Читать книгу Ratekrimis für Jugendliche – Band 2 : 40 neue Geschichten zum Raten - H.P. Karr - Страница 6
03. Ein Fall für Wolf und Lea
Die Fee mit den langen Fingern
Оглавление»Ui-hii«, schüttelte sich Lea. »Ist das gruselig!« Dass sie sich dabei kaum ein Kichern verkneifen konnte, bemerkte Gertrude Uhland nicht. Lea stand zusammen mit ihr und ihrem Bruder Wolf am Fenster des kleinen Häuschen an der Dorfstraße von Hexenwinkel, in dessen Nähe das Internat Schloss Schwarzenstein lag. Es war der späte Nachmittag des 31. Oktobers, und auf der Straße tauchten gerade ein paar Skelette und ein Hexenmeister mit spitzem Hut auf. Nur wenn man genau hinschaute, konnte man Almuth, Kevin und Sophie aus der Klasse von Lea und Wolf erkennen. Die drei hatten die ganze letzte Woche damit verbracht, ihre Halloween-Kostüme zu entwerfen, mit denen die Schüler von Schloss Schwarzenstein an diesem Abend durchs Dorf zogen. Lea hatte sich natürlich als Hexe verkleidet, mit einer dicken Warze auf der Nase, einer Perücke mit wirren Haaren und einem langen Rock. Und Wolf war in ein Graf Dracula-Kostüm geschlüpft, mit einem weiten schwarzen Umgang. Sein Gesicht war weiß geschminkt, mit zwei dünnen Blutfäden aus roter Schminke an seinen Mundwinkeln.
Das düstere Zwielicht des Abends lag über Hexenwinkel. Nur der Kirchplatz war hell erleuchtet - wo nämlich nachher der Halloween-Basar stattfand, den Frau Uhland und ihre Freundinnen von der Gemeindehilfe jedes Jahr veranstalteten. Schon jetzt tummelten sich Gespenster, Henkersknechte und andere düstere Gestalten zwischen den Ständen, an denen es »Hexentrunk«, »Kakerlakenkekse«, »gegrillte Kröten« und andere Leckereien gab. Die Leute aus Hexenwinkel gaben sich wirklich viel Mühe bei dem Basar.
»Da ist Miranda Perlemann«, flüsterte Frau Uhland. »Seit drei Monaten arbeitet sie in unserer Gemeindehilfe mit. Vor den meisten Aufgaben drückt sie sich, nur bei den Straßensammlungen für unsere Feste meldet sie sich immer freiwillig.«
Miranda war Mitte dreißig und hatte sich als Fee verkleidet - mit einem wallenden weißen Gewand, einer langen blonden Perücke und efeugrünen Feenschuhen. Sie stellte ihre große grüne Feenhandtasche neben der Tür des Cafés ab, in dem es zu Halloween »Blutknochen« und »Schwarzes Gift« gab, holte eine Sammelbüchse heraus und sprach die ersten Passanten an.
»Wir haben den Verdacht, das Miranda Geld aus den Sammelbüchsen für sich abzweigt«, sagte Gertrude Uhland zu Lea und Wolf. »Ich habe deshalb mit Pfarrer Schwerin darüber gesprochen und wir haben beschlossen, ihr eine Falle zu stellen.. upps... das hätte ich euch gar nicht verraten dürfen!« Sie wurde rot.
Lea und Wolf sahen sich an. Eigentlich waren sie nur zu Gertrude Uhland gekommen, um eine Kiste mit Steinmännchen abzugeben, die die Schüler der Unterstufe für den Basar gebastelt hatten.
»Das ist doch gar kein Problem«, Frau Uhland!«, sagte Wolf und bleckte seine künstlichen Vampirzähne. »Wir bleiben einfach hier - Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass wir Ihre Falle verraten!«
Unterdessen hatten schon die ersten Leute ihre Spende in Mirandas Sammelbüchse gesteckt.
