Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 25

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Sie tra­ten nun alle in das ge­schmack­vol­le, par­ket­tier­te, ge­räu­mi­ge, ein­fach aus­ge­stat­te­te Vor­zim­mer ein. Von hier ge­lang­te man in einen drei­fenst­ri­gen, nach der Stra­ße zu ge­le­ge­nen Sa­lon, in weiß und rot ge­hal­ten, mit fein ge­ar­bei­te­tem Ge­sims und zar­ter Ma­le­rei, in dem nichts un­ru­hig wirk­te. Auf dem wei­ßen, mit Säu­len ver­se­he­nen Mar­mor­ka­min stand eine sorg­sam aus­ge­wähl­te Gar­ni­tur, an der kei­ner­lei Ge­schmack­lo­sig­keit be­lei­dig­te, und die zu den üb­ri­gen De­tails gut paß­te. Über­all herrsch­te die ge­fäl­li­ge Har­mo­nie, die al­lein von Künst­ler­hand ge­schaf­fen wer­den kann, die die Ein­heit­lich­keit der Aus­stat­tung bis in die ge­rings­ten Ne­ben­din­ge durch­führ­te, und wo­von die Bour­geoi­sie kei­ne Ah­nung hat, die sie aber in Er­stau­nen setzt. Ein Kron­leuch­ter mit vier­und­zwan­zig Ker­zen ließ die rote Sei­de der Vor­hän­ge er­strah­len und das Par­kett hat­te ein so ein­la­den­des Aus­se­hen, daß Cäsa­ri­ne Lust be­kam, zu tan­zen. Ein grün und weiß ge­hal­te­nes Bou­doir führ­te in Cäsars Ar­beits­zim­mer. »Ich habe hier ein Bett un­ter­ge­bracht«, sag­te Grin­dot und öff­ne­te die Tür ei­nes Al­ko­vens, der ge­schickt hin­ter den bei­den Flü­geln der Biblio­thek ver­bor­gen war. »Sie oder Ihre Frau Ge­mah­lin kön­nen ein­mal krank sein, und dann hat je­der sein Schlaf­zim­mer für sich.«

»Aber die­se Biblio­thek mit den ge­bun­de­nen Bü­chern! Ach, Frau­chen, Frau­chen!«

»Nein, das ist Cäsa­ri­nes Über­ra­schung.«

Cäsar um­arm­te sei­ne Toch­ter und sag­te da­bei zu dem Archi­tek­ten: »Ver­zei­hen Sie mir und hal­ten Sie das mei­ner vä­ter­li­chen Rüh­rung zu­gu­te.«

»Aber ich bit­te Sie, ver­ehr­ter Herr!« sag­te Grin­dot. »Sie sind doch hier zu Hau­se.«

In dem Ar­beits­zim­mer wa­ren brau­ne Töne vor­herr­schend, die durch grü­ne Ver­zie­run­gen ge­ho­ben wur­den, wie denn in äu­ßerst ge­schick­ter Wei­se eine har­mo­ni­sche Far­ben­ver­bin­dung zwi­schen den ein­zel­nen Zim­mern her­ge­stellt war. Die Grund­far­be ei­nes Rau­mes wur­de im nächs­ten für die Ver­zie­run­gen ver­wen­det und um­ge­kehrt. Der Stich »Hero und Le­an­der« schmück­te eine Wand in Cäsars Zim­mer.

»Du sollst das al­les be­zah­len«, sag­te Bi­rot­teau lus­tig.

»Die­sen schö­nen Stich schenkt dir Herr An­selm«, sag­te Cäsa­ri­ne.

Auch An­selm hat­te sich sei­ne Über­ra­schung nicht neh­men las­sen.

»Das gute Kind; er hat es mit mir so ge­macht, wie ich mit Herrn Vau­que­lin.«

Da­hin­ter be­fand sich Frau Bi­rot­te­aus Zim­mer. Hier hat­te der Archi­tekt einen Reich­tum ent­fal­tet, wie er die­sen gu­ten Leu­ten, die er für sich ge­win­nen woll­te, ge­fal­len muß­te; er hat­te sein Wort ge­hal­ten, daß er die­se »Re­stau­rie­rung« stu­die­ren wol­le. Das Zim­mer war mit blau­er Sei­de mit wei­ßen Ver­zie­run­gen aus­ge­schla­gen, die Mö­bel mit weißem, blau ab­ge­setz­ten Kasch­mir be­zo­gen. Auf dem wei­ßen Mar­mor­ka­min zeig­te die Uhr eine auf ei­nem schö­nen Mar­mor­block sit­zen­de Ve­nus; ein hüb­scher Mo­quet­te-Tep­pich in tür­ki­schem Mus­ter ver­band das Zim­mer mit dem Cäsa­ri­nes, das mit dun­kelblau­em Stoff aus­ge­schla­gen und äu­ßerst zier­lich ge­hal­ten war; es ent­hielt ein Kla­vier, einen hüb­schen Spie­gel­schrank, ein klei­nes be­schei­de­nes Bett mit ein­fa­chen Vor­hän­gen und alle die klei­nen Mö­bel­stücke, die die jun­gen Mäd­chen lie­ben. Das Spei­se­zim­mer lag hin­ter den Zim­mern Bi­rot­te­aus und sei­ner Frau und war im Stil Louis XIV. ein­ge­rich­tet, mit ei­ner Boul­le-Stand­uhr, Bü­fetts mit Kup­fer- und Schild­patt-Ein­la­gen und ei­ner Wand­be­klei­dung von Stoff mit ver­gol­de­ten Nä­geln. Die Freu­de der drei Fa­mi­li­en­mit­glie­der war nicht zu be­schrei­ben, be­son­ders als Frau Bi­rot­teau in ihr Zim­mer zu­rück­kam und hier auf ih­rem Bett das kirsch­ro­te Sam­met­kleid mit Spit­zen, das Ge­schenk ih­res Man­nes, er­blick­te, das Vir­gi­nie in­zwi­schen, auf den Ze­hen schlei­chend, her­ein­ge­bracht hat­te.

