Читать книгу Ratekrimis für Jugendliche – Band 2 : 40 neue Geschichten zum Raten - H.P. Karr - Страница 4

01. Ein Fall für Wolf und Lea
Willkommen auf Schloss Schwarzenstein

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Es war ein nebeliger Frühlingsmorgen, feucht und nass lagen die Wiesen da und ein eisiger Wind hauchte durch den Wald, in dem das Internat Schwarzenstein lag. Fast lautlos wie eine Geisterkutsche glitt eine schwarze Limousine über die schmale Straße, vorbei an einem alten Mann, der mit seinem mit geheimnisvollen Schnitzereien verzierten Wanderstock am Rand des Wäldchen entlangmarschierte, das die Menschen hier nur das »Hexenwäldchen« nannten. Die Limousine glitt durch die Nebelschwaden und rollte über die knarrenden Holzbohlen der Zugbrücke auf den Parkplatz des Schlosses, das sich trotz seiner bunten Fensterläden düster in den Morgenhimmel erhob. »Internat Schloss Schwarzenstein« stand auf der Tafel neben dem Schlosseingang. Düster und schwarz schimmerte das Wasser im Graben, der das Schloss umgab. Irgendwo schrie eine Krähe.

»Ui-hii!«, machte Lea, als sie aus der Limousine kletterte, in der Alfred, der Butler der Familie von Biss sie und ihren Bruder Wolf hergebracht hatte. Der Parkplatz war feucht, denn es hatte in der Nacht geregnet. Leas Nasenflügel bebten, als sie behutsam die Luft einsog. Aus dem Wald wogte ein deutlicher Geruch von Moder und Fäulnis herüber. Mit ihren geschärften Sinnen öffnete sie Nase und Augen in Richtung der Bäume. Wie alle Vampire der Familie von Biss konnte sie hervorragend riechen und sehen. Ganz deutlich roch Lea den Hirsch, der auf einer Lichtung 250 Meter weiter stand.

»Lea!« Sie zuckte zusammen. Ihr Bruder Wolf sah sie tadelnd an. Seine dunklen Locken fielen ihm in die Stirn. »Hast du vergessen, dass wir vorsichtig sein sollen? – Niemand darf ahnen, dass wir Vampire sind!«

Natürlich hatte Lea nicht vergessen, was ihre Mutter ihr noch eingeschärft hatte, ehe sie abgefahren waren: »Bitte, du musst dich ganz normal verhalten und darfst mit deinem besonderen Fähigkeiten nicht auffallen, Lea. Und keiner ahnt, dass du und dein Bruder Wolf ganz besondere Kinder mit ganz besonderen Fähigkeiten seid. Dass ihr zum Beispiel viel, viel besser sehen, hören und riechen könnt als andere Kinder! Also achtet bitte darauf, dass ihr eure Fähigkeiten nicht verratet. Ihr sollt auf Schloss Schwarzenstein wie ganz normale Kinder zur Schule gehen! Damit ihr später auch unauffällig unter normalen Menschen leben könnt.«

Als normale Kinder! Lea konnte sich das immer noch nicht vorstellen. Sie und ihr Bruder Wolf - wie sollten sie jemals zu echten Vampiren werden, wenn sie ihre ganz besonderen Fähigkeiten nicht anwenden durften?

»Ihr seid also Wolf und Lea!« Eine schlanke Frau in einem schicken Kostüm war aus dem Internat gekommen, während Alfred ihre Koffer und Taschen auslud. »Ich bin Frau Brandt, eure neue Klassenlehrerin!«

»Freut mich!«, sagte Wolf mit einem charmanten Lächeln und streckte der Lehrerin die Hand entgegen. Doch Frau Brandts Blick richtete sich plötzlich auf den dunklen Kleinwagen, der ein paar Meter weiter auf dem feuchten Parkplatz stand. »Oh nein!«, seufzte sie.

»Ui-hii«, rief Lea, als sie die vielen Kratzer auf der Motorhaube des Autos entdeckte.

»Das ist mein Wagen«, sagte Frau Brandt wütend. »Und das ist nicht das erste Mal, dass ihn jemand hier auf dem Parkplatz beschädigt!«

Wolf und Lea traten näher an den Wagen der Lehrerin heran. In dem aufweichten Boden waren Schuhabdrücke zu erkennen, die zum Wagen führten - und dann wieder davon weg. Mit geblähten Nasenflügeln nahm Wolf den Geruch auf, der über der Spur schwebte, aber dann fiel ihm ein, dass er sich damit nur verraten hätte. Also sah er sich die Spur ganz genau an und stellte fest: »Gummisohle, Größe 42.«

Lea dagegen musterte die kleinen runden Eindrücke neben den Fußabdrücken, ohne dass sie genau sagen konnte, woher sie stammten. Als nächstes sah sie sich die Kratzer auf der Motorhaube Auto an. »Ein spitzer Gegenstand!«, vermutete sie, denn wenn die Fußspuren von einem Menschen stammten, dann musste der auch für die Kratzer verantwortlich sein. »Ein Schlüssel oder so«, überlegte sie. »Ich kann …«

»Nein, kannst du nicht!«, zischte ihr Bruder, der genau ahnte, das Lea die etwas Unerlaubtes tun wollte. Wolf sah Frau Brandt an. »Wenn jemand Ihren Wagen schon mehrere Male beschädigt hat, dann scheint Sie jemand nicht zu mögen!«

Wolf ließ seinen Blick über die düstere Fassade von Schloss Schwarzenstein gleiten und vernahm mit seinem scharfen Gehör ein leises Knurren, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Ganz klar - im Internat lebte ein Werwolf.

