Читать книгу Die Schlotterbeck-Chroniken - Herrn Mark Wamsler - Страница 13
ОглавлениеForkKnight
Kalter Wind schnitt in Julius’ Gesicht, als er erwachte. Sein Kopf schmerzte leicht und das Brausen des Windes machte es nicht besser. Er lag auf der Seite und alles an ihm fühlte sich irgendwie schwer an. Julius rappelte sich auf und erschrak bis ins Mark. Er saß in einem kleinen Luftschiff und befand sich wohl Hunderte von Metern über dem Erdboden. Zitternd lugte er über die Reling und blickte angestrengt durch die Wolken, die unter ihm dahinzogen. Er konnte eine riesige saftig grüne Landschaft erkennen, die ihm seltsam vertraut vorkam. Das Ziehen in seinem Kopf ließ nach und Julius sammelte seine Gedanken.
»Alles klar bei dir, Kleiner?«
Eine bekannte Stimme dröhnte plötzlich in ihm und er fasste sich verwundert an den Kopf. Doch anstatt seiner Haare fühlte er etwas Kaltes.
Julius tastete vorsichtig weiter und stellte erstaunt fest, dass er einen Helm aufhatte.
»Dachtest du wirklich, du sitzt bequem wie bei dir zu Hause in der Gruft vor deiner Spielkonsole und besiegst mich?«
Es war der alte Donatus, dessen Stimme hämisch in Julius’ Kopf lachte. Auf einmal kam die Erinnerung zurück. Der alte Halunke hatte einen Zauber gewirkt und nun befanden sie sich tatsächlich in dem Spiel ForkKnight. Julius sah an sich hinunter und bemerkte die typische Rüstung des Gabel-Ritters. Sie schimmerte anthrazit mit roten Akzenten. Er fasste nach hinten an seinen Rücken und, ja, festgezurrt in einer ledernen Scheide berührte er das Gabelschwert, die Waffe eines Gabel-Ritters. Ebenso geschockt wie fasziniert blickte sich Julius in dem kleinen Luftschiff um. Es war alles genauso wie im Spiel und Julius konnte neben dem Heulen des Windes den Motor hören, der leise vor sich hin tuckerte und die beiden Propeller antrieb.
»Na dann, du Profi, wir sehen uns unten. Möge der Bessere gewinnen!«
Julius knirschte mit den Zähnen, als er erneut Donatus’ Stimme im Kopf vernahm.
»Kein Headset, ich kann den Kerl nicht mal auf lautlos stellen!«, murmelte er und blickte erneut über den Rand. Er versuchte sich zu orientieren. Das Luftschiff war bereits sehr weit in das Spielgebiet vorgedrungen. Julius erkannte das kleine Waldstück, welches er für gewöhnlich als Startpunkt für eine Runde wählte. Normalerweise wäre Julius schon viel früher abgesprungen und nahe am Wald gelandet. Es hatte jedoch wertvolle Zeit gekostet, sich an die neue Situation zu gewöhnen, und Julius wusste, dass er sich beeilen musste, wenn er das Waldstück noch erreichen wollte. Er stellte einen gepanzerten Fuß an die Öffnung in der Reling und wollte gerade springen, da machte sich ein ziehendes Gefühl in der Magengegend bemerkbar.
»Moment, ich springe gleich aus einem fliegenden Luftschiff und werde dem Boden entgegenrasen. Was mache ich hier eigentlich?«
Julius nahm den Fuß wieder zurück und griff mit beiden Händen an die Reling. Schwindel überkam ihn und er blickte zum Horizont, wo er mehrere Segel anderer Luftschiffe ausmachte. Würde er auch im Spiel seine Vampirflugfähigkeiten besitzen?
»Was ist los, kleiner Beißer? Hast du plötzlich Angst vor deinem eigenen Spiel? Jetzt spring endlich und mach es mir nicht so einfach!«
Julius wünschte sich so sehr sein Headset herbei und schüttelte den behelmten Kopf.
»Ganz ruhig. Es ist alles nur ein Spiel. Es ist DEIN Spiel. Es ist ForkKnight«, murmelte er leise vor sich hin und stieg in die Öffnung. Das Brausen des Windes wurde lauter. Julius schloss die Augen. Er stellte einen Fuß ins Leere und beugte sich langsam nach vorne. Dann stürzte er in die Tiefe.
Der Wind dröhnte ohrenbetäubend in seinem Kopf und schnitt eiskalt in sein Gesicht, während Julius dem Boden entgegenraste. Er war schon durch die Wolken, als ihm plötzlich einfiel, dass sein Helm ja ein Visier hatte. Mit wackeliger Hand zog er es herunter und mit einem Mal stoppte der Schmerz der Kälte und es wurde ruhig. Plötzlich tauchten bekannte Statussymbole in seinem Sichtfeld auf. Julius erkannte die Energieleiste seiner Rüstung, seine Gabelschwert-Anzeige sowie den Prozentsatz seiner Schätze. Eine große Null prangte anklagend hinter dem Münzsymbol und Julius wusste natürlich, was zu tun war.
