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Schmale, scheue Pappeln drückten sich zu beiden Seiten an den Straßenrand.

Schöne, schlanke Bäumchen, die lieber in die Höhe wuchsen, anstatt sich ein bisschen Raum an den Flanken zu besorgen. So wird das heutzutage nichts, wenn man nicht ausgiebig mit den Ellbogen herumdrückt, denkt man, aber anmutig waren sie in ihrer Zurückhaltung. Ließen einfach ihre Schatten knüppelig auf den Asphalt schlagen. Aus allem Zartbesaiteten könnte man auch ein rauhes Lachen herausholen, wenn man nur an der richtigen Stelle kitzelte.

Muffi und Tuffi sammelten sich die Schatten ein wie Totholzsammler. Fünf Meter Sonne, zwei Meter Schatten. Nochmal. Und nochmal. Und so weiter. Nach vierzig Schatten drang die Straße in den Wald ein. Muffi drängte Tuffi auf einen Parallelweg nahe am Unterholz. Reisigtrampeln. Harzgeruch. Irgendwo aus dünnen, hochgewachsenen Kiefern kam ein vormaschinelles, schnabeliges Hämmern, baumkronennah, und irgendwie vertraut. Der Wald veränderte sich mit jedem Schritt, und Muffi würde gerne einen neuen Mythos hineinschreiben. Selbstverständlich nur seinen eigenen.

Tuffi hasste. Jeden Schritt. Muffi. Die Zeitverschwendung.

Ein Märchenwald. War dieser Wald. Er gehörte, wie einige Wiesen in dieser Gegend, einem Naturschutzverein, der an der Neuordung der Landschaft beteiligt war. Bauern hatten Wiesen abgegeben und Nutzflächen dafür bekommen. Irgendwo im Halbdunkel konnte Tuffi ein Reh erkennen, dem ein einzelner Sonnenstrahl, der es durch die Baumkronen geschafft hatte, auf den Kopf fiel.

»Das ist ja noch blöder als alles, was ich heute schon zu sehen bekommen habe«, sagte er.

Muffi dreht sich herum. »Was?«

»Da drüben, dieser blinkende Rehschädel.«

Muffi kniff die Augen zusammen. »Seh nix.«

»Mmh, ist jetzt auch weg.«

»Sicher ein Zeichen, dass deine Zeit abgelaufen ist, Tuffi. Ja, es ist ein Zeichen.«

»Was hast du nur mit deinem Mund gemacht? Kommt nur Mist heraus. Warum hast du es überhaupt in unsere Familie geschafft?«

Muffi lachte.

»Vielleicht weil ich’s konnte?«

Tuffi wollte noch etwas sagen, aber er biss sich lieber die Hälfte seine Zunge ab.

Weile.

Dann entließ sie der Wald in eine Art vertrocknendes Nichts. Er hatte die Baumreihen am Straßenufer geschluckt. Links klebte ein Weizenfeld am Waldsaum, rechts ein Feld von ausgewachsenem Saumais mit gelblich, verdorrten Blättern. Dreihundert Meter entfernt davon lag ein Gehöft. Dahinter arbeitete sich eine Wiese zum Horizont vor.

Muffi sah zu dem Bauernhof hinüber, sagte:

»Da drüben wirst du jetzt ein paar Tage wohnen. Bis ich den Diamanten gefunden habe, oder dir wieder eingefallen ist, wo er sich befindet. Nicht so komfortabel wie du es gewohnt bist, dafür an frischer Luft und mit Bauernhofatmosphäre.«

Tuffi schüttelt verwundert den Kopf.

»Ich kann das alles nicht glauben.«

»Ist auch nicht nötig. Wichtig ist, dass du machst, was man dir sagt, und dich ruhig verhältst.«

Muffi sah Tuffi mit kühlen Augen an.

»Übrigens ich habe keine Angst vor dir. Deswegen bist du nicht hier. Ich möchte nur nicht, dass du irgendetwas unternehmen kannst, um den Erzherzog-Josef verschwinden zu lassen.«

Tuffi stieß ein schrilles, willkürliches Lachen aus, es ähnelte sehr dem Warnschrei eines Eichelhähers. Irgendein größerer Vogel hatte das auch missverstanden und flatterte aufgeschreckt davon.

