Читать книгу Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948 - Heribert Treiß - Страница 13

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Mit dem Frachter auf Trampschifffahrt

Seine Ratlosigkeit beendet Rudi, indem er einen Entschluss fasst: „Nach Weihnachten gehe ich mal zur Inspektion hin und bitte um meine Versetzung.“ (Brief 15/36) Ob das Zweck hat? Bestimmt, denn die Inspektoren des Lloyd dirigieren den Werdegang eines jeden Angestellten, und das sind zu dieser Zeit rund 15.000. Es stimmt, dass auf See der Kapitän Gottes Stellvertreter ist, aber an Land? Das ist eine andere Sache. Als sie im Hafen liegen, schreibt Rudi in einem Brief: „Heute morgen war in aller Frühe der Inspektor schon an Bord, und er hat alles besichtigt. Er hat gesagt, dass wir drei Assistenten jeden Tag versetzt werden könnten.“ (Brief 7/36) So also liegt der Fall von Allgewalt, und er tut recht daran, bei dieser Stelle nachzufragen.

Kaum ist der Gedanke zu Ende gedacht, schon befindet er sich wie von unsichtbarer Hand auf dem Dampfer ‚ERLANGEN‘ auf Bordwache. Die drei Assistenten wurden nach Bremen zitiert und mussten sich auf eigene Kosten zur Hauptverwaltung mitten in der Stadt begeben. Ein protziger Bau aus der Kaiserzeit mit hoch aufragendem Turm symbolisiert die Weltgeltung des ‚global player‘. Da erwies sich der Fahrpreis von 10,20 M als gut investiertes Geld. „Wir wurden vom Lloyd-Haus sofort auf den Dampfer ‚ERLANGEN‘ geschickt.“ (Brief 16/36)


Dampfer ‚ERLANGEN‘

Seine Eltern sucht er zu überzeugen, dass dies ein Karriere-Sprungbrett sei und beruft sich auf eine unbedingte Autorität: „Wichmann, der Personalchef in Bremen, sagte heute morgen, das wäre eine große Chance, die der Lloyd uns gäbe…“ (Brief 16/36) Einige ganz entscheidende Haken hat das ganze Unternehmen jedoch: es geht sofort los, keine Weihnachtsfeier zu Hause im heimischen Köln, und es wird eine endlos lange Reise werden.


„Wir kommen zwei Jahre nicht mehr nach Deutschland.“

Richtig gehört! Von Hamburg über den Atlantik und dann durch den Panama-Kanal rund um den Globus nach Australien. „Sydney wird der Heimathafen.“ (Brief 16/36) Rudi ist unter die ‚Tramper‘ gefallen. Jener Betriebszweig des Lloyd, der im wahrsten Sinne global ist. Geld wird verdient mit Frachten zwischen Australien, Neuseeland und der amerikanischen Ostküste, Tramp- oder auch Bedarfsschifffahrt genannt. Für Rudi endlich die Chance, sein Studiengeld zusammen zu sparen: „Wenn diese zwei Jahre zu Ende sind, gehe ich sofort auf Schule, denn dann habe ich mein Geld zusammen. Es gibt nämlich für diese langen Reisen Heuerzuschlag.“ (Brief 16/36)

Mit Engelszungen schreibt er auf seine Eltern ein, die den 22jährigen verständlicherweise nur ungern so weit und so lange ziehen lassen. „Die ERLANGEN ist der schönste Frachtdampfer des Nordd. Lloyd.“ Tropentauglich, lichte, hohe Kabinen, ausgestattet mit Ventilatoren und allem Komfort, den man sich überhaupt denken kann. Geradezu märchenhaft, will man Rudi glauben. Aber so ganz wohl ist ihm auch nicht zumute bei diesem Abenteuer: „Betet nur recht viel für mich, damit alles gut geht.“ Nach dem Motto, viel beten hilft auch viel. Lang ist die Zeit, zwei Jahre, er kann es kaum fassen. Aber sein Entschluss steht: „Es ist das Beste für mich, wenn ich mitfahre.“ Schließlich kommt noch ein Schuss Abenteuerlust und Risikobereitschaft hinzu. Von dem insgesamt 63köpfigen Personal ist die gesamte einfache Mannschaft chinesisch (50), so dass „…nur“ die Schiffsführung, „5 Offiziere, 5 Ingenieure und 3 Assistenten, Europäer sind.“ Und schiebt einen zeitgemäß korrekten Scherz hinterher: „Hoffentlich machen die Kerle mit uns paar Männerchen nicht Harakiri.“ Was immer sich Rudi unter diesem japanischen Begriff vorstellen mag.

