Читать книгу PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Alaska Saedelaere - Hubert Haensel - Страница 10

4.

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Übergangslos war da ein Gefühl des Schwebens, verbunden mit einem raschen Wechsel von Licht und Schatten.

»... um eine Operation zu erwägen, müssen wir wissen, wie tief dieses – dieses Ding überhaupt sitzt.«

»Sie glauben daran, dass es mit Kreislauf und Nervengewebe verbunden ist, Dr. Bishar?«

»Ich halte alles für denkbar.«

»Auch, dass dieses Etwas lebt?«

»Ein Schmarotzer – warum nicht? Leider waren unsere Kollegen auf Peruwall zu zurückhaltend.«

»Bitte, achten Sie auf den Patienten! Er ist wieder bei Bewusstsein.«

»Wie fühlen Sie sich?«

Alaska schlug die Augen auf. Über sich sah er die Leuchtplatten eines langen Korridors. »Ich kann die Frage nicht mehr hören«, brachte er stockend hervor. Ein Kloß im Hals würgte ihn; er hustete gequält.

Die Ärzte wechselten einen kurzen Blick. Dann schürzte der Kleinere von ihnen die Lippen und zwirbelte ein Ende seines kunstvoll gedrehten Schnauzbarts. »Ich hätte dennoch gerne eine Antwort, Mr. Saedelaere. Wie es aussieht, werden wir längere Zeit miteinander zu tun haben. – Ich bin Dr. Bishar, Xenobiologe. Mein Kollege ist Professor Rosenholz, spezialisiert auf Mikrochirurgie und gentechnische Heilverfahren.«

Erst als Dr. Bishar auch das andere Bartende zwischen Daumen und Zeigefinger drehte, lief es Saedelaere siedend heiß den Rücken hinab. Er sah die Mediziner direkt, nicht über ein Display. Das bedeutete, dass seine Veränderung ihnen nichts anhaben konnte. Er schluckte schwer.

»Sind Sie ... immun? Ich meine, jemand hat mir den Helm abgenommen und ...«

»Wir befinden uns auf Mimas, Mr. Saedelaere. Die mitunter archaischen Methoden unserer Berufskollegen auf irgendwelchen Siedlungswelten sind hier keineswegs Standard. Wir wollen Ihnen jede Freiheit zugestehen, deshalb umgibt ein einfaches Deflektorfeld Ihren Kopf. Solange es aktiv ist, können Sie sich im Prinzip frei bewegen.«

»Als wandelnder Leichnam ohne Kopf?«

Dr. Bishar begann zu lächeln. »Derart drastisch würde ich das nicht formulieren.«

»Aber Sie geben mir Recht?«

»Alles ist relativ, Mr. Saedelaere.«

Alaska schüttelte den Kopf und besann sich erst danach, dass den Medizinern seine Reaktion wegen des unsichtbar machenden Deflektorfeldes verborgen blieb. »Mit anderen Worten: Sie kaschieren ebenfalls nur Symptome. Die Ursache kennen Sie nicht.«

Der Name Mimas stand nicht nur als Synonym für die kommerzialisierte Medizin überhaupt, sondern zugleich für spektakuläre Erfolge, die kein anderes therapeutisches Zentrum des Solaren Imperiums aufwies. Energiekuppeln bedeckten weite Teile der Mondoberfläche. Sie ermöglichten den Einsatz unterschiedlichster klimatischer Bedingungen ebenso wie extreme Schwerkraftverhältnisse oder Atmosphären, die für Menschen ohne Schutzanzug tödlich wirkten. Maahks aus der Nachbargalaxis Andromeda fanden auf Mimas die gleiche medizinische Hilfe wie die Chlorgas atmenden Gradosima. Und über allem hing, gewaltig und imposant, der zweitgrößte Planet des Solsystems, Saturn, im Mittel lächerliche 185.000 Kilometer entfernt.

Zum ersten Mal empfand Alaska Saedelaere Angst vor der Zukunft. Die Ahnung, dass er die weitläufigen Anlagen niemals wieder verlassen würde, quälte ihn. Falls sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten, blieb ihm nur die Isolation, ein Leben unter einem plumpen Helm oder hinter einem Deflektorfeld versteckt.

Weil sein Anblick den Verstand raubte ...

... oder sogar tötete.

Die Furcht fraß an seiner Seele. Wie es in ihm aussah, ging dennoch niemanden etwas an. Von früher Jugend an hatte er die Einsamkeit kennen gelernt, nur arrangiert hatte er sich nie mit ihr. Wahrscheinlich würde er das auch niemals tun.

»Warum gerade ich?« Seine Frage blieb unbeantwortet.

