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Die achte Station

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Der Lift öffnet Höhen, Dienen den Himmel! Zwei meiner Schäflein wollen stehenbleiben und den Blick ins Tal fotografieren, wo gerade die Karwendelbahn heranrauscht. „Weitergehen!“, dränge ich. „Wir haben es gleich geschafft. Dort oben über die Kuppe, dann rechts bei den drei Steinen sammeln wir uns.“ Die Gruppe schreitet brav voran. Gut erzogen!

Aus dem Tal nähern sich weiter fast lautlos die fünf Kabinen der Karwendelbahn. Aus der letzten Kabine wird, als sie direkt über mir ist, ein Seil mit einem Haken herabgeworfen. Ich fange es und hake das Eisen in den Rucksack des stylischen Dreißigjährigen im atmungsaktiven Sportsweardress. Er läuft nämlich zuhinterst. Seinen Designer-Rucksack hat er außerdem mit einem Gurt über seiner Brust befestigt, das wird gut halten. Er will verschreckt aufrufen, aber da stopfe ich ihm schon flugs mein geblümtes Halstuch in den Mund. Mit einem Ruck fährt er in die Höhe. Ich winke Adewale dem Nigerianer und Ilija dem Bulgaren oben in der Gondel zu. Sie winken grinsend zurück. Der Rucksackwanderer strampelt mit Armen und Beinen.

Die Gruppe merkt nichts.

Bei den drei aneinandergelehnten Steinen, die ein bisserl an Stonehenge erinnern, hole ich die anderen ein. Im Faltblatt steht für diese Station: Unser Weg ist nun zu Ende. Wir durften die Herrlichkeit der Schöpfung schauen.

Der Schöpfung und der Vergänglichkeit, denke ich.

„Schreit da nicht wer?“, fragt die hagere Lehrerin.

„Ist das mein Herrmann?“, fragt die Numismatikergattin.

Wir legen alle die Köpfe schräg und lauschen.

Ja, definitiv, da schreit wer. Der stylische Rucksackler muss sich mein Halstuch aus dem Mund gezogen haben.

„Das ist der berühmte Karwendeljodler“, improvisiere ich kühn. „Die Einheimischen jodeln aus purer Lebenslust und alter Tradition immer um …“ Ich schaue auf meine Uhr. „… um zwanzig nach elf.“

„Ich finde, das klingt nicht nach Jodeln“, sagt mein Pastellhemdträger, der dem Akzent nach offenbar aus der Schweiz kommt. „Das ist doch eine völlig falsche Atemtechnik.“

„Bei Ihnen mag man anders jodeln“, erkläre ich streng, „aber jeder darf doch wohl bitte schön jodeln, wie er mag, da wollen wir doch tolerant sein.“

„Natürlich“, sagt er rasch, weil er gut erzogen und Gast in diesem Lande ist.

„Weitergehen!“, befehle ich, was meine Schäfchen auch hurtig tun. Bis auf die Lehrerin.

„Machen Sie sich nichts draus, dass so viele abspringen“, raunt sie mir zu, allerdings in Bühnenflüstern, weswegen es alle hören. „Sie lernen schon noch, wie man eine Gruppe fesselt.“

„Ich finde, sie macht das sehr ordentlich“, erklärt eines der Blumenmädchen.

Das muss das Stockholm-Syndrom sein. Wenn man lange genug jemandem ausgeliefert ist – und aufgrund der Umstände keine Chance zur Flucht hat –, dann stellt sich Zuneigung ein. Man kennt das von Entführungsopfern. Und jetzt von meiner Besinnungswegwandergruppe.

„Danke“, sage ich gerührt und rufe: „Und wir gehen weiter!“

Nur der See sah zu

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