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Magisches Flaschendrehen

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Julius stieg die steile Wendeltreppe nach oben und musterte seine Umgebung. Es war still in der Bibliothek, nur vereinzeltes Räuspern war zu hören. Im dritten Stock standen mehrere Computer. Julius zählte sechs Besucher, die angestrengt auf die Monitore stierten. Das adrett gekleidete Skelett las sich einen alten Zeitungsartikel durch, während die matschige Schlamm-Hexe am nächsten PC anscheinend nach Rezepten für einen delikaten Krötenauflauf im ScaryNet suchte. Neben den sechs Besuchern an den PCs saßen noch vereinzelte Besucher in den Sesseln und stöberten in Büchern. Julius grüßte beim Vorbeischlendern und nahm leise Grüße sowie Knurr- und Zischlaute wahr. Endlich stand er vor dem Büro des großen Lektors.

»Kein Zutritt!«, »Unerlaubter Zutritt verboten!«, »Termin nur bei Anmeldung im Eingangsbereich!«, war auf mehreren Schildern geschrieben und Julius schluckte.

Ob das wirklich so eine gute Idee war?

Wie um seine Zweifel zu untermauern, ertönten plötzlich wüste Flüche und Beschimpfungen aus dem Büro.

»Das ist mir doch völlig egal. Es waren Schüler IHRER Schule, Draco. Ich will die Vase ersetzt haben!«

Julius wartete an der Tür und lauschte angestrengt, bis die Beschimpfungen weniger wurden und das Gespräch mit einem »Dann gibt es für die halt Hausverbot!« beendet wurde. Julius schnaufte kurz durch und klopfte zaghaft an der Tür.

Keine Antwort.

Julius klopfte noch mal. Dreimal. Tock, tock, tock.

»Verdammte Drei … jetzt fange ich auch schon damit an!«, knirschte er in sich hinein.

Wieder keine Antwort.

Julius nahm seinen Mut zusammen und öffnete langsam die Tür.

»Herr Donatus? Großer Lektor? Hätten Sie vielleicht einen Mom…«

KRACH!

Julius duckte sich gerade noch unter dem schweren Buch (»Erziehungsratgeber für Scheidungs-Hexen«) hindurch und stolperte vornüber in das Büro des großen Lektors. Mit einem weiteren Knall schloss sich sogleich die Tür hinter ihm.

Julius rappelte sich auf und erblickte Donatus, der hinter seinem Schreibtisch saß und ihn wütend anstierte. Julius hatte ihn erst einmal gesehen. Damals, als Julius und andere Klassenkameraden in der Bibliothek waren, um für ein Referat über billige asiatische Grabsteine zu recherchieren, hatte er ihn nur flüchtig an der oberen Brüstung bemerkt. Der alte Donatus war ein großer, hagerer Mann im fortgeschrittenen Alter (also ca. 483 und somit in Menschenjahren Anfang 50) und hatte ein wettergegerbtes, wildes Gesicht. Tiefe Falten, ein ebenso buschiger wie ungepflegter Bart und eine leicht gerötete Nase zeichneten sein Antlitz. Julius bemerkte auch eine tiefe Narbe über dem rechten Auge. Donatus trug einen abgewetzten Zaubermantel und Julius konnte das ausgeblichene Abzeichen des Schreckritterordens darauf erkennen: ein Totenschädel mit rot glühenden Augen, Fledermausschwingen und gekreuzten Schwertern. Julius’ Blick wanderte weiter und entdeckte einen Teil der Schreckritterrüstung sowie eine taktische Weste der ISK-Einheit auf einem Ständer im hinteren Teil des Büros. Zwischen zwei alten Regalen voller Bücher und seltsamer Gegenstände hing ein schwach glimmendes Zauberschwert an der Wand. Der Totenkopf-Knauf und das hellblaue Schimmern um die Klinge ließen keinen Zweifel zu: Dies war eine Seelenklaue, die magische Waffe eines Schreckritters.

