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Einführung

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Das Bild »feindlicher Schwestern«, das Seiffge-Krenke zum Beschreiben der Beziehung zwischen Psychoanalyse und Entwicklungspsychologie nutzt, weist auf die natürliche Verbundenheit und auf ein – in Phasen der Entwicklung vielleicht notwendiges – Bemühen um Abgrenzung und Unterschiedlichkeit hin.

Aus Sicht eines Psychoanalytikers stellt Bohleber (2011) enttäuscht eine Abnahme des Interesses der Psychoanalyse an entwicklungsspezifischen Fragen fest. Die Entwicklungspsychologie habe sich »zu einer rein empirischen Forschungsrichtung entwickelt, deren Ergebnisse nicht mehr leicht an klinisch-psychoanalytische Konzeptualisierungen zurückzubinden« seien (S. 769). Diese Beschreibung steht im Gegensatz zu dem Erfolg psychoanalytisch ausgerichteter Bücher zur Entwicklung von Kindern (z. B. von Martin Dornes, 1993, [14. Aufl. 2015] »Der kompetenten Säugling«), in denen entwicklungspsychologische Forschungsergebnisse für eine psychotherapeutisch und pädagogisch interessierten Öffentlichkeit zusammengefasst und diskutiert werden.

Die Bedeutung der Entwicklungspsychologie und der Ergebnisse aus anderen Bezugswissenschaften werden aus verschiedenen Perspektiven der Psychoanalyse unterschiedlich beschrieben:

• Aus empirisch wissenschaftlicher Perspektive ist die Entwicklungspsychologie eine wichtige Möglichkeit, klinische Arbeitsmodelle zu bestätigen.

• Aus hermeneutischer Sicht dienen entwicklungspsychologische Modelle als Grundlage für Theorien und Interventionen. Die Rekonstruktion einer individuellen Entwicklung kann sich dabei von empirisch gewonnenen Entwicklungsmodellen unterscheiden. Widersprüche bleiben dann ein Anlass zu weiterer Nachforschung.

• Aus der Sicht einer hermeneutisch-konstruktivistischen klinischen Arbeit können entwicklungspsychologische Konzepte als nicht relevant für die psychoanalytische Behandlungspraxis betrachtet werden. Hier wird aus den Erinnerungen Erwachsener in der klinischen Arbeit kindliches Erleben rekonstruiert. Ein so »rekonstruiertes Kind« und das »Kind der empirischen Entwicklungsforschung« haben dann wenig oder nichts miteinander zu tun.

Das Einnehmen einer entwicklungspsychologischen Perspektive ist in der klinischen psychoanalytischen Arbeit oft mit der Betonung eines aktiven lebenslangen Prozesses der Bewältigung von Konflikten verbunden. In der Gegenwart ist die Vergangenheit enthalten. Die Bewältigung vergangener Entwicklungsaufgaben stellt sich in der analytischen Situation dar und kann nachträglich neu und auch anders verstanden werden. Ein Verstehen der Verbindungen zwischen aktuellem Erleben in der analytischen Situation und der eigenen Entwicklungsgeschichte ergibt einen individuellen Sinn. Analysanden können Vergangenes dann umfassender reflektieren und brauchen es nicht mehr in alter Form zu wiederholen. Eine entwicklungspsychologische Perspektive ist daher nicht allein auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart und auf eine Zukunft hin ausgerichtet.

Entwicklungspsychologische Grundlagen der Psychoanalyse

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