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Frei wie ein Vogel im Wind
ОглавлениеEin Zugvogel fliegt im Herbst zur rechten Zeit an den rechten Ort, tausende Kilometer weit in den Süden.
Wäre er mit einem menschlichen Verstand ausgestattet, sähe seine Reiseplanung vermutlich anders aus. Er würde sie grundsätzlich in Frage stellen und sich überlegen, ob denn ein so anstrengendes Wagnis überhaupt sinnvoll sei – vor allem angesichts der drohenden Gefahren. Dazu gehörte auch der Versuch, die Möglichkeiten auszuloten, im Land zu bleiben. Er würde rückkehrende Zugvögel nach ihren Erfahrungen befragen und Meinungen einholen. Wenn er sich dann nach langem Hin und Her zur Reise entschlösse, würde er sich an den Ratschlägen erfahrener Reisender orientieren, so unterschiedlich diese auch wären. Die einen berichteten von der Schönheit der fernen Länder, die anderen von den Gefahren, Anstrengungen und Widrigkeiten, so dass sie mehr zur Verwirrung als zu seiner Klarheit beitragen würden. Um sich möglichst gut vorzubereiten, stünde auf jeden Fall erst einmal Flügelkrafttraining und ein Wurmaufnahmeplan für unterwegs an.
Vermutlich wäre der Vogel in seinen Gedanken und Handlungen so sehr mit der bevorstehenden Reise beschäftigt – und sicherlich auch mit den Dingen, die er aufgeben müsste: sein Nest, die Sicherheit seiner elterlichen Umgebung, seine Erinnerungen und vieles mehr –, dass er die Freiheit als Vogel im Wind, die er in jedem Augenblick erfahren und genießen könnte, gar nicht mitbekommen würde.
Ist dann also der menschliche Verstand nur eine Last? Wozu dient er, worin liegt sein Potential?
Der Verstand ist ein wundervolles Werkzeug, um der menschlichen Kreativität und Schöpfungskraft Ausdruck zu verleihen. Er ermöglicht uns ein Bewusstsein, das weit über instinktives Verhalten und automatische Reaktionen hinausgeht. Er gibt uns Wahlmöglichkeiten. Das ist der Segen des Verstandes.
Dieser Entscheidungsspielraum ist aber Fluch zugleich. Indem sich der Mensch frei entscheiden kann, kann er sich vermeintlich auch falsch entscheiden. Entscheidet er sich falsch, gibt er sich oder jemand anderem die Schuld. Er ist dann nicht mehr im inneren Kontakt mit dem Lebensfluss, sondern beginnt aus Angst und Sorge dagegen anzurudern.
Der Mensch will also über sein instinktives Dasein hinaus zum Gelingen des Lebens beitragen, sieht sich mitverantwortlich und will vorsorgen. Dadurch beginnt er Ängste in die Zukunft zu projizieren und aus diesen Ängsten heraus zu kontrollieren, zu trainieren, zu missionieren, zu taktieren, gegenzusteuern, einzugreifen, abzusichern, anzukämpfen.
Das geht so weit, dass der in die Zukunft und Vergangenheit schweifende Blick die Sicht auf das nimmt, was gerade ist: Die unendliche Tiefe und Schönheit des gegenwärtigen Augenblicks.
Man lebt nicht mehr aus der Fülle und Perfektion der Schöpfung, sondern im Drama der Erfüllung seiner eigenen Vorstellungen, Paradigmen und Glaubenssätze. Diese werden einem durch das eigene Lebensumfeld, durch Gesellschaft, Religion und Kultur vermittelt, und man beginnt sich damit zu identifizieren. Das nennt man auch Ego. Man ist sich seines wahren Selbst nicht mehr bewusst, erlebt sich getrennt vom Urquell der Schöpfung. Und läuft selbst- oder fremdproduzierten Selbstbildern nach, weil man das Göttliche weder in sich noch in allem anderen (an)erkennt. Daraus erst entstehen Symptome und Probleme, die man in den Griff zu bekommen versucht, wodurch man Gefahr läuft, immer mehr im Strudel seiner Verstrickungen und Dramen zu versinken. Der Mensch steht dann im Kampf mit sich selbst, seinem Umfeld und seinem Leben.
Deshalb werden im Buch der Leichtigkeit Symptome – egal ob körperlicher oder seelischer Natur – sowie Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Berufsleben oder anderen Bereichen als dienliche Kräfte gesehen, die uns Antwort auf etwas geben, was wir in Frage stellen. Wir laden Sie ein, Ihre Sichtweise auf eine Art weiten zu lassen, dass Sie Probleme und Symptome wie Geburtswehen betrachten können, die einen tieferen Wesenskern – das wahre Selbst, Ihre innere Größe, die Verbundenheit mit der bedingungslosen Liebe des schöpferischen Urquells – ins Leben bringen wollen. Anstatt gegen die Wehen anzukämpfen, werden diese Geburten durch bewusste Hingabe möglich.
So entsteht ein neues Bewusstsein. Viel weiter, tiefer und erfüllender, als es uns vor unserer Reise durch die Welt des menschlichen Zauderns, Zweifelns und Zwiespalts je möglich gewesen wäre.