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Kapitel 4

»Mordkommission?« Nicht schon wieder! »Wir dachten, es geht um die Veruntreuung von Firmengeldern bei BraMüTec?« Misstrauisch musterte Jürgen Brombacher den Beamten, der sich als Jan Warnecke vorgestellt hatte. Eigentlich sah der Mittvierziger mit der struppigen Mähne und dem Dreitagebart ja recht sympathisch aus. Trotzdem - die schlechten Erfahrungen, die er mit dessen Vorgänger Torsten Rabe, einem arroganten, inkompetenten Schnösel, gemacht hatte, reichten aus, um die Warnlampen in seinem Gehirn von Grün auf Gelb wechseln zu lassen. Als er dann auch noch Frank Becker am anderen Schreibtisch sitzen sah, sprangen die Warnlampen auf Rot.

»Darum geht es auch in erster Linie«, meldete sich ein dritter Kommissar zu Wort. Er stellte sich als Patrick Färber vor.

Jetzt erhob sich Frank Becker von seinem Schreibtisch. »Familie Brombacher, bitte nehmen Sie doch Platz. Wir brauchen Ihre Zeugenaussagen. Es geht um den 15. Februar.«

»15. Februar? Sie meinen den Freitag als Herr Brandmüller verstarb?«, fragte Helga Brombacher. »Ich kann Ihnen versichern, dass wir ihn ganz bestimmt nicht um die Ecke gebracht haben«, fügte sie sarkastisch hinzu. »Und seine Firmengelder haben wir uns auch nicht unter den Nagel gerissen.«

Warnecke schmunzelte. »Mein Kollege hat mir schon geschildert, dass Sie vor knapp zwei Jahren völlig ungerechtfertigt verdächtigt wurden, in eine schwere Straftat verwickelt zu sein. Aber Herr Sachmann hat uns berichtet, dass er Sie, Herr Brombacher gebeten hat, diskret die Transaktionen in der Firma seines Freundes Brandmüller zu überprüfen.«

»Das stimmt. Ich fand das zuerst etwas merkwürdig. Aber Herr Brandmüller hatte einen Verdacht, war sich aber seiner Sache nicht sicher. Er befürchtete, dass ein offizieller Buchprüfer unnötig Staub aufwirbeln würde.«

»Warum hat man ausgerechnet Sie gebeten?«, fragte Kommissar Färber.

»Ich war Chefbuchhalter bei Baumer und Sachmann und bin dort einem groß angelegten Betrug auf die Spur gekommen.«

»Aha, und was konnten Sie in den Büchern der Fa. BraMüTec feststellen?«

»Dass der Prokurist und Geschäftsführer im großen Stil Firmengelder abgezweigt hat. Geschickt unter Luftbuchungen und anderen Tricksereien versteckt, hat es Herr Brandmüller lange nicht bemerkt. Ich schlug vor, dass er sofort alle Firmenkonten sperrt. Meine Frau hat sich die Buchungen auf den Konten angesehen, konnte sie aber von dort aus nicht weiterverfolgen. Außerdem schlugen wir vor, dass er den Betrug schnellstens zur Anzeige bringt.«

»Ja, das hat uns auch Herr Sachmann so erzählt. Allerdings kam Jörg Brandmüller bekanntermaßen nicht mehr dazu, woraufhin er der Witwe vorschlug, die Sache offiziell anzuzeigen.«

»Was geschah danach, als feststand, dass wirklich ein Fall von Veruntreuung vorlag?«, mischte sich Hauptkommissar Warnecke ein.

»Es ging ihm sichtbar nicht gut«, berichtete Helga, »schon als wir ankamen, war er auffallend blass, ja fast weiß im Gesicht. Aber er bekam Hunger und wies die Sekretärin an, Kaffee und Kuchen zu bringen.«

»Getrennte Gedecke?«

»Nein. Sie brachte verschiedene Kuchenstücke auf einem großen Teller, den Kaffee in einer Kanne. Brandmüller aß nur ein halbes Stück Kuchen, trank aber mehrere Tassen Kaffee.«

»Hat er sonst noch etwas zu sich genommen?«

»Er hat Tabletten geschluckt«, erinnerte sich Jürgen.