»Die­se Woh­nung wird Ih­nen viel Ehre ein­tra­gen«, sag­te Kon­stan­ze zu Grin­dot. »Wir wer­den mor­gen abend über hun­dert Per­so­nen bei uns se­hen und Sie wer­den die Lob­sprü­che der gan­zen Ge­sell­schaft ent­ge­gen­neh­men kön­nen.«

»Ich wer­de Sie wei­ter emp­feh­len«, sag­te Cäsar. »Sie wer­den die Crê­me der Kauf­mann­schaft hier se­hen und an die­sem einen Abend be­kann­ter wer­den, als wenn Sie zehn Häu­ser ge­baut hät­ten.«

Kon­stan­ze war tief be­wegt und dach­te nicht mehr an die Kos­ten, noch auch dar­an, ih­ren Mann zu kri­ti­sie­ren. Und zwar aus fol­gen­dem Grun­de: Am Mor­gen, als An­selm Po­pi­not, den Kon­stan­ze für sehr in­tel­li­gent und be­fä­higt hielt, das Bild von Hero und Le­an­der brach­te, hat­te er den Er­folg des Hui­le Cé­pha­li­que, an dem er mit bei­spiel­lo­sem Ei­fer ar­bei­te­te, für ge­si­chert be­zeich­net. Der Ver­lieb­te hat­te er­klärt, daß die Kos­ten der Aus­ga­ben Bi­rot­te­aus für die Be­frie­di­gung sei­ner ehr­gei­zi­gen An­sprü­che, wie hoch sie sich auch be­lie­fen, in sechs Mo­na­ten durch sei­nen Ge­winnan­teil an dem Öl wie­der ein­ge­bracht sein wür­den. Nach­dem sie neun­zehn Jah­re aus der Angst nicht her­aus­ge­kom­men war, war es für sie ein so sü­ßes Ge­fühl, sich ein­mal an ei­nem ein­zi­gen Tage ganz der Freu­de hin­ge­ben zu kön­nen, daß Kon­stan­ze ih­rer Toch­ter das Ver­spre­chen gab, das Glück ih­res Man­nes durch kei­nen Ein­wand zu trü­ben und sich in al­les zu fü­gen. Als Herr Grin­dot sie ge­gen elf Uhr ver­las­sen hat­te, warf sie sich ih­rem Man­ne vor Freu­de wei­nend an den Hals und sag­te: »Ach, Cäsar, du hast mich ganz när­risch vor Glück­se­lig­keit ge­macht.«

»Vor­aus­ge­setzt, daß es so bleibt, nicht wahr?« sag­te Cäsar la­chend.

»Es wird so blei­ben, ich habe kei­ne Angst mehr«, sag­te Frau Bi­rot­teau.

»Gott sei Dank,« sag­te der Par­füm­händ­ler, »end­lich läßt du mir Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren.«

Wer groß­den­kend ge­nug ist, um sich sei­ne ei­ge­nen Schwä­chen ein­zu­ge­ste­hen, wird zu­ge­ben, daß eine arme Wai­se, die vor acht­zehn Jah­ren ers­te Ver­käu­fe­rin im Pe­tit-Ma­te­lot, Ile Saint-Louis, war, und ein ar­mer Bau­ern­jun­ge, der mit ei­nem Stock in der Hand, zu Fuß, in ei­sen­be­schla­ge­nen Stie­feln aus der Tou­rai­ne nach Pa­ris ge­kom­men war, sich ge­schmei­chelt und glück­lich füh­len muß­ten, ein sol­ches Fest und aus so löb­li­chen Grün­den ge­ben zu kön­nen.

»Ich wür­de, bei Gott, hun­dert Fran­ken her­ge­ben,« sag­te Cäsar, »wenn wir jetzt Be­such be­kämen.«

»Der Herr Abbé Loraux«, mel­de­te Vir­gi­nie.

Und der Abbé Loraux trat ein. Die­ser Pries­ter war da­mals Vi­kar an der Kir­che Saint-Sul­pi­ce. Nie­mals hat die Macht des Geis­tes sich kräf­ti­ger er­wie­sen als bei die­sem Pries­ter, des­sen Um­gang einen tie­fen Ein­druck auf alle, die ihn ken­nen­lern­ten, mach­te. Sein mür­ri­sches Ge­sicht, so häß­lich, daß man kaum zu ihm Ver­trau­en fas­sen konn­te, hat­te die Übung der ka­tho­li­schen Tu­gen­den er­ha­ben ge­macht: der himm­li­sche Glanz er­schi­en schon hie­nie­den dar­auf. Die Rein­heit, die sein gan­zes We­sen durch­drang, ver­schö­ner­te sei­ne un­an­ge­neh­men Züge, und sei­ne hei­ße Men­schen­lie­be ver­edel­te ihre un­re­gel­mä­ßi­gen Li­ni­en, ein Phä­no­men, das dem ent­ge­gen­ge­setzt war, das bei Cla­paron al­les ver­tiert und ver­dor­ben hat­te. In sei­nen Run­zeln spie­gel­ten sich die drei mensch­li­chen Tu­gen­den Lie­be, Glau­be und Hoff­nung wi­der. Sei­ne Rede war sanft, lang­sam und ein­dring­lich. Er trug die Tracht der Pa­ri­ser Geist­lich­keit und ge­stat­te­te sich einen kas­ta­ni­en­brau­nen Über­rock. Kein Ehr­geiz hat­te sich in die­ses rei­ne Herz ein­ge­schli­chen, das die En­gel der­einst in sei­ner ur­sprüng­li­chen Un­schuld zu Gott em­por­tra­gen soll­ten. Es be­durf­te erst ei­nes sanf­ten Zwan­ges von sei­ten der Toch­ter Lud­wigs XVI., um den Abbé Loraux zu be­we­gen, eine Pfar­re in Pa­ris, und noch dazu eine der be­schei­dens­ten, an­zu­neh­men. Jetzt be­trach­te­te er mit un­ru­hi­gen Bli­cken alle die­se Pracht und lä­chel­te kopf­schüt­telnd der Kauf­manns­fa­mi­lie zu.