Ein Schott glitt vor ihm und den Ärzten auf. Sich vorzustellen, was ihn erwartete, fiel Alaska nicht schwer: ein enges und ausbruchsicheres Gefängnis, gerade genug Platz, um zu schlafen, denn die meiste Zeit würde er ohnehin von einer Untersuchung zur nächsten weitergereicht werden. Er bereute es bereits, sich mit Galbraith Deighton eingelassen zu haben.

Zu seiner Überraschung bezog er jedoch eine großzügige Suite mit ungehindertem Ausblick auf den Saturn. Der Planet in seiner überwältigenden Imposanz schien zum Greifen nahe.

Raumschiffe zogen Sternschnuppen gleich ihre Bahn. Mimas verfügte über einen umfassend ausgebauten Raumhafen für den solaren Nahverkehr. Transmitter spielten im Klinikbereich eine eher untergeordnete Rolle, da für viele Kranke der Transport durch den Hyperraum eine unzumutbare Belastung bedeutete.

Minutenlang stand Alaska unbewegt da, und jeder neue Atemzug kam ein wenig hastiger als der vorangegangene. Sein Versuch, sich zu erinnern, blieb vergebens, den schwarzen Fleck in seinem Gedächtnis konnte er nicht überwinden. Da war nur die Ahnung von etwas Unheimlichem, das sich seinem Zugriff entzog.

Vier Stunden, hämmerte es unter seiner Schädeldecke. Vier verfluchte Stunden haben mein Leben verändert.

Die Ärzte hatten ihn allein gelassen. Er registrierte es nur beiläufig, denn der goldene Käfig, den sie ihm boten, änderte nichts an seinem Status als Gefangener.

Hunderttausende Menschen benutzten jeden Tag Transmitter, um in Nullzeit weite Entfernungen zu überwinden. Die Gefahr, dabei zu Schaden zu kommen, war denkbar gering. Am liebsten hätte Saedelaere sich hingestellt und lauthals losgebrüllt, doch das konnte er nicht. Weil Gefühle für ihn nie so wichtig gewesen waren wie für andere Menschen. Seine Eltern hatten ihn zu einem rationalen Menschen erzogen. Er funktionierte, weil es von ihm erwartet wurde. Wie ein technisches Gerät.

»Für jedes Problem ... gibt es ... eine Lösung.« Überzeugt davon, dass er belauscht wurde, stieß er den Satz hervor. Eine optische Überwachung wagte wohl niemand. »Habe ich Recht? Galbraith Deighton – was immer Sie sich von mir erhoffen, vergessen Sie es. Ich eigne mich nicht als Monster.«

Sein Gesicht entwickelte wieder dieses verhasste zuckende Eigenleben. Im ersten Reflex wollte Alaska die Finger ins Fleisch schlagen, dann warf er sich herum und stürmte in die angrenzende Hygienezelle.

Suchend drehte er sich einmal um die eigene Achse. Ein matter Überzug auf den Wänden verhinderte jede Reflexion. Spiegel waren schon gar nicht vorhanden.

»Was ist aus meinem Gesicht geworden, Mr. Deighton? Ich habe ein Recht darauf, es endlich zu sehen!«

Er blieb allein mit sich und seinen Ängsten. Niemand antwortete. Zweifellos werteten nicht Menschen, sondern Positroniken die Aufzeichnungen aus.

»Und wenn ich nicht mitspiele? Gelte ich dann noch als lukrativer Patient oder schon als renitent?« Er beugte sich über das Waschbecken und schöpfte mit beiden Händen. Mit einer schnellen Bewegung verteilte er das kalte Wasser im Gesicht. Im ersten Moment spürte er nicht einmal die Kälte, doch dann begannen die Nerven zu toben, als rebelliere ein Teil von ihm. Alaska schrie auf und verkrampfte die Hände über den Wangenknochen. Er registrierte kaum, dass er aus der Nasszelle taumelte und wimmernd aufs Bett sank. Er vergrub den Kopf im Kissen, aber nach wie vor umzuckten ihn orangerote Blitze wie eine Korona.

Eine Stunde vor Mitternacht, Standardzeit. Seit deiner Ankunft auf Mimas liegt ein Wechselbad der Gefühle hinter dir, wie du es nie zuvor erlebt hast. Zeitweise hast du den Eindruck, verrückt zu werden – und nichts und niemand scheint den schleichenden Prozess aufhalten zu können. Dann fällst du von einer neuen Hoffnung in die nächste Niedergeschlagenheit und findest keinen Boden. Schuld daran ist das »Ding« in deinem Gesicht. Noch fehlt dir eine bessere Bezeichnung dafür – und die Ärzte schweigen sich aus. Heißt das, dass sie ebenfalls keine Ahnung haben oder dass sie die Wahrheit kennen und dich bewusst in Ungewissheit lassen?