»In welcher Form?«

Jürgen überlegte: »So genau hab ich das nicht gesehen, ob das Pillen, Kapseln oder Tabletten waren. Er hatte so eine unterteilte Pillenbox bei sich, hat uns seine sämtlichen gesundheitlichen Baustellen aufgezählt, die Medikamente in die Hand gekippt und auf einen Sitz geschluckt.«

»Was hat er nachgetrunken? Kaffee?«

»Nein, Frau Kreuzer hatte Gläser und eine Flasche Wasser gebracht. Jetzt fällt mir auch ein, dass sie ihn an die Pillen erinnert hat.«

»Stimmt«, bestätigte Helga. »Außerdem hat Brandmüller noch berichtet, dass er die Pillen früher stets vergessen hat und durcheinanderbrachte, weshalb er so einen Organizer benützt und die Medikamente einmal in der Woche für jeden Tag vorsortiert. Auf der Box stand ›Freitag‹«.

»Kam Ihnen irgendetwas verdächtig vor, als Brandmüller vom Stuhl kippte?«

Helga schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Die Sekretärin hat umgehend den Hausarzt alarmiert. Ich denke, es war einfach der Schock darüber, dass ihn sein Prokurist so schamlos ausgenommen hat. Ich habe zwar versucht, Herrn Brandmüller wiederzubeleben, aber es war leider vergebens.«

»Haben Sie Hanno Jachnik, diesen Prokuristen eigentlich schon geschnappt?«, erkundigte sich Jürgen.

»Nein«, erklärte Patrick Färber vom Betrugsdezernat. »Die Witwe, Frau Brandmüller, verzichtet auf eine Anzeige. Sie sagt, der Betrieb wird von einem Konzern übernommen, der schon vor längerer Zeit an Brandmüller herangetreten ist. Sie will angeblich keinen überflüssigen Wirbel veranstalten.«

Helga und Jürgen Brombacher schüttelten verständnislos die Köpfe.

»Das war’s eigentlich«, meinte Warnecke. »Falls noch Fragen auftauchen, werden wir uns nochmals an Sie wenden.«

»Das können Sie gerne machen«, gab Jürgen zur Antwort. »Allerdings sind wir zurzeit öfter mal für ein paar Tage unterwegs, und in Kürze bringen wir unser Wohnmobil nach Bremerhaven. Von dort wird es nach Sydney verschifft. Wir fliegen dann hinterher.«

»Oh, schon wieder eine große Reise?«, staunte Becker. »Frau Brombacher, Ihre Berichte und die schönen Fotos von Ihrer Nordamerikareise waren ungeheuer interessant!«

Helga Brombacher stutzte: »Meine Berichte? Sie kennen meine Berichte und meine Fotos? Woher?« Sie war mehr als irritiert.

»Sie können das natürlich nicht wissen«, gestand Frank Becker, »aber Hauptkommissar Rabe hatte sich ja eingebildet, dass Sie in die Morde und den Diebstahl der ›Leopardin‹ verwickelt wären. Er hat es irgendwie geschafft, eine Onlineüberwachung genehmigt zu bekommen. Das wurde aber bald wieder rückgängig gemacht. Außerdem tauchte das Gemälde wieder auf und das Lösegeld haben wir auch zum größten Teil gefunden.«

»Ach, haben Sie das«, Helga war sichtlich irritiert.

Auch Jürgen wirkte etwas verdattert, fing sich aber schnell wieder:

»Und Sie haben tatsächlich unseren ganzen E-Mail-Verkehr gelesen?«,fragte er schockiert.

»Den hat Rabe durchforstet. Aber ich gestehe, dass ich bei der Lektüre Ihrer interessanten Reiseberichte im Geiste mit Ihnen mitgefahren bin.«

Helga hatte sich schnell wieder gefangen. Dieser lange, dürre Becker war ja im Grunde ein ganz netter Kerl. Damals war er frisch von der Polizeischule gekommen. Inzwischen wirkte er routiniert und kompetent.