»Lie­be Kin­der,« sag­te er, »mein Amt ist nicht, Fes­ten bei­zu­woh­nen, son­dern die Be­trüb­ten zu trös­ten. Ich kom­me, um Herrn Cäsar zu dan­ken und ihn zu be­glück­wün­schen. Nur zu ei­nem ein­zi­gen Fes­te will ich hier er­schei­nen, näm­lich zur Hoch­zeit die­ses schö­nen Kin­des.«

Nach ei­ner Vier­tel­stun­de ver­ab­schie­de­te sich der Abbé, ohne daß der Par­füm­händ­ler oder sei­ne Frau ge­wagt hät­ten, ihm die Woh­nung zu zei­gen. Sei­ne erns­te Er­schei­nung hat­te et­was kal­tes Was­ser auf die glü­hen­de Freu­de Cäsars ge­gos­sen. Alle be­ga­ben sich nun in der neu­en Pracht zur Ruhe und nah­men die net­ten, zier­li­chen Ge­gen­stän­de, die sie sich ge­wünscht hat­ten, in Be­sitz. Cäsa­ri­ne half ih­rer Mut­ter beim Aus­klei­den vor ei­nem Toi­let­ten­spie­gel aus weißem Mar­mor. Cäsar hat­te sich ei­ni­ges Über­flüs­si­ge an­ge­schafft, das er so­gleich in Ge­brauch neh­men woll­te. Alle dach­ten beim Ein­schla­fen an die freu­di­gen Er­eig­nis­se des nächs­ten Ta­ges. Nach­dem sie die Mes­se be­sucht und das Ve­sper­ge­bet ge­spro­chen hat­ten, klei­de­ten sich Cäsa­ri­ne und ihre Mut­ter ge­gen vier Uhr an; das Zwi­schen­ge­schoß hat­ten sie vor­her dem welt­li­chen Arm der Leu­te Che­vets über­ge­ben. Nie­mals hat­te eine Toi­let­te Kon­stan­ze bes­ser ge­stan­den als die­ses spit­zen­be­setz­te rote Sam­met­kleid mit kur­z­en, mit Schlei­fen ver­zier­ten Är­meln; ihre schö­nen Arme von noch ju­gend­li­cher Fri­sche, ihr schne­eig leuch­ten­der Bu­sen, ihr Hals, ihre rei­zend ge­schwun­ge­nen Schul­tern – al­les wur­de von dem wei­chen Stoff und der präch­ti­gen Far­be noch ge­ho­ben. Die na­tür­li­che Be­frie­di­gung, die jede Frau emp­fin­det, wenn sie sich der vol­len Macht ih­rer Schön­heit be­wußt ist, gab ih­rem grie­chi­schen Pro­fil eine ge­wis­se Süße, des­sen schö­ner Schnitt in der gan­zen Fein­heit ei­ner Ka­mee er­schi­en. Cäsa­ri­ne, in weißem Krepp, trug einen Ro­sen­kranz im Haar und eine Rose an der Sei­te; eine Schär­pe be­deck­te züch­tig Schul­tern und Brust; so mach­te sie Po­pi­not ganz toll.

»Die­se Leu­te ste­chen uns aus«, sag­te Frau Ro­guin zu ih­rem Mann, als sie durch die Woh­nung gin­gen. Die No­tar­frau war wü­tend, daß sie sich mit Kon­stan­zes Schön­heit nicht mes­sen konn­te; jede Frau weiß selbst ganz ge­nau, ob ihr eine Ri­va­lin über­le­gen ist oder nicht.

»Ach! das wird nicht lan­ge dau­ern, und bald wirst du die arme Frau, wenn du sie auf der Stra­ße zu Fuß und rui­niert tref­fen wirst, mit dei­nen Wa­gen­rä­dern be­sprit­zen!« sag­te Ro­guin lei­se zu sei­ner Frau.

Vau­que­lin war von vollen­de­ter Lie­bens­wür­dig­keit; er war zu­sam­men mit Herrn von Lacépè­de, sei­nem Kol­le­gen von der Aka­de­mie, ge­kom­men, der ihn mit dem Wa­gen ab­ge­holt hat­te. Als sie die strah­lend schö­ne Haus­frau er­blick­ten, konn­ten die bei­den Ge­lehr­ten ein Kom­pli­ment von wis­sen­schaft­li­chem An­strich nicht un­ter­drücken.

»Gnä­di­ge Frau, Sie be­sit­zen ein Ge­heim­nis, das die Wis­sen­schaft noch nicht kennt, näm­lich Ju­gend und Schön­heit sich zu er­hal­ten.«

»Sie sind hier ge­wis­ser­ma­ßen zu Hau­se, Herr Aka­de­mi­ker«, sag­te Bi­rot­teau. »Ja, Herr Graf,« fuhr er, zu dem Groß­kanz­ler der Ehren­le­gi­on ge­wen­det, fort, »ich ver­dan­ke mein Ver­mö­gen Herrn Vau­que­lin. Ich habe die Ehre, Euer Herr­lich­keit den Herrn Prä­si­den­ten des Han­dels­ge­richts vor­zu­stel­len. Dies ist der Herr Graf von Lacépè­de, Pair von Frank­reich, und ei­ner der großen Män­ner Frank­reichs; er hat vier­zig Bän­de ge­schrie­ben«, sag­te er zu Le­bas, der den Ge­richts­prä­si­den­ten be­glei­te­te.

