Читать книгу Ratekrimis zum Selberlösen : 40 x dem Täter auf der Spur - H.P. Karr - Страница 9
07. Hass ist auch ein Gift
ОглавлениеGregor Fritsch ist groß herausgekommen, seit er seinen Beruf als Tierfilmer aufgegeben hat. Die Erfahrungen, die er auf seinen zahlreichen Expeditionen durch Afrika und Asien gesammelt hat, sind ihm von Nutzen gewesen, als er ein Zoogeschäft eröffnete. Seine Spezialität sind Eidechsen, Schlangen und andere exotische Reptilien, von denen viele nur nach den strengen Bestimmungen des Artenschutzes gehandelt werden dürfen. Gregor Fritsch kennt und beachtet alle Vorschriften und versteht es ausgezeichnet, mit den Tieren umzugehen. Er kann also eigentlich mit seinem Leben zufrieden sein.
Heute aber ist er sehr verärgert. Chin Su Yeng, sein chinesischer Schlangenwärter, hat wertvolle Schlangen aus den Terrarien gestohlen und sie offenbar auf eigene Rechnung unter der Hand verkauft. Auf die Spur gekommen ist Fritsch ihm durch ein paar Gerüchte, die er im Laden des Futtermittel-Großhändlers aufgeschnappt hatte. Er hatte Chin bereits bei der Polizei angezeigt.
Fritsch steigt in seinen Wagen und drehte gerade den Zündschlüssel, als er in den Rückspiegel blickt und ihm der eiskalte Schweiß ausbricht. Aus dem Raum zwischen Vorder- und Rücksitz steigt der armdicke, schillernde Leib einer Königskobra in die Höhe.
Der weitaufgerissene Rachen mit den beiden spitzen, gefurchten Giftzähnen bietet einen furchtbaren Anblick. Dann, im Bruchteil einer Sekunde, schlägt die Kobra zu.
»Verflucht schwieriger Fall!«, brummt Marlene Kempers Kollege Nils Krüger zwei Tage später, nachdem er die Akten mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen des Falles studiert hat. »Die Rechtsmedizin und das tiermedizinische Institut an der Uni haben festgestellt, dass die Königskobra sich längere Zeit im Kofferraum des Wagens aufgehalten hat. Von dort aus ist sie durch ein Loch, das jemand in die Trennwand zum Fahrgastraum geschnitten hat, in den Wagen gelangt. Man hat mit einiger Sicherheit festgestellt, dass die Kobra frühestens am Morgen des Tattages in den Kofferraum gelegt wurde.«
»Was hat Fritsch an diesem Morgen getan?«, fragt Marlene Kemper.
»Er verließ seinen Bungalow am Stadtrand um 8.15 Uhr und war um neun an seinem Zoogeschäft. Den Wagen stellte er wie gewöhnlich in einer Garage neben dem Freigehege ab. Er schaute kurz im Büro vorbei, machte seine Runde durch die Tiergehege und fuhr dann um halb zehn Uhr er zu Rolf Möbius, einem anderen Tierhändler. Die beiden waren damals, als Fritsch noch als Tierfilmer gearbeitet hat, einige Male gemeinsam auf Expeditionen in Afrika und Indien. Trotzdem gelten sie nicht gerade als Freunde. Es muss seinerzeit ziemlich heftige Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben haben – die auch später weitergingen, als Möbius sich mit seinem Tierladen ebenfalls auf Reptilien konzentrierte und damit der direkte Konkurrent von Fritsch wurde. Was Fritsch an diesem Vormittag bei Möbius wollte, müssen wir noch genau ermitteln. Um zehn Uhr stand sein Wagen jedenfalls wieder in der Garage neben dem Freigehege. Fritsch schloss nicht ab.«
»Gut gemacht«, sagt die Kommissarin. »Und was ist mit seinem chinesischen Schlangenwärter, gegen den er am Tag zuvor Anzeige wegen Diebstahls erstattet hatte?«
»Der ist weiterhin verschwunden«, meint Krüger.
»Warum wohl«, fragt sich Marlene nachdenklich.
Rolf Möbius ist ein massiger Mann mit einem kantigen Gesicht. Er bewegt sich trotz seiner Unterschenkeprothese mit einer bewundernswerten Gewandtheit durch das große Freigehege mit Eidechsen hinter seinem Laden. Kommissarin Marlene Kemper und ihr Kollege warten, bis Möbius das Gehege verlassen hat, ehe sie ihn befragen.
»Fritsch?« Er klopft auf seine Prothese. »Das verdanke ich ihm. Ein Schlangenbiss auf unserer letzten gemeinsamen Expedition. Fritsch hat den Biss falsch behandelt, so dass man mir später den Unterschenkel amputieren musste.«
»Was wollte Fritsch gestern bei Ihnen?«, fragt Marlene Kemper.
