Читать книгу Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz - Страница 49
Drittes Kapitel.
ОглавлениеWenn schon Sieradz, welches die Kreuzritter im Jahre 1331 dem Erdboden gleich machten, nachdem sie ein entsetzliches Blutbad angerichtet und mit Feuer und Schwert daselbst gewütet hatten, unter Kasimir dem Großen wieder neu aufgebaut worden war, zeichnete sich der Platz doch durch nichts Besonderes aus und stand hinter manch anderen Städten des Königreiches weit zurück. Jagienka freilich, deren Leben sich bis jetzt zwischen Zgorzelic und Krzesnia abgespielt hatte, ward von Staunen und Bewunderung ergriffen beim Anblick der Mauern, der Türme, des Rathauses, vor allem aber beim Anblick der Kirchen, denen die aus Holz erbaute Kirche in Krzesnia in nichts ähnelte. Im ersten Momente verlor sie in solchem Maße die sie sonst kennzeichnende Lebhaftigkeit und Entschiedenheit, daß sie nicht laut zu sprechen wagte, sondern Macko nur im Flüstertone über all die Wunder befragte, welche ihre Augen blendeten. Als der alte Ritter sie aber gar noch versicherte, Sieradz lasse sich mit Krakau ebenso wenig vergleichen, wie eine gewöhnliche Flamme mit der Sonne, wollte sie dies nicht glauben, hielt sie es doch für unmöglich, daß es noch eine zweite Stadt von solcher Pracht auf Erden gebe.
In dem Kloster wurden sie von jenem hochbejahrten Prior begrüßt, der sich noch aus seiner Kindheit an das von den Kreuzrittern angerichtete Blutbad erinnerte und von welchem bei einer früheren Gelegenheit Zbyszko empfangen worden war. Macko vernahm voll Kummer und Sorge die Nachrichten über den Abt, der längere Zeit in dem Kloster verweilt hatte. Erst seit vierzehn Tagen, so berichtete der Prior, halte sich jener bei seinem Freunde, dem Bischof von Plock auf. Während seiner Anwesenheit sei er fast fortwährend krank darnieder gelegen. Frühmorgens, sowie tagsüber sei er zwar stets bei vollem Bewußtsein gewesen, gegen Abend hätten sich aber seine Sinne meistens verwirrt. Dann habe er häufig versucht, aufzuspringen, indem er den Befehl erteilte, ihn mit dem Panzer zu bekleiden, da er den Fürsten Jan aus Natibor zum Kampfe fordern wolle. »Die fahrenden Kleriker mußten ihn immer mit Gewalt auf seinem Lager festhalten,« fuhr der Prior fort. »Ja, dies war aber fast ein Ding der Unmöglichkeit und schloß stets eine gewisse Gefahr in sich. Erst in jüngster Zeit ist eine Besserung eingetreten. Wohl hat die Schwäche zugenommen, der Geist ist jedoch klar geblieben, und in voller Klarheit hat der Abt befohlen, ihn nach Plock zu bringen. Wißt, er erklärte mir, er vermöge keinem Menschen so zu vertrauen wie dem Bischof von Plock, deshalb wolle er auch nur von diesem die heiligen Sakramente empfangen und in dessen Hände seinen letzten Willen niederlegen. Mit aller Kraft widersetzten wir uns dieser Reise, denn er war so schwach, daß wir fürchteten, er werde seinen Bestimmungsort nicht lebend erreichen, doch wir konnten nichts ausrichten. Seine Spielleute machten daher einen Wagen für ihn bereit und geleiteten ihn hinweg. Gott gebe, daß er glücklich ans Ziel gelange.«
»Wenn ihn der Tod irgendwo in der Nähe von Sieradz ereilt hätte, wäre Euch doch sicherlich Kunde davon geworden,« warf Macko ein.
»Ja, davon wäre uns Kunde geworden,« antwortete das gute alte Väterchen. »Aus diesem Grunde glaube ich auch nicht, daß er schon diesseits von Leczyca seinen letzten Atemzug gethan hat, was aber jenseits geschehen ist, wie können wir das wissen! So Ihr ihm jedoch nachfolgt, werdet Ihr auf Euerem Wege schon alles in Erfahrung bringen.«
Tief bekümmert über das Gehörte, besprach sich Macko mit Jagienka, die durch den Böhmen schon von der Fahrt des Abtes nach Plock unterrichtet worden war.