Die Gäs­te ka­men pünkt­lich. Das Di­ner war, wie alle Di­ners der Kauf­leu­te, sehr lus­tig und ge­müt­lich, ge­würzt mit plum­pen Scher­zen, über die im­mer ge­lacht wird. Die vor­züg­li­chen Spei­sen und die gu­ten Wei­ne wur­den sehr ge­wür­digt. Als die Ge­sell­schaft auf­brach, um in den Sa­lons den Kaf­fee zu neh­men, war es halb zehn ge­wor­den. Ei­ni­ge Wa­gen hat­ten schon un­ge­dul­di­ge Tän­ze­rin­nen ge­bracht. Eine Stun­de spä­ter war der Tanz­saal voll und der Ball in vol­lem Gan­ge. Herr von Lacépè­de und Herr Vau­que­lin ent­fern­ten sich, zum größ­ten Be­dau­ern Bi­rot­te­aus, der sie bis zur Trep­pe be­glei­te­te und sie ver­geb­lich bat, noch zu blei­ben. Es ge­lang ihm we­nigs­tens, den Rich­ter Po­pi­not und Herrn von Bil­lar­diè­re noch da­zu­hal­ten. Mit Aus­nah­me der drei Da­men, die die Ari­sto­kra­tie, die Finanz und die Re­gie­rung re­prä­sen­tier­ten: Fräu­lein von Fon­taine, Frau Ju­les und Frau Ra­bour­din, und de­ren strah­len­de Schön­heit, Toi­let­te und Ma­nie­ren sich in die­ser Ge­sell­schaft her­aus­ho­ben, er­schie­nen die üb­ri­gen Da­men in ih­ren Ball­klei­dern plump und derb und zeig­ten jene ge­wis­se Vier­schrö­tig­keit, die der bür­ger­li­chen Mas­se den Stem­pel des Ge­wöhn­li­chen auf­drückt, den die Leich­tig­keit und Gra­zie je­ner drei Da­men mit grau­sa­mer Deut­lich­keit her­vor­tre­ten ließ.

Die Bour­geoi­sie der Rue Saint-De­nis mach­te sich mit ma­je­stä­ti­schem Ge­ba­ren breit und zeig­te in vol­lem Um­fang die ihr ei­ge­nen lä­cher­li­chen Narr­hei­ten. Es war die­se sel­be Bour­geoi­sie, die ihre Kin­der als Ula­nen oder Na­tio­nal­gar­dis­ten ko­stü­miert her­um­lau­fen läßt, die die »Sie­ge und Erobe­run­gen« und den »Sol­da­ten als Acker­bau­er« kauft, das »Be­gräb­nis des Ar­men« be­wun­dert, ihre Freu­de dar­an hat, wenn die Wa­che auf­zieht, den Sonn­tag in ih­rem Land­hau­se ver­bringt, sich Mühe gibt, vor­nehm zu er­schei­nen, und von kom­mu­na­len Ehrenäm­tern träumt; die­se Bour­geoi­sie, die auf al­les nei­disch und trotz­dem gut, dienst­be­reit, hin­ge­bungs­voll, fein­füh­lig und mit­lei­dig ist; die sich an ei­ner Sub­skrip­ti­on für die Kin­der des Ge­ne­rals Foy be­tei­ligt, oder für die Grie­chen, von de­ren See­räu­be­rei­en sie nichts weiß, und für das Kin­der­heim, das gar nicht mehr exis­tiert; die von ih­ren Tu­gen­den ge­nas­führt und um ih­rer Män­gel wil­len von ei­ner Ge­sell­schafts­klas­se ver­spot­tet wird, die selbst we­ni­ger wert ist als sie, die ge­ra­de des­halb das Herz auf dem rech­ten Fleck hat, weil ihr das Kon­ven­tio­nel­le un­be­kannt ist; die­se tu­gend­haf­te Bour­geoi­sie, die ihre keu­schen Töch­ter zur Ar­beit er­zieht, de­ren gute Ei­gen­schaf­ten aber bei der Berüh­rung mit den obe­ren Klas­sen da­hin­schwin­den, so­bald sie dort ein­drin­gen – Mäd­chen ohne Geist, un­ter de­nen der bie­de­re Chry­sa­le sich eine Frau ge­sucht hät­te; mit ei­nem Wort: die Bour­geoi­sie, de­ren be­wun­derns­wer­tes­te Re­prä­sen­tan­ten die Ma­ti­fats wa­ren, die Dro­gis­ten aus der Rue des Lom­bards, de­ren Fir­ma seit sech­zig Jah­ren die Lie­fe­run­gen für die Ro­sen­kö­ni­gin hat­te.

Frau Ma­ti­fat, die einen wür­de­vol­len Ein­druck ma­chen woll­te, tanz­te mit ei­nem Tur­ban auf dem Haar, in ei­nem schwe­ren pon­ceau­far­be­nen, gold­durch­wirk­ten Klei­de, ei­ner Toi­let­te, die zu ih­rem stol­zen Ge­sichts­aus­druck, ih­rer rö­mi­schen Nase und ih­rem leuch­ten­den kar­moi­sin­ro­ten Teint paß­te. Herr Ma­ti­fat, der bei den Re­vuen der Na­tio­nal­gar­de so groß­ar­tig auf­trat, wo man auf fünf­zig Schritt sei­nen rund­li­chen Bauch wahr­nahm, auf dem sei­ne Uhr­ket­te und ein Hau­fen Ber­lo­cken glänz­ten, wur­de von die­ser Ka­tha­ri­na II. des Kon­tors be­herrscht. Klein und dick, auf­ge­putzt wie zum Mas­ken­ball, mit ei­nem Hemd­kra­gen, der bis über den Hin­ter­kopf reich­te, fiel er durch sei­ne Baß­stim­me und den Reich­tum sei­nes Wort­schat­zes auf. Nie­mals sag­te er Cor­neil­le, son­dern stets: der er­ha­be­ne Cor­neil­le! Ra­ci­ne war der sanf­te Ra­ci­ne. Vol­taire! Oh! Vol­taire war auf je­dem Ge­biet der zwei­te, mehr geist­reich als ge­ni­al, aber doch ein Mann von Ge­nie! Rous­seau ein ver­dun­kel­ter Geist, ein Mann voll Ehr­geiz, der sich schließ­lich er­hängt hat. Er er­zähl­te un­be­hol­fen die be­kann­ten An­ek­do­ten von Pi­ron, der bei der Bour­geoi­sie als ein Wun­der gilt. Ma­ti­fat be­saß eine Lei­den­schaft für Schau­spie­ler und eine leich­te Nei­gung zum Obs­zö­nen. Es hieß so­gar, daß er sich, nach dem Vor­bil­de des bie­dern Ca­dot und des rei­chen Ca­mu­sot, eine Mätres­se hiel­te. Wenn Frau Ma­ti­fat ihn mit der Er­zäh­lung ei­ner An­ek­do­te be­gin­nen hör­te, so be­eil­te sie sich, ihn zu un­ter­bre­chen, und schrie ihm zu: »Über­le­ge dir erst, was du sa­gen willst, Di­cker!« Sie nann­te ihn un­ge­niert ih­ren Di­cken. Die­se um­fang­rei­che Dro­gen­kö­ni­gin ließ selbst Fräu­lein von Fon­taine ihre ari­sto­kra­ti­sche Zu­rück­hal­tung auf­ge­ben. Denn das stol­ze Mäd­chen konn­te ein La­chen nicht un­ter­drücken, als sie jene zu Ma­ti­fat sa­gen hör­te: »Stür­ze dich nicht so auf das Eis, Di­cker, das schickt sich nicht!«

