Читать книгу Der Fall Monika Stark - Heribert Weishaupt - Страница 14

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Berti war frustriert. Berti war sauer.

Wie konnte Ronni nur so sein – sich als der Gerechteste unter der Sonne aufspielen und einfach die Polizei anrufen? Wo war sein Gefühl für Freundschaft und Verbundenheit geblieben?

„Ja, okay. Er war fassungslos, als ich so plötzlich vor seiner Ferienwohnung stand mit Moni im Kofferraum. Ich hätte vielleicht vorher anrufen sollen. Aber hätte das etwas geändert? Mit Sicherheit nicht. Ronni hätte auch dann die Polizei angerufen“, überlegte er und sprach leise zu sich selbst.

Als Ronni das Smartphone nahm und die Polizei anrief, hatte er ohne zu überlegen reagiert und war weggerannt. Durch das Zentrum der Stadt, immer weiter auf der Landstraße zum Hafen. Erst als er das Zentrum hinter sich gelassen hatte, ging sein Laufen in langsames Gehen über. Er war total außer Puste. Das war wieder so eine Situation, in der er mit sich haderte, seit einer Ewigkeit keinen Sport getrieben zu haben.

Wenn er sich richtig an die Hinfahrt erinnerte, war es vom Hafen bis in die Stadt ungefähr fünf bis sechs Kilometer. Das würde er nie im Leben schaffen – nicht an einem Tag.

Als er an den letzten Häusern vorbeikam, sah er in einer Seitenstraße ein Fahrradgeschäft, das auch Fahrräder vermietete. Obschon es Sonntag war, hatte das Geschäft geöffnet. Der Touristen wegen. Man will sich schließlich kein Geschäft entgehen lassen. Das war für ihn die Rettung. Acht Euro betrug die Leihgebühr für einen Tag. Das ist doch fast geschenkt, dachte er und mietete ein Fahrrad vorsichtshalber für zwei Tage, auch wenn er vorhatte, heute noch die Insel zu verlassen. Schließlich weiß man nie, wie das Leben so spielt.

Zuerst folgte er dem Radweg, der neben der Landstraße entlangführte. Dann bog er in einen Waldweg ein, der parallel zum Radweg verlief. Nach wenigen hundert Metern bedauerte er beinahe seinen Entschluss. Der Weg war nicht asphaltiert und der teilweise feine Schotter oder tiefe Sand verlangte von ihm einen größeren Kraftaufwand beim Radeln. Der Weg hatte aber den Vorteil, dass er nicht von der Straße eingesehen werden konnte. Er rechnete damit, dass Ronni oder die Polizei ihn suchen würden und da wäre er auf der Landstraße nicht zu übersehen.

Die einzige Fähre, die heute noch fuhr, war die Fähre nach Emden um 16:45 Uhr. Wenn er sich beeilte, würde er sie noch erreichen. Ab Emden konnte er mit dem Zug nach Hause fahren. Bestimmt würde sein Freund Ronni ihm später, wenn er alles in Troisdorf geklärt hatte, sein Auto zurückgeben. Obschon es nicht mal sein Auto war, sondern das von Moni.

Als er von der Reedestraße in das Hafengebiet einbiegen wollte, sah er, dass die Fähre noch nicht eingelaufen war. Daher fuhr er noch nicht direkt zur Anlegestelle, sondern stellte sein Fahrrad auf einem Parkplatz neben der Straße ab, der von Buschwerk umgeben war. Von hier konnte er das Treiben an der Anlegestelle beobachten. Wenn man denn von Treiben sprechen konnte. Es war so gut wie kein Betrieb. Drei PKW warteten vor der Schranke zur Verladung und am Hafenbecken warteten nur wenige Personen, die ohne PKW nach Emden übersetzen wollten.

Doch dann erschrak er. Von der Stadt näherte sich ein Polizeiauto. Kurz vor dem Parkplatz bog das Auto in den Hafen ein. Zwei Polizisten stiegen aus und sahen sich um.