»Nun«, meinte sie ironisch, »wenn es weiter nichts ist, dann geben Sie uns doch einfach Ihre E-Mail-Adresse und ich nehme Sie mit in unseren Verteiler auf. Dann müssen Sie keinen Richter bemühen, um unsere Reisemails zu lesen!«

»Ich glaube, wir müssen uns für meinen Vorgänger entschuldigen«, sagte Warnecke versöhnlich, während er ebenfalls seine Mailadresse auf einen Zettel schrieb. »Ich leide schon lange an heftigem Fernweh und würde Ihre Berichte auch gerne lesen.«

»Na, wenns nur unsere Reiseberichte und Fotos sind - die können Sie gerne haben«, meinte Helga. Sie steckte die Zettel mit den Mail-Adressen ein und wandte sich zum Gehen.

»Eine Frage noch«, meldete sich Becker, »sagt Ihnen der Name Irene Föhr etwas?«

Jürgen schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste«, aber Helga dementierte: »Ist das nicht Brandmüllers Cousine?«

»Ja natürlich, jetzt erinnere ich mich auch«, bestätigte Jürgen. »Das war die Frau, die auf der Beerdigung so herzergreifend geschluchzt hat. Wir kennen die Frau eigentlich nicht. Sie ist uns nur bei der Beerdigung aufgefallen.«

Als sie draußen auf dem Parkplatz ins Auto stiegen, meinte Helga: »Wenn die wirklich das Lösegeld der Leopardin gefunden haben, dann frage ich mich, was das für Geld war, das die Göllers damals im Wohnmobil hatten.«

»Und das du dann in unserem Wohnmobil versteckt hast«, erinnerte sie Jürgen an die Abenteuer der vergangenen Amerikareise.

»Sehr mysteriös, diese Geschichte. Zumindest waren wir ein paar Monate lang mehrfache Millionäre.«

»Ja, bis dieser zwielichtige Olaf Schipanski uns die Millionen wieder abgeknöpft hat.«

»Hoffentlich ist er dran erstickt!«, wünschte sich Helga.

»Helga, beruhige dich. Wir können uns auch so diese Australienreise leisten.«

»Sieh mal, die hat’s aber ganz schön eilig!« Jan Warnecke hatte das Kleinaltheimer Tageblatt aufgeschlagen.

»Witwe des BraMüTec Inhabers verkauft ihre Villa an Hollywoodstar Jason West«

stand in großen Lettern über einem Artikel. Ein farbiges Foto zeigte nicht nur den Schauspieler, sondern auch den Makler Simon Wolf, der mit triumphierender Miene aus der Haustür trat. Im Hintergrund konnte man noch die sichtlich erschrockene Nadine Brandmüllers erkennen.

»Ja - aber verboten ist es nicht, sie hat die bescheidene Hütte schließlich geerbt. Aber nach ihrem entsetzten Gesicht zu urteilen, wollte sie wohl nicht, dass die Sache so schnell publik wird«, sinnierte Becker.

»Hat trotzdem einen seltsamen Nachgeschmack. Sie hat auch alle Konten beim Bankhaus Wiebke & Söhne gekündigt und auf eine Schweizer und andere Banken transferiert. Außerdem hat sie sämtliche Aktien verkauft und die Depots aufgelöst«.

»Ja, aber ich hab das Alibi Nadine Brandmüllers überprüft«, berichtete Frank Becker. »Sie war wirklich bei ihrer Mutter in Spanien.«

»Stiefmutter«, berichtigte Warnecke.

»Trotzdem. Das Alibi ist absolut wasserdicht. Nicht nur dass ihr Hin- und Rückflug nach Malaga von der Fluggesellschaft bestätigt wurde, sie war auch an besagtem 15. Februar in Torre del Mar mit einem verstauchten Knöchel beim Arzt«.

»Normalerweise würde ich ja sagen, dass das ein bisschen viel Alibi ist«, sinnierte Jan Warnecke.