Sein Magen rebellierte leicht. Dieser Sturz war anders als ein Vampirflug, denn die schwere Rüstung fühlte sich real an. Donatus hatte an alles gedacht. Julius sauste einem Stein gleich der Landschaft entgegen und das mulmige Gefühl in seinem Bauch nahm zu.
»Bremsen … ich muss bremsen!«, blitzte es in Julius auf.
Doch gab es hier weder einen Controller noch eine Taste, die er drücken konnte, um den Fallschirm aus Drachenleder auf dem Rücken zu aktivieren. Der Boden kam immer näher und Julius erkannte sogar schon einzelne Details wie Sträucher oder Steinhaufen. Er bekam Panik. Nur noch wenige Meter, bevor er aufschlagen und in einem riesigen Krater das Spiel verlieren würde, ehe es richtig begonnen hatte.
»Bremsen! JETZT!« Julius schloss vor Angst die Augen und dachte angestrengt an den kleinen Schirm, mit dem die Gabel-Ritter immer dem Boden entgegenglitten. Ein Ruck durchfuhr ihn, er wurde kurz nach oben gerissen und als er die Augen öffnete, merkte er, dass er deutlich langsamer der grünen Landschaft entgegenglitt. Er blickte gen Himmel. Über ihm bauschte sich der Flickenfallschirm aus Drachenleder im Wind und Julius atmete lächelnd auf.
Er lenkte seinen Schirm in eine leichte Kurve und sah nun das Wäldchen vor sich. Mit einem dumpfen Schlag bohrten sich seine gepanzerten Stiefel in den Boden. Es gab ein kaum hörbares Klingeln, als kleine Pixel-Fragmente aufstoben. Er war tatsächlich in dem Spiel ForkKnight.
»Auch endlich unten?«, rief Donatus in seinem Helm und Julius erblickte nun auch die Statusanzeigen der restlichen Mitspieler. Donatus sowie zwei andere Mitspieler hatten schon Schätze gefunden und ihre Prozentanzeigen füllten sich.
Julius spurtete los. Zu seinem Erstaunen fiel ihm das Rennen trotz der Rüstung überhaupt nicht schwer und so erreichte er nach kurzer Zeit den Wald. Er blickte sich um und orientierte sich. Hier war er in seinem Element. Es war alles genau so, wie er es es von unzähligen Spielen zu Hause in seiner Jugendgruft gewohnt war. Da, die kleine Erhebung zwischen den Bäumen. Ein altes Grabmal. Dort würde er mit der Schatzsuche beginnen. Aber als Erstes galt es, Rohstoffe für seine Burg zu sammeln. Viele ForkKnight-Spieler machten den Fehler, erst Schätze zu horten, um derer dann beraubt zu werden, weil es keine Burg zum Aufbewahren gab. Julius wusste es besser.
Er griff hinter seinen Kopf und spürte das Heft des Gabelschwertes. Mit einem Ruck zog er die lange Klinge hervor und hieb sie in einen Baum. Die viergezackte Gabel an der Spitze des Schwertes glühte auf und der Baum zersprang in lauter kleine braune und grüne Pixel. Diese wurden sofort von der glimmenden Gabel eingesaugt und Julius stellte zufrieden fest, dass sich seine Rohstoffanzeige im Helmdisplay füllte. Er fällte noch fünf weitere Bäume und machte sich auf, Steine zu finden. Denn neben Holz brauchte es Steine, wollte man eine adäquate Burg zum Schutz seiner Münzen und Schätze errichten.
Julius wusste ganz genau, wo er suchen musste. Ein paar Steinhaufen weiter hatte sich seine Rohstoffanzeige ordentlich gefüllt und Julius rannte in Richtung der Anhöhe in der Mitte des Wäldchens. Dort würde er wie üblich seine Burg errichten und sich dann auf Schatzsuche begeben.
An der Stelle angekommen, dachte er konzentriert an den Vorgang, anstatt wie üblich eine Taste gedrückt zu halten, um den Bau zu beginnen. Dann hob er das Gabelschwert in die Höhe und winzige Pixel schossen aus den Zinken. Die Pixel wirbelten in einem Strudel umher und formten eine kleine Ritterburg. Zufrieden blickte Julius auf das Bauwerk und übertrug mittels seiner Gedanken weitere Rohstoffe. Um die Burg zu vollenden, erdachte Julius eine Zugbrücke, welche sich folgsam ausbildete und krachend schloss.
Julius wollte sich gerade dem ersten Schatz widmen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Als Vampir besaß Julius ausgezeichnete Reflexe und seine Fähigkeiten als Gamer verstärkten diese noch. So konnte er dem plötzlichen Schwerthieb des anderen Gabel-Ritters locker ausweichen. Der andere Gabel-Ritter hatte eine grüne Rüstung und hieb mit wilden Schlägen um sich. Julius erkannte blau glühende Augen in dunklen Höhlen hinter dem Helmvisier: das Skelett. Es fauchte wütend und schlug mit seinem Gabelschwert aufgebracht nach Julius.