»Was ist nun zu thun?« fragte der alte Ritter das Mägdlein, »was gedenkst Du anzufangen?«
»Ihr begebt Euch nach Plock, und ich gehe mit Euch!« entgegnete die Gefragte kurz entschlossen.
»Wir gehen mit Euch nach Plock!« sekundierte die Tochter der Sieciechowa sofort mit ihrem dünnen Stimmchen.
»Schau, schau, wie diese beiden mit ihren Ratschlägen gleich bei der Hand sind! Meiner Treu, als ob man nur so ohne weiteres nach Plock gehen könnte!«
»Vermag ich vielleicht allein mit Anielka den Heimweg anzutreten? Und überdies, wenn Ihr mich nicht weiter mit Euch nehmen wollt, dann wäre ich besser gleich in Zgorzelic geblieben. Glaubt Ihr denn nicht, daß ich jetzt nach meiner Heimkehr noch mehr zu fürchten hätte als früher?«
»Und der alte und der junge Wilk? Sind die vielleicht nicht Mannes genug, um Dich gegen Cztan zu schützen?«
»Ich müßte ja die Verteidiger ebenso fürchten wie die Angreifer! Doch ich merke ganz gut, daß Ihr nur streitet, um zu streiten, und es gar nicht ernst meint.«
Dies war auch wirklich der Fall. Macko wünschte, daß Jagienka mit ihm ziehe, und hätte es nur ungern gesehen, wenn sie nach Zgorzelic zurückgekehrt wäre. Kaum hatte er daher des Mägdleins Antwort vernommen, so lachte er laut auf und sagte: »Sie hat die Weiberröcke ausgezogen, damit sie Verstand bekomme!«
»Ei was, nur im Kopfe ist der Sitz des Verstandes!«
»Plock liegt jedoch ganz abseits von meinem Wege.«
Der Böhme bestritt dies und behauptete, die Fahrt nach Marienburg sei viel näher über Plock.
»Du hast also mit dem Böhmen schon alles ausgemacht?«
»Gewiß, und er hat folgendermaßen gesprochen: ›Wenn dem jungen Herrn in Marienburg irgend etwas Schlimmes zugestoßen sein sollte, ließe sich mit Hilfe der Fürstin Alexandra aus Plock viel erreichen. Ganz abgesehen davon, daß sie eine Anverwandte des Königs ist, steht sie auch in ganz besonders freundlichen Beziehungen zu den Kreuzrittern, bei denen sie großes Ansehen genießt‹.«
»Das ist richtig, so wahr mir Gott helfe,« rief Macko. »Ein jeder weiß dies, und wenn sie uns ein Schreiben an den Großmeister geben würde, könnten wir unbehelligt die Lande der Kreuzritter durchziehen. Sie ist dem Orden sehr zugethan, folglich ist der Orden auch ihr sehr zugethan. Ein guter Rat, ein guter Rat! Dieser Böhme ist ein kluger Bursche!«
»Und wie klug ist er!« stimmte die Tochter der Sieciechowa voll Eifer bei, indem sie mit ihren blauen Augen begeistert emporblickte.
Da wandte sich Macko plötzlich mit der Frage zu ihr: »Wieso hast denn Du hier mitzusprechen?«
In tiefster Verwirrung senkte die Maid die langen Wimpern und erglühte gleich einer roten Rose.
Macko wußte indessen nur zu wohl, daß ihm kein anderer Ausweg blieb, als die beiden Mägdlein mit sich zu nehmen. Im Grunde seiner Seele war dies auch sein Wunsch, und so setzte er denn des andern Morgens seine Fahrt fort, nachdem er sich von dem greisen Prior verabschiedet hatte.
