Читать книгу Der Fall Monika Stark - Heribert Weishaupt - Страница 13

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Die eiserne Tür der einzigen Zelle der Polizeiwache schloss sich quietschend hinter Ronni. Ein Zeichen dafür, dass die Zelle nicht oft genutzt wurde.

Der Raum war länglich und nicht sehr groß. Am Ende sickerte durch ein hochgelegenes, vergittertes Fenster ein wenig des letzten Lichts des Tages hinein. Gerade einmal so viel, dass er seine neue Unterkunft in Augenschein nehmen konnte.

Eine Art Feldbett, ein kleiner, schmuckloser Tisch, zwei Stühle. Eine Deckenlampe und eine Leselampe über dem Bett. In einer Ecke, durch eine mobile Wand vom übrigen Raum abgeschirmt, eine Nasszelle mit Toilette und Waschbecken. Die Wände und der Boden waren einheitlich mit hellen Fliesen gekachelt. Wahrscheinlich diente die Zelle auch als Ausnüchterungszelle.

Ronni legte sich resigniert auf das Bett.

„Na, das ist ja toll. Jetzt liege ich hier in einer Ausnüchterungszelle auf einer Pritsche und starre gegen die Decke“, dachte er.

Bevor er eingesperrt wurde, hatte er noch darum gebeten, ein Telefonat zu tätigen. Er wollte Frank Eisenstein, seinen Kollegen, anrufen. Der würde den hiesigen Beamten in seiner dominanten Art sicherlich klarmachen, dass sie den falschen Mann festhielten. Aber die Polizisten vor Ort wollten zuerst die Ankunft des Kommissars aus Emden und dessen Einschätzung abwarten. Hierzu wiederum sollten die Ergebnisse der Spurensicherung herangezogen werden.

Bisher war Ronni das ausführende Organ, das Menschen in Gewahrsam nahm. Zum ersten Mal in seinem Leben befand er sich selbst als Verdächtiger eines Verbrechens in Polizeigewahrsam und spürte am eigenen Leib und eigener Seele, was Menschen in dieser Situation fühlen.

Nie hätte er gedacht, dass er in eine solche Lage geraten würde. Einfach nur deprimierend.

Er haderte mit sich. Wie konnte er sich nur so unprofessionell verhalten? Hatte seinen Dienstausweis zu Hause liegen gelassen. Ließ sich von Streifenpolizisten einfach festnehmen.

„Wie konnte ich mir das gefallen lassen?“, schimpfte er in Gedanken mit sich.

Wo war sein selbstsicheres Auftreten geblieben? Was hatte er nur für tölpelhafte Antworten und Erklärungen gegeben. Den Polizisten blieb doch gar nichts anderes übrig, als ihn mitzunehmen und einzusperren. Was hätte er an ihrer Stelle unternommen? Wahrscheinlich das Gleiche.

„Ich bin tatsächlich in Urlaubsstimmung und habe meine Tätigkeit als Kommissar wahrscheinlich vergessen“, versuchte er, sich vor sich selbst zu entschuldigen.

Aber was soll`s. Wenn er Eisenstein angerufen hatte, würde der dafür sorgen, dass er mit erhobenem Haupt die Polizeiwache verlassen könnte.

Er schaute auf seine Armbanduhr, die man ihm „aus Güte“, wie sie gesagt hatten, gelassen hatte. Fast neunzehn Uhr. Draußen war es jetzt bereits dunkel. Und noch immer hatte sich der Kommissar aus Emden nicht bei ihm gemeldet. Und noch immer durfte er Eisenstein nicht anrufen.

Er sprang auf und trommelte mit den Fäusten gegen die Tür. Einer der drei Polizisten von vorhin öffnete.

„Machen Sie nicht solchen Lärm. Das hilft Ihnen auch nicht.“

„Ich hätte gerne den Kommissar aus Emden gesprochen. Außerdem möchte ich meinen Kollegen in Bonn anrufen. Der wird Ihnen bestätigen, dass ich Kriminalkommissar bin.“

„Das geht jetzt nicht. Der Kommissar ist noch beschäftigt. Ihre Fingerabdrücke müssen noch mit den Abdrücken, die wir auf dem Sack, in dem die Leiche lag, und den Abdrücken im und am PKW verglichen werden. Wenn wir alle Ergebnisse der Spurensicherung ausgewertet haben, wird der Kommissar mit Ihnen sprechen. Dann können Sie auch Ihren angeblichen Kollegen anrufen.“

„Und wie lange dauert das noch?“

„Heute gibt das nichts mehr. Es ist schließlich Sonntag. Der Kommissar ist noch in Emden. Außerdem ist wieder Sturm aufgezogen und ansonsten ist es bereits dunkel. Daher fliegt der Hubschrauber heute nicht mehr.“

Mit diesen Worten verschloss er die Zellentür und Ronni war wieder allein.