Es ist schwie­ri­ger, den Un­ter­schied, der die vor­neh­me Ge­sell­schaft von der Bour­geoi­sie trennt, klar zu ma­chen, als es der Bour­geoi­sie wird, ihn zu ver­wi­schen. Die Frau­en, de­nen ihre Toi­let­ten un­be­quem wa­ren, fühl­ten sich im Sonn­tags­staat und tru­gen eine nai­ve Freu­de zur Schau, die be­wies, daß in ih­rem be­schäf­tig­ten Le­ben ein Ball eine Sel­ten­heit war; wäh­rend die drei Da­men, von de­nen jede eine be­son­de­re Sphä­re der gu­ten Ge­sell­schaft re­prä­sen­tier­te, sich ge­nau so be­nah­men, wie sie es am nächs­ten Tag wie­der tun wür­den; sie sa­hen nicht aus, als ob sie sich be­son­ders für den Abend ge­klei­det hät­ten, sie spie­gel­ten sich nicht in der un­ge­wohn­ten Pracht ih­res Schmucks, sie wa­ren nicht be­un­ru­higt dar­über, was sie für einen Ein­druck mach­ten – wenn sie vor ih­rem Spie­gel die letz­te Hand an ihre Ball­toi­let­te ge­legt hat­ten, so war eben al­les er­le­digt; ihr Ge­sichts­aus­druck zeig­te nichts Au­ßer­ge­wöhn­li­ches, sie tanz­ten gra­zi­ös und mit je­nem Sich­ge­hen­las­sen, das un­be­kann­te Ge­nies ei­ni­gen an­ti­ken Sta­tu­en zu ver­lei­hen wuß­ten. Im Ge­gen­satz hier­zu be­hiel­ten die an­dern, die den Stem­pel der Ar­beit an sich tru­gen, ihr vul­gä­res Be­neh­men bei und zeig­ten zu sehr, wie gut sie sich amü­sier­ten; sie be­zeug­ten un­ge­niert ihre Neu­gier­de, und ihre Un­ter­hal­tung voll­zog sich nicht mit je­nem leich­ten Flüs­tern, das den Ball­ge­sprä­chen einen un­nach­ahm­li­chen Reiz gibt; es fehl­te ih­nen vor al­lem jene selbst­ge­wis­se Hal­tung, hin­ter der die Iro­nie ver­steckt ist, und je­nes si­che­re Auf­tre­ten, an dem die Leu­te zu er­ken­nen sind, die die vol­le Herr­schaft über sich sel­ber ha­ben. So ho­ben sich Frau Ra­bour­din, Frau Ju­les und Fräu­lein von Fon­taine, die sich ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Ver­gnü­gen von die­sem Par­füm­händ­ler­ball ver­spro­chen hat­ten, durch ihre läs­si­ge Gra­zie, durch den aus­er­le­se­nen Ge­schmack ih­rer Toi­let­ten und durch ihr Ge­ba­ren von der ge­sam­ten Bour­geoi­sie eben­so ab, wie drei ers­te Kräf­te der Oper von der schwe­ren Rei­te­rei der Sta­tis­ten. Sie wur­den mit großen nei­di­schen Au­gen an­ge­staunt. Frau Ro­guin, Kon­stan­ze und Cäsa­ri­ne bil­de­ten so­zu­sa­gen das Band, das die Kauf­manns­welt mit die­sen drei Ty­pen der weib­li­chen Ari­sto­kra­tie ver­knüpf­te. Wie bei al­len Bäl­len kam auch hier, wo die Strö­me von Licht, die fröh­li­che Stim­mung, die Mu­sik und die Tanz­lust eine ge­wis­se Trun­ken­heit er­zeug­ten, der Mo­ment, der die­se Nuan­cen in dem all­ge­mei­nen Cre­scen­do ver­schwin­den ließ. Als der Ball all­zu lär­mend wur­de, woll­te sich Fräu­lein von Fon­taine zu­rück­zie­hen; wäh­rend sie sich aber nach dem Arm des ver­eh­rungs­wür­di­gen Ven­déers um­sah, stürz­te Bi­rot­teau mit Frau und Toch­ter her­zu, um zu ver­hin­dern, daß die ge­sam­te Ari­sto­kra­tie die Ge­sell­schaft ver­ließ.

»Ich bin er­staunt,« sag­te die un­ver­schäm­te jun­ge Dame zu dem Par­füm­händ­ler, »was für ein dis­kre­tes Par­füm von gu­tem Ge­schmack in Ih­rer Woh­nung vor­herrscht; ich ma­che Ih­nen dar­über mein Kom­pli­ment.«

Bi­rot­teau war so be­rauscht von den all­sei­ti­gen Be­glück­wün­schun­gen, daß er sie gar nicht ver­stand; aber sei­ne Frau er­rö­te­te und wuß­te nicht, was sie er­wi­dern soll­te.

»Das ist ein va­ter­län­di­sches Fest, das Ih­nen Ehre macht«, sag­te Ca­mu­sot zu ihm.

»Ich habe sel­ten einen so schö­nen Ball be­sucht«, sag­te Herr von la Bil­lar­diè­re, den eine of­fi­zi­el­le Lüge nicht ge­nier­te.

Bi­rot­teau hielt alle die­se Kom­pli­men­te für ernst ge­meint.