Infolge der Schneeschmelze und der dadurch steigenden Gewässer kam er indessen weit weniger rasch vorwärts, als dies früher der Fall gewesen war. Aber auch nicht nur auf allen Edelhöfen und Pfarreien, an denen er vorüber kam, hielt er Nachfrage nach dem Abt, sondern auch in den Herbergen, in denen er mit seinen Begleitern des Nachts Rast machte. Des Abtes Spuren zu verfolgen, fiel nicht schwer, hatte er doch allerorts reichliche Spenden gegeben, teils für Almosen, teils um Messen lesen zu lassen, wie auch zur Anschaffung einer Glocke oder zur Wiederherstellung irgend einer alten Kirche. Was Wunder, daß sich daher der oder jener Küster, der oder jener Pfarrer seiner ebensowohl voll Dankbarkeit erinnerte, wie gar manches arme Väterchen, welches »um Gaben bittend« einherwanderte. Rings umher ging die Rede: »Gleich einem Engel zog er dahin.« Alt und jung betete für seine Gesundung, wenngleich der und jener die Furcht hegte, er werde des ewigen Heiles eher teilhaftig, als einer zeitweiligen Besserung. An etlichen Plätzen hatte der Abt, seiner zunehmenden Schwäche wegen, sogar zwei oder drei Tage verweilen müssen, Macko durfte sich daher der Hoffnung hingeben, daß er ihn noch einholen könne.
Allein er täuschte sich in dieser Annahme. Bevor er Leczyca erreichte, nötigte ihn das Anschwellen der Flüßchen Nera und Bzura, vier Tage in einer verlassenen Schenke zu verbringen, deren Besitzer sich wohl aus Furcht vor Wassersnot geflüchtet haben mochte. Die Landstraße, welche von der Herberge zur Stadt führte, war trotz der darin eingerammten Pfähle fast ungangbar geworden, denn es hatte sich auf weite Strecken hinaus ein Wassertümpel neben dem andern gebildet. Wit, einer der Mannen Mackos, der aus dieser Gegend stammte, hatte zwar einmal etwas von einem durch den Wald führenden Weg gehört, aber er weigerte sich, als Führer zu dienen, wollte er doch bestimmt wissen, daß in den Sümpfen bei Leczyca allerlei böse Geister ihr Wesen trieben. Seiner Ansicht nach war unter diesen besonders der mächtige Boruta zu fürchten, der es sich stets angelegen sein ließ, die Menschen an bodenlose Stellen zu locken und sie dann nur um den Preis ihres Seelenheiles freigab. Aber auch die Schenke selbst stand in üblem Rufe. Macko hatte sich daher nur ungern zu einer längeren Einkehr entschlossen, wenn schon er keineswegs fürchten mußte, mit seinen Begleitern Hunger zu leiden, da er wie alle, die in jener Zeit eine Fahrt unternahmen, reichliche Zehrung mit sich führte.
Und siehe da, thatsächlich hörten die Rastenden des Nachts einen gewaltigen Lärm auf dein Dache des Wirtshauses, zuweilen dünkte es sie auch, es klopfe jemand an die Thüre. Jagienka und Anielka aber, die beide in einem engen Gelasse neben der großen Vorderstube schliefen, vernahmen deutlich, wie in der Dunkelheit kleine Füßchen über den Lehmboden, ja an den Wänden auf und ab huschten. Dies verursachte ihnen keinen allzugroßen Schrecken, waren sie doch von Zgorzelic her an böse Geister gewöhnt, für die man seiner Zeit auf Befehl des alten Zych stets Speise vor die Thüre gestellt hatte, und welche, wie angenommen wurde, nichts Schlimmes vollführten, wenn man mit Gaben nicht kargte. In einer Nacht indessen erscholl aus dem nahen Dickicht ein dumpfes, unheilverkündendes Gebrüll. Am nächsten Morgen zeigten sich zwar die gegen die Sümpfe führenden Spuren mächtiger Hufe, welche wohl von Auerochsen oder Büffeln herrühren mochten, allein Wit behauptete, kein anderer als Boruta sei dies gewesen, der, einerlei ob er in der Gestalt eines Edelmannes oder in sonst irgend einer menschlichen Gestalt erscheine, Pferdefüße habe, und die Schuhe, die er zu tragen pflegte, sobald er sich unter den Leuten zeigte, in den Sümpfen der Schonung halber sofort wieder abnehme. Als Macko hörte, Boruta könne durch das Spenden eines Trunkes versöhnlich gestimmt werden, überlegte er den ganzen Tag bei sich, ob es nicht sündhaft sei, einem bösen Geiste Gutes zu erweisen, und schließlich zog er Jagienka zu Rate.
