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Tora blieb vor den Brettern stehen, die als Brücke vom Weg hinüber zur Fischerhütte von Randi und Frits gelegt worden waren. An der einen Seite war ein Geländer. Sie stützte sich darauf und erinnerte sich an den Sommer: Sie war an einem der Pfosten, die die Brücke hielten, hochgeklettert und hatte sich das ganze Stück vom Weg bis zur Hauswand an den Brettern entlanggehangelt. Es war spannend gewesen, besonders in der Mitte, wo es zwei bis drei Meter in die Tiefe ging, hinunter zum steinigen Ufer. Randi war am Fenster aufgetaucht und hatte sie gebeten, damit aufzuhören. Tora hatte sich geschämt, nicht weil sie etwas Gefährliches unternommen hatte, sondern weil ihr aufging, dass sie eigentlich zu groß für so etwas war. Wenn die Mutter es gesehen hätte, hätte sie gesagt: »… und du als Mädchen und überhaupt!«

An diesem Abend stand Tora am Geländer und konnte die Tiefe nicht sehen. Hielt sich mit beiden Händen gut fest, und die Füße standen sicher und eben auf der Brücke. Trotzdem sah sie nichts. Die Dunkelheit hatte alle Steine und alles andere verschluckt. Im Sommer hatte sie sich am helllichten Tag mit bloßen Händen entlanggehangelt. Sie hatte die spitzen Steine gesehen, den glitschigen Tang, Papier und Gerümpel, tief unten. Sie hatte aber keine Angst gehabt. Nun war sie von diesem Anblick verschont. Dennoch fühlte sie die Tiefe als etwas Unbehagliches.

Sie wusste nicht, warum sie zurückgeblieben war – hinter den anderen. Plötzlich hatte sie gemerkt, dass Sol mit dem Jungen aus Været lieber allein gehen wollte. Tora hatte seinen harten Körper an ihrem gespürt – im Kino. Und eine feuchtkalte Welle von Abscheu brach über sie herein, als sie Sol und ihn sah. Es war ekelhaft, Zeuge von ihren Albernheiten und ihrem Gelächter zu werden. Sie behauptete, noch etwas für Rakel erledigen zu müssen, und eilte an der Wegkreuzung davon.

Sie wollte sich gerade losreißen und nach Hause wandern, als Randi in der Dunkelheit vor ihr auftauchte. Sie schien aus dem Nichts zu kommen.

»Ach, du bist’s, Tora!« Ihre Stimme klang ruhig und erfreut. Nicht gespielt freundlich, wie manche jetzt mit ihr redeten.

Tora nickte. Sie standen in dem sparsamen Licht der Außenlampe, und große, nasse Schneeflocken rieselten auf sie herab. Tora hatte Angst, dass Randi nicht gesehen hatte, dass sie nickte. Deshalb räusperte sie sich und sagte: »Ich kam grad vorbei, da … da bist du aufgetaucht …«

»Komm rein! Ich bin so allein, seit der Frits fort ist. Gunnar ist dauernd in der Fischfabrik, weißt du. Er hat so viel zu tun, seit der Bredesen so schlecht mit dem Rücken dran ist …« Das Letzte fügte sie nur flüsternd hinzu, als ob sie fürchtete, jemand könnte hören, wie froh sie war, dass wegen der Krankheit eines anderen Gunnar Überstunden machen konnte.

Sie nahm Tora in den Arm, wie sie es früher immer getan hatte. Es fiel Randi gar nicht schwer, andere Leute zu umarmen. »Komm doch erst mal rein!« Sie wollte Tora mit sich die schräge Brücke hinaufziehen.

»Ich weiß nicht … Ich war aufm Weg nach Bekkejordet. Ich hab nichts davon gesagt, dass es spät werden könnte. Die Mama ist – ist in der Stadt. Ich wohn solange …«

»Einen Augenblick – nur? Ich will dich nicht aufhalten, das kannste dir doch denken.«

Tora zögerte so lange, dass Randi schließlich sagte: »Nein, nein …«

Da hatte Tora plötzlich Angst vor der Dunkelheit und dem Alleinsein und sagte eilig: »Ich komm kurz rein.«

Der Raum empfing Tora mit seiner ganzen Gemütlichkeit. Es roch ein wenig nach gebratenem Fisch. Randi schaltete über dem Tisch und neben dem Fenster Licht ein. Dann stellte sie einen Topf mit Milch auf die elektrische Kochplatte.

