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Bauen in schwerer Zeit

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1854

Es war beinahe zu schön, um wahr zu sein, als Hudson Taylor nur zwei Tage nach Absendung seines Briefes etwas von zu Hause vernahm. Dazu befand er sich, noch ehe der Monat zu Ende ging, im Besitz einer Wohnung, die für ihn und seine erwarteten Kollegen groß genug schien. Es war zwar nur ein baufälliges chinesisches Holzhaus, aber es lag sehr günstig inmitten der Bevölkerung nahe dem Nordtor der Chinesenstadt.

Allerdings war es nicht so leicht mit dem Mieten dieses Gebäudes vor sich gegangen, wie aus der Erzählung zu schließen wäre. Es waren viele mühevolle Verhandlungen notwendig, die zudem noch durch einen Dolmetscher geführt werden mussten. Die lange Verzögerung vergrößerte seine Schuld gegenüber den Freunden der LMS. Als endlich der Mietvertrag abgeschlossen und mit Siegel versehen war, gab es immer noch manches zu erledigen. Er schrieb darüber:

„Mein Haus hat zwölf Räume, viele Türen und Gänge, da und dort noch einen Vorbau. Alles ist mit Schmutz, Schutt und Staub bedeckt. Wozu die angebauten Räume vorhanden sind, ist mir nicht klar. Es gibt deren nicht weniger als sechsunddreißig. Ich werde jedoch keinen einzigen benutzen und habe bereits einige Türen zunageln lassen. Es mag einem Chinesen angenehm sein, so viele Ein- und Ausgänge zu haben; mir aber passt das im Augenblick nicht. Ich will versuchen, das Haus durch zwei Tore von all den angebauten Winkeln abzutrennen.“

Mit chinesischen Handwerkern hatte er aber noch keine Erfahrungen gemacht und sie deshalb unbeaufsichtigt arbeiten lassen. An einem heißen Augusttag trieb er einige Männer zum Aufräumen des Gebäudes auf. In der Frühe des nächsten Tages kam er und bemerkte, wie seine Männer vergnügt einigen Ziegelbrennern bei ihrer Arbeit zuschauten und gar nicht daran dachten, an ihre Arbeit zu gehen. Nachdem er ihnen diese zugewiesen hatte, verließ er sie, um sich nach einer Kiste umzusehen, die er aus Hongkong erwartete. Bei seiner Rückkehr nach einer Stunde fand er zu seiner Überraschung den einen Arbeiter schreibend, den zweiten rauchend und den dritten schlafend. Auch beim dritten Nachsehen schien immer noch nichts getan zu sein.

„So trug ich eben Schreibmappe und Stuhl in den Hof hinunter“, schrieb er am gleichen Nachmittag, „und blieb in der Nähe. Dennoch verfielen sie immer wieder in Trägheit. Sagte ich zum Beispiel: ‚Dies muss gründlich sauber gemacht werden‘, so hörte ich eine Weile Wassergeplätscher und dann blieb wieder alles still. Ging ich nachsehen, dann waren sie ganz erstaunt, wenn ich sagte, sie hätten ja nur die Außenseite gereinigt. ‚Ach, du willst die Sache in- und auswendig geputzt haben?‘, antworteten sie darauf. Zuerst mag es lustig sein; allmählich wird die Sache aber ermüdend, weil die Arbeit auf diese Weise ungetan bleibt.“

Dies war immerhin der leichteste Teil seines neuen Lebens im eigenen Haus. Die unausweichlichen Auslagen bedrückten ihn sehr.

„Um das Geld für eine Sänfte zu sparen“, schrieb er an seine Mutter, „bin ich in der Mittagshitze daheimgeblieben und nur am Abend ausgegangen. Aber dringende Krankheitsfälle ließen mich eine derartige Sparsamkeit aufgeben. Manchmal seufze ich wie einst David: ‚Es dürstet meine Seele nach dir, mein Fleisch verlangt nach dir in einem trockenen und dürren Lande.‘ Aber das ist nicht das Letzte. Ich erfahre auch wieder, wie ‚der Herr meine Macht und mein Heil‘ ist.

Obgleich oft niedergeschlagen, bin ich doch an dem Ort, wo der Herr mich haben will, und bin das, was Er von mir will – wenn mir auch noch mehr Christusähnlichkeit und besondere Sprachkenntnisse fehlen.“

Noch ernster als die Frage der vermehrten Auslagen war die Gefahr, die der Standort seines Hauses in sich barg. Er verließ ja nicht nur die Kolonie, um ganz unter den Chinesen zu leben, sondern zog auch in die Nähe des kaiserlichen Lagers und in die Reichweite der Kanonen beider Parteien. Er kannte die Gefahr, hatte aber nichts anderes finden können, und die Zeit war gekommen, da er etwas unternehmen musste.