In der folgenden Nacht schlief er nur wenig. Zum einen war es der Sturm, der um das Gebäude wehte, zum anderen ließen ihn seine Gedanken nicht schlafen. Die meiste Zeit lag er wach auf seinem Bett, schaute zu den wenigen Sternen, die er durch das Fenster erblicken konnte und ließ seine Gedanken wandern.

Isabelle, mit der er jahrelang glücklich gewesen war, tauchte in seinen Erinnerungen auf. Dann dieser verdammte Seitensprung mit Lisa Brenner, seiner Kollegin, die später von einem Verrückten ermordet wurde. Seine Ehe mit Isabelle war danach nicht nur zu Ende, nein, Isabelle hatte auch noch tatenlos zugesehen, wie er in den Bergen auf Mallorca nur knapp einen Mordanschlag überlebt hatte.

Und jetzt Moni, eine ehemalige Freundin aus seiner „wilden Zeit“, wie er die damalige Zeit in seinen jungen Jahren selbst nannte.

Er musste schnellstens mit Eisenstein sprechen und hier raus. Bevor er wieder in Bonn sein würde, könnte Eisenstein bereits mit den Ermittlungen beginnen. Er würde die Wohnung von Berti in Bergheim finden und alle Spuren sichern. Damit er den Verdacht gegen ihn tatsächlich entkräften konnte, musste er den wirklichen Täter finden, der Moni erdrosselt hatte.

Dann war da noch Berti. Die Polizei sollte ihn unbedingt auf Borkum finden. Auf keinen Fall durfte er mit der ersten Fähre am Morgen die Insel verlassen.

Er sprang auf und donnerte erneut mit den Fäusten gegen die Tür. Es war gerade einmal fünf Uhr.

Ein Polizist, den er bisher noch nicht gesehen hatte, öffnete die Tür und sah ihn mit verschlafenen Augen an.

„Was soll der Lärm? Wieso schlafen Sie nicht?“

„Wie soll ich schlafen, wenn mir niemand glaubt und der einzige Mensch, der meine Geschichte bezeugen kann, sich auf der Insel versteckt und wahrscheinlich um acht Uhr mit der ersten Fähre verschwindet? Sagen Sie Ihrem Chef, dass er unbedingt den Zugang zur Fähre überwachen und diesen Berti Dumm daran hindern soll, die Insel zu verlassen.“

„Wer soll das denn sein, Berti Dumm? Habe nie von ihm gehört. Wie sieht der denn aus?“

„Ihr Chef weiß, wer das sein soll. Hören Sie zu und schreiben Sie sich das genau auf und rufen Sie Ihren Chef an. Hubert, genannt Berti Dumm ist circa 1,90 Meter groß, breitschultrig, wahrscheinlich dicken Bauch und rosafarbige Gesichtshaut. Dann hat er nur noch einen Haarkranz und er trägt eine Jeans und eine blau-weiße Windjacke.“

Der Mann hatte sich einen Zettel besorgt und schrieb Ronnis Angaben gewissenhaft auf.

„Und rufen Sie sofort Ihren Chef an. Er darf diesen Mann nicht entkommen lassen.“

„Ja, mach ich. Hoffentlich reißt mein Chef mir nicht den Kopf ab, wenn ich ihn so früh am Morgen anrufe. Er hat schließlich gestern noch lange bis in die Nacht gearbeitet und will sicher heute ausschlafen.“

„Danke. Sagen Sie mir Bescheid, was Ihr Chef unternimmt?“

„Ja, ja. Kann ich machen. Jetzt bin ich sowieso wach und kann nicht mehr schlafen. Um acht Uhr kommen die Heike und die anderen Kollegen.“

Die Heike wird wohl die Frau in der Zentrale sein, dachte Ronni und die Bekanntschaft mit den anderen Kollegen hatte er leider zur Genüge „genossen“.

Die Tür fiel wieder ins Schloss und er legte sich erneut auf sein Bett und wartete. An Schlaf war nicht zu denken.

Es war gerade einmal eine halbe Stunde vergangen und der Kollege aus dem Nachtdienst öffnete wieder die Zellentür.

„Moin, moin. Hab` mit dem Chef gesprochen. Der war vielleicht sauer, dass ich so früh angerufen habe. Dann aber hat er gesagt, dass dieser Kerl … wie heißt er nochmal?“

„Berti Dumm.“

„Also, dass dieser Berti Dumm, wenn es ihn denn geben sollte, die Insel nicht verlassen wird. Dafür würde er sorgen.“

„Vielen Dank, dann bin ich beruhigt.“

Und schon war die Tür wieder geschlossen.

