Читать книгу Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948 - Heribert Treiß - Страница 11

Оглавление

Sonderfahrt Spanien in der Nachsaison

Einmal ist auch die längste Saison eines Kreuzfahrers zu Ende. Dann, wenn es beginnt zu regnen am Mittelmeer. Insgesamt zwölf Fahrten hat Rudi in diesem Jahr gemacht; angefangen bei der Stippvisite in London, den fünf Mittelmeer-Fahrten im Frühling und Frühsommer, über Ostsee- und Polarfahrt bis hin zu den vier sogenannten Sommerfahrten, die erst im Spätherbst endeten. Ende Oktober liegt das Schiff über Winter in Bremerhaven – es ‚liegt auf‘ bis zur nächsten Saison 1937.

1936 war für Rudi persönlich ein spannendes und erlebnisreiches Jahr. Aber lebte Rudi auf einer Insel, pardon, einem Schiff, der ewig Seligen? In den zahlreichen Briefen an seine Eltern spiegelt nichts die Dramatik der politischen Ereignisse wider. Gewiss, es gibt weniger Arbeitslose in Deutschland und mehr Arbeitsplätze an Land, das nimmt Rudi mit Genugtuung zur Kenntnis: „Die meisten Leute laufen weg und arbeiten an Land. Als die ‚COLUMBUS’ (ein Schnelldampfer im Liniendienst nach New York) gestern hier ankam, gingen von der Maschine allein 49 Mann weg. Der Lloyd weiß gar nicht mehr, wo er seine Leute hernehmen soll.“ (Brief 9/36) Er freut sich über seine persönlichen Karriereaussichten. Jedoch kein Wort, keine Erwähnung zu dem Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland. Am 7. März 1936, am Samstag vor dem ‚Heldengedenktag‘, treffen in Köln Deutz die ersten Einheiten der Wehrmacht ein. Die Flak mit Geschützen und Fahrzeugen. Die Kölner sind begeistert und drängen sich auf der Hohenzollernbrücke, jubeln den Marschierenden zu und werfen den Soldaten Blumen und kleine Geschenke in die Fahrzeuge (vgl. Adolf Klein, Köln im Dritten Reich, S. 213-217).

Rudi weilt an jenem Tag in Palermo und darf von dort aus an einem Ausflug zu den Tempeln von Segesta teilnehmen. „8:30 Uhr bis 17:30 Uhr“ vermerkt sein Taschenkalender. Eigentlich müssten auch Rudi und seine Familie begeistert sein, haben doch er und sein jüngerer Bruder noch vor wenigen Jahren mit Linol-Soldatenfiguren der Reichswehr gespielt. Selbst ein brauner SA-Verband marschiert mit erhobenem Arm. Jetzt kein Wort, kein Bericht aus Köln. Kein Kommentar zurück. Auch nicht zu Olympia in diesem Sommer. Hat Rudi mit seinem Austritt aus der SA jegliches Interesse an den Zeitläufen verloren? Berühren ihn jetzt nur noch die Themen draußen in der Welt? „Ich möchte manchmal sehr gerne ein paar Stunden zu Hause sein und Euch mal alles erzählen, was in der Welt los ist.“ (Brief 5/36)

Am Tag nach dem Einmarsch ins Rheinland liegt er im Hafen von Neapel. „Ein richtig schmutziges Nest…“ und findet dann erwähnenswert: „Heute Nachmittag gingen zwei Truppentransporte weg nach Abessinien. Sie lagen direkt neben uns. Das war ein großes Abschiednehmen. Mancher von den jungen Leuten wird das Wiederkommen vergessen.“ Meint Rudi vielleicht: kann das Wiederkommen vergessen? Mussolini führt seinen blutigen Giftgaskrieg gegen die Stammeskrieger des Haile Selassie. Auch die englische Kriegsflotte vor Alexandria zieht sein Interesse auf sich. Flugs verknipst er eins der teuren Bilder. Die Welt, die er sieht, ist voller Waffen, Kriege und Konflikte. Selbst durchaus zivile Angelegenheiten, wie etwa die Bewährung bei einer stürmischen Bootsfahrt, werden im militärischen Jargon als „tapferes Verhalten vor dem Feinde“ gelobt. (Brief 6/36) Der Zeitgeist formuliert militärisch. Da wird Rudi dann selbst zum Statisten der Weltgeschichte, indem er in eine militärische Operation verwickelt wird. Und das Ganze ohne sein Zutun, geschweige denn seine Zustimmung.

Das ist ein Schreck für die armen Eltern, von dem sie sich nicht so schnell erholt haben, auch wenn sie das Gegenteil beteuern. Ihr Rudi auf absolut geheimer Mission. So geheim, dass der Dampfer nie mit Namen genannt wird, sondern immer nur ‚der erste Dampfer‘ oder ganz allgemein ‚ein Schiff‘ oder bestenfalls präzisierend als ‚Luxusdampfer‘ betitelt. Aber Ingenieur-Assistent Treiß vom Norddeutschen Lloyd weiß natürlich, welches Schiff er unter den Füßen hat – auch wenn die Versetzung hopplahopp, sozusagen im Schweinsgalopp, geschah. Drei Kollegen helfen ihm, sein Zeug im Laufschritt von der ‚GENERAL VON STEUBEN‘ auf die dahinter liegende ‚BERLIN‘ zu schleppen. Die Rolle des Passagierdampfers war streng geheim, und es war Landesverrat, darüber Genaueres zu erzählen, auch gegenüber den engsten Verwandten.