„Ich bin dankbar, dass mein Weg auf allen Seiten von Zäunen umgeben ist“, schrieb er, „dass mir keine andere Wahl bleibt. Jetzt muss etwas geschehen, und solltet ihr hören, ich sei verletzt oder getötet worden, dann trauert nicht, sondern dankt Gott, dass Er mir erlaubte, hier einige Bibeln und Traktate zu verteilen und in gebrochenem Chinesisch einige Worte von Jesus zu sagen, der Sein Leben für mich gab!“

Am 30. August verabschiedete sich Hudson Taylor von seinem freundlichen Gastgeber, der ihm für sechs Monate ein Heim geboten hatte, und siedelte in die Chinesenstadt über. In der Einsamkeit begann seine Seele sich wieder zu weiten. Es schien ihm, als ob die längst vergangenen Tage in Drainside hier ihre Fortsetzung fänden. Wie damals lebte er einfach und versagte sich manches. Ein klareres geistliches Erleben schien die Belohnung dafür zu sein.

Es war nun September. Ungefähr vor einem Jahr hatte er Heim und Heimat verlassen. Nun durfte er endlich für die in seiner Umgebung lebenden Menschen etwas tun. Sein Lehrer war ein ernster Christ, dem er die Morgen- und Abendandachten übertragen konnte. So blieb ihm selbst mehr Zeit für Krankenbehandlungen, Besuche und Haushaltarbeiten. Lehrer Shi erwies sich bald als unentbehrliche Hilfe, und durch ihn lernte sein Schüler in kurzer Zeit sowohl gewählte Ausdrücke und höfliche Wendungen als auch sorgfältig überlegte Sätze zur Erklärung des Evangeliums. Sonntags gingen sie zusammen auf die dichtbevölkerten Straßen und predigten dort. Durch die Apotheke gewannen sie viele Freunde, und als sie später noch eine Buben- und Mädchenschule eröffneten, fehlte es ihnen wirklich nicht an Arbeit. Bald musste der Lehrer seine ganze Zeit diesen Aufgaben widmen und ein anderer für den Sprachunterricht angestellt werden. Da nun die Arbeit geteilt war und diese zu seiner Freude beständig zunahm, begann Hudson endlich etwas von den Freuden des Missionslebens zu kosten.

In dieser Zeit schrieb er einen Brief an seine Eltern, der einen Einblick in sein Leben gibt.

„Schanghai, Nordtor, 20. September 1854

Meine Lieben – Vater und Mutter!

Ob meine Briefe Euch vielleicht ermüden oder nicht, so muss ich sie einfach schreiben, und ich hoffe, dass der heutige Euch willkommen ist, weil er Euch von der erfolgreichen Haussuche berichtet. Und ich tue jetzt etwas, wenn auch nur wenig! Ich kann Euch versichern, dass ich wenig Zeit im Bett verbringe … denn ich suche es gewöhnlich erst auf, wenn ich nicht länger wach bleiben kann.

Neulich machte ich mit Mr Edkins und dem jungen amerikanischen Missionar Quaterman einen interessanten Ausflug nach Woosung. Wir mieteten ein Boot und kamen dort mit vielen Schriften beladen um die Mittagszeit an. Diese verteilten wir auf vielen Dschunken, die nach Norden segelten. Kapitäne und andere Leute versprachen uns, die Bücher und Traktate lesen und in den Häfen verteilen zu wollen, die sie anliefen.

Als wir abends froh von unserm Ausflug zurückkehrten, war es nicht so leicht, durch die kaiserliche Flotte hindurchzukommen. Nach Einbruch der Dunkelheit schossen sie ohne große Vorsicht und wir standen in Gefahr, als Rebellen behandelt zu werden. Mr Edkins schlug vor, wir sollten im Vorbeifahren singen, dann würden sie merken, dass wir Ausländer seien. Dieser Rat leuchtete uns ein; nur hatten wir uns bereits tagsüber heiser gesungen.

Nachdem wir unsere Anordnungen getroffen hatten, näherten wir uns einigen Schiffen, die wir für die Flotte hielten, und sangen tüchtig drauflos. Wir freuten uns bereits unseres Erfolges, als uns der Bootsmann zurief, wir sollten von Neuem beginnen, denn jetzt erst würden die Schiffe der wirklichen Flotte vor uns auftauchen. Aus Leibeskräften setzten wir wieder ein und sangen: ‚Weißt du, wie viel Sternlein stehen‘. Unglücklicherweise waren wir damit zu Ende, als wir uns eben dem größten Schiff näherten. ‚Schnell noch eins‘, rief Mr Edkins, denn bereits ertönte die Alarmglocke auf dem Kriegsschiff, ‚singt doch weiter!‘ Er begann dann etwas mir Unbekanntes zu singen, Quaterman stimmte ein anderes Lied an, und ich begleitete ihn mit dem, was mir gerade einfiel. Die Mannschaft auf dem fremden Schiff schrie fürchterlich und unsere Bootsleute noch mehr. Dies alles ergab eine solch komische Situation, dass ich in lautes Lachen ausbrach, obwohl die Gelegenheit dafür äußerst unpassend war.

‚Wer da?‘ wurde uns von dem kaiserlichen Schiff her zugerufen.

‚Peh-kuei!‘ (Weiße Teufel) schrien unsere Bootsleute zurück, während wir selbst ‚Ta Ing-kue‘ (Große englische Nation) und ‚Hua Chu-kuei‘ (Blumiges Flaggenland) dazwischenriefen.