»Das erste Mal ist es vor drei Wochen passiert«, sagte Frau Brandt, die von alldem nichts mitbekam. »Da war mein Außenspiegel abgebrochen. Vor zwei Wochen hat mir jemand den Reifen zerstochen! Wenn ich nur wüsste, wer dahintersteckt.«

»Haben Sie denn einen Verdacht?«, fragte Wolf.

»Na zum Beispiel Herr König!« Sie deutet mit dem Kopf hinüber zu dem alten Wanderer, an dem Lea und Wolf vorhin vorbeigefahren waren. Der Mann stand jetzt auf der Zugbrücke und beobachtete die Enten im Burggraben. Seinen Wanderstock hatte er ans Geländer gelehnt und Wolf sah mit seinen scharfen Augen, was andere nicht erkennen konnten: die Dämonenfratzen und Teufelsgesichter, die ins Holz des Stocks geschnitzt waren und ihn höhnisch anzugrinsen schienen. War der Mann etwa ein …

»Herrn König gehört der Gutshof neben dem Internat«, erklärte Frau Brandt. »Und er stört sich daran, dass ich auf dem Weg zur Arbeit die kleine Straße benutze, die über sein Grundstück führt.«

Inzwischen hatte Alfred das Gepäck von Lea und Wolf ins Internat gebracht. Mit ihm kam ein junger Mann über die Freitreppe von Schloss Schwarzenstein herunter. Er trug einen blutroten Jogginganzug und ein gelbes Schweißband, um seine langen Haare im Zaum zu halten. Seine Turnschuhe strahlten in einem blitzsauberen Weiß. Wolf spürte wie ihm ein Schauer über den Rücken rann und wie auch Lea neben ihm zusammenzuckte. Da war er, der Werwolf, dessen Anwesenheit Wolf eben schon gespürt hatte. »Das ist Herr Schiller, der Trainer unserer Fußballmannschaft.« Frau Brandt verzog das Gesicht und Wolf spürte, dass Frau Brandt Herrn Schiller nicht mochte. Er spürte ihre unbestimmte Angst und er verstand sie nur zu gut.

Und als ob Herr Schiller ahnte, dass mit Wolf und Lea zwei ganz und gar ungewöhnliche Schüler angekommen waren, musterte er sie mit scharfem Blick. Lea schauderte, als sie das Aufglühen in seinen Augen sah, und Wolf fröstelte, denn er hörte das drohende Knurren, mit dem der Wolf in Menschengestalt ihn begrüßte. »Oh Gott!«, flüsterte Lea erschrocken.

Doch dann schien Herr Schiller das Interesse an ihnen verloren zu haben und trabte über den gepflasterten Weg am Rand des Parkplatzes davon - natürlich wollte er sich seine schicken Schuhe nicht im Matsch schmutzig machen.

»Herr Schiller ist erst seit zehn Tagen auf Schloss Schwarzenstein - und schon kann ihn kaum einer leiden«, murmelte Frau Brandt. »Ich habe ihn erst gestern gesagt, dass er nicht beliebt ist. Seitdem kommt er immer wieder und sagt, dass mir das noch leid tun wird.«

»Dann hat er Ihnen bestimmt den Wagen zerkratzt!«, meinte Lea. »Seht ihr den Schlüsselbund da an seinem Gürtel? Damit ist die Sache klar!«

»Nein, Herr Schiller steckt nicht hinter den Attacken auf Sie, Frau Brandt!«, sagte Wolf plötzlich. »Das ist ganz klar - und es ist Herr König gewesen, der Ihnen die Motorhaube zerkratzt hat!«

Wieso ist Herr Schiller unschuldig?

Was verriet Herrn König?

Lösung:

Die Attacken auf Frau Brandt begannen vor drei Wochen mit einem abgebrochenen Außenspiegel - aber Herr Schiller war erst vor zehn Tagen ins Internat gekommen. Also konnte er nicht dahinterstecken. Und Herr König verriet sich durch seinen Wanderstock - mit dem hatte er nämlich die kleinen runden Eindrücke neben seinen Fußabdrücken am Wagen hinterlassen, die Lea aufgefallen waren.

Ratekrimis für Jugendliche – Band 2 : 40 neue Geschichten zum Raten

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