»Was bildest du dir ein, hier einfach hereinzuplatzen? Kannst du nicht lesen? Ihr verdammten jugendlichen Faulpelze mit euren Smartphones und eurer Sucht nach diesem elenden ScaryNet – keine Bildung, kein Benehmen!« Donatus schnaubte verächtlich und hob das Buch auf, das er nach Julius geworfen hatte. Mit einem Rascheln seines abgewetzten Zaubermantels riss er den linken Arm hoch und murmelte ein paar unverständliche Worte, worauf das Buch langsam in das Regal zurückschwebte.

»Großer Meister Donatus … Herr … Lektor …«, stammelte Julius. »Es tut mir sehr leid, ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Ich brauche Ihre geschätzte Hilfe bei einer Aufgabe.«

Donatus griff nach einer große Flasche mit einem lebendigen Schlangenkopf als Korken. Mit einem »Fuuump« zog er den fauchenden Schlangenkopf von der Flasche und nahm mehrere tiefe Schlucke von dem gelblich schimmernden Gebräu. Er ließ sich in seinen Ohrensessel fallen und rülpste.

»Soso, der kleine Herr Vampir mit nur einem Fangzahn braucht also meine Hilfe. Hast du dein Smartphone verloren? Beim Rambot-Tsu auf einen dieser geschleckten Schönlinge gesetzt und verloren? Bist du auf Monstagram nicht mehr angesagt oder verwandelst du dich in einen Werwolf, wenn dir ein Mädchen zuzwinkert?« Er lachte schnaubend über seine eigenen Witze und Julius schürzte verärgert die Lippen. Und woher wusste Donatus überhaupt das mit seinem einzigen Fangzahn?

»Herr … Meister Donatus, ich stehe vor einer sehr wichtigen Aufgabe. Sie müssen mir helfen!«, sagte Julius in fast flehendem Ton und ärgerte sich insgeheim darüber, wie er den alten Trinker umschmeicheln musste.

»Einen feuchten Ghoul-Dreck muss ich, du kleiner Vampirbleichling!«, knurrte Donatus böse und nahm einen weiteren Schluck. »Ihr kommt hier in meine Bibliothek, seid laut, habt keinen Respekt vor den Büchern, der Geschichte und den alten Legenden. Euch geht es nur um eure Vergnügungen und euren Spaß. Die Sucht nach diesen ganzen technischen Spielereien lässt euch gar nicht merken, dass ihr immer dümmer und ignoranter werdet.« Donatus rülpste verächtlich. »Verschwinde aus meinem Büro und hol dir bei Frau Weberknecht deine Bücher ab, die du für irgendein dämliches Schulreferat brauchst. Und sag Lord Draco, er und seine Schule für beschränkte Gruselheimer schulden mir eine Medusen-Vase!«

Julius senkte den Kopf und drehte sich Richtung Tür, als ihm etwas einfiel.

»Meister Donatus … großer Lektor … die Hexe Cassandra schickt mich. Sie sagte, Sie würden mir helfen!«

Donatus sprang regelrecht aus seinem Sessel auf. »Was hast du gesagt, Kleiner? Lady Cassandra schickt dich? Beschreib sie mir, los. SOFORT!«

Ja doch, chillen Sie mal, dachte sich Julius und beschrieb die Hexe: »Groß, schwarzes Kleid, superhübsches Gesicht, kommt und geht in rosa Wolken und lässt dauernd fiese Sprüche ab.«

Donatus packte Julius an den Schultern und zog ihn so nah an sich heran, dass Julius den übel nach Alkohol riechenden Atem wahrnahm. »Das ist sie. Wie kommt es, dass eine kleine Vampir-Nervensäge wie du Umgang mit der edlen Lady Cassandra hat?«

Julius befreite sich, zog seinen Hoodie gerade und grinste. »Na ja, Lady Cassandra und ich sind alte Freunde. Sie hilft mir, ich helfe ihr … so chilliges Hexen-Zeugs halt.«

»Erzähl keinen Quatsch, ich glaub dir kein Wort!«, raunte Donatus.

»Das hat sie auch gesagt und mir deshalb das hier für Sie mitgegeben.« Julius kramte in der Tasche seines Kapuzenpullis, holte den silbernen Schlangenarmreif hervor und reichte ihn dem alten Donatus.