»Wie wäre es, wenn ich auf die Nacht eine Ochsenblase, mit Wein oder Honig gefüllt, an den Zaun hinge?« fragte der alte Ritter. »Ist am andern Morgen etwas davon ausgetrunken, dann wissen wir, daß er sich hier in der Nähe umhertreibt.«
»Bedenkt, daß wir zur glücklichen Errettung Zbyszkos des Segens der himmlischen Mächte bedürfen!« antwortete das Mägdlein. »Wie leicht könnten sie sich aber durch Euere That gekränkt fühlen.«
»Das ist ja auch meine Furcht, doch ich sage mir stets wieder: Es handelt sich hier nur um Honig und nicht um meine Seele! Hei, meine Seele ist mir nicht feil. Was kümmern sich indessen die himmlischen Mächte um eine Ochsenblase voll Honig? Und zudem,« fuhr Macko mit gedämpfter Stimme fort, »gebietet es die Sitte, daß ein Edelmann dem andern selbst dann beistehe, wenn letzterer ein ganz verwerflicher Mensch sein sollte. Alle Leute behaupten jedoch, er sei ein Edelmann.«
»Wer?« fragte Jagienka.
»Den Namen eines bösen Geistes will ich nicht in den Mund nehmen.«
Gegen Abend hing indessen Macko eigenhändig eine der großen Ochsenblasen, wie sie häufig zur Aufbewahrung von Getränken dienen mußten, an den Zaun, und schon am nächsten Morgen war die Ochsenblase bis auf den Grund geleert.
Der Böhme lächelte zwar gar seltsam, als die Rede darauf kam, allein kein Mensch beachtete ihn. In dem alten Ritter aber rief jene Thatsache große Freude hervor, gab er sich doch nun der Hoffnung hin, mit seinen Begleitern unbehelligt und ohne Fährlichkeiten über die Sümpfe zu kommen.
»Sonst müßte ja die Behauptung der Leute, daß er wisse, was Ehre heißt, falsch sein,« dachte Macko bei sich.
Jetzt handelte es sich freilich vor allem darum, in Erfahrung zu bringen, ob man durch den Wald kommen könne. Dies mochte wohl sehr leicht der Fall sein, denn überall da, wo der Boden durch Baumwurzeln und zusammengewachsenes Geäst geschützt ist, kann er nicht so rasch von dem Regen aufgeweicht werden. Wit jedoch, der sich wohl am besten für diese Aufgabe geeignet haben würde, schrie sofort, als Macko nur eine Anspielung darauf machte: »Ihr könnt mich totschlagen, Herr, aber ich gehe nicht.« Da man umsonst versuchte, ihm klar zu machen, daß tagsüber böse Geister keine Macht haben, wollte der alte Ritter zuerst selbst gehen, schließlich wurde indessen ein anderer Ausweg gefunden. Hlawa sollte das Wagnis unternehmen. Der Böhme war ein keker Bursche, dem nichts erwünschter war, als seinen Mut vor den Leuten, insbesondere aber vor Frauen bethätigen zu dürfen. Er machte sich daher sofort bereit, indem er eine Streitaxt in seinen Gurt steckte und einen derben Knüttel zur Hand nahm.
