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Ronni ging unablässig im Wohnzimmer der Ferienwohnung auf und ab. Die Wohnung befand sich im Parterre und war nicht sehr groß. Wohnzimmer mit integrierter Küchenzeile, Bad und Schlafzimmer. Kleine Terrasse mit angrenzender, großzügiger Rasenfläche. Kein Baum, kein Strauch, keine Blumen. Ihn störte diese Kargheit nicht sonderlich. Es war März und an Bäumen und Sträuchern waren sowieso noch keine Blätter und es gab sicherlich nur wenige Blumensorten, die dem rauen Nordseeklima und den Stürmen in dieser Jahreszeit standhalten würden.

Seine Gedanken kreisten um Berti und die tote Moni.

Sofort nachdem Berti aufgelegt hatte, versuchte Ronni, ihn zurückzurufen. Durch Bertis Anruf war dessen Nummer in seinem Smartphone gespeichert. Aber Berti ging nicht ans Telefon. Auch spätere Versuche waren ohne Erfolg. Es schien, als wolle Berti seine Hilfe nicht mehr. Irgendwie konnte er verstehen, dass sein ehemaliger Freund Angst vor dem Besuch der Polizei hatte. Und er konnte und wollte ihm nur helfen, indem er seine Kollegen anrief.

Wieder einmal nahm er sein Smartphone vom Tisch, um es nach wenigen Augenblicken wieder hinzulegen.

Er hatte sich entschieden, die Polizeidienststelle in Troisdorf oder Bonn nicht anzurufen. Jetzt überlegte er, ob er seinen Freund und Kollegen Frank Eisenstein anrufen sollte. Ihm könnte er diesen mysteriösen Anruf in Ruhe erklären und Frank würde ihn mit Sicherheit nicht auslachen oder ihm Vorwürfe machen. Wieso eigentlich Vorwürfe? Er hatte keinen Fehler begangen. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Okay, er hätte Berti nach dessen Anschrift fragen sollen. Nein, fragen müssen. Er war sich sicher, dass er das auch noch getan hätte, wenn Berti nicht so plötzlich aufgelegt hätte.

Nein, er würde auch Eisenstein nicht anrufen – nicht jetzt.

Er blieb vor der Terrassentür stehen und schaute hinaus. Zu dieser Jahreszeit war es bereits seit Stunden dunkel. Nur das Licht seines Wohnzimmers erhellte die Terrasse und die ersten Meter des Rasens. Er war in diesem Haus der einzige Feriengast. Die Wohnungen neben ihm und über ihm standen leer. Als er das beim Einzug erfahren hatte, hatte es ihn erfreut. Keine lästigen Nachbarn, die einem bei jedem Zusammentreffen ein Gespräch aufzwingen wollten. Kein Kindergeschrei und kein Fußgeklapper und Möbelrücken über ihm.

Jetzt hatte er das Gefühl, die Wohnung ersticke ihn. Alles engte ihn hier ein. Er konnte keinen klaren Gedanken und schon gar keinen endgültigen Entschluss fassen. Er musste raus, raus an die frische Luft.

Ronni steckte sein Smartphone in die Hosentasche, schnürte seine hohen Wanderschuhe und zog seine gefütterte, wasserdichte Winter-Regenjacke an. Dann verließ er die Wohnung.

Es war kalt und hinter dem Deich war der Wind zwar kräftig, aber erträglich. Der Weg führte leicht bergauf zur Strandpromenade. Als er aus dem Windschatten des schützenden Deichs heraus auf die Promenade trat, nahm ihm die erste Böe fast den Atem. Er musste sich gegen den Wind stemmen, um vorwärts zu kommen. Schnell zog er die Kapuze hoch und schnürte sie eng um den Kopf, sodass nur noch sein Gesicht hervorlugte.

Der Wind peitschte den Sand über das Pflaster der Promenade und verursachte auf seiner Gesichtshaut ein Gefühl von tausend Nadelstichen. Darüber hinaus erzeugte das Heulen des Sturms und das kräftige Rauschen der Wellen einen riesigen Lärm. Außer ihm war niemand unterwegs.

Nach vielleicht dreihundert Metern wurde ihm bewusst, dass sein Versuch, in der frischen Luft einen klaren Gedanken fassen zu können, gescheitert war.

Auf kürzestem Weg verließ er die Promenade und ging hinunter in den kleinen Ort Borkum. Hier zwischen den Häusern war es erträglicher. Der Ort wirkte wie ausgestorben. Nur selten begegnete ihm ein menschliches Wesen. Und wenn, konnte er kaum erkennen, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelte. Alle waren wie er dick verpackt und lediglich Augen, Nase und Mund waren unter den Kapuzen und Mützen auszumachen. Auch in den Lokalen, an denen er vorüberkam, befanden sich nur wenige Gäste, die nur etwas speisten oder tranken. Er überlegte kurz, ob er irgendwo einkehren und etwas essen sollte. Doch dann verwarf er diesen Gedanken wieder. So richtig hungrig war er nicht. Vielleicht würde er sich später zu Hause eine Scheibe Brot und ein Spiegelei oder sonst etwas, was sich noch im Kühlschrank befand, zubereiten.