»Schon«, gab Becker zu »aber wie sollte sie das gedreht haben, wenn sie Brandmüller wirklich ermordet hätte?«

»Keine Ahnung. Und sonst kann’s ja keiner gewesen sein. Simone Kreuzer, die Chefsekretärin, hat kein Motiv. Hanno Jachnik, der kriminelle Prokurist treibt sich vermutlich noch in Australien rum. Jedenfalls war er nicht vor Ort«, rekapitulierte Warnecke. »Wir können wohl davon ausgehen, dass diese rachsüchtige Irene Föhr der Brandmüller vor lauter Zorn über das bescheidene Erbe einfach eins auswischen wollte. Und die Tatsache, dass die Witwe einen Liebhaber hatte, ist ja nicht strafbar.«

»Nein, aber ein Mordmotiv«

»Ja, durchaus«, bestätigte Warnecke gedankenverloren. »Ich hab das dunkle Gefühl, dass wir irgendetwas übersehen haben. Aber ich komm einfach nicht drauf, was das sein könnte.«

»Vielleicht sollten wir trotzdem mal der Chefsekretärin einen Besuch abstatten. Wer weiß, was diese Frau Kreuzer so alles zu erzählen hat«, überlegte Becker.

»Ja, das sollten wir«, Warnecke kratzte sich am Bart, der schon länger als drei Tage keinen Rasierapparat gesehen hatte. »Und weißt du, was wir noch sollten?«

»Anständig zu Mittag essen?«

»Auch. Aber danach statten wir dem Hausarzt einen Besuch ab.«

»Der unterliegt der Schweigepflicht!«, erinnerte Becker.

»Ich weiß, aber mich interessiert, was das für ein Typ ist.«

»Würden Sie bitte noch einen Moment im Wartezimmer Platz nehmen«, bat die Arzthelferin nach einem Blick auf die Dienstausweise, »der Doktor hat gleich Zeit für Sie.«

Das Wartezimmer war leer, die ausgelegten Zeitschriften von anno dunnemals. Der alte Arzt schien nicht mehr viele Patienten zu haben.

»Bitte die ...ren ... der ...zei ins Sprechzimmer ..ei«, kratzte es aus einem betagten Lautsprecher über der Tür. Verstanden hatten sie nichts, aber außer ihnen konnte ja niemand gemeint sein. Warnecke und Becker marschierten los. Hieß das Gekratze Sprechzimmer eins, zwei oder drei? Die Tür mit der Nummer zwei stand offen, der Arzt saß an seinem Schreibtisch.

Dr. Kinzel war zwar ein sympathischer Mann mit einer wirren, grauen Einstein-Frisur, – aber nicht nur die glasigen Augen und die gerötete Nase, sondern auch die deutliche Alkoholfahne verrieten, dass der 64-jährige Arzt dem Cognac sehr zugetan war.

»Herr Brandmüller war nicht nur mein Patient, sondern auch seit unserer Schulzeit mein Freund«, erklärte Dr. Kinzel.

Wenigstens lallt er noch nicht, dachte Warnecke, während der Arzt fortfuhr: »Auch wenn er nicht mehr lebt, unterliege ich trotzdem der ärztlichen Schweigepflicht.«

»Das verstehen wir durchaus«, beschwichtigte Becker. »Wir wollten nur wissen, ob Ihnen, als Sie zu Herrn Brandmüller in die Firma gerufen wurden, etwas ungewöhnlich vorkam.«

»Ungewöhnlich?«, der Doktor überlegte. »Nein. Herr Brandmüller war schon lange nicht mehr gesund.«

Weil die beiden Kommissare keinen Kommentar gaben, fügte er hinzu: »Leider hielt er sich auch meist nicht an meine Anweisungen.«

Die Kommissare nickten wortlos. Irritiert hakte der Arzt nach: »Das ist ja nun schon eine Weile her. Warum interessiert sich jetzt plötzlich die Polizei dafür?«

Warnecke ließ noch eine Kunstpause verstreichen, bevor er antwortete: »Wir haben Hinweise, dass es sich bei Jörg Brandmüllers Tod möglicherweise um ein Tötungsdelikt handelt.«

