Читать книгу Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948 - Heribert Treiß - Страница 15

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Eine Braut in Baltimore

Das Gute am Panama-Kanal ist, dass man sich vorher etwas dorthin bestellen kann. Bei der Abfahrt von Cristobal Colon erhält man es zollfrei. „Bestellung erhalten“, notiert Rudi in seinem Taschenkalender unter „8. Mai 1937“. Auch was er so gebraucht hat nach dreimonatiger Fahrt in die südliche Hemisphäre lässt der Seemann wissen: „2 Oberhemden, 3 Unterhemden, 3 Unterhosen, 1.000 Camel“ (Zigaretten) „12 x Palmolive Seife, 2 Pakete Waschpulver“. Ansonsten muss er für Getränke zahlen, immerhin 40,90 M. Viel Geld, und auch das Briefporto, aber Kost und Logis sind frei.

Jetzt heißt es nur noch, die Ladung der ‚ERLANGEN‘ möglichst rasch an ihren Bestimmungsort zu befördern. 5.000 Tonnen Erz aus Australien, die landen nach vierzehn Tagen in Baltimore, Maryland in den Hochöfen des ‚Sparrow Point‘ Stahlwerks von Bethlehem Steel. Damit ist die erste Reise dann definitiv beendet, der Zielhafen gefunden. Wenn das Schiff nach Galveston (Texas) noch Tampico (Mexiko) anläuft, so sind dies Zwischenladungen wie Ölfässer, die sie nach New Orleans bringen. Nur diesmal haben sie Pech: Ein Turbinenschaden hält sie eine Woche lang im Ölhafen von Tampico fest, aber die endgültige Reparatur ist mit Bordmitteln nicht zu bewältigen. Sie müssen in New Orleans in die Werft, in die ‚Todd Johnson Docks‘ zur Instandsetzung. Das dauert seine vierzehn Tage, ist aber eine prima Zeit, während der Rudi freie Tage genießen kann. Tagsüber ins Schwimmbad (15 US-Cent). Einmal mieten sich die Kollegen sogar ein Auto und verbringen den Abend und die Nacht im Erholungsgebiet am Lake Pontchartrain. Dies ist eine Salzwasserlagune im Mississippi-Delta. Am nächsten Tag stehen sie pünktlich um 7 Uhr wieder auf Deck. Ein tolles Leben voller ungewohnt freier Tage in jenem Juni 1937.

Erst im Juli geht’s dann wieder los, direkt zum Panama-Kanal. Balboa an der Pazifik-Küste gilt als Start- und Ziellinie: Beginn der zweiten Reise am 9. Juli, 15 Uhr. Wie schon bei der letzten Fahrt, bekommt Rudi in Balboa die bestellten Sachen. Diesmal ist sogar eine Zeitung aus Köln dabei. Auch muss hier das Schiff seine Kohlebunker für den Eigenbedarf vor der großen Fahrt ergänzen. Diesmal sind es 280 Tonnen. Eine Kohle-Messfahrt in den ersten Tagen auf See ergibt, dass die ‚ERLANGEN‘ exakt 21.149 kg, also ungefähr 21 Tonnen, in 12 Stunden benötigt. Die lange Überfahrt ist ausgefüllt mit tagtäglichen Reparaturen und seltenen freien Tagen – ganze zwei Sonntage im Juli.

Auch fällt ein Tag im Kalender einfach aus und ist durch einen Querstrich gekennzeichnet. Wie kommt denn das? Rudi und sein Schiff haben die Datumsgrenze überquert, die von Pol zu Pol durch den Pazifik verläuft, etwa entlang des 180. Längengrads. Der seemännische Merkspruch für Logbucheintragungen lautet folgendermaßen: Von Ost nach West – halt’s Datum fest. Von West nach Ost – lass Datum los. Rudi fährt diesmal von West nach Ost und verliert Samstag, den 31. Juli. Anders als sein literarisches Vorbild Phileas Fogg im Roman von Jules Verne ‚In 80 Tagen um die Welt‘, der den Globus in ost-westlicher Richtung umrundet und die Datumsgrenze samt dem hinzugefügten Tag ‚vergisst‘. So glaubt er, die Wette verloren zu haben. Die Tücken der Datumsgrenze aber verleihen dem Roman sein unerwartetes Happy End am Zielort London.

