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KARIN BEIER »Meine Tochter hat alle
Prioritäten verschoben«

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DIE REGISSEURIN KARIN BEIER ÜBER EINE ZEIT,ALS SIE VOM THEATER FAST AUFGEFRESSEN WORDEN IST

7. Juli 2011

Das Gespräch führte Louis Lewitan

Frau Beier, worin besteht die Aufgabe des Theaters?

Es soll die Gesellschaft reflektieren und den Zuschauer zum Fragen auffordern. Allerdings leben Theatermenschen in einem Elfenbeinturm, in dem sich alles nur noch um die Kunst dreht, und verlieren leicht den Bodenkontakt.

Wie äußert sich das?

Stell ich das Fahrrad links oder rechts auf die Bühne? Eine solche Entscheidung wird mitunter wahnsinnig wichtig. Man verliert die Gelassenheit, weil alles zur schlafraubenden existenziellen Frage wird.

Wie kommt es zu dieser Überschätzung von Nebensächlichem?

Weil man sich als Theaterschaffender dauernd in einer Bewertungssituation befindet. Ich werde als Mensch, der sich kunstlerisch ausdruckt, permanent benotet, sei es von den Zuschauern, von den Kollegen, von der Presse. Man steht in einer Abhängigkeit von diesen Noten, was nur schön ist, wenn es rund läuft.

Sie haben früh Karriere gemacht, gab es bei Ihnen eine Zeit, in der es nicht rund lief?

Ja, eine ganze Strecke lang, gerade am Anfang. Mit neunzehn Jahren wurde ich als Regisseurin sehr schnell nach oben geschossen, das war für mich als Jüngste in der Truppe ganz toll, aber auch eine große Überforderung.

Wie hat sich das geäußert?

Ich habe einfach nicht mehr geschlafen, morgens um fünf Uhr lag ich wach, dachte an die Probe und hatte Angst. Ich kam mir wie ein Bluffer vor, irgendwann würde ich schon auffliegen, man würde merken, dass ich gar nichts kann. Ich bin damals sehr um mich selbst gekreist. Ich gehöre zu dieser wahnsinnig ehrgeizigen Achtziger-Jahre-Generation und habe mich mit zwanzig extrem über das, was ich leiste, definiert, und Theater war für mich das Größte. Bei jeder Produktion habe ich gesagt, ich gebe alles, es war jedes Mal ein Ausnahmezustand. Bis ich merkte, wenn ich das so weitermache, dann werde ich nicht alt.

Waren Sie damals an eine Grenze gestoßen?

Ja, auf der einen Seite hatte ich ein Gefühl von hochster Uberspanntheit, einem hypermotorischen Zustand gleich, und auf der anderen Seite spürte ich eine unendliche Müdigkeit, die mich jeder Kreativität beraubte.

Wie kamen Sie da heraus?

Irgendwann merkte ich, ein bisschen was werde ich schon können. Letztendlich darf man sich nicht dauernd fragen, ob man es kann, man muss es einfach tun. Außerdem sind mein Mann und ich 1999 ein halbes Jahr aus dem Theater ausgestiegen und in den Norden Schottlands gegangen, dorthin, wo es sehr, sehr viele Schafe gibt.

Was haben Sie dort noch entdeckt außer Schafen?

Sonst war ich immer die Macherin. In Schottland ist man einfach nur der, der man ist. Die Leute dort sind in ihrem Leben noch nicht im Theater gewesen, die wissen gar nicht, was das ist. Ich habe in Schottland so etwas wie Glück empfunden.

Fernab vom Theaterleben?

Ja, in der Natur. Sie erzeugt bei mir extrem starke Gefühle, als würde ich zu etwas Göttlichem Kontakt haben. Sie regt mich dazu an, die Dinge einfach mal sein zu lassen. Ich bin immer wieder nach Schottland gefahren, bis ich schwanger wurde.

Wie hat die Geburt Ihrer Tochter vor fünf Jahren Ihr Leben verandert?

Sie hat alle Prioritäten verschoben. Sie ist das Beste, was mir passiert ist. Wenn ich bei meiner Tochter bin, dann bin ich weg vom Theater. Dieser Abstand ist sehr produktiv, denn mein Leben ist sonst immer so extrem auf eine Zielgerade fixiert.

Wie meinen Sie das?

Das Theater ist wie ein kleiner Kosmos, man arbeitet kurze Zeit sehr intim und emotional zusammen. Das ist ein Geschenk, und es macht süchtig, weil es ein bisschen so ist, als dürfte man ganz viele Leben führen. Aber natürlich läuft jeder Probenprozess auf eine Premiere zu. Und immer hat man zu wenig Zeit – das ist der größte Stressfaktor.

Ihre Tochter hat Sie also vor dem Theater gerettet?

Sie hat mich insofern gerettet, als sie das Theater an Stelle zwei oder drei gerückt hat. Sie bringt mich zum Innehalten, zum Heraustreten aus dieser Maschinerie. Ein Perspektivenwechsel auf die Welt ist immer gut.

Sie haben dank Ihrer Tochter entdeckt, dass es eine Welt neben dem Theater gibt?

So ungefähr. Der Regisseur Frank Castorf hatte mich einmal beobachtet, wie ich als junge Regisseurin die Applausordnung dreßigmal übte, und sagte danach zu mir: Spinnst du, das ist doch nur Theater. Das war für mich damals nicht nachvollziehbar. Mittlerweile sage ich das auch oft Schauspielern, wenn sie eine Krise haben: Komm jetzt, es ist nur Theater.


KARIN BEIER geb. 1965, von Theater heute zur besten Nachwuchsregisseurin gewählt. ist Intendantin des Kölner Schauspiels, ab 2013 Leiterin des Schauspielhauses Hamburg.

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