Der Doktor reagierte erst nach einer Weile: »Ich habe keine Anzeichen gesehen, die das bestätigen würden.«

Nachdem die Kommissare gegangen waren, holte Dr. Kinzel wieder die Cognacflasche aus dem Schreibtisch und goss sich zwei Fingerbreit in ein Wasserglas. Er rekapitulierte in Gedanken noch einmal jenen Freitagnachmittag. War das wirklich ein Herzinfarkt gewesen, an dem sein Freund gestorben war? Oder hatte er nur nicht so genau hingesehen, weil Jörg an allen nur denkbaren Zivilisationskrankheiten gelitten hatte und die Diagnose auf der Hand lag? Hatten sich in seinem Unterbewusstsein nicht Zweifel gemeldet, die er beiseitegeschoben hatte? Weil er müde und nicht mehr ganz nüchtern war? Dr. Kinzel goss sich den Rest der Flasche ins Glas und beschloss, dass es an der Zeit war, in den Ruhestand zu treten und die Praxis endgültig zu schließen.

Simone Kreuzer schloss die Tür auf und streifte als erstes ihre unbequemen Highheels ab. Wieder einmal lag ein anstrengender Tag hinter ihr. Anstrengend und stressig. Am liebsten hätte sie sofort alles hingeschmissen, sosehr nervte der neue Geschäftsführer. Lange wollte sie das nicht mehr mitmachen.

Sie widerstand der Versuchung, sich faul aufs Sofa fallen zu lassen. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie sich danach mit Sicherheit nicht mehr würde aufraffen können, eine Runde durch den Wald zu joggen. Aber das brauchte sie jetzt, um den Kopf frei zu bekommen. Auch wenn die Füße schmerzten.

Sie tauschte ihr Kostüm gegen Laufshorts und ein Funktionsshirt und band ihr Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz. Gerade als sie in ihre Laufschuhe schlüpfen wollte, klingelte es.

Ihre Mutter stand vor der Tür. Na super! Joggen war damit gestrichen.

»Du kommst mich ja nie besuchen!« Der alte, mit einer Leidensmiene untermauerte Vorwurf.

»Ich muss schließlich arbeiten, stehe pausenlos im Stress, hab wenig Zeit.«

»Und ich bin einsam. Eine alleinstehende Frau mit wenig Geld! Wenn du nicht gewesen wärst, sähe mein Leben anders aus«, klagte Anja Kreuzer.

»Mama, erstens bist du nicht alt! Gerade mal fünfzig. Und zweitens kann ich nichts dafür, dass dir die Männer davonlaufen. Und dass der Typ, der mein Vater war, schon eine rechtmäßige Ehefrau und ein Kind hatte, als du von ihm schwanger wurdest, ist auch nicht meine Schuld.«

Anja Kreuzer zupfte pikiert ihre Frisur zurecht und nippte an dem Tee, den Simone aufgegossen hatte.

»Ich weiß, ich weiß«, lenkte ihre Mutter ein. »Trotzdem hatte ich es nicht leicht im Leben. Drum ist mir ja so viel daran gelegen, dass du nicht meine Fehler wiederholst. Du solltest endlich heiraten. Bei deinem Aussehen müsste es doch ein Leichtes sein, einen reichen Mann zu finden!«

»Genau, einen Verheirateten, der verspricht, sich scheiden zu lassen und dann einen Rückzieher macht, weil sonst seine Karriere auf dem Spiel steht?«

»Er war Studienrat an einem katholischen Gymnasium. Eine Scheidung hätte ihn den Job gekostet.«

»Jch weiß, drum hast du bis heute für dich behalten, wer dieser Mistkerl war.«

»Er hat für dich bezahlt. Mehr als er offiziell an Alimenten hätte berappen müssen. Das war der Deal.«

»Na, mittlerweile müsste er ja langsam Renter oder Pensionär sein.«

»Er ist vor zwei Jahren gestorben.«

»Na, dann kannst du mir ja bei Gelegenheit mal eröffnen, wie mein Erzeuger hieß.«

Es war ein älteres, 6-stöckiges Gebäude aus den 70er Jahren, das die Kleinaltheimer »Hochhaus« nannten. Frank Becker fuhr mit dem Zeigefinger die Klingelschilder entlang:

»Hier ist es! Die Kreuzer wohnt im dritten Stock!« Er wollte gerade klingeln, als jemand das Haus verließ. Sie traten durch die offene Haustür, nahmen statt des Aufzugs die Treppe und klingelten erst, als sie vor der Wohnungstür standen.