»Das ist absurd. Das Wort Erzherzog-Josef aus deinem Mund und mein Verstand löst sich in Luft auf. Aber bitte, gehen wir dorthin, ich will mal sehen, was mich dort erwartet.«

Tuffi setzte sich in Bewegung, kletterte die sanfte Böschung zur Landstraße hinauf und ging dann mit der Forschheit eines Wanderers, dem man ein neues rot-weiß kariertes Wanderhemd versprochen hatte, in die Richtung des Bauernhofs. Muffi hastete ihm hinterher, suchte den Anschluss, fand ihn, folgte Tuffi dann in einem Abstand von ein paar Metern. Tuffi zog sich die Jacke aus, hakte den Zeigefinger in den Aufhänger und warf sie sich mit ungeübter Leichtigkeit über die Schulter.

Was Muffi wusste, Tuffi nicht:

Der Hof gehörte den Ordnungs. Das waren der 38-jährige Sohn Max und der 71 Jahre alte Vater Bernd. Max hatte mit seinem Vater einen Vertrag geschlossen, der es ihm erlaubte schon zu dessen Lebzeiten den Hof zu bewirtschaften und uneingeschränkten Profit daraus zu ziehen, wenn dem Vater im Gegenzug dazu zeit seines Lebens unbedingtes Wohnrecht zugestanden werden würde. Zu Beginn kamen die Einkünfte noch aus der Schweinezucht, so wie es in der Familie seit über hundertachtzig Jahren üblich gewesen war. Damals befanden sich etwa dreihundert Schweine in zwei rechtwinklig hinter dem Wohnhaus liegenden Mastställen. Die Schweine waren jetzt weg, die Mastställe waren immer noch da, und sie waren mittlerweile abgenutzt und schäbig, verharrten in ungepflegtem Leerstand. Ihnen gegenüber lag eine Scheune und der Geräteschuppen, in dem sich ein kleiner Getreidemäher und ein Traktor befanden, beide ohne Motor. Seit der Sohn den Hof übernommen hatte, wurde der Hof uneingeschränkt dem Prinzip unterworfen, aus geringstmöglicher Arbeit den größten Nutzen zu ziehen. In den ersten zwei Jahren wurden alle Getreideanbauflächen in Brachland umgewandelt, und die von der EG bereitgestellte Subventionierung von Brachflächen zum Lebensunterhalt verwendet. In dem darauffolgenden Jahr wurde auch die Schweinzucht aufgegeben. Die beiden großen Mastställe fielen danach in den musealen Dämmerzustand, in dem sie jetzt waren, und lagen wie abgestorben auf dem Hof.

Auf dem es keine externe Stromversorgung gab. Wegen Streitigkeiten mit dem zuständigen Energiebetrieb wurde die Stromversorgung unterbrochen, und ruht nun bis zur Zahlung der rückständigen Gebühren. Sie wird seitdem in Eigenregie von den beiden Ordnungs gewährleistet und zwar mittels eines Stromgenerators, der in der ehemaligen Scheune steht und der mit Diesel betrieben wird. Nachdem 2008 die EG-Subventionen für Brachflächen gestrichen worden waren – die finanzielle Lage auf dem Hof daraufhin immer bedrohlicher wurde –, begann Max mit dem Verkauf von einzelnen Teilen des Grundbesitzes. Nicht dass dies die Situation dauerhaft entspannt hätte, aber es reichte, um von Zeit zu Zeit ein paar Kanister Diesel kaufen zu können, um mit einem alten Pickup zum Einkaufen in den nächsten größeren Ort zu fahren, oder um den Generator zu bedienen. Im Übrigen gab es selbstverständlich keinen Internetanschluss auf dem Hof, kein Festnetz, nichts mit dem man hätte Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können, nur ein unglaublich schweres, unglaublich altes Mobiltelefon, dass dem Sohn gehörte.

»Ein perfekter Urlaubsort«, sagte Muffi deswegen, packte Tuffi hart am Oberarm und zog ihn den ausgefahrenen Weg zum Haupthaus hinunter. So nahe wie in solch gewalttätigen Momenten kommen sich Männer sonst nie.

Der Erzherzog-Josef Orden

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