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»Pass. Bloß. Auf.«

»Was genau meinst du, was ich die ganze Zeit mache? Ich werde dich schon nicht in Stücke schneiden.«

Ordung junior schraubte seine Pupillen in die Decke mit der Wucht eines Betonbohrers. Er stöhnte, stöhnte noch einmal und sagte stöhnend:

»Warum eigentlich nicht? Schau dir doch mal dein Leben an, was du daraus gemacht hast. In so einem CV würde ein über dem Knöchel abgeflexter Fuß nicht weiter überraschen. Nur ein weiterer Tiefpunkt einer langen Reihe von Ausrutschern und Niederschlägen. Es macht mir richtig Angst, wenn ich an diese zwingende Folgerichtigkeit denke. Am besten du hörst sofort auf. Hör auf! Halt bloß diese blöde Maschine an!«

Ordnung senior biss einfach die Zähne noch fester zusammen, was in seinen Wangen lustige, weiße Blasen aufwarf. Zwischen den Lippen stieß er ein jetztnichtzuspät hervor. Die Flex lag unbeteiligt in seinen Händen und fraß sich wie von selbst durch das rostige Eisen der Fußfessel. Dann legte der Vater für einen Augenblick den Kopf quer, als ob er durch den Lärm dem Zwitschern eines fernen Vögelchen lauschen wollte. Er zog die Maschine mit einem kräftigen Ruck aus dem Metall. Wie ein Künstler trat er einen Schritt zurück und sah sich sein Werk an. Der Sohn beugte sich hastig nach unten, zog den Eisenring auseinander, zerrte sein Bein heraus und schürfte sich dabei die Haut ab.

»Mach doch endlich dieses Ding aus. Kostet alles unser Geld. Vergessen? – Strom ist unser Gold.«

Ordnung senior drückte auf einen Knopf und das Kreischen erstarb mit einem sanften Zwitschern. Da hatte er dann doch noch sein Vögelchen, der Vater. Sein kleines, winziges Triumphgefühl begann bereits zu zerstieben, und diese haltbare, unvergängliche Resignation nahm wieder von ihm Besitz. Also mischte er seinem melancholischen Singsang einen weinerlichen Unterton bei:

»Wobei wir wieder bei unserem Lieblingsthema angekommen wären: das vor uns zurückweichende Geld. Das wir umso mehr hassen, je mehr wir es brauchen.«

Der Sohn klopfte seine Kleidung ab.

»Vielleicht habe ich es einmal gehasst. Das ist längst vorbei. Ich würde einen Freudentanz um dich in deiner abgetragenen Kleidung machen, wenn ich wieder mal etwas in den Händen halten würde. Ich würde es dir unter deinen Hemdkragen stopfen. Ich könnte wieder so etwas wie eine Richtung haben. Ich kann mir schon gar nicht mehr vorstellen, wie das sein könnte. Eine Richtung zu haben. Weiter zu kommen. Das letzte Mal hatte ich das Gefühl bei meiner Versetzung in die siebte Klasse.«

»Aber du hast es in den Sand gesetzt.«

»Ich?«

»Ich hatte den Schlüssel nicht.«

»Mmh, aber du hast mich geboren und erzogen. Da hast du es schon in den Sand gesetzt.«

Ein sanftes, weises Lächeln setzte sich in das Gesicht des Vaters – wie vom Flügelschlag eines kleinen Vögelchens hingeworfen –, und verblasste genauso zart und unsicher, wie es gekommen war. Er sah auf die Uhr.

»Noch nicht elf und wir wären schon wieder bei unserem zweiten Lieblingsthema.«

»Und das wäre?«

»Unser Mangel ist das erste. Anderen die Verantwortung für unser Desaster in die Schuhe zu schieben das zweite.«

»Stimmt.«

Der Sohn bückte sich, nahm die Fußfessel in beide Hände. Er riss sie in die Höhe, über seinen Kopf, wie ein Hammerwerfer sein Sportgerät, nur schneller, voll wuchtiger, zittriger Wut, und warf sie mit einem dumpfen, gequälten Schrei einfach nach hinten. Er drehte sich schnell um, sah ihr nach, sah, wie das schwere Eisen ein Loch in die wurmstichige, verwitterte Holzwand des Geräteschuppens riss. Durch das Loch brach das Sonnenlicht in den Raum. Im Sonnenstrahl tanzten Millionen von feinsten Eisenspänen ausgelassen und irgendwie vergnügt. So vergnüngt wie Eisenspäne nun einmal sein können.