Wie auch immer – Rudi trifft nach knapp einem Monat Pazifikfahrt in Brisbane ein, und es folgen die bekannten Häfen. Ab Mitte des Monats August wird er sogar vom Ingenieur-Assistenten zum 4. Ingenieur befördert, und das ohne Patent und ohne Besuch der Ingenieurschule. Aus lauter Freude kauft er sich in Sydney eine Uhr. Auch muss er diese Nachricht sofort seinen Eltern mitteilen. Das ist ihm ein Herzensanliegen.


Von Sydney aus schickt er einen Luftpost-Brief nach Köln, und es folgen solche von Melbourne und wiederum Sydney am Ende des Monats. Ist das überhaupt möglich? Können die Australier das überhaupt? ‚Yes, we can!‘ beharren sie.


Seit Januar 1934 konnte eine Luftpostroute nach England eingerichtet worden. Quantas, die Airline mit dem Känguru, hüpft die Post nach Indien. Von dort wird sie von Imperial Airways nach GB übernommen.


Rudi nimmt das als technischen Fortschritt dankbar zur Kenntnis.

Dieser hat auch seine unangenehmen Seiten. Da meldet sich doch wahrhaftig die NSDAP auf der anderen Seite der Welt bei Rudi und will partout einen Fragebogen ausgefüllt haben. Meist dreht es sich ja um Ahnen, den Ariernachweis. Eine Obsession, die die Partei bis ans andere Ende der Welt treibt? Es scheint so.

Diesmal laden sie sogar 6.000 Tonnen Erz im Industriehafen von Whyalla. Auf dem Rückkurs führen sie noch einmal eine Kohlemessung durch. Diesmal liegt der Verbrauch bei 23 Tonnen in 12 Stunden. Auf der Rückfahrt muss er kurzfristig aus seiner ‚Bude‘, sprich Kajüte, aus- und ins ‚Hospital‘ einziehen. Aber keine Angst, die Unterkunft wird lediglich angestrichen und renoviert. Wiederum Kanaldurchfahrt. Diesmal hat sich Rudi ‚nur‘ 200 Zigaretten und einen Film gekauft. Somit hat er acht Aufnahmen zur Verfügung, die er im nächsten Monat mit seiner Agfa Billy verknipsen wird. Die Kollegen und er selbst in Kingston oder auf See vor Jamaika. Auch sein direkter Vorgesetzter, der Dritte Ingenieur Smidt, muss als Fotomotiv herhalten. Schließlich erscheint Rudi strahlend an Deck vor einem Lüfter, Hände in beiden Taschen und Pfeife zwischen den Zähnen.

Das ist dann schon in Baltimore, und sie löschen die 6.000 Tonnen bei Bethlehem Steel an der Pier. Auch sonst hat Rudi viel zu lachen in diesen drei Wochen Liegezeit im Oktober. Abends an Land, und eine Menge nachgeholter freier Tage. Auch ist Baltimore eine Stadt mit mitgliederstarker deutschstämmiger Community. Anlaufhafen der Lloyd Einwandererschiffe direkt aus Bremerhaven. Der Treffpunkt: Lehmanns Halle, und ein deutsches Kino gibt es auch. Gut aussehende, vor allem junge Seeoffiziere werden reihum eingeladen in die Familien. Der Norddeutsche Lloyd hat hier nach New York seine größte Agentur. Eingeladen ist Rudi auch bei Familie Than. Ein Foto zeigt eine sechsköpfige Gruppe bei einem Ausflug in sonntäglicher Kleidung. Im Zentrum steht Heiner Than, hinter ihm Rudi und links vor ihm Hilde, die Angebetete, mit kessem schrägem Hütchen. Wie kommt man sich näher, wenn nicht erst im Kino und dann „später b. H.“, so die durchschaubare Verschlüsselung im Taschenkalender, ebenso auch Hildes „Bes. a. B.“. Einige Tage später dann in Klarschrift: „Abend Besuch a. Bord“. Da sind dann keine Mutter wie auf dem Foto und auch keine neugierigen kleinen Geschwister dabei. Zu schade, dass einen Tag später schon die „Abschiedsfeier“ stattfinden muss.

Wieder routinemäßige Abfahrt nach Kohlestation und schließlich Baltimore – Panama. Am 27. November über die Startlinie, Anfang der dritten Reise nach Australien, die dann weit bis ins Jahr 1938 gehen soll.


Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948

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