Aber die ‚Cheinys‘ – Rudis Schreibung für englisch: ‚Chinese‘ – sind wirklich in Ordnung, aber man kann ja nie wissen! Ironisierend schreibt er an den kleinen Bruder: „Natürlich sind alle bewaffnet hier gegen die gelbe Gefahr!“ (Brief 17/36) Er weiß, das kommt gut an bei dem Jüngeren, Leser von Abenteuerromanen und Bewunderer von Opiumhöhlen und Waffen aller Art. Überhaupt, Rudi kommt mit den ‚Kerlen‘ gut aus. Vor allem kochen sie gut, und auf Englisch kann man sich sogar mit ihnen verständigen. Also wird es schon gut gehen. ‚Et hätt noch immer jot jejange!“ Das ewige Mantra der Kölschen.


Unverzüglich geht es los nach Hamburg. „Liegen bei Kohle.“ (Taschenkalender 1936, 17.12.) Ungefähr 50 Tonnen beträgt der Tagesverbrauch der ‚ERLANGEN‘ unter Dampf, der den modernen Turbinensatz antreibt. Die Kohlenübernahme musste Rudi selbst überwachen: „…da sah ich nachher aus wie ein Neger.“ (Brief 17/36) Einen Tag später wird das Schiff in Hamburg-Harburg „bis obenhin mit Kali vollgepfropft.“ Und dann, am 4. Advent, findet er sich wieder auf der kalten, grauen Nordsee, der erste Seetag.

Was macht denn ein Maschinenassistent so auf diesem Schiff, das gerade mal sechs Jahre alt ist? „Die Maschine ist der reinste Schmuckkasten. So etwas an Sauberkeit habe ich noch nicht gesehen. Alles neu. Es ist ein Turbinenschiff. Also an sich schon ein schöner leichter Betrieb.“ (Brief 16/36) Er repariert an der Lichtleitung in der ‚China-Küche‘ und das drei Tage hintereinander. Es fallen jeweils zwei Überstunden an, ebenso wie bei dem Hilfskondensator, den er sich am Heiligabend vornimmt. So geht es dann auch weiter mit den Winden des Ladegeschirrs nach den Festtagen und ebenso mit den anfallenden zwei Überstunden. Vierzehn insgesamt in der Weihnachtszeit bis Jahresende. Auch im neuen Jahr eine endlose Reihe von täglichen Reparaturen. Am Neujahrstag muss das Schiff sogar auf See stoppen, der Hauptkondensator wird instand gesetzt. Wenn’s nichts zu reparieren gibt, keine Extraarbeiten, dann vermerkt er das mit Ausrufezeichen in seinem neu begonnenen Taschenkalender 1937: „Kein Zutörnen!“ In der Seemannssprache, die Rudi inzwischen perfekt beherrscht, heißt das: keine Überstunden.

Im wärmeren Klima angekommen, auf der anderen Seite des Atlantiks, in Florida, dem Winterdomizil der Ruheständler. In der ersten Woche des neuen Jahres erreichen sie Pensacola bei Miami. Müssen aber zunächst vor Anker auf Reede warten, bis sie dann am nächsten Tag an die Pier verholen dürfen. Jetzt kann er sogar einer Einladung am Abend in die Stadt folgen. Weiter geht’s nach Mobile, Alabama. Selbes Spiel: erst Reede, dann Pier, auch in die Stadt, zum Schifffahrtsagenten, bei dem aber keine heimatliche Post angekommen ist. Dann heißt es Bunkern: „22 Verholen des Schiffes nach Kohlenpier.“ (14. 01. 37, Taschenkalender) Ob er da, im tiefen amerikanischen Süden Alabamas, auch schwarz wie ein Neger geworden ist?

Über den Golf von Mexiko in zwei Seetagen nach Tampico, Mexiko. Auch an und über Land geht’s mit dem Omnibus ‚El Aguila‘, das Ganze spottbillig, 0,15 Pesos, vielleicht 20 Pfennig. Gerechnet wird ansonsten in US-Dollar = 3,50 Pesos. Zehn Tage bleibt die ‚ERLANGEN‘ noch im Hafen von Tampico, und Rudi fährt abends gern in die Stadt. Müssen sie auf Ladung warten? Über den Golf zurück in die USA, nach Galveston, Texas, und zum benachbarten Port Arthur. Von da aus nach New Orleans, wo ihn endlich die ersehnte Post von zu Hause erreicht.

Was transportiert die ‚ERLANGEN‘ denn so als Trampschiff? Kali von Deutschland in die USA, Kohle von den USA nach Mexiko, aber auch solch exotische Ladung wie Mississippi-Lohe wird an Bord genommen; Eichenrinde, die in großen Quantitäten zum Gerben von Leder benötigt wird.

Und dann wieder das Alltagsgeschäft: reparieren; die Kühlmaschine, die Lampen für dieselbe, Wache gehen, Betriebswache, Seewache und im Hafen Bordwache. Und schließlich liegen sie vor dem Panama-Kanal, in Cristobal Colon auf der Atlantikseite. Da ist es fast Mitte Februar. Jetzt wird es spannend. Der lange Weg des Trampschiffs auf die andere Seite des Globus.


Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948

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