Simone Kreuzer trug Sportkleidung. Ihr Haar hatte sie zum Pferdeschwanz gebunden. Im Flur standen orangefarbene Joggingschuhe bereit. Misstrauisch musterte sie die Dienstausweise, setzte dann aber sofort ihr antrainiertes Sekretärinnen-Lächeln auf.

»Ich wollte zwar eine Runde joggen gehen, aber bitte kommen Sie doch herein.«

Ihre kleine 2-Zimmer-Wohnung war ansprechend, aber nicht teuer möbliert. Wie es aussah, wohnte sie allein, hatte aber Besuch von einer Frau.

»Wir haben ein paar Fragen zum Tod des Herrn Brandmüller«, begann Jan Warnecke ohne Umschweife. »Aber wie wir sehen, haben Sie gerade Besuch. Das passt dann wohl nicht so gut.«

»Keine Sorge, meine Mutter wollte gerade gehen!«

Anja Kreuzer verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, und verabschiedete sich säuerlich.

»Warum interessiert sich plötzlich die Kriminalpolizei für Herrn Brandmüllers Tod? Das ist doch schon einige Wochen her.«

»Auch wenn es schon ein wenig her ist, haben sie den Tag doch ganz gewiss noch in Erinnerung. Es wäre hilfreich, wenn Sie unsere Fragen beantworten würden«, entgegnete Warnecke, ohne auf ihre Frage einzugehen.

»Natürlich, diesen schrecklichen Tag werde ich nie vergessen.«

Warnecke und Becker nickten und schwiegen, aber Simone Kreuzer ließ sich von dieser Taktik nicht einschüchtern.

»Dieser Tag hatte auch für mich einschneidende Folgen. Herr Brandmüller war nicht nur ein sehr angenehmer Chef, sondern auch das allgemeine Betriebsklima in der Firma war zu seiner Zeit wesentlich besser.«

»Und jetzt ist es nicht mehr gut?«, hakte Becker sofort nach.

»Nein. Ich bin jetzt zwar immer noch die Chefsekretärin – und zwar des Geschäftsführers, der jetzt die Geschicke der Firma leitet, aber ich denke daran zu kündigen und mir einen anderen Job zu suchen!«, erklärte sie mit sichtlichem Bedauern. »Dieses Klima der Missgunst und des Misstrauens bin ich nicht gewöhnt.«

Womöglich vermutet man, dass du mit Jachnik unter einer Decke steckst. Den Gedanken sollten wir im Auge behalten, überlegte Warnecke und laut sagte er:

»Waren Sie auch Herrn Jachniks Sekretärin?«

»Nein, nicht direkt, ich hatte nur am Rande mit ihm zu tun.« Jetzt hatte sie wieder ihr gewohntes Lächeln aufgesetzt.

»Aber Sie wissen, wo er sich aufhält!«, Becker hatte das nicht als Frage, sondern als Feststellung formuliert. Falls er gehofft hatte, sie mit diesem unvermittelten Einwurf aus dem Konzept zu bringen, hatte er sich getäuscht. Sie ließ kein Erschrecken erkennen, blieb unverbindlich freundlich.

»Als er sich das letzte Mal hier gemeldet hat, war er in Sydney. Er berichtete, mehrere potenzielle Kunden aufgetan zu haben. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

Warnecke und Becker nahmen das kommentarlos zur Kenntnis. Übergangslos fragte Warnecke:

»War Herr Brandmüller schon vorher krank?«

»Ja, schon länger.« Sie hatte jetzt wieder ihre bedauernde Miene aufgesetzt. »Leider hat er sich nicht wirklich an die Anweisungen seines Arztes gehalten.«

»Wer war sein Arzt?«, fragte Becker, obwohl er genau im Bilde war.