»Nein, ihr habt ja einen elektrischen Herd!«

Tora musste ihn anschauen. Er war ganz weiß. Beinahe unheimlich. Er hatte einen Backofen mit Ober- und Unterhitze, ein Wärmefach und auf der Oberseite drei Kochplatten. Er war ein Wunder. Noch schöner als Tante Rakels Herd.

Randi zeigte und legte los. Sie war so freundlich und froh! Immer. Selbst wenn sie traurig war, strahlten ihre Augen. Aber heute Abend war sie froh.

Es war schön, wieder hier zu sein.

Tora zog den Anorak aus und setzte sich ans Tischende. Sah zu, wie Randi Kakao kochte, noch immer im Strickmantel. Tora brauchte nicht nach Frits zu fragen, denn Randi drehte sich immer wieder vom Herd um und erzählte, während sie Wasser, Zucker und Kakao in einer Tasse anrührte und das Ganze dann in die Milch goss.

Er sollte Hilfe bekommen, damit er im nächsten Herbst weiter zur Schule gehen könne, denn er sei dann mit der Volksschule fertig und habe keine Ansprüche mehr. Sie meinten, er sei zu tüchtig, um zu Hause versteckt zu werden. Es sei hier so leer geworden, seitdem er fort sei … Aber es sei ja gut, dass er rauskomme und etwas lerne. Etwas werden könne. Sie freue sich schon auf den Tag, an dem er einen Beruf ergreifen könnte. Er habe so beschützt gelebt – darin sei sie sich einig mit denen in der Schule. Ja, sie hätten direkt gesagt, dass sie den großen Jungen zu sehr behütet habe. Damit wollte sie nun Schluss machen … Sie hätten so recht in allem, was sie sagten, und sie wolle sich bessern. Aber wenn er den größten Teil des Jahres fort sei, dann vergesse sie, wie groß er sei – vergesse, dass er, auch wenn er nicht hören und sprechen könne, doch gut zurechtkomme. Sie habe es ja gesehen, als Frits mit Tora und den anderen Kindern zusammen gewesen sei. Trotzdem … sie könne nicht dagegen an … Frits sei nun eben ihr Kind. Und sie sei so traurig gewesen, als sie begriffen hatte, dass er nicht richtig hören konnte. Habe sich geschworen, dass es ihm niemals an Liebe und Fürsorge fehlen solle. Und dann komme er ab und zu nach Hause und sei jedes Mal etwas verändert … und das sei grausam! Aber sie wolle sich zusammennehmen. Ganz bestimmt. Wenn er Weihnachten kam, würden sie schon zu Knutsens oben an der Straße in die erste Etage umgezogen sein. Und da würde er ein eigenes Zimmer bekommen. Und er solle sein Zimmer jeden Morgen und Abend selbst aufräumen. Ganz bestimmt solle er das. Sie würde sich an die Strickmaschine setzen, und er müsse sich damit abfinden, dass sie so beschäftigt sei.

Tora begriff, dass Randi nicht viele hatte, mit denen sie reden konnte. Sie war in Været immer noch eine Fremde. Sie gehörte bestimmt zu denen, die immer fremd blieben. Sie war anders. Sie kleidete sich anders. In selbstgestrickte Gewänder, die weder Mantel noch Jacke waren. Nur eine hübsche, ansprechende Anhäufung von Farben. Tora hatte gehört, dass die Frauen sagten, sie sei eine »Spezielle«. »Speziell« zu sein war ein Stempel. Es gab so vieles, was in Været einen Stempel trug.

Randi hatte einen Spitznamen bekommen. Sie nannten sie »Strickbündel«. Beschuldigten sie, dass sie sich für belesen und klug hielt …

Sie war ihre ganze Kindheit in der Stadt in die Schule gegangen und hatte ansonsten rein gar nichts ausgerichtet, dann hatte sie Gunnar geheiratet und schlechte Nerven bekommen, weil er zur See fuhr. Eine Frau mit schlechten Nerven war schlimmer als alles andere. Sie war doch eigentlich unerträglich.

Die Dame sei so sonderbar, wie man nur sein könne, hatten sie mehr als einmal in Ottars Laden gesagt.

Tora kümmerte sich nicht um das Geschwätz. Sie hatte gemerkt, dass die Leute über alles redeten. Was die Leute sagten, war nicht so gefährlich, das hatte sie gelernt. Was die Leute taten, war viel schlimmer.