Vor Tagesanbruch trat er seine Wanderung an. Man glaubte sicher, er könne schon gegen Mittag wieder zurück sein. Große Unruhe bemächtigte sich daher aller, als dies nicht der Fall war. Vergeblich horchten die Knechte, als die Mittagszeit herannahte, nach allen Richtungen des Waldes. Wit machte nur abwehrende Handbewegungen, indem er erklärte: »der kommt nicht mehr zurück; wenn er aber zurückkäme, dann wäre es schlimm genug für uns, denn Gott weiß, ob er nicht einen Wolfsrachen hat und in einen Wärwolf verwandelt ist.« Diese Worte versetzten alle in den tiefsten Schrecken. Macko war nicht mehr er selbst, Jagienka machte fortwährend, dem Walde zugekehrt, das Zeichen des Kreuzes, während Anielka, ohne an ihre Verkleidung zu denken, immer wieder umsonst nach ihrer Schürze suchte und schließlich, als sie nichts fand, womit sie ihre Augen bedecken konnte, das Gesicht in die Hände barg, welche nur zu bald von großen, langsam herabrinnenden Thränen benetzt wurden.
Da mit einem Male, um die abendliche Melkezeit – die Sonne ging gerade unter – erschien Hlawa wieder und nicht allein, nein, sondern er trieb eine seltsame, aber doch menschenähnliche Gestalt an einem Stricke vor sich her. Mit lautem Freudengeschrei wurde der Böhme begrüßt; bald jedoch verstummten die Rufe beim Anblick der merkwürdigen, in eine Wolfshaut gehüllten, schmächtigen Erscheinung, die mit ihrem geschwärzten Antlitz und mit ihren auffallend behaarten Händen einen gar unheimlichen Eindruck machte.
»Im Namen des Vaters und des Sohnes, was bringst Du uns dafür einen Kobold?« fragte der sich allmählich von seinem Schrecken erholende Macko.
»Das weiß ich selbst nicht!« entgegnete der Knappe. »Seiner Behauptung nach ist er freilich ein Mensch und zwar ein Pechsieder, ob er aber die Wahrheit spricht, vermag ich nicht zu sagen.«
»O, das ist kein Mensch, das ist kein Mensch!« ließ sich jetzt Wit vernehmen.
Doch Macko befahl ihm Schweigen, betrachtete prüfend und aufmerksam den Ergriffenen und sprach dann plötzlich zu letzterem also: »Mache das Zeichen des Kreuzes! Sofort mache das Zeichen des Kreuzes!«
»Gelobt sei Jesus Christus!« rief der Gefangene unverweilt. So rasch wie möglich machte er hierauf das Zeichen des Kreuzes, holte, mit größerem Zutrauen umherblickend, tief Atem und sagte abermals: »Gelobt sei Jesus Christus! Hei,« fügte er gleich darauf hinzu, »ich wußte wahrlich nicht, ob ich in die Hände von Teufeln oder von Christen gefallen sei. O Jesus!«
»Hege keine Furcht. Du bist unter Christen, die gar gern die heilige Messe hören, doch sprich, wer bist Du?«
»Ein Pechsieder, o Herr. Wir sind unserer sieben in den Hütten, die wir mit Frauen und Kindern bewohnen.«
»Wie weit hausest Du von hier?«
»Etwas über tausend Schritte weit.«
»Welchen Weg pflegt Ihr nach der Stadt einzuschlagen?«
»Wir benützen stets den Weg hinter dem Teufelsthale.«
»Mache nochmals das Zeichen des Kreuzes.«
»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«
»So ist’s gut. Kann der Weg auch befahren werden?«
»Jetzt ist’s freilich überall sumpfig, allein der Weg durch den Wald ist immer noch besser als die Landstraße, denn der dort wehende Wind trocknet die Feuchtigkeit rascher auf. Gar schlimm sieht es zwar bis zu den Hütten aus, mit einem des Waldes Kundigen aber kann ein jeder ohne große Fährlichkeiten dahin gelangen.«
»Willst Du uns für einen Skotus führen? Nein, bei meiner Treu, zwei Skotus sollst Du haben.«
Der Pechsieder stimmte bereitwillig ein, bat aber noch um einen Leib Brot, denn wenn auch die im Walde Hausenden niemals Hunger litten, hatten sie doch seit längerer Zeit kein Brot mehr zu Gesicht bekommen. Es wurde nun beschlossen, am nächsten Morgen aufzubrechen, denn dies gegen Abend zu thun, war nicht »ratsam«.