Ziellos wanderte er durch die Straßen.

Und jetzt waren sie wieder da. Die Gedanken an das Telefonat, an Berti und an die tote Moni.

Er stellte sich Moni vor, wie sie da lag. Nackt, die blonden Haare, die zerzaust über ihre Schulter hingen, ihre helle, makellose Haut mit den Würgemalen am Hals und die blauen Augen, die starr gegen die Zimmerdecke blickten.

Nein, das wollte er sich nicht weiter ausmalen. Er wollte sie so in Erinnerung behalten, wie er sie als lebendige Frau gekannt hatte.

Dann dachte er: Wie mag dieser Berti heute aussehen? Damals war er ein Frauentyp gewesen. Schwarze Haare, braune Augen und eine durchtrainierte Figur. Und heute? Vielleicht hatte er Haarausfall und bereits eine ausgedehnte Tonsur und hatte vom Bierkonsum einen ausgeprägten Bauch.

Wenn Berti Moni nicht erwürgt hatte, wer konnte es denn sonst getan haben? Konnte jemand, während Berti zum Chinesen unterwegs war, in die Wohnung eingedrungen sein? Wie sollte er in die Wohnung gelangt sein? Berti hatte doch, wie er sagte, die Wohnungstür zugezogen, als er gegangen war. Kannte Moni womöglich ihren Mörder, und hatte sie ihm selbst die Tür geöffnet?

Oder stimmte das alles nicht, was Berti ihm gesagt hatte? Wollte er ihn veralbern, einen Scherz mit ihm machen? Schlechter Scherz, dachte er und verzog automatisch sein Gesicht.

War das tatsächlich Berti, sein Freund aus Jugendjahren? An den Klang seiner Stimme konnte er sich nicht mehr erinnern und sagen „ich bin Berti Dumm“, das kann jeder. Aber auch wiederum nur derjenige, der Berti und mich kennt und weiß, dass wir Freunde waren, überlegte er weiter.

Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort fand und auch in der restlichen Zeit dieser Nacht nicht finden würde.

Er könnte morgen nach Hause fahren und versuchen, die Angelegenheit aufzuklären, dachte er, als er auf die Hauptstraße einbog und in Richtung seiner Ferienwohnung ging.

Morgen war Sonntag und die erste Fähre nach Eemshaven ging um 13:30 Uhr. Nach Emden übersetzen konnte er nicht, da er in Eemshaven sein Auto abgestellt hatte.

Noch eine Woche hatte er geplant, auf Borkum zu bleiben. Die Mordermittlungen in und um Troisdorf in den letzten Jahren, sowie die Sache mit seiner Frau Isabelle, hatten ihn viel Kraft gekostet. Er hatte das Gefühl, einmal richtig ausspannen zu müssen. Allein, ohne viele Menschen um sich herum. Nur er, das Meer, der Strand und die frische Luft. Borkum im März fand er, sei dafür der richtige Ort. Und der war es auch – bis heute.

Als er den Schlüssel zur Wohnungstür umdrehte, stand sein Entschluss fest. Morgen früh würde er, nachdem er gefrühstückt hatte, seine Koffer packen und die Wohnungsschlüssel zurückbringen. Dann mit der Borkumer Kleinbahn zum Hafen fahren und die Fähre nach Eemshaven nehmen und nach Hause fahren.

Er freute sich schon auf das verdutzte Gesicht von Frank Eisenstein, wenn er am Abend bei ihm auftauchen und ihm von dem Telefonat berichten würde. Wer weiß, vielleicht hatte Berti doch noch die Polizei informiert und seine Kolleginnen und Kollegen ermittelten bereits in dem Fall Monika Stark.

Bis dahin würde er versuchen, nicht mehr an Berti und Moni zu denken – zumindest wollte er jeglichen Denkansatz im Keim ersticken.

Als er sich müde ins Bett legte, fiel er sofort in einen tiefen aber nicht traumlosen Schlaf: Kräftige Männerhände legten sich um den Hals einer blonden Frau. Sie versuchte zu schreien, aber kein Ton kam aus ihrem Mund. Verzweifelt strampelte sie mit den Beinen und dann sah er das Gesicht des Mannes – es war sein Gesicht. Er erwachte und saß augenblicklich aufrecht im Bett. Trotz intensiver Bemühungen, gelang es ihm nicht mehr, dauerhaften Schlaf zu finden und er war froh, als der Morgen hereinbrach und er aufstand.

Der Fall Monika Stark

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