»DAS IST DOCH … Was ist das denn jetzt für ein …«

Weiter kam der mürrische Zauberer nicht, denn urplötzlich erwachte der Armreif zum Leben. Die silberne Schlange fuhr in Sekundenschnelle um den Hals des Zauberers und der zischende Kopf kam bedrohlich nahe an sein Gesicht heran.

»Du alter versoffener, mieser Stinkstiefel!«, fauchte eine Stimme und Julius blickte ebenso erstaunt wie der vor Schreck erstarrte Donatus. Es war die Stimme der Hexe Cassandra, mit der die silberne Schlange sprach. »Es war ja völlig klar, dass dir mal wieder alles an deinem traurigen Hintern vorbeigeht und du dich im Selbstmitleid suhlst. Dieser Junge hier ist der neue Legator von Draco und du weißt, was das heißt! Wir haben jetzt zwei Optionen, Kasti. Option A: Du hilfst dem kleinen Vampir bei seiner Aufgabe. Treib deine Spielchen, mach deine Wetten; mir völlig egal. Aber du wirst ihm dabei helfen. Sollte dies nicht geschehen, tritt Option B in Kraft. Ich verrate dir nicht zu viel, immerhin ist ein Kind anwesend. Aber Option B hat auf jeden Fall etwas mit deiner zukünftigen Anstellung in Schockzahn, Wulferniten und einem hässlichen alten Fluch zu tun.«

Donatus wurde bleich und schaute mit einer Mischung aus Wut und Angst auf den Armreif. »Schockzahn … Wulferniten … Fluch«, stammelte er und aus seinem wettergegerbten Gesicht war sämtliche Farbe gewichen. Julius konnte nicht sagen, ob der um den Hals des Zauberers gewundene Schlangenreif oder die Drohung der Hexe dafür verantwortlich waren. »S… Sch… Schon gut … Lady Cassandra … schon gut. Ich helfe dem Kleinen. Versprochen!«

Sogleich lockerte sich der silberne Schlangenkörper und Lady Cassandras Stimme ertönte. »So ist es brav, lieber Kasti. Stell ihm deine Aufgabe und gib ihm eine Chance. Denk daran: Ich beobachte dich!«

Damit löste sich der Armreif und die Schlange schwebte nun vor dem Gesicht des hustenden Zauberers.

»Verdammt noch mal, Cassandra!«, schimpfte Donatus sofort. »Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich um den kleinen Beißer hier zu kümmern. Können wir nicht …« Donatus wurde unsanft von der Schlange unterbrochen, die ihr silbernes Schwanzende in eines der Nasenlöcher seiner knolligen Säufernase steckte und ihn hochdrückte, dass er auf den Zehenspitzen stehen musste.

»Nein, können wir nicht! Er ist DER neue Legator der Schule und hat eine Aufgabe, bei der DU ihm helfen wirst. Ich bin mir sicher, das Trinken und Den-alten-Zeiten-Nachtrauern werden auch mal warten können«, säuselte Cassandras Stimme und wurde von einem bedrohlichen Zischen begleitet.

»Alles gut … alles gut. Hast gewonnen.«

Die silberne Schlange nahm ihr Schwanzende von Donatus’ Nase und schwebte in die Mitte des Büros. »Na dann, Jungs. Ich wünsche euch viel Spaß. Julius, viel Glück bei allem. Und Kasti: War schön, dich mal wiederzusehen, Süßer!«

Mit einer kleinen Verpuffung verwandelte sich die Schlange zurück in einen Armreif und Julius stand allein mit Donatus in dessen Büro.

»Jaja, verdammtes Hexenweib. Kleiner, du solltest dich wirklich um einen besseren Umgang bemühen.« Donatus ließ sich keuchend in seinen Ohrensessel fallen.

»Ääähm ja, da haben Sie wohl recht. Meine Mama mag die Lady Cassandra auch nicht so gerne«, sagte Julius leise.