»Was für ein rei­zen­des Bild! Und die­ses gute Or­che­s­ter! Wer­den Sie uns oft sol­che Bäl­le ge­ben?« sag­te Frau Le­bas zu ihm.

»Was für eine ent­zücken­de Woh­nung! Ha­ben Sie das nach Ihrem Ge­schmack so an­ge­ord­net?« frag­te ihn Frau Des­ma­rets.

Bi­rot­teau er­laub­te sich eine Lüge und ließ sie in dem Glau­ben, daß er es so an­ge­ge­ben habe. Cäsa­ri­ne, die zu al­len Kon­ter­tän­zen en­ga­giert war, konn­te er­ken­nen, wie­viel Zart­ge­fühl An­selm be­saß. »Wenn ich nur auf mein Ver­lan­gen hö­ren woll­te,« sag­te er lei­se zu ihr, als sie von Tisch auf­stan­den, »so wür­de ich Sie bit­ten, mir die Gunst ei­nes Kon­ter­tan­zes zu ge­wäh­ren; aber die­ses Glück wür­de un­se­rer bei­der­sei­ti­gen Ei­gen­lie­be zu teu­er zu ste­hen kom­men.«

Cäsa­ri­ne je­doch, die fand, daß die Män­ner mit ge­sun­den Bei­nen sich ohne An­mut be­weg­ten, woll­te den Ball mit Po­pi­not er­öff­nen. Po­pi­not, von sei­ner Tan­te er­mu­tigt, die ihm ge­sagt hat­te, er sol­le nur mu­tig re­den, wag­te es, wäh­rend des Tan­zes mit dem rei­zen­den Mäd­chen von sei­ner Lie­be zu spre­chen, aber mit ver­steck­ten Wen­dun­gen, wie sie schüch­ter­ne Lie­ben­de zu ge­brau­chen pfle­gen.

»Mei­ne Zu­kunft hängt von Ih­nen ab, Fräu­lein Cäsa­ri­ne.«

»Wie das?«

»Es gibt für mich nur eine Hoff­nung, die mich be­fä­higt, mein Ziel zu er­rei­chen.«

»So hof­fen Sie.«

»Wis­sen Sie auch, was Sie mir mit die­sem einen Wort ge­sagt ha­ben?« er­wi­der­te Po­pi­not.

»Hof­fen Sie auf Ihr Glück«, sag­te Cäsa­ri­ne mit schel­mi­schem Lä­cheln.

»Gau­diss­art! Gau­diss­art!« sag­te An­selm nach dem Kon­ter­tan­ze zu sei­nem Freun­de und preß­te sei­nen Arm mit her­ku­li­scher Kraft, »du mußt Er­folg ha­ben, oder ich schie­ße mich tot. Er­folg ha­ben, das be­deu­tet für mich, Cäsa­ri­ne hei­ra­ten kön­nen, sie hat es mir ge­sagt; sieh bloß, wie schön sie ist.«

»Ja, sie ist hübsch zu­recht­ge­stutzt«, sag­te Gau­diss­art, »und reich. Wir wol­len sie in Öl ba­cken.«

Das gute Ein­ver­ständ­nis, das zwi­schen Fräu­lein Lour­dois und Alex­an­der Crot­tat, dem de­si­gnier­ten Nach­fol­ger Ro­gu­ins, herrsch­te, wur­de von Frau Bi­rot­teau be­merkt; die nur sehr un­gern dar­auf ver­zich­te­te, ihre Toch­ter ein­mal als Frau ei­nes Pa­ri­ser No­tars zu se­hen. Der On­kel Pil­ler­ault hat­te sich, nach­dem er mit dem klei­nen Mo­li­neux einen Gruß ge­wech­selt hat­te, in ei­nem Lehn­stuhl ne­ben der Biblio­thek nie­der­ge­las­sen; hier sah er den Spie­lern zu, hör­te ihre Ge­sprä­che mit an und ging von Zeit zu Zeit an die Tür, um die wo­gen­den Blu­men­kör­be zu be­trach­ten, die von den Köp­fen der Tän­ze­rin­nen beim Mou­li­net ge­bil­det wur­den. Sei­ne Hal­tung war die ei­nes ech­ten Phi­lo­so­phen. Die Män­ner wa­ren ab­scheu­lich, mit Aus­nah­me du Til­lets, der schon die Ma­nie­ren der gu­ten Ge­sell­schaft hat­te, des jun­gen la Bil­lar­diè­re, ei­nes klei­nen, noch grü­nen Ele­gant, des Herrn Ju­les Des­ma­rets und der of­fi­zi­el­len Per­sön­lich­kei­ten. Aber un­ter all den mehr oder we­ni­ger ko­mi­schen Fi­gu­ren, die die­ser Ge­sell­schaft ih­ren Cha­rak­ter ga­ben, be­fand sich eine, die zwar ein so ver­schwom­me­nes Äu­ße­res hat­te wie ein re­pu­bli­ka­ni­sches Hun­derts­ous­stück, die aber durch ihre Klei­dung in­ter­essant war. Man kann sich den­ken, daß dies der klei­ne Ty­rann des Hol­län­di­schen Hofs war, ge­schmückt mit fei­ner Wä­sche, die im Schran­ke gelb ge­wor­den war, der ein er­erb­tes Spit­zen­ja­bot, das von ei­ner Na­del mit bläu­li­cher Ka­mee ge­hal­ten wur­de, zur Schau stell­te, und eine kur­ze schwarz­sei­de­ne Hose trug, die sei­ne dür­ren Spin­del­bei­ne ver­riet, auf die er die Kühn­heit hat­te, sich nie­der­zu­las­sen. Cäsar zeig­te ihm tri­um­phie­rend die vier Zim­mer, die der Archi­tekt im ers­ten Stock sei­nes Hau­ses her­ge­rich­tet hat­te.

»He, he! Das ist Ihre Sa­che, Herr Bi­rot­teau«, sag­te Mo­li­neux zu ihm.

»Mö­b­liert wird mei­ne ers­te Eta­ge aber jetzt tau­send Ta­ler wert sein.«

Bi­rot­teau ant­wor­te­te mit ei­nem Scherz, aber er emp­fand den Ton, mit dem der klei­ne Alte die­se Wor­te aus­ge­spro­chen hat­te, wie einen Na­del­stich.