»Er schlug vor, dass wir unsere Geschäfte zusammenlegen. Das brächte unterm Strich mehr Gewinn. Ich habe ihn rausgeschmissen.«
Luise Fritsch ist eine attraktive Frau um die Vierzig. Doch in ihrem Gesicht erkennt Marlene Kemper schon die Spuren des Alters. Die Kommissarin und ihr Kollege treffen sie im der großen klimatisierten Halle des Tierhändlers am Rande eines Geheges mit Eidechsen und ungiftigen Schlangen.
»Gregor hat mein Leben zerstört!«, sagt sei bitter. »Ich war seine Assistentin bei seinen Expeditionen als Tierfilmer. Ich habe damals schon viele seiner Unternehmen aus dem Geld finanziert, das ich geerbt hatte. Und dann bat er mich, seine Frau zu werden, als er sich hier mit seinem Geschäft niederließ. Ich dachte zuerst, er würde mich aus Liebe heirateten. Doch das war ein Irrtum. Er hatte es nur auf das Vermögen abgesehen. Das wurde mir klar, als er anfing, mein ganzes Geld in sein Geschäft zu stecken. Es war ein Fass ohne Boden, dieser Handel mit Reptilien und Schlangen.«
»Sie mögen Schlangen nicht?«, fragt Marlene unschuldig.
»Sie ekeln mich an!« Sie deutete auf das Gehege. »Das hat er auch anlegen lassen - von meinem Geld. Ich werde es jetzt so schnell wie möglich verkaufen. Oder abreißen lassen.«
Kommissarin Marlene Kemper betrachtet scheinbar gleichmütig einige Terrarien mit Eidechsen auf Regalen am Rand des Geheges. »Krüger!«, sagt sie dabei leise zu ihrem Kollegen. »Da beobachtet uns jemand hinter der Palette mit den Futtermittelsäcken. Holen Sie den Kerl einmal her.«
Nils Krüger nickt und geht davon. Nach einem kurzen Handgemenge hat er den kleinen Asiaten überwältigt, der sich hinter den Futtermitteln verborgen hat.
»Chin Su Yeng, wenn ich mich nicht irre?«, fragte die Kommissarin.
»Ich bin unschuldig«, beteuert der Chinese in perfektem Deutsch. »Ich habe Herrn Fritsch nicht getötet.«
»Nein, das war die Kobra, die ihm jemand in den Wagen gelegt hat!«, erwidert Marlene trocken. »Was haben Sie hier zu suchen, Herr Yeng?«
Der Chinese schüttelt energisch den Kopf. »Ich habe keine Kobra in seinen Wagen gelegt. Woher hätte ich eine Kobra nehmen sollen? Die letzte Kobra, die wir hatten, ist vor einem halben Jahr aus dem Gehege gestohlen worden.«
»Verstehen Sie etwas von Schlangen?«, fragt Marlene Kemper.
Chin Su Yeng nickt erfreut. »Herr Fritsch hatte mich ja genau deshalb vor einem Vierteljahr eingestellt.«
»Und dann haben Sie ihn gleich bestohlen?«, hakt Nils Krüger nach.
»Ein Fehler, ein großer Fehler«, sagt der Chinese zerknirscht. »Ich hatte Schulden, große Schulden, und da gab es jemanden, der gute Preise für Schlangen zahlte…«
»Wie lange«, fragt die Kommissarin auf einmal bedächtig, »muss eine Kobra eigentlich ohne Futter gehalten werden, damit sie bösartig genug ist, um einen Menschen anzufallen?«
Der Chinese lächelt nachdenklich. Dann sagt er: »Sehr, sehr lange. Mindestens ein halbes Jahr. Kobras können lange ohne Nahrung leben.«
Marlene Kemper nickt Krüger zu. »Lassen wir ihn gehen«, sagt sie. »Der Mann hier hat Fritsch nicht auf dem Gewissen.«
»Aber wer dann?«, fragt Krüger.
Die Kommissarin lächelt. »Das werden Sie gleich erfahren.«
Lösung:
Gleich darauf sagt die Kommissarin zu Luise Fritsch: »Gestehen Sie - es hat keinen Zweck mehr. Die Indizien sind klar: Sie haben die Kobra vor einem halben Jahr hier aus dem Bestand entwendet und so lange ohne Futter gehalten, bis Sie sie vorgestern in den Wagen Ihres Mannes legten. Die Tat erforderte also lange Zeit zur Vorbereitung. Sie mussten außerdem noch den Durchschlupf in die Trennwand zwischen Kofferraum und Fahrgastraum schneiden. Nur Sie hatten die Zeit und auch die nötigen Gelegenheiten um die Tat vorzubereiten. Möbius schied schon deshalb als Täter aus, weil er keine Chance gehabt hatte, irgendetwas am Wagen Ihres Mannes zu manipulieren. Und Herr Yeng wurde erst vor drei Monaten von Ihrem Mann eingestellt.«
Luise Fritsch schluckte. »Sie haben recht«, sagte sie leise. »Ich habe es nicht mehr bei ihm ausgehalten. Wenn ich sah, was er alles für seine Tiere tat, sie pflegte und sich um sie kümmerte … da schien es mir nur passend, dass er auch durch eines von ihnen sterben sollte!«