»Dr. Kinzel. Er hat seine Praxis gleich in der Nähe der Firma.«

»Als Herr Brandmüller vom Stuhl kippte, wäre es da nicht besser gewesen, den Notarzt zu alarmieren?«, fragte Warnecke.

Simone Kreuzer ließ sich nicht einschüchtern. »Ich habe das einmal gemacht, als ich neu bei BraMüTec war. Der Notarzt und die Sanitäter kamen mit Blaulicht und Martinshorn und die ganze Firma war in heller Aufregung. Das war Herrn Brandmüller furchtbar unangenehm. Er hatte mir ausdrücklich aufgetragen, dass ich, sollte er wieder mal ein gesundheitliches Problem haben, Dr. Kinzel benachrichtigen solle. Die Nummer hatte ich eingespeichert und er war innerhalb weniger Minuten vor Ort. Trotzdem war das schon zu spät.«

»Nahm Herr Brandmüller regelmäßig Medikamente?«, fragte Warnecke.

»Ja, Medikamente nahm er schon lange Zeit, allerdings vergaß er sie oft. Erst als er sie in eine Pillenbox sortierte, klappte das besser. Seine Frau bat mich, ihn stets daran zu erinnern. Ganz besonders in der Zeit, als sie ihre Mutter in Spanien besuchte.«

»War an diesem Tag etwas ungewöhnlich?«, wollte Becker wissen.

»Nicht direkt, außer, dass er Besuch von einem älteren Ehepaar hatte. Ich weiß nicht genau, worum es bei dem Besuch ging, aber es hatte Herrn Brandmüller sehr aufgeregt.«

»Hat Herr Brandmüller etwas Unrechtes gegessen?«, hakte Becker nach.

»Ich hatte auf seinen Wunsch beim Bäcker in der Nähe verschiedene Kuchen bestellt, die wurden von einem Boten gebracht. Den Kaffee habe ich selbst hier gekocht. Und zwar Herrn Brandmüllers Lieblingsmarke.« Ihr Ton klang plötzlich nicht mehr ganz so selbstsicher. Das verbindliche Lächeln war nicht mehr ganz so verbindlich. Die Mundwinkel wirkten wie festgetackert. Weil die Kommissare nicht gleich reagierten, schob sie nach: »Die Besucher haben den Kaffee übrigens auch getrunken!«

Sie denkt, dass wir denken ... Doch ja, das sollten wir wirklich mal überdenken, fuhr es Warnecke durch den Kopf. Nicht mit Kuchen und Kaffee ... Mit Tabletten? Sie könnte seine Tabletten ausgetauscht haben. Dazu bräuchte sie Zugang zu starken Medikamenten. Und ein Motiv. Aber da sehe ich keines. Wir wissen ja nicht mal, ob beim Tod Jörg Brandmüllers wirklich jemand nachgeholfen hat. Bis jetzt haben wir nur die Anschuldigungen einer wütenden Frau, die sich ein größeres Erbe erhofft hat ...

Schließlich fragte er: »Kennen Sie Frau Föhr?«

Augenblicklich war das Lächeln wieder zurück. Liebenswürdig, beflissen und ein wenig spöttisch.

»Ja, die kenne ich mehr oder weniger.«

»Mehr oder weniger heißt im Klartext?«, hakte Becker nach.

»Dass sie öfter im Büro auftauchte. Herr Brandmüller ließ sich dann meist verleugnen und bat mich, sie abzuwimmeln.«

Nein, da kommen wir nicht weiter, erkannte Warnecke. Sie könnte zwar theoretisch mit Jachnik unter einer Decke stecken, aber aus dem Tod von Brandmüller konnte sie im Prinzip keinen Nutzen ziehen. Trotzdem hatte ihn das Gespräch auf etwas gebracht. Nadine Brandmüller hätte theoretisch die Möglichkeit gehabt, die Pillen auszutauschen – bevor sie nach Spanien abgereist war. Nur, nachzuweisen war das im Grunde nicht mehr.

Tödliches Erbe

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