»Lady … pffft!« Donatus lachte verächtlich auf und griff nach der Flasche. »Cassandra ist ein hinterhältiges Miststück und sogar für eine Hexe echt durchtrieben. Aber nun sind wir hier. Schön, schön. Hat der alte Blutsauger Draco dich also zum Legator auserwählt. Ich muss meinen Eid gegenüber der Hexe erfüllen und dir helfen – ob ich will oder nicht.«

Julius hatte viele Fragen an Meister Donatus, aber eine davon beschäftigte ihn, seit sich Lady Cassandra aus der Wohngruft gezaubert hatte.

»Meister Donatus, was hat es mit dieser Legatoren-Sache auf sich? Ich meine … ist doch bloß ein Amt wie Klassensprecher oder Streitschlitzer … oder Schulsanitäter … oder Tafeldie…«

»Du hast echt keine Ahnung, oder, Junge?« Donatus ließ sich tiefer in seinen Sessel sinken und stierte in sein magisches Kaminfeuer. »Der alte Draco hat da so eine romantische, aber hoffnungslose Idee und du bist nun ein Teil davon. Leider hast du wie viele andere deines Alters keine Ahnung, was um euch herum passiert.« Er nahm einen weiteren großen Schluck und lächelte dann plötzlich. »Aber wer sagt, dass diese unliebsame Angelegenheit keinen Spaß machen darf? Kleiner, spielst du gerne?«

Donatus blickte Julius mit funkelnden Augen an.

»Ääähm … klar. Mit Flap spiele ich gern Totenkopf-Tennis, im Schulsport bin ich ganz gut im Leichen-Rugby und … na ja … ich spiele viel auf meiner GraveStation 4.«

»Soso, also auch ein Spieler. Sehr gut.« Donatus knallte die Flasche auf den Tisch und stand plötzlich auf. »Nun denn, so soll es sein. Nenne mir dein Anliegen, kleine traurige Vampirkreatur mit nur einem Fangzahn.« Mit einer beinahe schon feierlichen Geste breitete Donatus seinen Mantel aus und baute sich vor dem verdutzten Julius auf.

»Puh, na dann … ääähm … also … Ich brauche ganz dringend ein Zauberpasswort und eine magische Karte, damit ich den magischen Thalbion-Spiegel benutzen kann. Ginge das denn?«, fragte Julius und lehnte sich an den schweren Eichentisch.

Donatus grinste hämisch. »Du willst einen höchstwahrscheinlich nicht registrierten Thalbion-Spiegel nutzen und brauchst dazu ein Zauberpasswort und eine Karte? Habe ich zufällig erst neue bekommen. Aber die verschenke ich natürlich nicht einfach so, Kleiner. Schon gar nicht an blutsaugende kleine Vampir-Teenager, die mir eine verdammte Furia-Hexe auf den Hals schicken.«

Julius hob kurz den Finger. »Aaalso … eigentlich trinke ich kein Blut!«

»Mir doch egal«, entgegnete Donatus unwirsch. »Spielen wir drum. Ganz einfache Sache. Wenn du meine Aufgabe löst, bekommst du von mir das volle Lady-Cassandra-Dankbarkeitspaket mit Zauberpasswort für ihren Spiegel samt Bonus. Solltest du scheitern … uuuh, Kleiner … solltest du scheitern …« Donatus’ Stimme wurde leiser und er schaute Julius durchdringend an.

»Ääähm, Höllenqualen? Sie verwandeln mich in eine Flasche Schlangen-Alk und trinken mich? Sie teleportieren mich nach Schockzahn? Werfen mich einem Rudel Farchons zum Fraß vor?« Julius schwitzte und er spürte einen Kloß im Hals, als er sich immer schrecklichere Dinge ausmalte.

»Hahaha, Kleiner. Wo denkst du denn hin? Nein, du bekommst natürlich Hausverbot in meiner Bibliothek und ich bin diesem gemeinen Hexen-Luder nichts mehr schuldig. Nie mehr. Ist das klar? Haben wir einen Deal?« Donatus streckte seine Hand dem Jungen entgegen.

Julius schlug ein. »Alles klar. Wir haben einen Deal!«

Ein Zischen ging durch seine Hand und Julius spürte einen kurzen Schmerz; wie einen kleinen Stromschlag.