Ronni kam es vor, als wenn die Zeit wie im Schneckentempo verging. Manchmal nahm er Geräusche wahr, die er nicht deuten konnte. Manchmal war da nur die Stille. Trotz aller widrigen Umstände fiel er irgendwann in einen traumlosen Schlaf.

Erst als der Polizist, der auf der Hinfahrt neben ihm im Polizeiauto gesessen hatte, ihn an der Schulter rüttelte, schlug er die Augen auf. Mit einem Ruck setzte er sich aufrecht auf das Bett. Er schaute auf seine Uhr. Montag, acht Uhr dreißig.

Im Türrahmen stand ein Mann, den er nicht kannte. Groß, sportlich, vielleicht um die fünfzig. Leger gekleidet: blaue Jeans, einfaches, schwarzes T-Shirt. Auffallend waren seine hellen, blauen Augen.

Auf den ersten Blick war der Mann Ronni sympathisch. Menschen mit stahlblauen Augen sind meisangeblichtens besonders ordentlich, absolut pünktlich und zuverlässig, hatte er einmal gelesen. Diese Charaktereigenschaften mochte er sehr.

„Ich bin Hauptkommissar Hajo Martens. Wir sollten uns einmal unterhalten.“

Und zu dem Polizisten gewandt: „Bringen Sie den Mann ins Verhörzimmer.“

Der Polizist fasste Ronni am Oberarm und führte ihn durch einen kurzen Flur zum Verhörzimmer. Als Ronni das Zimmer betrat, fühlte er sich fast wie im Präsidium in Bonn.

Wahrscheinlich sehen die Verhörzimmer in ganz Deutschland ähnlich aus, dachte er.

„Setzen Sie sich.“

Ronni wusste, was jetzt folgen würde: Das Gespräch wird aufgenommen, sagen Sie Ihren Namen, Geburtsdatum, Anschrift, Beruf und so weiter.

Und genau so begann dann auch das Gespräch. Lediglich als er seinen Beruf als Hauptkommissar in Bonn nannte, konnte sich sein Gegenüber ein ungläubiges Grinsen nicht verkneifen.

Ronni kam sich vor wie ein Schwerverbrecher.

„So, nun berichten Sie, was geschehen ist. Von Anfang an, langsam und ausführlich. Versuchen Sie erst gar nicht, zu lügen und sich eine Geschichte zurechtzubasteln. Sie würden sich nur in Widersprüche verstricken und ich merke sofort, wenn jemand lügt.“

Ronni begann mit dem Anruf von Berti und erzählte dem Kommissar möglichst emotionslos und sachlich, was geschehen war. Der Kommissar hörte konzentriert zu und unterbrach ihn nicht ein einziges Mal.

„So, nun kennen Sie den gesamten Ablauf. Sie haben doch bestimmt Erkundigungen eingezogen und wissen, dass ich wie Sie Kommissar bin und in der Dienststelle in Bonn arbeite.“

„Ja, haben wir. Und das macht die Sache nicht leichter. Die Tatsache, dass Sie bei der Polizei beschäftigt sind, schließt nicht aus, dass Sie Frau Stark erdrosselt haben.“

„Das kann doch wohl nicht wahr sein.“

Ronni sprang von seinem Stuhl auf. Mit seiner Emotionslosigkeit war es vorbei.

Aufgeregt wanderte er im Raum hin und her, fluchte und ergoss Beschimpfungen über die Borkumer und Emdener Polizei. Zum Glück nicht so laut, dass der Kommissar sie verstehen konnte. Vielleicht wollte er die Unmutsäußerungen auch nicht verstehen.

„Setzen Sie sich wieder hin“, sagte Kommissar Martens in ruhigem Tonfall, nachdem Ronnis erste Wut verpufft zu sein schien.

„Die Spurensicherung ist mit der Untersuchung der Leiche und des PKWs inzwischen fertig. Und siehe da, überall sind Ihre Fingerabdrücke. Außen am Lack, rund um die Ladefläche, auf den Plastiksäcken, in denen die Leiche eingewickelt war. Außerdem haben wir Haare und jede Menge Hautschuppen gefunden, die nicht der Leiche zugeordnet werden konnten. Wahrscheinlich sind die ebenfalls von Ihnen. Der DNA-Abgleich steht allerdings noch aus.“

„Selbstverständlich finden Sie meine Fingerabdrücke. Ich habe doch gar nicht bestritten, den PKW, das Innere des Autos und die Plastiksäcke sowie die Leiche angefasst zu haben. Aber Sie haben doch bestimmt auch Fingerabdrücke gefunden, die Sie nicht zuordnen konnten?“

„Natürlich, jede Menge. Insbesondere im Inneren des Autos. Also Lenkrad, Armaturenbrett, Sitze und so weiter. Aber auf den Säcken sind nur Ihre.“

