Читать книгу Heideleichen - Herbert Weyand - Страница 12

Acht

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»Hast du gehört? In der Heide haben sie vier Leichen gefunden.« Lucy belegte eine Brötchenhälfte mit Salami.

»Ja. Ich habe davon gehört«, knurrte er, ohne von der Zeitung aufzusehen.

»Und die Gerüchte, dass Bert einer von Ihnen sei?«, fuhr sie fragend fort.

»Was sagst du?«, fragte er, während er die Zeitung herunternahm. Das feiste Gesicht tauchte unheilvoll und drohend auf. Das Auge funkelte böse.

»Bert«, sagte sie gelassen, »er ist einer der Toten.« Sie fürchtete sich schon lange nicht mehr vor ihm. Lucys braune Augen schauten seelenvoll aus einem schönen Gesicht und verbargen die finsteren Gedanken hinter der Stirn. Blond gefärbte Haare lockten um den Kopf, der auf einer schlanken zarten Figur saß. Eine Frau, die niemandem etwas zuleide tun konnte. Sie strahlte Hilfsbedürftigkeit aus und jeder, der versuchte ihr unter die Arme zu greifen, bereute das Anliegen. Lucy war knallhart und kannte keine Skrupel. Sie stand ihrem Vater in nichts nach.

Gerd Klamm, mittlerweile zweiundachtzig Jahre alt, wirkte trotz des Übergewichts, agil und energiegeladen. Niemand hätte ihn mehr als sechzig geschätzt. Das runde Gesicht wies nur wenige Falten auf. Eine natürliche Boshaftigkeit machte es hässlich und unansehnlich. Die Klappe über dem linken Auge verstärkte diesen Eindruck.

»Wer brachte Bert ins Spiel? Die Polizei?«

»Möglich. Ich weiß es nicht genau. Im Moment ist es von Grotenrath bis Scherpenseel Gesprächsthema.«

»Das ist nicht gut. Gerüchte können wir uns nicht leisten. Das Geschäft ist fast in trockenen Tüchern«, er konzentrierte sich auf Lucy.

»Du willst den Kies immer noch?«

»Ich mache doch jetzt nicht nach fünfzig Jahren Schluss. Diese Dorftrottel versagten mir immer wieder die Abgrabungsrechte. Damals kam dein Onkel, dieses Miststück. Er baggerte Jahrzehnte in der Heide. Das wurmt mich heute noch. Ja, und mein eigen Fleisch und Blut machte mir das letzte Geschäft kaputt.«

»Dann hast du also Bert aus dem Weg geschafft«, sagte sie kalt und emotionslos. »Er war ja sowieso ein Kuckuck.«

»Rede keinen Blödsinn«, gab er ebenso leidenschaftslos zurück. »Kümmere dich nicht um deinen Bruder, der kommt klar. Hör dich um, wo er rumhängt. Dann sehen wir weiter.« Für ihn war die Sache im Moment erledigt.

Lucy stand auf und ging ins Arbeitszimmer. Sie bewegte sich, selbst wenn niemand anwesend war, wie auf einer Bühne. Der schlanke Körper glitt dahin und verriet durch die kraftvollen Bewegungen, wieviel Arbeit darin steckte, ihn zu stylen.

Nur die hohen Räume erinnerten an den alten Bauernhof. Die Zimmer waren groß, licht und luftig. Aus der Glasfassade sah sie in eine sterile große Gartenanlage. Dort, wo früher Rinder und Kühe grasten, streckte sich ungefähr einhundert Meter weit eine Rasenanlage, auf deren Fläche jeder Grashalm gleich lang war. Schmale Kieswege durchzogen das Gelände und einige Büsche und Bäume unterbrachen das helle Grün. Absolut steril und ohne persönliche Note.

Sie fuhr den PC hoch und kontrollierte die eingegangenen Mails. Dabei dachte sie über das Gehörte und das Gespräch mit ihrem Vater nach.

Er wollte dieses Kiesfeld schon immer besitzen. Finanziell benötigten sie es nicht. Geld war vorhanden, mehr als sie in ihrem Leben ausgeben konnten. Ihr hirnloser Lover, den sie zurzeit hatte, erzählte ihr von Josef Klamm, der angeblich ein Bruder oder Cousin ihres Vaters war. Er verschwand, bevor sie und Bert zur Welt kamen. So genau wusste der Typ es nicht. Lucy fiel häufiger bei den Geschäften die Namensgleichheit auf. Daran verschwendete sie keine weiteren Gedanken. Den Namen Klamm gab es in der Gegend wie Sand am Meer. Lag vielleicht doch ein dunkles Geheimnis in ihrer Familie begraben?

