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MICHAEL
BLUMENTHAL »Der Vizekonsul gab mir
ein Visum für die USA«

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MICHAEL BLUMENTHAL ÜBER SEINE FLUCHTVOR DEN NAZIS UND SEIN LEBEN IN DEUTSCHLAND

21. Oktober 2010

Das Gespräch führte ljoma Mangold

Herr Blumenthal, Sie hatten ein dramatisches Leben: Sie mussten 1939 aus Berlin nach Shanghai fliehen, 1947 wanderten Sie in die USA aus. Gab es einen Moment, von dem Sie sagen: Das war meine Rettung?

Meine Rettung war John Stutesman, der Vizechef des amerikanischen Generalkonsulats in Shanghai, der mir ein Einwanderungsvisum für die USA gab. Das hat mein Leben verändert. Die Jahre in China waren nicht leicht: Als Staatenloser durfte ich nichts tun, ich vegetierte vor mich hin. Nicht einmal Kanada, dieses riesige Land mit wenigen Einwohnern, ließ mich einreisen. Meine Rettung war, dass Präsident Truman irgendwann sagte: Jetzt lassen wir aber wenigstens die Überlebenden rein. Und dann hat der Konsul mir das Visum gegeben.

Wie war Ihr Start in den USA?

Ich kam in San Francisco an. Eine Woche später hatte ich einen Job, ein paar Monate später war ich am College. Ich wusste: Jetzt kannst du was aus dir machen! Ich studierte tagsüber, und nachts arbeitete ich in einem Hospital, wo ich den Aufzug bediente. Da las ich immer meine Bücher aus der Uni. Die Ärzte hörten meinen Akzent, sahen die Bücher und fragten: Was machst du? Wo kommst du her? Und ich sagte: Ich bin ein Exdeutscher, gerade erst nach der Flucht hier angekommen, ich gehe zum City College und studiere Ökonomie. Und sie sagten: »Good for you, my grandfather came from Ireland, my mother from Italy.« Sie waren selber Einwandererkinder. Da hat keiner auf mich herabgesehen, nur weil ich arm war und erst seit Kurzem da.

In Amerika kann man sich leichter neu erfinden als etwa in Deutschland, heißt es. Das stimmt nach Ihrer Erfahrung?

Die Möglichkeit, aufzusteigen, ist viel größer. Ich kam mit einundzwanzig Jahren in die USA, mit siebenunddreißig war ich stellvertretender Sonderbeauftragter für Handelsfragen im Rang eines Botschafters.

Wie nehmen Sie Deutschland heute wahr?

Es wandelt sich. Ich sehe mit Freude, dass Deutschtürken im Bundestag sitzen. Die Deutschen realisieren es noch nicht ganz, aber Deutschland ist dabei, eine multiethnische Gesellschaft zu werden. Doch auch ich muss zugeben: Wenn ich in der Berliner U-Bahn eine schwarze Dame sehe, und sie sagt zu ihrem Kind auf Deutsch: »Putz dir doch mal die Nase!«, muss ich zweimal hingucken.

Wir Deutschen träumen von der Verbindung von Bildung und Besitz. Dabei scheint es das in den USA viel häufiger zu geben als bei uns – und Sie verkörpern diesen Typus.

In Deutschland ist er von den deutschen Juden verkörpert worden. Die wurden aber nie als Deutsche anerkannt – egal, wie preußisch sie sich fühlten. Deutschsein wurde zu lange ethnisch definiert. Die Deutschen haben noch heute Schwierigkeiten, einen Deutschtürken als Deutschen anzuerkennen. Die sagen erst mal: Das ist ein Türke. In Amerika gibt es auch Vorbehalte gegen Einwanderer. Aber wenn sie erst mal die Staatsbürgerschaft haben, gilt: We are all Americans. Das ist hier noch anders. lgnatz Bubis erzählte die folgende Geschichte: Bei einem Empfang, auf dem der deutsche und der israelische Präsident gesprochen hatten, kam ein hochrangiger deutscher Beamter auf ihn zu und sagte: Ihr Präsident spricht ja wunderbar. Und Bubis antwortete: Ja, der Herr Herzog spricht immer sehr schön. Darauf der Beamte: Nein, nein, nein, ich meinte Ihren Präsidenten!

Als Direktor des Jüdischen Museums: Wie empfinden Sie das Verhältnis von Deutschen und Juden?

Es ist noch immer nicht unkompliziert. Die Nichtjuden sind so bemüht, die Juden nicht vor den Kopf zu stoßen. Immer kommt dann dieser Satz: Sie können das sagen, wir nicht. Das passiert mir dauernd.

Fühlen Sie sich in Deutschland jüdischer als in den USA?

Ja. Ich komme als Amerikaner an und fahre als Jude wieder weg. Hier fühle ich mich als Jude, denn es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit jemandem zusammen bin, der mir auf subtile Art zu verstehen geben will, dass er meine Herkunft kennt – er meint es als nette Geste.

Gibt es für Sie einen Schlüssel zu einem glücklichen Leben?

Es geht darum, dass man keine Rolle annimmt, die gar nicht zu einem passt. Meine Erfahrung ist: Man kommt am weitesten, wenn man den Leuten nichts vormacht.

Sie hatten damit nie Schwierigkeiten?

Doch. Das Taktieren, die Menschenkenntnis, das Gefühl für die Macht, all das braucht es schon. Aber man kann trotzdem jemand sein, dem die Menschen vertrauen.


WERNER MICHAEL BLUMENTHAL wurde 1926 in Berlin geboren, seine jüdische Familie floh 1939. Er studierte in San Francisco und Berkeley. In den sechziger Jahren arbeitete er für das US-Außenministerium; von 1976 bis 1979 war er US-Finanzminister. Seit 1997 leitet er in Berlin das Jüdische Museum. 2010 erschien seine Autobiografie In 80 Jahren um die Welt.

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