»Somit ist es besiegelt … hahahahaahahaaaaa!!! Wer hätte gedacht, dass dieser Mond-Tag noch einen solchen Verlauf nimmt. Schon bald bin ich diese elende Hexenschuld und den Fluch los.« Donatus blühte förmlich auf und Julius wusste nicht, ob er sich mit dem griesgrämigen Zauberer freuen oder dies als schlechtes Omen für die bevorstehende Aufgabe sehen sollte. »Also dann, mögen die Spiele beginnen. Und zwar MEINE Spiele, hahahahahaaaaarr!«

Julius gefiel die hämische Lache des Zauberers ganz und gar nicht. Donatus holte eine weitere Flasche aus einem Regal. In ihr schwappte eine dunkle Flüssigkeit.

»Haben Sie heute nicht schon genug getrunken?«

Donatus lachte wieder schallend. »Das, mein kleiner Vampir-Schnösel, ist eine Arcadius-Flasche. Die gehört zu dem Spiel, also zu der Aufgabe. Es ist ganz einfach. Wir legen die Flasche jetzt auf den Tisch und drehen sie dreimal. Derjenige, bei dem sie zum Stillstand kommt, muss einen Schluck aus der Flasche nehmen.«

»Was habt ihr nur alle mit dieser verdammten Drei?«, maulte Julius. »Und dann? Was passiert dann?«

Donatus grinste. »Mit jedem Schluck offenbart uns der große Arcadius eine der möglichen Disziplinen, in denen wir gegeneinander antreten können. Das heißt, wenn die Flasche auf dich zielt, musst du trinken. Das, woran du dann gerade denkst, wird eine der drei möglichen Aufgaben sein, die du bewältigen musst. Bist du gut im Schwertkampf? Oder wie wäre es mit einem Drachenrennen?« Donatus lächelte bösartig. »Was es auch ist, Kleiner, ich schlage dich darin!«

Julius schluckte.

»Na dann. Los geht’s!«

»Halt!«, rief Julius. »Ich verstehe es nicht ganz. Wir werden also dreimal an eine Wettkampfdisziplin denken. Wer entscheidet, welche Disziplin gewählt wird?«

»Man sieht, dass ihr Kinder heute wirklich keine Ahnung mehr habt. Der große Arcadius, der Schutzgeist der Spieler, der Wetten und magischen Questen, wird am Ende selbst entscheiden, welche der drei Aufgaben er für angemessen hält.«

Julius überlegte und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er traute dem alten Halunken nicht und wollte lieber auf Nummer sicher gehen.

»Also, wenn ich das richtig verstanden habe, haben wir drei Versuche und immer, wenn die Flasche auf uns zeigt, denken wir an eine Wettkampfdisziplin. Aber letztendlich wählt dann dieser Arcadius aus, in welcher Disziplin wir gegeneinander antreten?«

Donatus karikierte einen Applaus und zeigte dann mit beiden Daumen nach oben.

»Für einen Vampir stellst du Zusammenhänge im Kopf recht schnell her. Und da heißt es immer, mit der Jugend geht es bergab.«

Er wischte mit einer magischen Handbewegung die Dokumente, Pergamente, Bücher und anderen Gegenstände vom Tisch und stellte die Arcadius-Flasche in die Mitte. Julius nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz, während Donatus seinen Ohrensessel gegenüber zurechtrückte.

»Bereit? Dann drehe ich jetzt. Oh großer Arcadius! Spaß, Vernichtung und Allerlei, gewähre uns der Versuche drei!«

Donatus nahm die Flasche und gab ihr einen kleinen Stoß. Die Flasche drehte sich erst langsam. Dann plötzlich schneller. Auf einmal wirbelte sie so wild, dass sie einen aus magischen blauen Funken bestehenden Kreis auf den Tisch zeichnete. Julius wunderte sich, dass kein Tropfen der dunklen Flüssigkeit verschüttet wurde. Mit einem Ruck stoppte die Flasche und zeigte auf den alten Donatus.

