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KAPITEL 3

SOMMERPAUSE

Bevor wir die Ankündigung von Helmut Schulte wahr machten und unten mitspielten, fuhr ich für ein paar Tage nach Tutzing zu einer Konferenz an den Starnberger See.

Zum ersten Mal seit vielen, vielen Wochen schien die Sonne wieder warm vom Himmel. Nun plötzlich, nach dem arktischen Winter und den sich anschließenden täglichen Wolkenbrüchen, war es in Deutschland endlich Sommer geworden. Nachts im Hotel konnte ich das Fenster nicht aufmachen, weil sich dann Schwärme von Stechmücken in meinem Zimmer eingenistet hätten. Wahrscheinlich lauerten Kolonien der Plagegeister unten am Seeufer und warteten nur darauf, dass ich, der Mann mit dem süßen Blut auf Zimmer 252, das Licht anund die Balkontür aufmache, um mich anzugreifen und auszusaugen.

So lag ich nachts lange wach und stand morgens um fünf Uhr auf, um in meiner schwarzen FC-St.-Pauli-Unterhose mit Totenkopf-Emblem in den See zu steigen und eine Runde zu schwimmen.

Gegenüber, am anderen Ufer, war der schwule Bayernkönig Ludwig II. im Jahr 1886 ein für alle Mal in die Fluten des Starnberger Sees gestiegen und ersoffen. Somit war das Königreich Bayern für ein schlappes Jahrhundert skandaltechnisch gesehen von der Bildfläche verschwunden, bis es dann von Franz Josef Strauß, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, Rudolph Moshammer und dem Schwaben Uli Hoeneß wieder wachgeküsst wurde.

In diesen Tagen erfuhr ich nichts vom FC St. Pauli, außer wenn Thomas Meggle mich anrief und über die jüngsten Ereignisse am Millerntor und an der Kollau berichtete. Ich hatte in Bayern während der Tagung eine Woche lang so gut wie mit niemandem gesprochen, außer an den Tagen und Abenden, an denen ich zu einer befreundeten Familie in Tutzing eingeladen war, die ich über Annette Rückert von der „FAZ“ kennengelernt hatte.

Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken über meine Krankheit und all das, was in den letzen zwei Jahrzehnten geschehen war.

Noch vor dem Spiel gegen die Argentinier fuhr ich wieder zurück nach Hamburg. Die Argentinier waren mein Favorit auf den Weltmeistertitel.

Zudem mochte ich Diego Maradona, nicht zuletzt, weil er ein so schräger Typ war, und auch, weil er mit Fidel Castro befreundet ist. Und noch mehr mochte ich Lionel Messi. Der war für mich der beste Fußballspieler der Welt.

In Südafrika lief seit Tagen die WM. Das Spiel gegen die Argentinier wollte ich mir in meiner Wohnung in Dahme an der Ostsee ansehen. Vor dem Spiel saß ich quer in einem Strandkorb, um der mörderisch heißen Sonne zu entgehen, und las meine Lieblingszeitungen, die „Süddeutsche“ und die „ZEIT“.

In der Ferne hatten die Farben des Sommers Bilder wie aus der Südsee gemalt: Wie auf eine Wäscheleine gezogen, schien die Insel Fehmarn über dem Meer zu schweben. Bis in die Abendstunden hinein strich ein sanfter heißer Sommerwind vom Dorf hinüber auf die Ostsee. Die Strandkörbe im hellen Sand waren leer. Auf der Dahmer Seebrücke stand ein einsamer Angler, dessen Konturen sich dunkel gegen das im Sonnenlicht glänzende Meer abhoben. Nach dem Sieg gegen die Argentinier jagten die Fans am Strand Raketen in die Luft. Noch lange nach Mitternacht hörte man die Gesänge der Jugendlichen an der Promenade.

Am nächsten Mittag fuhr ich hinüber nach Neumünster ins Stadion an der Geerdtstraße. Dort spielte der FC St. Pauli zum 100. Jubiläum des VfR Neumünster auf. Mein ständiger Wochenend-Fußballbegleiter Gerd Sprotte war schon da und wartete an der Würstchenbude auf mich. Ich unterhielt mich vor Spielbeginn mit Florian Lechner, Marcel Eger und Fabian Boll. Flo hatte die Haare ganz kurz geschnitten, und Marcel war wie immer blendend gelaunt. Marcel Eger ist der freundlichste Fußballer, den ich je kennengelernt habe. Fabian berichtete von den Strapazen des Trainingslagers in Schneverdingen/Lüneburger Heide.