Nach einigen weiteren Fragen wurde uns die Durchfahrt erlaubt, worauf meine Gefährten die Bootsleute wegen ihres Ausdrucks ‚Weiße Teufel‘ tadelten. Die armen Leute, die um ihren Tagelohn bangten, erklärten, sie hätten in ihrer Angst nicht mehr gewusst, was sie sagen sollten, und wollten gewiss in Zukunft keine solchen Ausdrücke mehr gebrauchen.

Meine Augen, die Lampe und das Papier sagen mir, dass ich schließen sollte. Doch darf ich nicht vergessen, Euch zu erzählen, wie kürzlich ein Mann aus Sungliang mir einige seltene Grillen in einem Glasbehälter brachte. Ich gebe ihnen täglich zwei frischgekochte Reiskörner. Wegen ihres Zirpens, das ganz anders tönt als englischer Grillengesang, werde ich sie behalten. Es hört sich schön an.

Und nun gute Nacht oder, genauer gesagt, guten Morgen! Ich bleibe, meine lieben Eltern, Euer anhänglicher Sohn

J. Hudson Taylor.“

Mitten in die Freude hinein mischten sich neue Mühsale. Es kam zu Streitigkeiten unter den Mitarbeitern und Nachbarn, Sorgen um den Koch, der an Typhus erkrankt war, Enttäuschungen über den neuen Lehrer, der entlassen werden musste, große Entmutigungen im Blick auf Fortschritte in der Beherrschung der Sprache und wiederholte Krankheitsfälle, die sich nachteilig auf Hudsons Gemütsleben auswirkten. Dazu kamen noch Unruhen in der Nachbarschaft, die schwer zu ertragen waren.

„Seit einigen Tagen wird wieder heftiger gekämpft“, schrieb er Mitte September, „und die Rebellen sammeln sich am Straßenende. Einige Kanonenkugeln sind neben meinem Haus vorbeigepfiffen. Man kann das Zischen kaum vergessen, wenn man es einmal gehört hat.“

Zu all diesen Nöten kamen noch die Geldsorgen. Er war gezwungen, sein Gehalt zu überschreiten, damit er seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, und hatte bereits einen Gutschein eingelöst, der für eine Notlage bestimmt war. Das kostete ihn manche schlaflose Nacht.

Im Rückblick auf jenen September schrieb er:

„Wenn ich auch nie in meinem Leben einen schwierigeren Monat erlebt habe, so habe ich doch auch nie die Gegenwart Gottes so deutlich gespürt wie in diesen Tagen. Ich beginne, mich der Ruhe im Herrn und Seiner Verheißungen zu freuen, die Er einst in Hull in meinem Leben wahr zu machen begann. Es waren die köstlichsten Erfahrungen, und doch, verglichen mit der Gegenwart – wie wenig wusste ich davon! Später bin ich innerlich etwas zurückgegangen, aber Er hat mich wieder zurückgebracht. Weil es jedoch darin keinen Stillstand gibt, hoffe ich, die Tiefe und Höhe, Länge und Breite der göttlichen Liebe immer besser zu erfassen. Möge Gott es mir um Jesu willen schenken!“

Sieht man die Briefe aus jener Zeit durch, ist man vor allem von Hudson Taylors Eifer beeindruckt, der sich in seinen Gebeten zeigt. Es lohnt sich, darüber nachzusinnen, ob nicht eher unsere Gebete als die äußeren Umstände unser Leben formen und ob nicht unsere äußeren Erfahrungen dem tiefsten Verlangen entsprechen, das wir im Gebet vor Gott bringen. Gewiss ist nichts in Hudson Taylors Leben bezeichnender als das Verlangen nach mehr Fruchtbarkeit und größerer Ähnlichkeit mit seinem geliebten Herrn. Nicht Ehre oder Erfolge, sondern Fruchtbarkeit, „weitreichende Fruchtbarkeit“, darum betete er.

Und seine Gebete sollten über Bitten und Verstehen erhört werden. Doch musste er noch zielbewusster beten lernen und alle Erziehungswege seines Meisters durchlaufen. Das Eisen musste zu Stahl gehärtet und sein Herz fester, aber auch weicher gemacht werden durch mehr Liebe und Leiden in der Gemeinschaft mit Christus. Er selbst und niemand anders konnte ahnen, dass er in China einen Weg bahnen würde für Hunderte, die ihm später folgten. Jede Bürde musste er tragen, durch jede Erfahrung musste er selbst hindurchgehen. Er, der von Gott gebraucht werden sollte, ungezählte Tränen anderer zu trocknen, musste zuerst selbst weinen lernen. Er, der Tausende zu einem Leben kindlichen Vertrauens ermutigen sollte, musste an sich selbst die tiefen Lektionen der Fürsorge des liebenden Vaters lernen. So durften sich die Schwierigkeiten vor allem in der ersten Zeit um ihn herum häufen. Und die Eindrücke dieser Zeit prägten sich ihm tief ein.

