Читать книгу Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948 - Heribert Treiß - Страница 9
ОглавлениеSchulden beim Freilager – der Fotoapparat
„Wenn es geht, werde ich mir auf See, wenn alles zollfrei ist einen Fotoapparat kaufen“ (Brief 2/36). Das schreibt er an seine Eltern schon im Januar, bevor die erste Reise angetreten ist. Es wird schon etwas ganz Besonderes werden, das Jahr 1936 auf dem Kreuzfahrer. Nicht nur ins Mittelmeer im Frühjahr und im Herbst wird es gehen, sondern auch nach Skandinavien, durch die Ostsee und als Höhepunkt jeder Kreuzfahrt-Saison die traditionsreiche Lloyd-Veranstaltung: die Polarfahrt.
Das muss unbedingt auf den üblichen 6 x 8 Rollfilm gebannt werden – ein Herzenswunsch. Immerhin drei dieser Filme mit jeweils acht Aufnahmen wird Rudi von Februar bis zum Abschluss der Polarfahrt verknipsen. „Auf See Fotoapparat gekauft“ vermerkt er an einem Donnerstag, dem 20. Februar, in seinem Taschenkalender, als er durch die Biskaya kommend auf die portugiesische Küste nach Lissabon einschwenkt. Wie das, mitten auf See? „Hier“ – in Bremerhaven – „gibt es nämlich Freilager wo man alles billig ohne Zoll bekommt.“ (Brief 2/36)
Da erhält man bei Vorlage des Seefahrtsbuchs die Zigaretten etwa für die Hälfte. Aber unter anderem auch einen Fotoapparat, eine Billy Record. Die Standard-Kamera mit ausziehbarem Balg. 34 RM kostet dieser ab 1934 von Agfa herausgebrachte Apparat. Etwa die Hälfte seiner monatlichen Bezüge. Ein wenig billiger geht es denn doch! „Ich kann die Sachen vorher an Land bestellen, sie werden unter Verschluss an Bord gebracht, und auf hoher See bekomme ich sie ausgehändigt.“ (Brief 2/36) So auch den nagelneuen Fotoapparat und einige der roten 6x8 Rollfilme.
In Casablanca posieren er und seine Kollegen vor Palmen. „Zwei kölsche Seemänner“, so die launige Bildbeschriftung, oder als „3 von der Tankstelle“. Der populäre Film mit Heinz Rühmann war 1930 in den Kinos uraufgeführt worden. „Ein Freund, ein guter Freund…“ möchte man sofort losschmettern. Anschließend dann einen halben Film (vier Bilder) allein in Stockholm rund um den schwedischen Reichstag.
Stockholm – schwedischer Reichstag
Prachtvolles Gebäude in Bergen / Norwegen
Straßenszenen, die eigentlich wenig aussagekräftig sind. Aber einmal in Stockholm, das ist die Botschaft! Ich war hier und will mich zukünftig erinnern, das ist die Absicht!
Obwohl der Norddeutsche Lloyd die 16tägige Fahrt als ‚Ostsee-Fahrt‘ vermarktet, so schifft die ‚STEUBEN‘ dann doch zunächst von Bremerhaven in zwei Tagen nach Bergen/Norwegen am Atlantik, wo sie dann pünktlich am frühen Morgen um 6 Uhr eintrifft. Geschicktes Timing ist in der Kreuzschifffahrt das A und O, denn die Passagier-Touristen möchten den Tag in der alten Stadt mit der Hanse-Niederlassung verbringen. Gegen 20 Uhr verlässt das Schiff den Hafen, um wiederum am Morgen die malerische Landschaft des Eidfjords bei Tageslicht zu präsentieren. Nach einem Tag in Oslo geht es dann wirklich nach einem Aufenthalt in Kopenhagen in die Ostsee.
Sieben Tage hat das Schiff jetzt schon in Nordsee und Nordatlantik sozusagen verbummelt, wenn man die Ostsee sehen möchte. In 1½ Tagen pflügt der Dampfer dann nach Zoppot/Danzig, um pünktlich in der Frühe einzutreffen. Nachts wird gefahren, am Tag besichtigt. Der Ort gehört auf Grund der Bestimmungen des Versailler Vertrags seit 1920 zur ‚Freien Stadt Danzig‘. Das Gebiet wird vom Völkerbund verwaltet und gehört nicht zum Reich. Zwischen den Kriegen legen hier die Schiffe des Seedienstes an, die Ostpreußen über den ‚Polnischen Korridor‘ hinweg mit dem Deutschen Reich verbinden. Zoppot ist ein äußerst exklusives Seebad mit Kurhotels und kilometerlangem feinkörnigen Strand, Seebrücke, Pferderennbahn und was alles so zum Mondänen dazugehört.