Gertrude Uhland atmete erleichtert auf - und schon plapperte sie weiter: »Die Sammelbüchsen werden von Pfarrer Schwerin in der Sakristei verwahrt, seit vor ein paar Wochen ins Gemeindehaus eingebrochen wurde, wo wir sie bis dahin immer aufbewahrt hatten. Die Einbrecher haben damals unsere Getränkekasse mitgenommen, die wir in einer alten Sammelbüchse aufbewahrt haben. Seitdem sind wir vorsichtiger mit dem Geld.«
»Sehr klug!«, sagte Lea. Neue Geister und Zombies kamen die Straße entlang gewandert. Sie pochten an die Türen und riefen »Süßes oder Saures!« Wolf interessierte sich dagegen mehr für die Passanten, die ihre Münzen in Miranda Perlemanns Büchse warfen. Eine Frau in einem roten Kleid steckte sogar einen Geldschein in die Dose. »Das ist Annie Hartung«, flüsterte Gertrude Uhland aufgeregt. »Wir haben ausgemacht, dass sie einen markierten Zwanzig-Euro-Schein in die Büchse steckt.«
»Werden die Büchsen eigentlich versiegelt?«, fragte Wolf.
Frau Uhland nickte. »Wenn Pfarrer Schwerin die leeren Büchsen verteilt, verplombt er den Deckel, so dass man sie nicht ohne Spuren öffnen kann.«
Eine Stunde verging und die Nacht brach herein. Drüben steckte Miranda gähnend ihre Sammelbüchse in die Tasche und ging in das Café. Durchs Fenster sahen Wolf und Lea, wie sich einen »Blutknochen« und eine Tasse »Schwarzes Gift« bestellte. »Dass sie beim Sammeln ein Päuschen macht, ist eigentlich nicht abgesprochen!«, murmelte Frau Uhland. Nach einer Viertelstunde kam Miranda Perlemann gestärkt wieder aus dem Café, holte die Sammelbüchse aus ihrer großen Feentasche und sammelte weiter. Eine ältere Dame steckte wieder einen Geldschein in die Dose. »Luise Aston«, erklärte Frau Uhland. »Sie steckt ebenfalls einen markierten Zwanzig-Euro-Schein hinein. Wenn Miranda wirklich Geld aus den Büchsen stiehlt, wird sie sich diese Chance nicht entgehen lassen.«
»Wieso glauben Sie eigentlich, dass sie beim Sammeln betrügt«, fragte Lea.
»Normalerweise hat man nach drei Stunden rund fünfzig Euro in der Büchse«, sagte Frau Uhland. »Nur Miranda bringt vom Sammeln immer nur zehn bis fünfzehn Euro mit.« Sie starrte hinüber. »Wir haben natürlich ihre Büchsen untersucht - sie sind immer unversehrt gewesen. Inzwischen vermute ich, dass sie einfach nicht ständig sammelt, sondern zwischendurch öfter eine Pause macht, so wie eben!«
Nach drei Stunden, als es längst Nacht war und noch mehr Geister, Untote und Zombies durch die Straße liefen, packte Miranda ihre Sammelbüchse wieder in die Tasche und ging davon.
»Sie geht zu Pfarrer Schwerin, um die Büchse leeren«, sagte Frau Uhland. »Kommt, wenn wir den Weg hinter den Gärten nehmen, sind wir vor ihr da!«
In der Sakristei der Kirchen knipste Pfarrer Schwerin den Draht der Plombe an Mirandas Büchse durch, nahm den Deckel ab und schüttete den Inhalt auf den Tisch. »Ui-hii!«, machte Lea. Zwischen den Münzen lag nur ein Zwanzig-Euro-Schein.« Miranda Perlemann sah stand neben dem Tisch und sah die anderen unschuldig an.
»Sie hat einen der beiden markierten Geldscheine aus der Büchse gestohlen!«, flüsterte Gertrude Uhland fassungslos. »Aber ich kann mir nicht erklären, wie!«
»Aber das ist doch ganz einfach«, sagte Wolf.
Was war ihm aufgefallen?
Lösung:
Miranda hatte nicht zwanzig Euro aus der Büchse gestohlen, sondern mit zwei Büchsen gesammelt. Die erste Büchse war jene, die sie Wochen zuvor bei ihrem Einbruch ins Gemeindehaus gestohlen hatte. Vor ihrer Pause im Café verstaute sie sie in ihrer Tasche. Nach der Pause holte sie die richtige Sammelbüchse aus ihrer Tasche, die sie zuvor vom Pfarrer bekommen hatte und sammelte weiter. Den Inhalt der ersten Büchse wollte sie für sich behalten - genau wie sie auch früher getan hatte.