Wie oft musste er in späteren Jahren jungen Missionaren helfen und raten! Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele seiner Anfangsschwierigkeiten in der unbeabsichtigten Nachlässigkeit des heimatlichen Komitees auf dem Gebiet der Versorgung lagen. Er musste lernen, wie er handeln und nicht handeln sollte an denen, die einst in menschlichen Belangen von ihm abhängig sein würden. Das war eine Lektion von allergrößter Wichtigkeit und grundlegend für sein zukünftiges Werk. Daher die Not mit seinem festgelegten Einkommen und den großen, unbestimmten Anforderungen. Daher die Unregelmäßigkeit im Blick auf Postsendungen, wodurch seine Briefe so lange unbeantwortet blieben. Darum die wechselvollen Gelegenheiten zum Dienst auf dem Missionsfeld und die langatmige Beschlussfassung des Heimatkomitees. Er tat sein Bestes, und die unerfahrenen Heimatsekretäre taten es auch. Doch irgendetwas fehlte. Das sollte Hudson Taylor entdecken und später in seinem Werk berücksichtigen. Das heiße Eisen musste in seine Seele eindringen, doch aus dem Ausharren und Durchhalten sollten später viele andere Erleichterung finden.

„Schanghai, Nordtor, den 17. Oktober 1854

Meine lieben Eltern!

Ihr wollt alles über meine Geldangelegenheiten und anderes wissen; darum lege ich dem Brief eine Abschrift meiner Ausgabenliste bei, und mit gleicher Post geht das Original an Mr Pearse ab. Wie Ihr seht, übersteigen die Ausgaben die erlaubte Summe weit. Ich werde im Laufe dieses Jahres, vielleicht schon diesen Monat, aber noch mehr von der Bank abheben müssen, bin jedoch nicht sicher, ob man das in der Heimat annehmen wird. Die Gesellschaft stellt mir vierzig Pfund im Quartal zur Verfügung. Wenn die hiesige Bank wüsste, dass ich vor Kurzem einen Beschluss meines Komitees erhalten habe, worin mir erklärt wird, sie könnten keine höheren Forderungen annehmen, würde mir nichts mehr ausbezahlt.

Ihr dürft euch nicht wundern, wenn die Sorgen um die Ausgaben, vereint mit meiner gegenwärtigen Lage, beinahe zu viel für mich wurden. Ich fühlte mich während zwei Wochen sehr elend. Heute geht es besser.

Alles, die chinesischen wie die ausländischen Waren, ist in diesen Tagen teuer in Schanghai. Denkt doch, ich habe in sieben Monaten mehr als hundert Pfund ausgegeben! Ist diese Summe nicht erschreckend? Hundert Pfund im Jahr werden meine Auslagen kaum decken, wenn nicht der Kurs fällt und anderes dazu. Die CMS gibt ihren verheirateten Missionaren siebenhundert Pfund, bezahlt die Miete, Arztrechnungen und gewährt eine ausreichende Summe für den chinesischen Lehrer und die Bücher.

Samstag, 21. Oktober. Heute ist es sehr kalt. Es geht mir besser als Anfang der Woche, jedoch nicht gut. Glücklicherweise habe ich aus zweiter Hand einen Ofen kaufen können, in dem Holz verbrannt werden kann. Ein neuer hätte das Doppelte oder mehr gekostet. Nun bleiben mir bloß noch zwölf Dollar, nachdem alles bezahlt ist. Was soll ich nur tun? Bald werde ich wieder Geld abheben müssen. Auch wenn die Bank mir das Gewünschte ausbezahlte, wüsste ich immer noch nicht, ob die Mission damit einverstanden wäre. Und wäre sie es nicht, dann wüsste ich nicht mehr weiter. Ich denke Tag und Nacht darüber nach und weiß nicht, was ich tun soll.

Letzten Mittwoch weckte mich morgens um drei Uhr ein Brand. Er schien ganz nahe zu sein. Ich kleidete mich schnell an und stieg auf das Dach, um nachzusehen, ob das Feuer sich uns nähere. Chinesische Holzhäuser wie dieses brennen bei Wind sehr schnell herunter. Es war ein angstvoller Augenblick. In der Dunkelheit schien es, als würde es nur vier oder fünf Häuser weiter brennen. Als ich ernstlich um Bewahrung betete, begann es zu regnen. Der Wind legte sich, wofür ich äußert dankbar war. Langsam erlosch das Feuer.

Niemals in meinem Leben habe ich eine solch schwere Zeit durchgemacht. Aber es war alles nötig, und ich weiß, es wurde mir zum Segen. Vielleicht muss ich hier plötzlich weg. Doch was auch geschehen mag: Ich bedaure es nicht, in dieses Haus gezogen zu sein. Ich würde es unter ähnlichen Umständen wieder tun. Aber unsere Gesellschaft muss für ihre Missionare besser sorgen. So kann es nicht weitergehen.

Ich muss jetzt schließen im Vertrauen, dass der Herr, der mir in meiner Not so kostbar ist, Euch ebenfalls nahe ist.