Ein Spielcasino dazu ab 1919, um die Einnahmen des Freistaates sprudeln zu lassen. Casinotourismus heißt das Geschäft: „So ähnlich wie Bad Ems nur noch größer“, schreibt Rudi seiner Mutter, die selbst in Erholung weilt und der er 50 M per Postanweisung schickt. „Du wirst sie gut gebrauchen können.“ (Brief 13/36) Woher dieses generöse Geschenk? Hat Rudi das Geld etwa in der Spielbank von Zoppot gewonnen? Er gibt zwar zu, dort „70 Danziger Gulden“ in einer Stunde gewonnen, behauptet aber, diese sofort wieder verspielt zu haben. „…gewonnen und wieder verspielt. Also verloren habe ich nichts. Es hat nur allen viel Spaß gemacht.“
Überhaupt scheint vor und während seiner Ostsee-Fahrt Rudi in bester Sommerlaune zu sein. „Die ganze Zeit hatten wir das prachtvollste Wetter.“ (Brief 11/36) Er malt seine Zukunft in den prächtigsten Farben – geradezu märchenhaft: „Wenn ich mal Schiffsingenieur bin, dann werde ich sparen, dass Mutter mal mitfahren kann. Die Ostseereise dauert 16 Tage und kostet rund 400 M.“ (Brief 11/36) Nicht gerade wenig, insbesondere, wenn das für seine „beiden alten Herrschaften“ sich auf das Doppelte summieren würde. „Das wäre doch zu schön …“ Ein Sommermärchen fürwahr, als Passagiere auf dem Traumschiff. Nur dass der Spaß für die Eltern etwa vier Monatsgehälter eines Durchschnittsverdieners beträgt. Bei aller mittsommerlichen Euphorie – das gibt zu denken.
An Land ist Rudi doch notorisch klamm: „Das Allerschönste aber ist, dass ich jetzt völlig blank bin.“ (Brief 7/36). Bei seinen Abrechnungen bekommt er nichts mehr ausbezahlt, weil er Schulden beim Freilager hatte, – u. a. der Fotoapparat und natürlich Zigaretten – erhöhte Heimatzahlungen geleistet hatte und natürlich die ewigen gesetzlichen Abgaben: „Ich will Euch mal eine Lohntüte mitschicken, da könnt Ihr mal sehen, was ich für hohe Abzüge habe“ und beklagt sich dann im Folgenden bitterlich und irgendwie überrascht bei seinen Eltern: „Wenn ich den Friseur und den Wäscher und die Post bezahlt hatte, war das Geld alle.“ Dann fährt er fort, nachdem er so auf die Tränendrüsen gedrückt hatte, und kommt zur Sache: „Vielleicht könnt Ihr mir mit ein paar Mark aushelfen. Ich kann ja nicht mal am Sonntag essen gehen…“ (Brief 7/36) Na ja – die Mark, die R-Mark, entspräche nach heutiger Kaufkraft € 4,51 (Wikipedia: Reichsmark).
Aber wie gesagt: „Das Wetter ist einfach prachtvoll“ in jenem Olympia-Sommer 1936. Es geht bergauf. Die Aufrüstung fegt den Arbeitsmarkt leer. Gute Zeiten für Ingenieur-Assistenten. „Der Lloyd weiß gar nicht mehr, wo er seine Leute hernehmen soll. Das ist natürlich für uns sehr günstig. Vielleicht bekommen wir dadurch noch mal mehr Gehalt.“ (Brief 9/36)
Und zum Schluss das „Allerschönste“, eine Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal. 8 ½ Stunden braucht das Schiff von Kiel-Holtenau nach Brunsbüttel. Und wieder bewahrheitet sich für Rudi, dass es in Deutschland am schönsten sei: „Rechts und links des Kanals sind Felder und riesige Weiden mit den fetten holsteinischen Kühen. Es war einfach herrlich.“ (Brief 13/36)