Passagierdampfer ‚BERLIN‘

„Drei Wochen war die ‚BERLIN’ weg“, umschreibt Rudi geheimnisvoll diese Episode (Brief 14/36).


Um ganz präzise zu sein: zwischen dem 8. und dem 28. November. Am Samstag, dem 7. November gegen 18 Uhr geschah dieser blitzartige Umzug mit viel Aufregung, Gebrüll und Hin-und-Her-Rennen. Rudi, der Reichsdeutsche, den man zur Geheimhaltung verpflichten kann, ersetzt den Danziger Vorgänger mit Völkerbundsausweis.


Dann, in aller Sonntagsfrühe, schleicht sich ‚das Schiff‘ aus dem Hafen. Aber wohin geht die Reise? Nun ja, Stettin, oder doch nicht? Die Mannschaft weiß es nicht. Schließlich ist es der Hafen von Swinemünde. Ein ganzes Luftwaffenkorps, ca. 4.500 Mann, mitsamt dazugehörigen Flak-Einheiten, wird verlegt. ‚Winteroperation Rügen‘ lautet der Tarnname (vgl. Wikipedia: ‚Legion Condor‘).

Der Flaksoldat Kurt Berger ist im November 1936 anlässlich eines Übungsschießens auf der Insel Rügen, als er auf einem ‚Luxusdampfer‘ aus heiterem Himmel in Zivil eingekleidet und als Tourist nach Spanien verschifft wird. 694 Flaksoldaten sind es, die erst an Bord (der ‚BERLIN‘) unterrichtet werden, dass sie auf dem Weg nach Cadiz sind, wo sie der ‚Legion Condor‘ angeschlossen werden sollen. ‚Freiwillige‘ im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Franco-Nationalisten. Der Verfasser von Kurts Biographie stellt lakonisch fest: „Er war zwar freiwillig beim Militär, aber nicht freiwillig im Spanischen Bürgerkrieg.“ (http://home.arcor.de/monserrate/kurt-9.htm)


Am 18. November 1936 kommen sie in Sevilla an, samt dem Ingenieur-Assistenten Rudi. Der findet diese geheimnisvolle Reise, die er nur durch Zufall miterleben kann, „sehr interessant“. Er muss aber auch nicht, wie der Kriegsfreiwillige Kurt, in eine bräunlich-olivfarbene Uniform schlüpfen, die keinerlei Abzeichen der Wehrmacht aufweist, und so in den Krieg marschieren. Im Grunde hat Rudi in mehrfacher Hinsicht Glück gehabt und darf weiter beim Norddeutschen Lloyd als Arbeitgeber bleiben. Seine dreijährige Fahrenszeit, die Voraussetzung für das Ingenieurstudium in Bremen, kann er ohne Unterbrechung fortsetzen. So schaut er denn von der Reling aus den 694 Soldaten nach, die die ‚BERLIN‘ in Richtung Front verlassen. Ob er das als glückliche Fügung empfunden hat, weiß man nicht. Nach sechstägiger Liegezeit in Cadiz, am 24. November, machen sie Leinen los und begeben sich auf die Heimreise nach Deutschland. Am 28. November 1936 kommen sie an: „Am letzten Samstag kamen wir ganz heimlich im Hafen an, als wenn nichts passiert wäre.“ (Brief 14/1936) Aber irgendwie mulmig ist ihm schon nach seinem heimlichen Ausflug zumute. „Sorge braucht Ihr Euch keine um mich zu machen, mir wird schon nichts zustoßen.“ Um dann auf seinen Vater zu verweisen, der vier Jahre lang den südöstlichen Kriegsschauplatz im Weltkrieg 1914-18 heil überlebt hat. Das klingt eher wie Pfeifen im Walde als zuversichtlich, nicht wahr?

Es ist kalt geworden im dezemberlichen Deutschland, und Schnee liegt auch im Norden. Die ‚BERLIN‘ liegt wieder nur im Hafen: „Hier auf dem Schiff ist es nicht mehr schön.“ (Brief 15/1936) Kälte, kein richtiges warmes Essen, selbst das eisige Waschwasser muss die Bordwache von Land holen. Vor allem die Bezahlung fällt in der Liegezeit nicht üppig aus, und das alles kurz vor Weihnachten. Wie der sprichwörtliche Rudi Ratlos steht er da am Ende der Saison. „Wenn ich doch nur ein anderes Schiff hätte.“ Nichts wie weg von der ‚BERLIN‘, und zwar möglichst bald.


Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948

Подняться наверх