Euer Euch liebender Sohn

J. Hudson Taylor.“

Der Beschluss des Heimatkomitees, wonach Rechnungen, die den Betrag von vierzig Pfund im Quartal übersteigen sollten, nicht übernommen würden, schmerzte wie eine Wunde, die noch von einer Seite zugefügt wurde, von der Verständnis erwartet werden konnte. In einem Brief an Mr Pearse äußerte er sich folgendermaßen:

„Im Blick auf den Beschluss vom 29. Juni 1854 meine ich, das Komitee sollte seine Sekretäre nicht derartig binden. Ihre Missionare sind in ein Land ausgesandt, das sich im Kriegszustand befindet, wo sie buchstäblich nicht wissen, was der nächste Tag oder die nächste Stunde über sie bringt. Auf alle Fälle sollten Rechnungen, die die bestimmte Summe übersteigen, nicht abgelehnt werden, ehe die Gründe bekannt sind. Ich brauche nicht mehr darüber zu sagen. Ihr Herz ist so sehr in diesem Werk wie das meinige und ich weiß, dass Sie diese Bemerkungen entschuldigen, wenn Sie bedenken, dass eine halbe Welt uns trennt.“

Scharfe Herbstwinde und Regen zeigten einen bitterkalten Winter an. Durch die unzähligen Ritzen und Spalten pfiff der Wind erbarmungslos durch das nicht heizbare Haus. Im Sommer hatten seine zwei Decken und die von daheim mitgebrachten Kleider genügt. Jetzt aber befanden sie sich in einem solch erbärmlichen Zustand, dass er sich schämte, neben anderen Europäern gesehen zu werden. Und doch wagte er nicht mehr auszugeben, als er zum Leben dringend benötigte. Seine Verlegenheit wurde dadurch noch vermehrt, dass das so mühsam erworbene Haus für die erwartete Familie Parker völlig ungeeignet war. Er konnte sie nicht einmal eine Nacht darin beherbergen.

Drei Wochen später schrieb er wieder an den Sekretär der Mission:

„Es wird jetzt in unserer Nähe so viel geschossen, dass ich selten eine halbe Nacht durchschlafen kann. Was Dr. Parker und seine Familie tun sollen, ist mir völlig unklar. Hier können sie nicht einziehen, das steht fest. Die beständige Angst um sie und mich, dazu die unvermeidlichen Auslagen, ist keine angenehme Zugabe zu den Schwierigkeiten der Sprache und des Klimas.

Wir haben noch nichts gehört von der ‚Swiftsure‘, doch kann sie bestimmt noch nicht erwartet werden. Ich werde sehr dankbar sein, wenn ich mit Dr. Parker nach seinem Eintreffen über unsere Zukunft reden kann.

Beten Sie für mich, denn ich bin über alle Maßen belastet und wüsste nicht, was ich tun sollte, wenn nicht Gottes Wort und das Bewusstsein Seiner Gegenwart immer kostbarer würden.“

Doch der Herr dachte an Hudson. Er hatte Seinen schwergeprüften Knecht nicht vergessen. Als sich die „Swiftsure“ mit Familie Parker an Bord nach ihrer langen, gefahrvollen Fahrt endlich der chinesischen Küste näherte, hatte der Herr eine Wohnung für sie zubereitet. Gott war nicht an das Haus an der Nordtorstraße gebunden wie Hudson Taylor. Als Er sah, dass Sein Knecht die gestellten Lektionen gelernt hatte, öffnete Er den Weg zu einem besser beschützten Heim.

Auf dem Grundstück der LMS wurde durch ein großes Leid ein kleines Haus frei, das im Vergleich zu Hudson Taylors Räumen einem behüteten kleinen Hafen glich. Dort hatte er Mr und Mrs Burdon in ihrem ersten glücklichen Ehejahr kennengelernt, sich mit ihnen über das Geschenk ihres ersten Kindchens gefreut und einige Monate später mitgetrauert, als das kleine Mädchen mutterlos zurückblieb. Er stand Burdon bei, als dieser sein kleines Töchterchen einer anderen Familie zur Pflege übergeben musste. So hatte das kleine Haus viel Leid mit angesehen. Nun stand es leer, als die Zustände in der Chinesenstadt unerträglich wurden. Man benachrichtigte Hudson Taylor und sagte ihm, er könne das Haus sogleich beziehen, wenn er es haben wolle. So bezahlte er die Miete aus seinen bescheidenen Mitteln und sicherte damit der erwarteten Familie ein Heim.

Man bat ihn dann aber, die Hälfte des Hauses einem anderen Missionar zu überlassen, der sich ebenfalls in einer verzweifelten Lage befand und nicht wusste, wo er seine Frau und Kinder unterbringen sollte. Obwohl das Haus für zwei Familien reichlich klein war, bedeutete es für Hudson Taylor eine Erleichterung, die Miete mit einem anderen teilen und damit noch jemandem helfen zu können. Mit tiefem Bedauern entließ er seine Schüler und nahm Abschied von den Nachbarn und dem Ort seiner ersten direkten Missionstätigkeit. Am 25. November, einem Samstag, kehrte er auf das ihm so wohlbekannte Gelände der LMS zurück und wohnte dort wieder mit andern Missionsleuten zusammen.