Ihr Vater und ihr Bruder lagen ewig in Streit, solange sie zurückdenken konnte. Einmal bekam sie mit, dass Bert ein Kuckucksei war. Vor ungefähr drei Jahren verschwand er von heute auf morgen. Es störte niemanden. Jeder vermutete, dass er irgendwo anders eine Bleibe suchte. Bert passte nicht in die Familie. Er lehnte alles ab. Ob sie mit Häusern oder Land handelten bzw. die Abbaurechte für irgendwelche Bodenschätze sicherten ... er verdammte alles. Er sah nicht die Arbeit, sondern die Menschen oder die Natur. Aber damit hatten sie doch nichts tun. Wenn sie die Arbeit nicht machten, machten es andere.

Merkwürdig, dass einer der Toten Bert sein sollte. Wer würde dem Weichei etwas tun?

Und Josef? Der wurde in der Familie totgeschwiegen. Ob er zu den Marienbergern gehörte? Eine seltsame Sache. Sie waren miteinander verwandt, das vermutete sie. Manche munkelten, dass ihr Vater in direkter Linie von dort käme. Sie pflegten jedoch keinerlei Kontakt. Ihr Vater sprach über diesen Familienzweig, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Vielleicht gehörte dieser Josef dahin?

Lucy nahm sich vor, den Familienstammbaum näher zu durchleuchten. Man wusste nie, wofür das gut war. Nachdenklich sah sie nach draußen. Sie hatte schon länger das Gefühl, dass bei ihnen einiges nicht stimmte. Sie dachte an ihre Mutter, die schon seit Jahren das Haus nicht mehr verließ. Seitdem Bert damals verschwand, kam sie auch mit Vater nicht mehr zurecht. Vielleicht aufgrund eines Arrangements? Dagegen sprach die angestellte Gesellschafterin, die sich alle Mühe gab, jeden Menschen von ihr fernzuhalten. Einen Termin bei ihrer Mutter zu bekommen war schwieriger, als beim Papst eine Audienz. Unheil lag über der Familie.

Dabei war ihre Mutter durch und durch Geschäftsfrau. Bis vor einigen Monaten leitete sie die holländischen Geschäfte, die Lucy bis heute nicht kannte. Von dort spülte der eigentliche Wohlstand zu ihnen.

Aber was dachte sie an ihre Mutter? Sie zeigte weder Fürsorglichkeit noch Liebe. Lediglich dem Bruder brachte sie Zuneigung entgegen.

*

Gerd Klamm saß noch lange am Tisch, nachdem Lucy gegangen war. Er spürte das Alter, wie lange nicht mehr. Jetzt hatte er das Imperium geschaffen und da drohte ihn die Vergangenheit einzuholen. Das würde er verhindern.

Ende des Krieges, als junger Mann, wollte er in den Krieg ziehen, um den Führer zu unterstützen. Der Vater verpasste ihm die Tracht Prügel seines Lebens. Er solle Gott danken, dass er aufgrund der Viehwirtschaft die sie betrieben und des Übergewichts nicht an die Front müsse. Jedes Mal, wenn das Gespräch darauf kam, wurde eine weitere Abreibung fällig. Zu Hause wurde nicht viel gesprochen. Ein gutes Wort oder gar Liebe kannte er nicht. Er und die Geschwister arbeiteten ab dem vierten, fünften Lebensjahr mit. Sie besuchten zwar die Schule, doch davor und danach gab es nur Arbeit. Wie glücklich war er, als er nach dem Tod von Onkel Georg, den Hof in Scherpenseel übernahm, weil sein Cousin im Krieg gefallen war oder vermisst wurde. Das interessierte ihn jedoch nicht. Hauptsache, er trug eigene Verantwortung.

Als Josef, der Idiot, überraschend vor ihm stand, sah er rot. Es kostete ihn ein Auge. Er wollte den Hof nicht hergeben. Die Beharrlichkeit gab ihm Recht. Josef Klamms Erbe gehörte ihm.

Niemand wird mir etwas wegnehmen, dachte er – auch die eigenen Kinder nicht.

Hendrika musste er noch einmal härter herannehmen. Diese Hure brachte ihm zeit seines Lebens Ärger. Vielleicht war der richtige Moment, ein Ende zu setzen, gekommen. Welch ein Unsinn, ihm den Tod von Bert anzuhängen. Dieser Weichling hatte sich ganz klar abgesetzt. Manchmal war er schon versucht, dem Kuckuck eine Abreibung zu verpassen. Die blödsinnige Abmachung mit Hendrika verhinderte ein Eingreifen. Geschäft war eben Geschäft. Na ja, jetzt konnte sie kein Unheil anrichten.

Er dachte an den Anruf, den er vor einigen Tagen tätigte, als das erste Gerücht zu den Heideleichen auftauchte. Die Düsseldorfer Dumpfbacken wollten ihn hinhängen. Er zählte einige Gefallen auf und erinnerte an die Hilfeversprechen, die sie ihm in diesem Zusammenhang zusicherten.

Das LKA bekam den Auftrag, den Fall abzuschließen. Die Sorge bestand nicht mehr.

*

Heideleichen

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