»Wohooooo, immer langsam, Alter!«, grinste Julius.
Mühelos wich er den ungelenken Schlägen des grünen Gabel-Ritters aus.
»Jetzt bin ich aber dran!« Lächelnd duckte sich Julius unter einem hohen Schlag des grünen Ritters weg. Sein Konter folgte zugleich. Er deckte den grünen Ritter mit einer schnellen Schlagkombination ein. Die vertrauten Laute von Metall, welches auf Metall schlug, trieben Julius noch mehr an und er schloss mit einem Tritt zur Körpermitte des grünen Ritters.
»Das … ist … ForkKnight!«, rief Julius strahlend und setzte dem strauchelnden Gegner nach. Mit einem eingedrehten Schwertstreich leerte Julius vollends die Energieanzeige des grünen Ritters. Ein greller Blitz und der Gegner explodierte in einem Pixelregen und hinterließ einen Haufen von Rohstoffen und Münzen. Julius reckte lächelnd sein Gabelschwert in die Höhe und saugte die Beute ein. Sogleich füllten sich seine Rohstoff- und Schatzanzeigen.
»Das war aber nicht gerade nett von dir, Kleiner. Mr Knochenmann ist doch neu im Spiel!«, hörte Julius die Stimme von Donatus im Kopf.
Julius blickte sich um und als er sicher war, dass keiner der anderen Mitspieler in der Nähe war und den nächsten Angriff plante, entgegnete er: »Ich hoffe, Sie haben hier nicht nur Kanonenfutter. Wo sind Sie denn gerade, Meister Donatus?«
Julius hoffte, die Arroganz des großen Lektors würde ihm helfen, aber dieser erkannte seine Absicht.
»Netter Versuch, Kleiner. Wir sehen uns später, ich muss hier jetzt einen Schatz heben.«
Julius blickte auf die Schatzanzeigen der Gegner in seinem Helm und erkannte, wie die Anzeige des roten Ritters um 35 Prozent nach oben schoss. »Na warte!«, knurrte Julius. Er spurtete in die Richtung des Grabmales und kam in einer kleinen Wolke aus Pixelstaub zum Stehen. Mit einem Hieb seines Gabelschwertes schlug Julius die Steinplatte zur Seite (was ihm natürlich wieder Rohstoffe einbrachte) und schaufelte mit seiner Gabelklinge im Erdreich. Wie erwartet funkelte ihm nach kurzer Zeit goldenes Metall entgegen und Julius lud den Schatz mit seinem Gabelschwert in sein Inventar.
Auf dem Rückweg zu seiner Burg stellte sich ihm der gelbe Ritter in den Weg. Wild schreiend stürmte er auf Julius zu, sein Gabelschwert über dem Kopf erhoben. Julius erkannte eine kratzige Frauenstimme und rannte weiter. Kurz vor dem Auftreffen rutschte Julius auf die Knie und tauchte unter dem Schlag des gelben Ritters ab. Dabei zog er gleichzeitig sein Gabelschwert nach oben und leerte mit einem Schlag die Hälfte der Energieanzeige des gelben Gabel-Ritters. Der stand noch mit dem Rücken zu Julius, als dieser aufstand und mit einer Drehung seine Klinge in die Rückenpanzerung des gelben Ritters stieß. So verpuffte auch der gelbe Ritter in einer Pixelwolke und Julius sammelte die reiche Beute ein. Wie viele unerfahrene ForkKnight-Spieler vor ihm hatte auch der gelbe Ritter den Fehler begangen und erst Münzen und Schätze gesammelt, anstatt sie in einer Burg zu horten. Julius’ Schatzanzeige sauste nun auf stattliche 54 Prozent.
Julius rannte zurück zu seiner Burg und hob sein Gabelschwert in die Höhe. Ein goldener Pixelregen ergoss sich aus den Zinken und strömte in die Burg. Dort war sein Schatz erst mal gut verwahrt. Sicher, tollkühne Gabel-Ritter griffen schon mal eine Burg an, um diese mit unendlich vielen Schlagkombinationen einzureißen und so an die Schätze zu kommen. Julius verfolgte aber eine andere Strategie. Er würde entweder schneller Gold als seine Mitspieler sammeln, um zu gewinnen, oder alle anderen Ritter aus dem Spiel werfen. Beide Taktiken hatten sich als nützlich erwiesen, doch letztere gestaltete sich in Donatus’ ForkKnight-Version schwieriger. Normalerweise warfen sich die anderen Spieler auch gegenseitig aus dem Spiel. Hier aber kämpften dank Donatus’ Zauber nun alle gegen Julius und er war auf sich allein gestellt.
Noch blieben Meister Donatus und vier andere Ritter. Julius lächelte und machte sich auf zur Inferno-Grotte.