»Ich wer­de bald wie­der im Be­sit­ze mei­ner ers­ten Eta­ge sein, die­ser Mensch rui­niert sich ja!« das war der Sinn des Wor­tes »wert sein«, das Mo­li­neux wie einen Tat­zen­hieb an­ge­bracht hat­te.

Das blas­se Ge­sicht und die bö­sen Au­gen des Haus­be­sit­zers fie­len du Til­let auf, des­sen Auf­merk­sam­keit schon vor­her durch sei­ne Uhr­ket­te mit ei­nem Pfund ver­schie­den­ar­ti­ger klim­pern­der Ber­lo­cken und durch den grü­nen, weiß­lich schim­mern­den Frack mit wun­der­lich ge­schnit­te­nem Kra­gen, was dem Al­ten das Aus­se­hen ei­ner Klap­per­schlan­ge gab, er­regt wor­den war. Der Ban­kier be­gann da­her mit dem Wu­che­rer ein Ge­spräch, um zu er­fah­ren, was ihn so ver­gnügt stimm­te.

»Mein Herr,« sag­te Mo­li­neux, in­dem er einen Fuß in das Bou­doir setz­te, »hier ste­he ich auf dem Be­sitz­tum des Herrn Gra­fen von Grand­ville; aber hier«, fuhr er fort und zeig­te auf den an­dern, »bin ich auf dem mei­ni­gen; ich bin näm­lich der Ei­gen­tü­mer die­ses Hau­ses.«

Mo­li­neux zeig­te sich so ent­ge­gen­kom­mend, wenn man ihm zu­hör­te, daß er, ent­zückt von dem auf­merk­sa­men We­sen du Til­lets, sich selbst schil­der­te, von sei­nen Ge­wohn­hei­ten er­zähl­te, von der Un­ver­schämt­heit des Herrn Gen­drin und von sei­nen Ab­ma­chun­gen mit dem Par­füm­händ­ler, ohne die der Ball nicht zu­stan­de ge­kom­men wäre.

»Ach, Herr Cäsar hat Ih­nen schon die Mie­te be­zahlt,« sag­te du Til­let, »das ist sonst nicht sei­ne Ge­wohn­heit.«

»Oh, ich habe das ver­langt, ich ste­he so gut mit mei­nen Mie­tern!«

»Wenn der alte Bi­rot­teau Kon­kurs an­mel­den muß,« sag­te sich du Til­let, »wird die­ser klei­ne schnur­ri­ge Kerl si­cher ein aus­ge­zeich­ne­ter Syn­di­kus sein. Sei­ne Spitz­fin­dig­kei­ten sind kost­bar; er muß sich, wenn er al­lein zu Hau­se ist, wie Do­mi­ti­an da­mit un­ter­hal­ten, Flie­gen zu tö­ten.«

Du Til­let be­gab sich zu den Spiel­ti­schen, wo Cla­paron auf sein Ge­heiß sich schon be­fand; er hat­te sich ge­dacht, daß un­ter dem Schut­ze der Er­re­gun­gen des Ha­zard­spiels sein an­geb­li­cher Ban­kier je­der nä­he­ren Prü­fung über­ho­ben sein wür­de. Ihre Hal­tung ge­gen­ein­an­der war so völ­lig die von Frem­den, daß der arg­wöh­nischs­te Beo­b­ach­ter nichts von Ein­ver­ständ­nis zwi­schen ih­nen hät­te wahr­neh­men kön­nen. Gau­diss­art, der wuß­te, was Cla­paron für ein Glück ge­macht hat­te, wag­te ihn nicht an­zu­spre­chen, nach­dem ihm von dem reich ge­wor­de­nen Rei­sen­den der förm­li­che, kal­te Blick des Par­ve­n­us zu­ge­wor­fen wor­den war, der von ei­nem al­ten Ka­me­ra­den nicht be­grüßt sein will. Um fünf Uhr mor­gens en­de­te der Ball, ähn­lich wie ein glän­zen­des Feu­er­werk er­lischt. Um die­se Stun­de wa­ren von den hun­dert und ei­ni­gen Wa­gen, die die Rue Saint-Ho­noré ge­füllt hat­ten, noch etwa vier­zig üb­rig­ge­blie­ben. Man tanz­te zu­letzt noch die Bou­langè­re, die in­zwi­schen von dem Ko­til­lon und dem eng­li­schen Ga­lopp ab­ge­löst wor­den ist. Du Til­let, Ro­guin, der jun­ge Car­dot, der Graf von Grand­ville und Ju­les Des­ma­rets spiel­ten Bouil­lot­te. Du Til­let ge­wann drei­tau­send Fran­ken. Der her­auf­däm­mern­de Tag ließ das Ker­zen­licht ver­blas­sen und die Spie­ler sa­hen dem letz­ten Kon­ter­tanz zu. In Bür­ger­häu­sern kommt es auf dem Hö­he­punk­te des Ver­gnü­gens im­mer zu Über­trei­bun­gen. Die Re­spekts­per­so­nen ha­ben sich ent­fernt; der vom Tanz er­zeug­te Tau­mel, die Hit­ze, die sich al­len mit­teilt, der in den un­schul­digs­ten Ge­trän­ken ent­hal­te­ne Al­ko­hol ha­ben die al­ten Da­men ihre Hüh­ne­rau­gen ver­ges­sen las­sen, so daß sie sich wil­lig an der Qua­dril­le be­tei­li­gen und die Toll­hei­ten die­ses Mo­ments mit­ma­chen; die Her­ren sind er­hitzt, das schön fri­siert ge­we­se­ne Haar hängt ih­nen über das Ge­sicht und gibt ih­nen ein gro­tes­kes, zum La­chen rei­zen­des Aus­se­hen; die jun­gen Da­men wer­den leicht­fer­tig und ha­ben schon et­li­che Blu­men aus ih­rer Fri­sur ver­lo­ren. Der bour­geoi­se Gott Mo­mus zeig­te sich mit sei­nen Pos­sen! Lach­sal­ven er­tö­nen, je­der will bei dem Ge­dan­ken, daß mor­gen die Ar­beit wie­der in ihr Recht tre­ten muß, heu­te noch aus­ge­las­sen sein. Ma­ti­fat tanz­te mit ei­nem Da­men­hut auf dem Kop­fe; Cöles­tin mach­te Kunst­stücke vor. Wenn eine Fi­gur des end­lo­sen Kon­ter­tan­zes es er­for­der­te, klatsch­ten die Da­men wie wild in die Hän­de.