„Dann hat Berti wahrscheinlich Handschuhe getragen, als er die Frau in den Wagen geschafft hat.“

„Möglich. Aber noch wissen wir nicht, ob es diesen Berti überhaupt gibt. Tatsache ist: Sie waren als Einziger beim Eintreffen der Kollegen am Auto, wir haben Ihre Fingerabdrücke gefunden und Sie kennen die Frau. Laut Ihrer eigenen Aussage war sie sogar einmal Ihre Freundin.“

„Ja, sie war meine Freundin und ich meine tatsächlich ‚war‘. Das ist ewig her.“

„Aufgrund der Untersuchung der Leiche und anhand der Totenflecken und Leichenstarre konnten wir feststellen, dass die Frau wahrscheinlich am Samstag zwischen siebzehn und zwanzig Uhr ermordet wurde und danach die letzten zehn Stunden im Laderaum des Autos gelegen hat. Alles in allem muss ich sagen: Es sieht nicht gut für Sie aus.“

„Dann möchte ich meinen Kollegen Frank Eisenstein anrufen.“

„Okay, genehmigt. Aber wäre es nicht besser, einen Anwalt anzurufen?“

„Einen Anwalt? Nein, ich benötige keinen Anwalt. Ich bin kein Mörder. Frank wird das alles klären.“

Der Polizist, der unbeweglich neben der Tür gestanden hatte, führte Ronni in einen kleinen Raum, in dem sich lediglich ein leerer Schreibtisch, davor ein hölzerner Stuhl und dahinter ein Drehstuhl befand. Auf dem Schreibtisch stand ein altmodisches Telefon.

„Hier können Sie anrufen. Wählen Sie zuerst die Null, dann die Telefonnummer, die Sie anrufen möchten. Ich warte vor der Tür.“

Ronni war froh, dass er allein und ungestört Eisenstein anrufen konnte und wählte seine Handynummer, die er auswendig kannte.

„Hallo Frank, hier ist Ronni.“

„Nein, es geht mir nicht gut und mein Urlaub ist zu Ende“, antwortete er auf die Frage, wie es ihm gehe.

Eisenstein fragte sofort nach, was denn los sei.

„Das ist eine lange Geschichte. Ich benötige schnellstens deine Hilfe.“

„Du brauchst meine Hilfe? Ich dachte du wärst in Urlaub. Dann schieß mal los mit deiner Geschichte. Ich habe Zeit.“

„Okay, hör zu. Ich gebe dir eine Kurzfassung.“

Er berichtete seinem Freund und Kollegen in knappen Sätzen was vorgefallen war und dass er in der Borkumer Polizeiwache im Gefängnis saß.

„Versuche alles über diesen Berti, mit richtigem Namen Hubert Dumm und seiner Freundin Moni oder Monika Stark in Erfahrung zu bringen. Dann schau dir die Wohnung von Berti an – irgendwo in Bergheim.“

„Moment mal,“ stutzte Eisenstein.

„Da hat es gestern am frühen Morgen einen Brandanschlag in einer Wohnung in Bergheim gegeben. Soviel ich mitbekommen habe, untersuchen die Kollegen sogar, ob es sich um ein Attentat mit rechtsradikalem Hintergrund handelt. Der Mieter war nicht zu Hause und seinen Aufenthalt konnte man noch nicht ermitteln. Hoffentlich ist das nicht die Wohnung von diesem Berti. Ich kümmere mich darum und morgen bin ich bei dir auf Borkum und hol dich da raus.“

„Die Wohnung ist ausgebrannt? Das wird ja immer toller.“

„Abwarten. Ich weiß nichts Genaues. Morgen früh bin ich bei dir und kann dir Näheres sagen. Vielleicht schaffe ich es noch bis heute Abend, falls ich eine Fähre bekomme. Wenn das klappt und wenn ich richtig Gas gebe, bin ich in dreieinhalb Stunden in Emden.“

„Danke, Frank.“

„Ist doch selbstverständlich. Und halt den Kopf hoch. Die spinnen doch, dir einen Mord zuzutrauen. Das ist doch Schwachsinn.“

„Ich weiß, es ist Schwachsinn. Aber trotzdem sitze ich hier im Gefängnis. Im Moment habe ich keine Ahnung, wie es weitergehen wird.“

„Mach dir keine Sorgen. Ich bin bald da und hole dich da raus.“

Leicht zu sagen: Mach dir keine Sorgen, dachte Ronni.

Aber er kannte Eisenstein lange genug um zu wissen, dass das seine Art war. Immer optimistisch, kein unnötiges Gerede, keine Sentimentalitäten, nur Fakten zählten und danach handeln – sofort, ohne Wenn und Aber.

Der Fall Monika Stark

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