Tora spürte die Geborgenheit in diesem Raum. Verschlang gierig und hungrig die belegten Brote, den Geruch und den Anblick des Raumes. Sie ließ Randi reden und nickte nur und hörte mit weit offenen Augen zu. Das Gesicht Randi zugewandt – die ganze Zeit. Als ob sie Angst hätte, dass alles verschwinden könnte, wenn sie sich nur einen Augenblick umdrehte.

»Denk dir, ich bekomm eine ganz große Küche für mich allein, wenn wir da raufziehn. Sie ist so groß. Das kannste dir nicht vorstellen. Die Strickmaschine hat Platz unterm Fenster. Oh, es wird schön! Du musst kommen. Du musst oft zu uns kommen, Tora!« Sie schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie traurig: »Der Frits glaubt, dass du wegen irgendetwas auf ihn böse bist … weil du nicht mehr gekommen bist. Aber ich hab ihm gesagt, dass das wegen dem Brand ist. Ja, ich sag’s dir gradheraus, Tora. Ich hab ja verstanden, dass du genug mit dir selbst zu tun hattest. Das war ja eine furchtbare Aufregung. Es hätt dir erspart bleiben sollen. Kinder sollten vor so was bewahrt bleiben.«

Tora saß wie gelähmt. Ihre untere Gesichtshälfte arbeitete nicht. War zu nichts zu gebrauchen. War erstarrt. Und Randi sah ihr in die Augen, und Tora wagte nicht auszuweichen. Konnte nicht ausweichen. Sie sahen einander an. Tora fühlte, dass ihr Gesicht alle Farbe verlor. Sie erstickte fast.

Randi hatte in eine Eiterbeule gestochen. Und die lief aus. All das Ekelhafte. Denn Randi hatte von dem Brand gesprochen, als ob er ein alltägliches, bedauerliches Ereignis wäre, das man schon am nächsten Tag in Ordnung bringen könnte. Und sie redete immer weiter darüber. Sagte, dass Henrik nicht der Erste sei, der im Gefängnis gelandet sei. Tora solle es sich nicht zu Herzen nehmen. Sie solle sich sagen, dass sie nur für sich selbst verantwortlich sei und dass sie nichts mit dem Brand zu tun habe. Randi kam Tora wie ein echter Engel vor, sie spürte es so deutlich, dass ihre Augen glänzten und sie nicht mehr schlucken konnte. Dann aber war das alles ganz plötzlich vorbei, denn Randi sagte: »Aber an etwas musste denken! Du musst ihn gut aufnehmen, wenn er wieder heimkommt. Er muss von neuem anfangen. Alle müssen neu anfangen, wenn sie ein Unrecht begangen haben. Es war natürlich sehr schlimm. Aber wir haben alle Verantwortung füreinander. Es gibt so vieles in der Welt, was wir einfach nicht verstehen können.«

Tora saß nur da.

Es war schön warm im Raum, die Brote schmeckten gut und Randi war eine Freundin. Trotzdem war Tora bei einer Fremden, die nichts wusste und nicht wissen durfte. Randi und Mama! Simon und Rakel!

Die ganze Welt würde sie – Tora – verdammen.

»Du sollst ihn gut aufnehmen. Du sollst niemanden in Verruf bringen. Du sollst denen Gutes tun, die … du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren … du sollst nicht lügen … Du sollst ihn gut aufnehmen!«

Die Mutter sagte nie etwas. Man konnte es ihr nur vom Gesicht ablesen. Randi sagte es. Geradeheraus. Direkt und fromm wie alle anderen Bibelworte, die sie in der Schule oder bei Elisif gelernt hatte. Aber konnte man mit ihnen leben, ohne zu lügen oder zu verschweigen? Tora wusste nicht ein noch aus. War das alles von Leuten erfunden worden, denen so etwas nicht passieren konnte? Die nichts begriffen? Wussten die Menschen, die Gesetze und Vorschriften machten, wie grauenhaft das alles war? Machten sie nur Gesetze für Dinge, von denen sie selbst nicht berührt wurden? War es so einfach?

Sie fühlte einen kleinen Trotz in sich. Aber sie konnte ihn nicht groß genug werden lassen – nicht richtig. Denn Randi war beinahe ein Engel. Und Tora saß hier doch vor Randis Augen.

So war es immer. Die Mutter war schweigsam und traurig. Sie war so müde und ernst. Sie hatte gegen so vieles anzukämpfen. Sie musste geschont werden.

Mussten alle geschont werden? Gab es keinen Menschen, der …?