»Bravo.« Der Vater klatschte in herablassender Erschöpfung in die Hände. »Bravo.«

Ein Leuchten trat in die Augen des Jüngeren. »Los, gib mir das Telefon.«

»Was?«

»Telefon! Mobiltelefon! Du hast vorhin mit Muffi telefoniert, schon vergessen?«

»Ich weiß nicht – «, murmelte der Vater, griff aber in seine Hosentasche und warf es seinem Sohn vor die Brust. Der fing es vorsichtig auf wie das abgerissene Köpfchen eines jungen Schimpansen und ging schnell damit nach draußen. Als der Vater ihm nach einiger Zeit folgte, hielt er sich das Telefon mit spinnbeinigen Fingern ans Ohr.

»– ja, ja. Du fährst ihn dahin. Ohne Stau braucht ihr noch fünfzehn Minuten. Wenn du es noch fünf, nein, besser zehn Minuten hinauszögern könntest? Gut. Das wird reichen. Wenn er es sich anders überlegt, rufst du sofort an, ja? Er darf natürlich nicht rauskriegen, dass du mit mir geredet hast. Okay, danke.«

»Wer war das?«

»Fredinger.«

»Und?«

»Wie und? Kannst du dir das nicht denken? Tuffi ist nicht zur Bundesstraße gelaufen, sondern nach Ellenbach. Fredinger fährt doch jeden Tag um zehn nach Nürnberg. Er hat ihn mitgenommen. Tuffi sitzt gerade bei ihm im Auto und er hatte ihn gefragt, ob er ihn am Bahnhof absetzen kann.«

Er tippte in dieses monströse Plastikding, das aus einer fernen, fernen Zeit kam, Muffis Telefonnummer.

»Muffi? Pass auf, er fährt gerade zum Bahnhof. Ja, in frühestens fünfzehn Minuten kann er dort sein. Wo bist du gerade? Gut, das kannst du schaffen. Sollen wir auch kommen? Gut.«

Mit dem kühlen Blick eines Finanzbeamten wandte er sich seinem Vater zu: »Ich sage dir, dieses Geld lasse ich mir nicht entgehen. Wir zahlen diese blöden Stromschulden und mit dem Rest eine Vorauszahlung für die nächsten zwei Jahre. Ich habe es satt, diesen Krampf.«

»Die Stromschulden bezahlen? Ich unterstütze doch nicht dieses Schweinesystem. Geld wird daran nichts ändern. Ich will wieder einen riesigen Kühlschrank und einen richtig guten Räucherofen.«

»Was?«

»Ich will einen Räucherofen. Passt dir daran was nicht?«

»Mir egal.«

»Was?«

»Wenn noch was übrig bleibt, bekommst du deinen Räucherofen. Aber erst der Strom.«

»Das Geld dem System in den Rachen –«

»Es gibt kein System mehr, das außerhalb von uns selbst wäre. Das war einmal, vielleicht, in deiner Jugend. Wir sind selbst Teil des Systems.«

Da kam dieses weise Vögelchen wieder zurück und klatschte dem alten Ordnung wieder diesen weisen, und diesmal leicht erstaunten Blick ins Gesicht. Das hätte er seinem Sohn gar nicht zugetraut. Er sagte:

»Gut, gut, erst der Strom, dann der Räucherofen.«

Dann verschwand das Vögelchen wieder und mit ihm die Weisheit aus Ordnungs Gesicht.

»Ach ja, wir können ja jetzt endlich diese stinkende Sickergrube leeren«, sagte er, »Tuffi ist weg, und wir haben niemanden mehr, den wir da hineinstellen können.«

»Na, warte mal ab. Vielleicht schnappen wir ihn uns wieder, dann kommt er doch noch hinein.«

Der Erzherzog-Josef Orden

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