Insofern war es verständlich, dass in den ersten 45 Minuten kaum ein Unterschied zwischen den Veilchen aus der Arbeiterstadt und Braun-Weiß zu sehen war. Mit einer mageren 1:0-Führung ging der FC St. Pauli in die Kabine. Ich war überrascht davon, wie wenig Zuschauer aus Hamburg nach Neumünster gekommen waren. Mit Ausnahme von Boller wechselte Stani die gesamte Mannschaft nach der Halbzeit aus. Boller schien mir einmal mehr verbessert gegenüber den letzten Spielen in der zweiten Liga: Er war der beste Mann auf dem Platz. Nun spielte auch Gerald Asamoah, und das Spiel lief deutlich flüssiger. Die Veilchen aus der Stadt, in der Hans Fallada im Knast gesessen hatte, mussten mit zunehmender Spielzeit der Hitze Tribut zollen. Am Ende stand es 6:0 für den FC St. Pauli. Die Zuschauer waren nicht gerade begeistert gewesen von den Leistungen des Aufsteigers. Einzelne Spezialisten unkten, dass die Mannschaft vom Millerntor ein sicherer Absteiger sei.

Die Weltmeisterschaft in Südafrika ging weiter. Die Deutschen standen im Halbfinale, und nur Krake „Paul“ aus dem Oberhausener Zoo hatte das Desaster vorhergesehen. Gegen die Spanier schieden wir aus. Spanien wurde dann verdient Weltmeister gegen unsere holländischen Nachbarn.

Im Verlag war alles ernst und schwierig im Sommer des Jahres 2010.

Nach dem Ärger, den mein Artikel über die Gefährdung der Pressevielfalt im Frühjahr in der Branche ausgelöst hatte, und auch wegen meiner Erkrankung wollte ich nicht länger arbeiten als unbedingt nötig.

Mir lag daran, die Sache anständig abzuschließen. Immerhin war ich nun über 20 Jahre für die Ganske Verlagsgruppe tätig. Der Jahreszeiten-Verlag war zwei Jahrzehnte lang „mein“ Verlag gewesen, und dem Inhaber fühlte ich mich freundschaftlich verbunden. Nun drängten andere ans Ruder, deren Vorstellungen ich in einigen wesentlichen Punkten nicht teilte. Die sollten dann mal sehen, wie sie ohne mich klarkommen würden.

Ich wollte zum nächstmöglichen Zeitpunkt in Rente gehen. Auf den Rat meiner Schwester Ingeborg wandte ich mich an die Rentenberatungsstelle in Norderstedt. Als ich dort vorsprach, beantwortete mir eine freundliche junge Dame alle Fragen innerhalb von 20 Minuten. Mein Entschluss stand fest. Im Laufe des Jahres 2011 würde ich endlich das tun, was mir schon als Schüler in der zehnten Klasse stets vorgeschwebt hatte: Mich nur noch mit Fußball beschäftigen und sonst nichts tun. Ich spürte: Jetzt war ich endlich ganz nah dran. Niemand würde mich daran hindern, mein Lebensziel zu verwirklichen. Außer vielleicht meine Krankheit.

Bei einem sonntäglichen Frühschoppen im „Shamrock“ schlug Henning vor, dass wir am Mittwoch, den 4. August, doch gemeinsam mit den Rädern nach Eutin zum Freundschaftsspiel fahren könnten.

Das sei zwar nicht die von mir ersehnte Fahrt nach Eckelshausen zum 100-jährigen Jubiläum des dortigen SVE, aber Eutin fange doch auch mit E an. Der Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung. Kai, Henning, Jasper und ich würden am 4. August mit den Fahrrädern nach Eutin fahren, in Eutin auf einem Zeltplatz nach dem Spiel übernachten und am Donnerstagmorgen die Heimreise antreten. Von Henstedt bis Eutin waren es knapp 80 Kilometer. Die konnte man an einem Tag mit dem Fahrrad gut schaffen, wenn man ab und zu eine Pause einlegen würde.

Wir kommen wieder!

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