»Na dann!« Er grinste und nahm einen Schluck. Seine Augen wurden plötzlich weiß und sein Mund öffnete sich. Heraus kam weder ein hämischer Spruch noch seine Lache oder sonst ein Ton. Tropfen der dunklen Flüssigkeit strömten aus dem Mund des Zauberers und bildeten in der Mitte des Tisches schwebend ein Wort: Schwertkampf!

Julius schluckte und war wie gelähmt. Das war ja so was von klar. Wie sollte er gegen einen Schreckritter, der in den alten Kriegen gekämpft hatte, einen Schwertkampf gewinnen?

Die Augen des Zauberers wurden wieder normal und er grinste. »Ups … Schwertkampf. Haha.« Er schaute lächelnd auf das aus Flüssigkeit geschriebene Wort, welches noch immer über dem Tisch schwebte. »Weiter geht’s!«

Donatus griff erneut die Flasche und Julius konzentrierte sich.

»Oh großer Arcadius! Riesige Schätze, Tod und A llerlei: Zeig deine Gunst in Runde zwei!«

Wieder drehte sich die Flasche wild im Kreis und wieder stoben magische Funken von der Tischmitte weg. Die Flasche stoppte und zeigte – erneut auf Donatus. »Oje, ich fürchte, du hast heute kein Glück, Kleiner!«, grinste der Zauberer.

Julius war wütend. »Das ist doch unfair. Sie betrügen!« Er wollte schon aufstehen. »Ich hab keinen Bock mehr auf diesen Kram!«

Donatus wurde plötzlich ernst. »Setz dich sofort wieder hin. Ein Spiel des großen Arcadius spielt man immer zu Ende. Glaub mir, Kleiner, es ist besser für uns beide!«

Julius sah die ernste Miene und bemerkte, wie ein unruhiges Zittern durch die Flasche lief und sie auf dem Tisch klappern ließ. Das Klappern wurde lauter.

»Setz dich hin. JETZT«, rief Donatus beinahe ängstlich und Julius setzte sich zurück an den Tisch. Sofort verstummte das Klappern. Donatus nahm erleichtert die Flasche und trank daraus. Wieder wurden seine Augen weiß und aus seinem Mund schwebten Tropfen und bildeten ein Wort: Wetttrinken.

Julius schüttelte den Kopf und Donatus lächelte, als er sein Wort las. Nun schwebten bereits zwei Wörter über dem Tisch und standen für zwei Disziplinen, in denen Julius so gut wie keine Chance gegen den großen Lektoren hatte.

»Schön sitzen bleiben, Kleiner!« Donatus nahm erneut die Flasche und sprach den magischen Spruch: »Oh großer Arcadius! Unsägliche Qual, unendlicher Reichtum und Allerlei: Triff deine Wahl in Runde drei!«

Julius rollte mit den Augen. Es war klar, dass die Flasche auch ein drittes Mal auf den alten Säufer zeigte. Was hatte er sich eigentlich nur gedacht? Er könnte diesen ganzen Stress vermeiden. Er würde dem alten Draco nach den Sommermondferien sagen, dass das mit den drei Jugendlichen nicht funktioniert hätte. Er würde einen mächtigen Anschiss kassieren und ein paar Stunden auf die blöde Party gehen. Danach wäre alles wie immer, das Schuljahr würde starten und Julius würde ganz gelöst eine Runde Fork-Knight spielen und sich nicht mehr über Hexen, Schreckritter und magische Roadtrips den Kopf zerbrechen müssen. Immerhin konnte Lord Draco nicht einfach so einen Jugendlichen nach Schockzahn schicken. Oder doch?

Die Flasche stoppte plötzlich und zeigte – auf ihn! Julius war ebenso verblüfft wie der offensichtlich erstaunte Donatus.

»Na los, trink schon!«, blaffte der Zauberer.