Zwei Tage später suchte er noch einmal sein Haus am Nordtor auf und packte den Rest seiner Habe zusammen. Da wurde er durch eine Nachricht von Dr. Lockhart zurückgerufen. Was das wohl bedeutete? Er eilte zurück und fand den Doktor mit einem freundlich aussehenden Fremden am Mittagstisch. Es war sein erwarteter Kollege Dr. Parker. Nun blieb Hudson Taylor keine Zeit mehr zu überlegen, was er alles hatte vorbereiten wollen und wie verwundert die neuen Freunde über die Enge ihrer Behausung sein mussten. Für sie alle mit dem kleinen, während der Seereise noch geborenen Kindchen erwiesen sich die drei Räume noch enger, als er bereits befürchtet hatte. Kräftige, vernünftige Schotten wie die Parkers nahmen die Sache allerdings nicht tragisch. Sie richteten sich so gut wie möglich ein. Für Hudson Taylor aber war es schmerzlich, die Unzulänglichkeit seiner Vorbereitungen erleben zu müssen.

Seine eigene Wohnungsausstattung bestand aus einem chinesischen Bett, zwei oder drei viereckigen Tischen und einem halben Dutzend Stühlen und musste vorerst für sie alle genügen. Es folgten sehr schwierige Tage. Ob sie diese je vergessen würden? Zu dem unvermeidlichen Durcheinander, das der Einzug der neuen Freunde mit sich brachte, kamen noch Besuche der Gemeindeglieder, die alle die Neuangekommenen begrüßen wollten. Hudson Taylors Bekannte sparten dabei nicht mit Bemerkungen über seine scheinbare Nachlässigkeit. Dass er sich die chinesische Lebensweise angewöhnt und keine Bequemlichkeit für sich selbst gesucht hatte, fanden sie richtig, meinten aber, er dürfe nicht dasselbe von andern Missionaren erwarten. Warum hatte er die Räume nicht ordentlich ausgestattet und für warme Teppiche gesorgt? Warum keine Vorhänge aufhängen lassen? Wusste er denn nicht, dass kleine Kinder vor der bitteren Kälte geschützt werden mussten? Hatte er wirklich keine Öfen, kein Brennmaterial besorgt? Hatte denn Dr. Parker ihm nicht geschrieben, dass sie bei ihrer Ankunft im November warme Kleider und Bettzeug brauchen würden? Und wie sollten sie ohne Schränke, Schubladen und Büchergestelle ihre Sachen unterbringen?

Das alles stimmte und konnte nicht widerlegt werden. Doch wie hätte er seinen Missionaren sagen können, dass ihm nach Bezahlung der ersten Miete nur noch einige Dollar zur Deckung von Auslagen übrig geblieben waren?

Hudson Taylor hatte erwartet, dass Dr. Parker vollständig ausgerüstet ankommen würde; nun aber besaß auch er nichts außer etwas Geld. Dr. Parker hatte geglaubt, in Schanghai den Wechsel vorzufinden, der schon vor seiner Abreise aus England abgeschickt werden sollte. In der Heimat hatte man Dr. Parker keine Anweisungen über seine Arbeit und auch keinen Hinweis gegeben, wie er sein Gehalt bekommen würde. Wahrscheinlich waren alle der Meinung gewesen, Hudson Taylor hätte schon alles geregelt. Nun aber stellte sich heraus, dass der Wechsel von den Heimatsekretären vergessen oder übersehen worden war. Glücklicherweise konnten sie in den nächsten Tagen Post erwarten.

Vorerst waren die neu angekommenen Missionare dankbar für das Wenige, das Hudson Taylor für sie vorbereitet hatte. Sie legten ihre letzten Dollar zusammen und beschafften damit das Notwendigste, vor allem warme Kleider für die Kinder.

Schließlich kam die Post. Dabei fanden sich Briefe der Sekretäre, die mit dem 15. September datiert und demnach drei Monate nach Dr. Parkers Abreise geschrieben worden waren. Sie enthielten jedoch keine Einlagen. War der Wechsel vielleicht direkt an die Bank geschickt worden? Nein, auch davon war nichts erwähnt. Dr. Parker konnte sich das Ausbleiben des Wechsels nicht erklären. Hudson Taylor hatte darin schon seine Erfahrungen gemacht und wunderte sich nicht. Er stimmte Dr. Parkers Vorschlag zu, die Bank aufzusuchen und sich dort beraten zu lassen, hatte aber wenig Hoffnung auf Erfolg. Dr. Parker dagegen war überzeugt, dass damit alle Schwierigkeiten beseitigt werden würden, und machte sich in Begleitung Hudson Taylors frohen Mutes auf den Weg zur Bank. Hudson Taylor hatte schon früher mit dem Direktor dieses Instituts verhandelt, und obgleich er ihn verschiedentlich als Freund in der Not kennengelernt hatte, konnte er doch einige seiner ironischen Bemerkungen nicht vergessen, wie: „Die Wirtschaft – oder ist es eine Misswirtschaft? – Ihrer Gesellschaft lässt sehr zu wünschen übrig.“ Nur zögernd stellte er darum Dr. Parker vor und erkundigte sich, ob vielleicht Geld für sie überwiesen worden wäre.

„Nein, es ist nichts da.“

„Sollte es denn möglich sein“, fragte Dr. Parker, „dass Sie von der Missionsgesellschaft keinerlei Anweisungen erhalten haben, über wie viel Geld ich verfügen darf?“

„Das ist nach allen bisherigen Erfahrungen durchaus möglich“, antwortete der Gefragte. Als er jedoch bemerkte, welchen Eindruck seine Worte hinterließen, wurde er teilnehmend.