Boruta, so erklärte der Pechsieder, stürme zuweilen entsetzlich durch den Wald. Einfachen Leuten füge er indessen keinen Schaden zu, er jage nur, von Zorn gegen den Fürsten von Leczyca entbrannt, andere Teufel durch das Gehölze. Des Nachts mit ihm zusammenzutreffen, sei aber für jeden Menschen dann besonders gefährlich, wenn dieser zu viel getrunken habe. Bei Tage brauche sich aber ein nüchterner Mann nicht vor ihm zu fürchten.
»Du aber zitterst ja vor Furcht!« bemerkte Macko.
»Weil dieser Ritter hier, ohne daß ich es bemerkte, mich mit solchem Ungestüm packte, daß ich ihn nicht für einen gewöhnlichen Menschen halten konnte.«
Diese Aeußerung veranlaßte Jagienka zu lautem Lachen, hatten doch sie und mit ihr alle andern in dem Pechsieder einen »schlimmen Unhold« gewittert, während der Knappe von dem Pechsieder als ein unflätiger Geist betrachtet worden war. Als aber Anielka sofort dem Beispiele ihrer Gebieterin folgte, da meinte Macko: »Noch sind Deine Guckäuglein naß von den über Hlawa vergossenen Thränen und schon grinsest Du wieder.«
Nun schaute der Böhme in das rosige Antlitz des Mägdleins, dessen Augenwimpern noch ganz feucht waren, und fragte: »Haben Eure Thränen mir gegolten?«
»Nein, nein,« antwortete die Maid, »ich ängstigte mich, das ist alles.«
»Ihr seid von edler Art und solltet Furcht nicht kennen. Eure Herrin ist weit beherzter. Was könnte Euch auch unterwegs und unter so viel Menschen Schlimmes zustoßen?«
»Mir wohl nicht, aber Euch.«
»Ihr sagtet aber doch, Ihr weintet nicht um mich.«
»Ja, weil ich es auch nicht that.«
»Weshalb habt Ihr denn geweint?«
»Aus Angst.«
»Jetzt aber habt Ihr wohl keine Angst mehr?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weil Ihr zurückgekehrt seid.«
Dem Mägdlein einen dankbaren Blick zuwerfend, sprach nun Hlawa lächelnd: »Bei meiner Treu, auf solche Weise könnte unser Gespräch bis morgen in der Frühe währen. Ihr seid ein arglistiger Schalk!«
»Spottet nicht über mich!« bat die Tochter der Sieciechowa in leisem Tone.
Anielka war auch in der That nichts weniger als arglistig, und der äußerst kluge Hlawa wußte dies nur zu gut. Eben so klar war er sich aber auch darüber, daß die Maid ihm täglich teurer wurde. Wohl liebte er Jagienka, allein er liebte sie wie der Untergebene die Königstochter liebt – voll Ehrerbietung, doch hoffnungslos. Die gemeinsame Fahrt aber hatte zudem die Tochter der Sieciechowa und ihn fast immer zusammengeführt. Sobald sie sich auf den Weg machten, ritt der alte Macko mit Jagienka voran und so kam es, daß sich Hlawa stets Anielka zugesellen mußte. War es daher zu verwundern, wenn den einem Auerochsen an Kraft gleichenden Burschen, dem das Blut heiß durch die Adern rollte, ein Zittern überlief, sobald er in die blauen Augen der Jungfrau schaute, sobald seine Blicke auf deren blonden, welligen, von dem Netze nur schwer zusammengehaltenen Haaren ruhten, auf dieser schlanken, wohlgebildeten Gestalt, vor allem aber auf den wie aus Marmor gemeißelten Beinen, welche sich so fest an den Rappen schmiegten. Unwillkürlich hatte er all diese Reize immer sehnsüchtiger mit seinen Blicken verschlungen, und immer häufiger war ihm der Gedanke gekommen, der Teufel würde leichtes Spiel mit ihm haben, wenn er die Gestalt eines solch jungen Burschen annähme. Und so süß war dieses Bürschlein, so süß wie Honig, und so gehorsam, daß es dem Böhmen alles an den Augen ablas, und so fröhlich wie ein Spatz auf dem Dache. Gar seltsame Gedanken schossen daher dem Knappen zuweilen durch den Sinn, und als er einmal ein wenig mit Anielka bei den Saumrossen zurückgeblieben war, wandte er sich plötzlich zu ihr und hub also an: »Wißt, ich möchte Euch geradezu packen wie der Wolf das Lamm.«
Da lachte die Maid so herzlich, daß ihre weißen Zähne sichtbar wurden.