Es war klar, dass sie ihn suchten. Hier konnte er nicht bleiben. Er musste schnellstens weg. Aber wohin? Die Überfahrt heute konnte er streichen. Ronni hatte den Polizisten bestimmt eine Personenbeschreibung von ihm gegeben. Sie würden jeden genau unter die Lupe nehmen, der die Fähre nutzen wollte.

Er schwang sich auf sein Rad und radelte auf der Straße zurück. Rechts neben dem Bürgersteig befand sich eine Mauer mit Gebäuden, deren Daseinsberechtigung er nicht einordnen konnte. Sie sahen aus, wie eine seit langer Zeit ungenutzte Kaserne. Nach einigen hundert Metern wies ein Schild mit der Aufschrift „Jugendherberge“ in eine schmale Straße.

Er überlegte nicht lange und bog ab zur Jugendherberge. Vor dem Gebäude liefen Kinder, Jugendliche und sogar einige Erwachsene umher. Sein erster Impuls war: Hier bin ich am falschen Ort. Hier falle ich nur auf. Doch sein zweiter Impuls sagte ihm: Hier kannst du übernachten. Eine vielleicht schlechte Übernachtung in einer Jugendherberge ist besser, als eine sicherere Übernachtung im Freien bei Kälte und womöglich Regen. Außerdem würde ihn mit Sicherheit niemand in einer Jugendherberge vermuten.

Zu dieser Jahreszeit war es kein Problem ein Zimmer zu bekommen. Auch nicht nur für eine Nacht. Er zahlte im Voraus und stellte sein Fahrrad in einem Fahrradständer vor dem Haus ab.

Hier zu übernachten, war die beste Entscheidung, um am Morgen die erste Fähre zu nehmen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass man ihn mehrere Tage suchen würde.

Jetzt saß er in seinem Zimmer auf dem Bett und schaute sich um. Das Bett war frisch bezogen, das Zimmer einfach: ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank, ein Waschbecken und auf dem Tisch eine Schreibtischlampe. Toilette und Dusche waren auf dem Flur, hatte man ihm gesagt.

Es waren noch keine fünfzehn Minuten vergangen und er langweilte sich bereits. Er erinnerte sich an ein Sprichwort von Max Frisch, das sein Lehrer in der Schule oft genug zitiert hatte: Geist ist die Voraussetzung der Langeweile.

So gesehen konnte er durchaus zufrieden mit sich und der Langeweile sein.

Doch es dauerte keine weiteren fünfzehn Minuten und die anfängliche Zufriedenheit wich einer Unzufriedenheit mit vielen Fragen:

Was tue ich hier? Warum sitze ich hier auf dem Bett und starre die kahlen Wände an?

Ich sollte vielleicht wieder anfangen zu rauchen, dachte er dann. Aber Zigaretten hatte er keine dabei, da er seit Jahren nicht mehr rauchte. Ob es hier einen Zigarettenautomaten gibt, überlegte er. Nein, er konnte sich nicht vorstellen, dass es einen Zigarettenautomaten in einer Jugendherberge gab. Also, vergiss es, sagte er zu sich.

Was habe ich eigentlich verbrochen, das ein Grund dafür wäre, Hals über Kopf wegzurennen?

Nein, ich habe sie nicht verscharrt. Nein, ich bin nicht aus Troisdorf geflohen, weil ich etwas verbrochen habe. Und nein, ich habe sie nicht umgebracht!

Leb wohl, Borkum. Es war schön, dich gesehen zu haben. Morgen geht es zurück nach Hause.

Hoffentlich!

Aus Wut hätte er am liebsten gegen den Tisch oder gegen den Stuhl getreten. Aber er bekam gerade noch die Kurve und bremste sich. Was kann das Mobiliar dafür, dass ich in dieser Lage bin?

Und dann trat er dennoch zu.

Der Fall Monika Stark

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