»Ich hab noch was, das muss ich dir zeigen, Tora!«, sagte Randi plötzlich und schlug die Hände zusammen. Die dichten, hellen Wimpern flatterten und warfen Schatten auf ihre Wangen. »Du meine Güte! Wie konnt ich das vergessen! Ich bin doch so stolz darauf.«

»Was ist es denn?« Tora war gespannt und froh – dass von etwas anderem die Rede war.

»Nun kannste raten. Das rätste nie!«

»Ich will’s versuchen.«

Tora gab sich dem neuen munteren Spiel hin. Nur mit Randi konnte sie solche Wortspiele und solchen Unsinn machen, ohne daran denken zu müssen, dass sie erwachsen war. Nicht einmal mit Tante Rakel konnte sie so gut spielen und Unsinn treiben. Randi war eine erwachsene Frau, aber das vergaßen sie alle beide. Vergaßen es immer wieder. Es sah so aus, als ob Randi sich für ein kleines Mädchen hielt.

»Ha – wenn du das rätst, dann biste gut!« Randi zwinkerte verschmitzt. »Aber ich werd dir helfen. Es ist etwas, was sich alle wünschen. Ich hab’s bekommen.«

»Alle wünschen es sich …«, wiederholte Tora und schaute gleichsam in sich hinein.

»Na ja, nicht alle. Nicht die Männer, die kommen auch ohne das aus, denn sie haben ja uns«, lachte Randi.

Tora wurde noch verwirrter. »Dann muss es was sein, was du anziehen kannst oder womit du dich schön machst?«

»Nee, du.«

»Ist es dann vielleicht was, was du für die Strickmaschine brauchen kannst?«

»Wünschen sich alle etwas für die Strickmaschine, du Dummerchen?«

»Neee, dann muss es … lass mich mal überlegen … Du hast mir den elektrischen Herd gezeigt …«

»Heiß, heiß!«, schrie Randi entzückt. Aber Tora gab auf. Und Randi zog sie mit sich hinunter in den feuchten Keller, wo sie einen Raum neben der Köderstube hatten. Es stank nach Fischabfällen und Schimmel, obwohl der Raum abgespritzt und aufgeräumt war. In der einen Ecke stand eine Art Tonne. Sie stand auf zwei soliden Klötzen. Dickbauchig und breit. Sie ähnelte einer Wassertonne – so wie Almar eine besaß und die er immer noch aus der Quelle hinter dem Haus auffüllte, weil er im Haus keine Wasserleitung hatte. Obenauf lag die gleiche Art Deckel.

Tora ging näher und schaute sich die Tonne an. Nun sah sie ein Kabel mit einem Stecker und einem Schlauch, der ganz unten befestigt war. »Was ist das denn?«

Randi lächelte. Dann sagte sie mit Stolz in der Stimme: »Das ist der Gunnar … Er ist ein Genie mit Maschinen und Schrauben und so was. Er hat mir eine Waschmaschine gemacht.«

»Eine Waschmaschine!«

Tora staunte. Randi hob den Deckel hoch und zeigte ihr eine Art Schaufelrad – oder Propeller unten am Boden. Es war alles deutlich selbst geschweißt. Aber blankgeputzt und schön, ohne eine Spur von harten, scharfen Kanten.

»Der Gunnar ist ein Genie! Der Dahl kann sich glücklich preisen, dass er einen solchen Chef für die Maschinen hat.«

Tora vergaß zu antworten. Sie steckte den Kopf tief in die Tonne hinein und sah sich alles genau an. So was! Randi hatte eine Waschmaschine bekommen! Tora kannte keine in Været oder jenseits der Moore, die eine besaß. Sie hatte natürlich schon davon gehört. Wusste, dass man Waschmaschinen kaufen konnte. Aber sie waren fürchterlich teuer und gänzlich unnötig und unterstützten nur das Schlaraffenleben der reichen Leute. Und die Frau Pastor – hatte ja die Kopftuch-Johanna – die brauchte also auch keine. Und jetzt hatte Gunnar eine für Randi gemacht!

»Du musst mir zeigen, wie das geht«, sagte Tora schnell. Und Randi steckte den Stecker ein. Dann schraubte sie den Schlauch an dem Wasserkran fest und drehte ihn auf. Nicht viel – aber so, dass das Wasser bis über die Schaufel stieg. Randi knipste einen schwarzen Schalter an, den Tora vorher nicht bemerkt hatte, und setzte ein Spritzen und Poltern sondergleichen in Gang. Schnell warf sie den Deckel auf die Tonne und ließ die Maschine eine Weile laufen und dröhnen. Tora war überwältigt. »Toll! Hat Gunnar das wirklich gemacht?«

Randi nickte strahlend.