Julius ergriff die Flasche, setzte sie vorsichtig an seinen Mund und nahm einen Schluck. Urplötzlich wurde es um ihn herum dunkel. Dunkle, aschgraue Wolken umwaberten ihn. Julius konnte nur noch den Tisch und die Flasche erkennen. Er spürte einen Schwindel und fühlte ein Brennen in seinem Mund. Verblüfft sah er, wie aus der Flasche weiterer dunkler Rauch quoll und Gestalt annahm. Vor ihm schwebte ein kleiner rundlicher Zauberer und grinste ihn an.

»Hallo, Julius Schlotterbeck, schön, dich zu sehen, hihi. Sieht ganz so aus, als dürftest du dir nun was auswählen, hihi!« Das pausbackige Gesicht des kleinen Zauberers verzog sich zu einem gutmütigen Lächeln.

»Sind Sie … der große Arcadius?« Julius stellte die Frage vorsichtig, wusste er doch von der Launenhaftigkeit mancher Zauberer.

»Der bin ich. Gestatten: Rufus Augustus Arcadius, Herr der Wettspiele, magischen Aufgaben und Schutzzauberer aller Glückspieler. Freut mich, dich kennenzulernen, und um es gleich klarzustellen: Lord Draco kann sehr wohl Jugendliche nach Schockzahn schicken. Hat er schon gemacht. Wird er wieder tun. Hihi.«

Julius schluckte und wunderte sich, woher der kleine Zauberer seine Gedanken kannte. »Ähm, gleichfalls. Ich heiße Julius. Julius Schlotterbeck. Aber das wussten Sie ja bereits«, sagte er.

»Du bist an der Reihe, Julius. Welche Disziplin wählst du? Ich bin schon ganz aufgeregt, hihi.« Arcadius lächelte und wippte vergnügt mit seinem schillernden Zauberhut.

Julius dachte angestrengt nach. Was konnte er? Worin war er wirklich gut?

»Die Zeit verrinnt; beeil dich, mein Kind!«, hörte er die Stimme von Arcadius.

Julius überlegte fieberhaft. Was liebte er? Wo machte ihm so schnell keiner etwas vor und schon gar nicht ein abgehalfterter Schreckritter? Plötzlich fiel es ihm wie Drachenschuppen von den Augen.

Natürlich. DAS war es!

»Nun?«, fragte Arcadius freundlich. Julius nannte ihm seine Disziplin und Arcadius riss erstaunt die Augen auf.

»Ooooooh, wirklich??? Ich habe in letzter Zeit sehr viel davon gehört. Das könnte spannend werden. Seit Ewigkeiten mal kein Schwert- oder Drachenkampf, Rambot-Tsu, Fußball oder Besenrennen. Die Spieler waren in den letzten Jahrhunderten immer sooooo langweilig. Das wird lustig, hihi!«

Arcadius schien begeistert zu sein und Julius lächelte erleichtert.

»Also, hat mich gefreut, Julius Schlotterbeck. Viel Glück bei deiner Reise und der Aufgabe, die vor dir liegt. Man spielt sich, hihi!«

»Halt, großer Arcadius! Noch eine Frage, wenn Ihr gestattet!«, rief Julius und Arcadius drehte sich um.

»Was wäre passiert, wenn ich einfach aufgestanden wäre? Wenn ich das Spiel unterbrochen hätte?«

Arcadius grinste.

»Nix Wildes, Julius. Es wäre ja nur der Bruch eines uralten Kodex gewesen und die Flasche wäre in einer kleinen magischen Explosion verpufft. Immernacht und alles Leben darin wären sofort in einem magischen Feuerball verglüht und es hätte Tausende Jahre gebraucht, bis die Magie hier wieder Leben eingehaucht hätte, hihi. Aber denk nicht darüber nach, ihr spielt ja weiterhin mein Spiel. Also, viel Spaß und wenn ich dir einen Rat geben darf: Nichts ist, wie es scheint. Ehre das Spiel und das Spiel ehrt dich, hihi.«

Arcadius löste sich auf und plötzlich wurde es wieder hell. Julius starrte auf Donatus, den Tisch und das neue Wort, welches neben den anderen zweien schwebte. Julius war ebenso erstaunt wie Donatus, als dieser ungläubig das letzte Wort vorlas: ForkKnight?

Die Schlotterbeck-Chroniken

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