Die Lage war demütigend und schmerzte die Missionare, weil ein Fremder davon Kenntnis bekam. Hätte er ihnen nicht im Vertrauen auf ihre Redlichkeit Geld vorgestreckt, wären sie wirklich ratlos gewesen. Doch sein Entgegenkommen damals und auch noch später war Gottes Antwort auf ihre Gebete. Er sorgte für sie, bis endlich nach Monaten der Wechsel eintraf.

Dr. Parker verlor keine Worte über die Sache, empfand jedoch die Enttäuschung tief, und dies umso mehr, als er bald die verlockende Möglichkeit erkannte, die ihm als Arzt in China winkte. Mit Leichtigkeit hätte er sich und den Seinen einen Lebensunterhalt schaffen können, wenn er sich von der Mission losgesagt hätte. Doch trotz Armut und vieler Entbehrungen, die den ganzen Winter bis in den Sommer hinein andauerten, gingen sie ihren Weg in gelassener Selbstverleugnung.

Vom ersten Sonntag nach seiner Ankunft an begleitete er Hudson Taylor regelmäßig auf seinen Gängen in die Stadt oder die Dörfer zur Evangelisationsarbeit und beteiligte sich auch an größeren Ausflügen in die Umgebung. Dabei verteilten sie Traktate, behandelten Kranke, während andere Missionare, die die Sprache besser beherrschten, predigten. Daheim in den überfüllten Räumen widmete er sich mit großem Eifer dem Sprachstudium. Einigermaßen Ruhe fand er dazu allein in Hudson Taylors Zimmer, das allerdings neben dem Kinderzimmer lag.

„Nur wer es selbst erlebt hat, kann verstehen, was das für Leib und Seele bedeutet“, schrieb Hudson Taylor. „Solch enges Beisammensein ist derartig aufregend und macht so reizbar, dass wir Eure Gebete dringend nötig haben. Wir beten ernstlich um Geduld.

Es ist wirklich Gottes Gnade, die uns in großer Klarheit zeigt, dass auch wir die Merkmale einer gefallenen Natur an uns tragen. Das weckt in uns ein umso tieferes Verlangen nach jenem Tage, an dem wir unseren Meister sehen und in Sein Bild umgestaltet sein werden. Dem Herrn sei Dank, es ist für uns eine Ruhe vorhanden! Ich bin immer so schnell dabei zu ermüden und wünsche in selbstsicherer Weise bei Ihm zu sein, anstatt danach Verlangen zu haben, Seinen Willen zu tun, auf Seine Zeit zu warten, den Fußstapfen Jesu zu folgen und so zu vollenden, was Er mir zu tun aufträgt. Das Werk der Gnade scheint tatsächlich in meinem Herzen erst begonnen zu haben. Ich war eine unfruchtbare Rebe und bedarf deshalb einer gründlichen Beschneidung. Möchten doch diese gegenwärtigen Prüfungen Segen hervorbringen und mich dadurch brauchbarer machen in Seinem heiligen Dienst!“

In einem andern Ton wurde der erste Brief an Mr Pearse nach Dr. Parkers Ankunft geschrieben. Zu den eigenen Schwierigkeiten, über die er Bericht erstatten musste, kam der Kummer über unkluge Bemerkungen in der „Ährenlese“, die von den Missionaren der LMS als Beleidigungen empfunden werden mussten. „Diese Leute“, so drückte er sich aus, „deren Auffassungen sich in manchen von unsern unterscheiden, haben sich besorgter um Unterkunft und Unterhalt für uns Missionare erwiesen als Sie, die Sie uns ausgesandt haben.“ Er schrieb dann weiter:

„Bitte erachten Sie es nicht als respektwidrig, wenn ich mich offen ausspreche! Denn obgleich ich selbst diese Dinge empfinde, und das sehr tief, würde ich für meine Person darüber schweigen. Es handelt sich aber hier um die Sache anderer Menschen und um den Ruf unserer Missionsgesellschaft. Ich darf nicht länger schweigen, da ich sonst unwahrhaftig werde. Wie die Gesellschaft sich Dr. Parker gegenüber verhielt, ist nicht nur unrecht, sondern auch äußerst gedankenlos. Bedenken Sie doch, dass Ärzte in China durch eine eigene Praxis leicht ihren Unterhalt vervierfachen können gegenüber dem Einkommen, das die Mission ihnen zugebilligt hat. Sie werden nicht weiter im Dienst der Mission bleiben, wenn nicht für sie gesorgt wird. Ich sage das allerdings nicht im Auftrag Dr. Parkers, der ein hingebender Missionar zu sein scheint und mich in der Arbeit sehr ermutigt.

Ich möchte noch bemerken, dass auch ich in Versuchung geriet, nebenher eine Stelle anzunehmen, die mir ein Einkommen von zweihundert Pfund im Jahr gesichert und nur eine zweistündige Arbeit am Abend erfordert hätte. Dieses Angebot fiel in die Zeit, in der ich hundertzwanzig Pfund Miete zahlen musste und in der die Mission anordnete, dass ich für jede Überschreitung meines Wechsels die Verantwortung selbst zu tragen hätte.