»Wie sie sich amü­sie­ren!« sag­te Bi­rot­teau glück­se­lig.

»Wenn sie bloß nichts zer­bre­chenl« sag­te Kon­stan­ze zu ih­rem On­kel.

»Ihr Ball war der pracht­volls­te, den ich je ge­se­hen habe, und ich habe vie­le ge­se­hen«, sag­te du Til­let zu sei­nem ehe­ma­li­gen Prin­zi­pal, als er sich ver­ab­schie­de­te.

In Beetho­vens Sym­pho­ni­en gibt es ein The­ma, ge­wal­tig wie ein gran­dio­ses Ge­dicht, das das Fina­le der C-Moll-Sym­pho­nie be­herrscht. Wenn nach der lang­sa­men Ein­lei­tung, die Ha­ben­eck so schön wie­der­gibt, auf ein Zei­chen des Ka­pell­meis­ters gleich­sam der Vor­hang fällt und sein Takt­stock das blen­den­de The­ma, in dem sich alle mu­si­ka­li­sche Macht kon­zen­triert, be­gin­nen läßt, dann wird der Dich­ter, dem das Herz da­bei pocht, ver­ste­hen, daß die­ses Ball­fest auf Bi­rot­te­aus Le­ben die­sel­be Wir­kung aus­üb­te wie auf sei­ne See­le je­nes rei­che Mo­tiv, dem die C-Moll-Sym­pho­nie viel­leicht ih­ren Vor­rang vor ih­ren herr­li­chen Schwes­tern ver­dankt. Eine strah­len­de Fee er­scheint und er­hebt ih­ren Zau­ber­stab. Man ver­nimmt das Rau­schen pur­pur­ner Sei­den­vor­hän­ge, die von En­geln em­por­ge­ho­ben wer­den. Gol­de­ne Pfor­ten, mit Skulp­tu­ren wie die des Bap­tis­te­ri­ums in Flo­renz, dre­hen sich um ihre dia­man­te­nen An­geln. Das Auge ver­senkt sich in köst­li­che Aus­bli­cke, es um­faßt eine Rei­he wun­der­vol­ler Pa­läs­te, aus de­nen We­sen hö­he­rer Art her­vor­schlüp­fen. Auf dem Al­tar steigt die Flam­me des Glücks, der Weih­rauch des Er­fol­ges em­por und ein köst­li­cher Duft ver­brei­tet sich! Himm­lisch lä­cheln­de We­sen in wei­ßen, blau um­säum­ten Ge­wän­dern zie­hen flüch­tig an dir vor­über und zei­gen dir ihr Ant­litz von über­ir­di­scher Schön­heit und ih­ren Kör­per von un­end­li­cher Zart­heit. Amo­ret­ten flie­gen um­her und las­sen die Flam­men ih­rer Fa­ckeln leuch­ten. Man fühlt sich ge­liebt, man ist glück­lich über ein Glück, das man be­gehrt, ohne es zu ver­ste­hen, in­dem man in den Flu­ten die­ser Har­mo­ni­en un­ter­taucht, die her­ab­strö­men und je­dem die Am­bro­sia, die er sich aus­ge­wählt hat, brin­gen. Die ge­heims­ten Hoff­nun­gen, die tief im Her­zen ver­bor­gen wa­ren, sind für einen Au­gen­blick Wirk­lich­kei­ten ge­wor­den. Aber nach­dem er uns durch alle Him­mel ge­führt hat, taucht uns der Zau­be­rer, mit dem Über­gang der tie­fen, un­heim­li­chen Bäs­se, wie­der in den Pfuhl der kal­ten Wirk­lich­keit, um uns wie­der her­aus­zu­zie­hen, wenn er uns ge­nug nach sei­nen himm­li­schen Me­lo­di­en hat dürs­ten las­sen und uns­re See­le aus­ruft: Noch ein­mal! Die Ent­wick­lung die­ses herr­li­chen Fina­les bis zu sei­nem glän­zen­den Hö­he­punkt ent­spricht den er­reg­ten Ge­füh­len, die die­ses Fest bei Kon­stan­ze und Cäsar her­vor­ge­ru­fen hat­te.

Müde aber glück­se­lig schlie­fen die drei Bi­rot­te­aus am Mor­gen nach dem Lärm des Fes­tes ein, das für Bau­ten, Re­pa­ra­tu­ren, Mö­bel, Es­sen und Trin­ken, Toi­let­ten und die Cäsa­ri­ne wie­der zu­rück­be­zahl­te Biblio­thek, ohne daß Cäsar sich des­sen ver­sah, an sech­zig­tau­send Fran­ken ver­schlun­gen hat­te. So­viel kos­te­te das ver­häng­nis­vol­le rote Band, das der Kö­nig ei­nem Par­füm­händ­ler ins Knopf­loch ge­steckt hat­te. Wenn Cäsar Bi­rot­teau ein Un­glück traf, dann ge­nüg­te die­se tö­rich­te Aus­ga­be, um ihn po­li­zei­ge­richt­lich haft­bar zu ma­chen. Ein Kauf­mann ver­fällt in ein­fa­chen Bank­rott, so­bald er über­mä­ßi­ge Aus­ga­ben ge­macht hat. Es ist viel­leicht schreck­li­cher, we­gen un­er­heb­li­cher Ba­ga­tel­len oder Un­ge­schick­lich­kei­ten vor die sechs­te Kam­mer zu kom­men als we­gen ei­nes Rie­sen­be­tru­ges vor das Schwur­ge­richt. In den Au­gen ge­wis­ser Leu­te ist es bes­ser, wenn man ein Ver­bre­cher, als wenn man ein Dumm­kopf ist.

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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