fluss zu überschreiten und dann weiter nach Norden bis zur Vereinigung mit der 4. Armee durchzustoßen. Einhundert Kilometer sind zu bewältigen. Aber nur am ersten Tag gelingt der 11. Panzerdivision ein tiefer Einbruch bis Uljanovo. Dann gebietet das befestigte, verminte Gelände, in dem sich der Gegner so geschickt wie verbissen verteidigt, unüberwindlichen Halt.

Auch die 20. Panzerdivision88, die am 12. August mit 80 Kampfwagen zwischen Bolchow und Suchinitschi vorrollt, kämpft von Anfang an mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Bereits beim Überfahren der Hauptkampflinie (HKL) rammt ein Panzer einen Stapel Minen, die Pioniere geräumt und mit Grasnarben getarnt am Straßenrand aufgeschichtet haben. Der Kampfwagen explodiert in einer 100 Meter hohen Feuer- und Rauchsäule. Von der fünfköpfigen Besatzung bleibt nichts mehr zum Beerdigen übrig. Ein böses Omen. In den Folgetagen läuft sich der Angriff fest. Eingegrabene, vorzüglich getarnte und noch schwerer auszuschaltende T 34 sowie eine Pak-Front, bestehend aus rund 40 Ratsch-Bumm-Geschützen, Kaliber 7,62 Zentimeter, fordern ihren Tribut. Das Panzerregiment 21 verliert 30 Kampfwagen, davon 13 Totalausfälle, die nicht wieder repariert werden können.

Nicht besser ergeht es den anderen Großverbänden der 2. Panzerarmee. Bei der 9. Panzerdivision zählen die Kompanien in der HKL gerade noch zehn bis 15 Mann. Am 22. August wird die Offensive abgebrochen, das Nordufer der Schisdra geräumt. Für Hitler ist das Unternehmen rückblickend „unser kapitalster Fehler in diesem Jahr“. Zumindest lässt der Verlauf der Operation „Wirbelwind“ abermals erahnen, wie schwer eine neuerliche Moskau-Offensive zu diesem Zeitpunkt gewesen wäre, speziell wenn der Großraum Brjansk-Orel die Basis dazu gebildet hätte.

Im August 1942 fallen an der Ostfront auf deutscher Seite 62.000 Mann. Das entspricht einer verheerenden Todesquote von gut 2.000 Mann pro Tag. Dass die Rote Armee im Jahresverlauf durchschnittlich fünf- bis sechsfach höhere Verluste als die Wehrmacht hinnehmen muss, macht das Ausbluten der Wehrmacht-Verbände nicht erträglicher, zumal der Gegner laufend Ersatz nachschiebt. Zwar mögen die Verpflegungsstärken (Gesamtkopfzahl) der einzelnen Ostdivisionen auf den ersten Blick noch eine relative Stärke ausdrücken. Aber die Wahrheit ist komplizierter. Die eigentliche Kampftruppe (Infanterie, Panzergrenadiere, Sturmpioniere), quantitativ erfasst in der sogenannten Gefechts- oder Grabenstärke, erleidet überproportional hohe Verluste. Mit anderen Worten: Das Rückgrat des deutschen Heeres ist angeknackst. Als Hitler auf die besonders hohen Verluste unter dem Offiziersersatz hingewiesen wird, soll er allerdings nur ungerührt entgegnet haben:

„Aber dafür sind die jungen Leute doch da!“89

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