Dr. Parker traf vor einer Woche hier ein und war voller Dank für die Bewährungen in vielen Gefahren der Reise. Er fand jedoch unsern Hausteil beinahe leer, denn meine wenigen Habseligkeiten können nicht als Wohnungsausstattung gewertet werden. Die Missionare der LMS sparten nicht mit Tadel, als sie die scheinbare Vernachlässigung der Vorbereitungen zum Einzug der Familie Parker entdeckten. Hätte ich ihnen denn sagen sollen, dass mir nach Bezahlung der Miete fast nichts blieb, als eine kleine Summe von einigen Dollar, die in der gegenwärtigen Teuerung nicht einmal den Unterhalt für eine Woche deckt?

Glücklicherweise besaß Dr. Parker noch etwas Geld, von dem allerdings beim Wechseln zwanzig bis dreißig Prozent verlorengingen. Er war nicht wenig erstaunt, dass Mr Birds Brief keinen Wechsel und auch kein Wort darüber enthielt. Als ich erfuhr, er habe auch keinen mitgebracht, war ich nicht weniger erstaunt.

Wir beide empfinden für viele Mitglieder der Gesellschaft die wärmste Freundschaft und herzlichste Verehrung, vor allem für die Sekretäre, aber wir müssen leider feststellen, dass die Gesellschaft in diesem Falle nicht korrekt gehandelt hat.“

Trotz aller Schwierigkeiten arbeiteten sie tapfer weiter. An den Sonntagen verbrachten sie manche Stunde unter dem Volk und verwandten im Übrigen viel Zeit auf das Sprachstudium. Es war beinahe unmöglich, sich auf das Lernen zu konzentrieren, denn die Verhältnisse in ihrer Umgebung waren erschütternd. Hunderte starben an Hunger und Kälte. Es bestand keine Hoffnung auf Besserung der Lage, solange nicht die eine oder andere Partei einen entscheidenden Sieg erringen konnte.

Die Rebellen gaben nicht nach, obwohl die Franzosen trotz des Versprechens der Neutralität mehr und mehr Partei gegen sie nahmen. Eine französische Fregatte und ein Dampfer, die vor der Stadt vor Anker lagen, schnitten die Lebensmittelzufuhr von der Seeseite her ab, während nach der Landseite hin die Mauer von Franzosen so bewacht wurde, dass auch von dieser Seite nichts in die Stadt hereinkam. Es stellte sich allmählich heraus, dass das zum Teil auf eine jesuitische Anordnung zurückzuführen war, die die regierende Dynastie zu stützen suchte. Denn die Taipingrebellen und andere Freischärler waren nicht nur jeder Form von Götzendienst feind, sondern auch der Bilderverehrung der römischen Priester sowie der zunehmenden Gewohnheit des Opiumrauchens. Sollte ihr langer und verzweifelter Kampf von Erfolg gekrönt sein, würde bald mit diesem und manchem anderen gründlich aufgeräumt werden. Dies wusste der Vatikan wie auch der Hof von St. James in England. Deshalb unterstützten zuerst die Franzosen und später auch die Engländer die kaiserliche Sache. Das Auftreten der Franzosen war der Anfang der europäischen Einmischung in Schanghai, die schließlich zur Unterdrückung des Taipingaufstands führte.

Schon zur Zeit vor Dr. Parkers Ankunft erregte das Dazwischentreten der Franzosen den Hass der Rebellenpartei, deren Haltung gefährlich wurde. Die den Rebellen freundlich gesinnten Chinesen innerhalb und in der Umgebung der Fremdenkolonie planten nun, sich an der ganzen europäischen Gemeinschaft zu rächen. Das gefährdete jedes evangelistische Unternehmen und hätte leicht als Entschuldigung für einen weniger eifrigen Einsatz dienen können. Doch daran dachte keiner der Missionare, die auf dem Grundstück der LMS wohnten. Dr. Medhurst und seine Kollegen reisten weiter ins Inland und zu Evangelisationen in der Umgebung von Schanghai, während Dr. Parker und Hudson Taylor zusammen manchen Besuch sogar auf Städte und Dörfer ausdehnten, die fünfzehn bis fünfundzwanzig Kilometer entfernt waren. Sie fuhren den Hwangpu abwärts und suchten auf allen Schliffen, die kleine Nebenflüsse und Kanäle befuhren, nach ernsten, intelligenten Menschen, die Bibeln und Traktate verteilen konnten. So gaben sie im Dezember viele Hundert Neue Testamente und Evangelien sowie eine große Menge Traktate aus.

„Diese wurden vorsichtig verteilt“, schrieb Hudson Taylor dem Komitee, „und zwar meistens an Männer, die wir kannten und von denen wir wussten, dass sie lesen konnten. Eine beachtliche Menge gaben wir Dschunken mit, die in den Norden fuhren.“

Noch vor Jahresende bekam Hudson Taylor Gelegenheit zu wirksamerer Arbeit. Mr Edkins lud ihn zu einer Reise nach Kashing-fu, einem wichtigen, reichen Industriezentrum im Inland, ein. Diese trat er am Samstag, dem 16. Dezember, an. Es war seine erste größere Evangelisationsreise ins Innere Chinas.

Hudson Taylor

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