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Prolog

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Die dunkel gekleidete Person beobachtete bereits seit mehreren Stunden das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war ein neueres Haus, zumindest war es nicht älter als zehn Jahre. Vier Mietparteien wohnten dort. Die Aufmerksamkeit galt aber nur einer Mietpartei. Dem Mieter im Parterre rechts. Genauer gesagt, interessierte nicht der Mieter, sondern vielmehr dessen heutige Besucherin. Deren protziger Schlitten, den sie sich, nach Meinung der beobachtenden Person, gar nicht leisten konnte, stand bereits vor dem Haus, als sie mit der Beobachtung begann.

Allmählich begannen die Beine zu schmerzen. Erschwerend kam das Wetter hinzu. Regenschauer, die, je später es am Tag wurde, in Graupel übergingen. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Hände trotz Handschuhe in die Jackentasche vergraben, kroch die Kälte und Nässe bis in die Knochen. Die frierende Person stand vor zufälligen Blicken der Nachbarn und Passanten geschützt hinter einer Reihe Sträucher und Bäume. Aber wer ging bei einem solchen Wetter vor die Haustür oder interessierte sich für jemanden auf dem Bürgersteig außerhalb der eigenen, warmen Wände?

Und wenn doch, niemand hätte das Wesen hinter den Sträuchern erkannt oder hätte es später beschreiben können. Eine Jeans, eine Regenjacke, wie sie fast jeder trug. Die Kapuze eines Shirts, die unter der Regenjacke getragen wurde, ließ gerade mal Augen, Nase und Mund frei. Darüber war zusätzlich die Kapuze der Regenjacke gezogen. Man hätte nicht einmal sagen können, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Ein menschliches Neutrum.

Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen. Im diffusen Licht der Straßenlaternen verschmolz es beinahe mit seiner Umgebung und war kaum noch auszumachen. Auch hinter dem Fenster im Parterre rechts brannte jetzt Licht.

Das fortwährende Treten auf der Stelle und das langsame Hin- und Hergehen brachte der Gestalt bei diesem Wetter auch nicht die entscheidende Besserung des Wohlbefindens.

Auf keinen Fall durfte der Hauseingang aus den Augen gelassen werden. Sollte in der nächsten Viertelstunde der Mieter nicht, wie erwartet, die Wohnung verlassen haben, würde das Vorhaben aufgegeben.

Die vermummte Person hatte sich entschieden. Sie musste handeln. Sie konnte nicht sagen, wann dieser Gedanke in ihrem Kopf entstanden war. Er hatte sich wie ein Samenkorn eingepflanzt. Die Frau hatte den Bogen des Erträglichen überspannt, zu viel Schaden hatte sie angerichtet. Ein großzügiges Tolerieren war nicht mehr möglich.

Im Laufe der Zeit wuchs das Samenkorn im Unterbewusstsein heran und wurde zu einem nicht mehr entfernbaren Geschwür, das fast das gesamte Denken ausfüllte. Bis heute, bis zu dem Augenblick, wo die Person ihren Beobachtungsposten vor dem Haus einnahm. Jetzt würde sie durch ihr Vorhaben das Geschwür entfernen können. Heute war sie bereit. Diese Schlampe würde das bekommen, was sie verdiente. Es käme einer Katastrophe gleich, wenn das Vorhaben aufgegeben werden müsste.

Viele Samstage und Sonntage hatte sie ihre Zeit in die Beobachtung des Mieters und seiner Besucherin investiert. Sie bildete sich ein, seine und ihre Gewohnheiten genau zu kennen.

Jeden Samstag- und jeden Sonntagnachmittag besuchte ihn die Frau. Was die beiden dann trieben, konnte sich die Person hinter den Sträuchern eindeutig vorstellen. Wenn diese Vorstellung von ihr Besitz ergriff, verursachte die dadurch entstehende Wut eine innere Hitze, der sogar das nasskalte Wetter nichts anhaben konnte. Doch dieses Gefühl, diese Wut, durfte nicht Oberhand gewinnen. Das Herz musste kalt bleiben, kalt wie Eis. Nur ein kaltes Herz konnte das geplante Vorhaben realisieren. Die Erinnerungen an manche unliebsamen Ereignisse im Leben ließen ein bitteres Lächeln um die harten Gesichtszüge spielen.

Plötzlich öffnete sich die Haustür und der Mieter stand im Eingang. Die Baseballkappe tief in die Stirn gezogen, schaute er zum grauen Himmel hoch. Er zog seine viel zu weite Jogginghose am Bund hoch, schlug den Kragen seiner Jacke hoch und lief los.

Die Person, die ihn von der anderen Straßenseite beobachtete, grinste. Das war das typische Laufen einer viel zu schwergewichtigen Person. Bei weitem kein sportliches Joggen. Nach fünfzig Metern ging das Joggen erwartungsgemäß in leichtes Gehen über.

Das Ziel war bekannt: Das China-Restaurant, drei Straßen weiter.

Die dunkel gekleidete Person verließ ihren Beobachtungsposten und überquerte mit ruhigen Schritten die düstere Straße. Vor der Haustür vergewisserte sie sich mit einem kurzen Blick nach rechts und links, dass niemand sie beobachtete. Sehr gut, keine Menschenseele war zu sehen. Unaufgeregt betätigte sie den Klingelknopf.

„Hast wohl etwas vergessen. Warst wohl mit den Gedanken noch irgendwo anders“, ertönte es aus der Sprechanlage.

Einen Augenblick später summte auch schon der Türöffner.

Aus der Person, die bisher nur geduldig beobachtet und abgewartet hatte, wurde jetzt eine Person, die eiskalt ihr Vorhaben umsetzte. Ohne Gefühl, ohne Gewissen.

Eine junge Frau öffnete kopfschüttelnd die Wohnungstür.

„Hast du deine Schlüssel und deine Geldbörse vergessen? Das wird ja immer schlimmer mit dir.“

Mit einer Hand hielt sie ein Bettlaken fest, das sie um ihren Körper geschlungen hatte. Ohne genau hinzusehen, wem sie die Tür geöffnet hatte, drehte sie sich um und ging zurück in die Wohnung. Sie war überzeugt, dass sie ihren Freund hereingelassen hatte.

Auf ihre Frage erhielt sie keine Antwort. Stattdessen wurde sie rücksichtslos weiter zurück in die Wohnung gestoßen. Immer wieder Stoß auf Stoß. Das Bettlaken war ihr inzwischen aus der Hand geglitten. Nackt war sie der eindringenden Person hilflos ausgeliefert, die ihre Nacktheit und Hilflosigkeit total ignorierte. Sie wollte etwas sagen, protestieren, schreien. Doch dazu kam sie nicht.

Sie landete auf dem Bett, in dem sie kurz vorher noch so viel Spaß mit ihrem Freund gehabt hatte. Kräftige Hände schlossen sich um ihren Hals und nahmen ihr die notwendige Atemluft.

Kein Entkommen, keine Gegenwehr, keine Gnade. Es war kein Kampf – es glich einer Hinrichtung.

Scheinbar gefühllos verließ die dunkel gekleidete Person die Wohnung.

Der Fall Monika Stark

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