»Wollt Ihr mich denn auffressen?«
»Ja, und mit allen Euern Knochen!«
Tief errötete sie unter dem Blicke, den er ihr bei diesen Worten zuwarf. Ein längeres Schweigen war dann eingetreten, aber beider Herzen pochten laut, das Herz des jungen Knappen vor sehnsüchtigem Verlangen, das Herz der Jungfrau vor einer süßen berückenden Angst.
Heißes Begehren hatte anfänglich alle andern Gefühle in der Brust des Böhmen erstickt, und als er sich Anielka gegenüber dem Wolfe verglich, der sich auf das Lamm stürzt, hatte er die Wahrheit gesprochen. Jetzt aber, an diesem Abend, da ihre Augen und Wangen feucht von Thränen schimmerten, da ward ihm plötzlich ganz weich ums Herz. Wie war sie gut, wie war sie ihm zu eigen! Doch nicht Hochmut, nicht Stolz schwellten ihm das Herz beim Anblick der Thränenspuren, nein, er wurde zaghafter, rücksichtsvoller, denn er besaß eine ehrliche, ritterliche Natur. Nicht mehr wie früher sagte er unbesorgt und unbedacht alles frei heraus, was ihm gerade in den Sinn kam, und wenn er auch abends beim Mahle mit dem schüchternen Mägdlein ein wenig tändelte, so that er dies doch jetzt in einer ganz andern Weise wie früher und diente ihr wie ein ritterlicher Knappe einem Edelfräulein zu dienen pflegt. Obgleich nun das ganze Denken und Sinnen Mackos auf den für den nächsten Morgen geplanten Aufbruch und auf die Weiterreise gerichtet war, bemerkte er doch dies alles sehr wohl und lobte den Böhmen ob seiner guten Sitten, die er sich wohl, wie der alte Kämpe meinte, mit Zbyszko an dem masovischen Hofe erworben habe.
»Hei, Zbyszko,« fügte Macko gleich darauf zu Jagienka gewendet, hinzu: »Hei, Zbyszko, der wäre sogar einem Könige gegenüber an seinem Platze.«
Als man sich bald nach dem Mahle trennte, küßte der Knappe Jagienkas Hand und führte dann auch die Hand Anielkas an die Lippen, indem er sagte: »Glaubt mir, Ihr habt mich nicht zu fürchten und dürft Euch auch vor andern nicht fürchten, denn wenn ich Euch nahe bin, schütze ich Euch vor jedem Ungemach.«
Gleich darauf legten sich die Männer in der Vorderstube zur Ruhe, während Jagienka und Anielka in einem Nebengelasse eine breite, mit dem Nötigsten versehene Schlafbank gemeinsam benützten. Bei keiner von beiden wollte sich indessen der Schlummer einstellen, und besonders Anielka bewegte sich beständig unruhig auf dem groben Drillich hin und her. Nach geraumer Zeit näherte daher Jagienka ihr Köpfchen dem der Gefährtin und flüsterte: »Anielka!«
»Ich höre!«
»Mich dünkt, daß Du diesem Böhmen sehr hold bist … Sprich, ist es nicht so?«
Doch es erfolgte keine Antwort, deshalb hub Jagienka von neuem an: »Ich verstehe dies nur zu gut. Drum sprich doch!«
Allein die Tochter der Sieciechowa blieb nach wie vor stumm, preßte aber plötzlich ihre Lippen auf die Wangen der Herrin und küßte sie wieder und wieder.
Da entrangen sich schwere Seufzer dem jungfräulichen Busen Jagienkas und abermals flüsterte sie so leise, daß Anielka die Worte kaum vernehmen konnte: »Ich verstehe dies nur zu gut, ich verstehe dies nur zu gut!«