»Aber die Mama sagt, dass das mit den Waschmaschinen Unsinn ist, denn sie machen die ganze Wäsche kaputt und waschen nicht sauber. Ist das wahr?«

»Nein, gar nicht. Jedenfalls nicht die, die Gunnar gemacht hat. Die Bettbezüge und die Laken … die werden wie Neuschnee. Sie kann auch kochen. Unten drin sitzt ein Heizelement.«

»Heizelement?«

Tora musste den Deckel noch einmal hochheben und hineingucken. Ein Spritzer traf sie auf der Nase, aber sie merkte es kaum. Randi konnte wirklich froh sein, dass sie so etwas hatte. Sie brauchte nicht in der feuchten Waschküche vom Tausendheim zu stehen, die nur dort einen Betonboden hatte, wo die Waschzuber standen und wo der Ausguss war. Das Übrige war Lehmboden, und es war feucht und kalt in dem Keller.

Im Winter war es schrecklich dort. Ingrid kochte die Wäsche dann oben in der Wohnung. Und Tora spülte sie unten im Keller aus. Sie fror schon, wenn sie nur daran dachte, wie eiskalt solche Nachmittage waren. Man wurde erst am nächsten Tag wieder richtig warm.

Im Sommer war es nicht so schlimm. Da nahmen sie Kaffee und Brote mit und zogen zum Fluss, die große Wäsche in einem Schubkarren oder auf dem Gepäckträger vom Fahrrad. Dann machten sie Feuer in den selbstgemauerten Feuerstellen und setzten die Waschkessel darauf. Wer zuerst kam, hatte die beste Feuerstelle. So war es üblich. Und darüber machten sie nur Witze. Es waren immer viele zusammen, und es war gemütlich. Sie gingen auch nur an Schönwettertagen dorthin. Die Kinder wateten in der Flussmündung, bis die Wäsche kochte. Sie bekamen Kuchen und Brote aus fremden Proviantbüchsen und hörten zu, wie die Frauen sich unterhielten. Später halfen sie beim Spülen der Wäsche und wurden ausgeschimpft, wenn sie schluderten.

Aber das hier… das musste ja der Himmel auf Erden sein! Ach, wenn die Mutter und sie auch so eine Waschmaschine hätten! Da würden die Frauen im Tausendheim aber Stielaugen machen.

Als ob Randi ihre Gedanken lesen könnte, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln: »Du darfst niemand etwas davon sagen …«

»Warum nicht?«

»Ich will nicht, dass die Leute sagen, ich sei faul und eingebildet … Sie reden schon genug.«

Tora nickte. Sie verstand. »Darf ich’s der Mama sagen?«

»Ja, sie gehört wohl nicht zu denen, die mit Klatsch von Haus zu Haus ziehen, wie ich mir denken kann.«

Randi sagte es lächelnd. Aber es gab Tora einen Stich. Wussten alle, dass die Mutter seit dem Brand beinahe menschenscheu geworden war? Redeten die Leute so viel, dass es sogar Randi erfahren hatte?

Tora brach dann doch ihr Versprechen und erzählte abends am Küchentisch Rakel alles. Sowie sie die ersten Wörter gesagt hatte, schämte sie sich schrecklich. Trotzdem musste sie weitererzählen.

Rakel hörte mit großen Augen zu, und Tora erklärte und zeichnete hinten in ihrer Kladde, um Rakel das Ganze deutlich zu machen.

Der Abend war so schön. Es war, als ob er sich auf sie, Tora, konzentrierte – sie nach vorne schob und sie zu etwas Großem machte. Rakel lauschte und lauschte. Tora erzählte. So lange, bis es Zeit war, schlafen zu gehen.

Da schämte sie sich wieder. Weil sie es nicht geschafft hatte, den Mund zu halten. Weil die Mutter zu Besuch in einem Gefängnis war.

Am nächsten Morgen platzte sie damit heraus, dass Rakel niemandem etwas über die Waschmaschine sagen sollte.

Und Rakel lächelte nicht einmal. Todernst gelobte sie hoch und heilig, dass es ein Geheimnis bleiben würde, warum die Bettbezüge bei den Monsens so weiß wie Schnee waren.

Der stumme Raum

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