Dein Schreibstift fällt auf die Tischplatte, du knetest deine Finger. Im nächsten Moment lehnst du dich ruckartig zurück, und dein Blick frisst sich an der Folie und den wenigen in zittriger Schrift hingeschmierten Zeilen fest. 3. März 3428, steht da als Überschrift. Hattest du wirklich vor, ein Tagebuch zu schreiben? Für wen? Nur weil du die Folien und den Stift in der Schublade gefunden hast oder weil du dich fühlst, als müsstest du im nächsten Moment zerplatzen? Dein Herz hämmert bis zum Hals, und jeder Pulsschlag pochte, wie unter Überdruck durch die Adern.

Immerhin verhält sich das »Ding« in deinem Gesicht so ruhig, als wäre nie etwas vorgefallen. Ist es überhaupt noch da, oder hat es sich, womöglich als Nebenwirkung der Untersuchungen, zurückgebildet?

Zögernd beginnst du wieder zu schreiben.

Ich musste immer schon kämpfen und sollte es längst gewohnt sein, dass das Leben nichts verschenkt. Da draußen wartet die Galaxis mit all ihrer Schönheit und Vielfalt – und ich stehe mir mit meinen Schuldgefühlen plötzlich selbst im Weg.

Ich hasse mich.

Nein: Ich hasse das »Ding« in meinem Gesicht.

Du schürzt die Lippen, und die Bewegung fällt dir schwer, als gehorchten die Muskeln nicht mehr allein deinem Willen. Deine Haut spannt, zieht sich zusammen, dehnt sich aus, im Rhythmus des Pulsschlags.

Wie kannst du etwas hassen, von dem du nicht einmal weißt, was es ist? Du glaubst, dein größtes Problem sei die Ungewissheit; aber vermutlich wärst du ruhiger, wenn du dich selbst sehen könntest. Warum zeigt man dir nicht endlich dein Spiegelbild? Aus Furcht, du könntest ebenfalls sterben oder den Verstand verlieren?

Ein kurzes, hektisches Lachen quillt über deine Lippen. Saturn schimmert durch das Panoramafenster herein. Gewaltige Wolkenbänder und Sturmwirbel vermischen sich. Der Schatten eines der anderen Monde – der Größe nach Thetys oder Dione – wandert düster über die pastellfarbene Wolkenwüste.

»Sie können mir nicht helfen«, murmelst du kurzatmig. Vergeblich versuchst du dich zu erinnern, was zwischen Bontong und Peruwall geschah. In einer eigentlich nicht messbaren Zeitspanne, die in Wahrheit vier Stunden gedauert hatte.

Vier Stunden, in denen du ...

Die Leere in deinem Schädel, so unheimlich und unerträglich sie ist, dehnt sich aus. Schwärze erfasst deine Wahrnehmung – aber irgendwo glimmt ein winziger, fahler Funke. Von einer unwiderstehlichen Kraft angezogen, glaubst du, darauf zuzustürzen.

Zeitlos ...

Von wohligen Empfindungen geborgen ...

Auch wenn du's nicht in Worte zu fassen vermagst, schwebst du in der Ewigkeit, eingehüllt von einem türkisfarbenen Schimmer und geborgen in einer Sphäre ungeahnten Gleichklangs. Aus dem Nichts heraus materialisierende bunte Schemen huschen vorbei; es ist dir unmöglich, ihre Form zu beschreiben. Sie erscheinen wie Gestalt gewordene Gedanken.

Abrupt löscht ein dumpfer Schmerz das alles aus. Benommen und zu keiner Reaktion fähig, registrierst du, dass du vornübergesunken und mit dem Kopf auf die Tischplatte aufgeschlagen bist.

Die Bilder, die du zu sehen glaubst, vermischen sich von neuem. Ein zähes, widerstrebendes Medium setzt deinem Schweben ein jähes Ende. Die blasige Masse greift mit tausend tentakelartigen Auswüchsen nach dir, hält dich fest und droht dich zu verschlingen ...

»Bitte aktivieren Sie das Deflektorfeld, Mr. Saedelaere! Ich setze mich ungern einem unnötigen Risiko aus. – Haben Sie verstanden, Alaska? Wenn Sie sich nicht innerhalb von dreißig Sekunden melden, öffnen die Roboter das Schott.«

Seine Handschrift auf der matten Folie tanzte einen sinnverwirrenden Reigen. Dennoch richtete sich Saedelaere auf und schüttelte träge den Kopf. Für einen Augenblick hatte er geglaubt, Galbraith Deightons Stimme zu hören – aber da war nur noch ein dumpfes Dröhnen in den Schläfen. Unter den tastenden Fingern spürte er eine beachtliche Beule. Zögernd glitt die Hand nach vorne und erkundete die Grenze, ab der sich sein Gesicht verändert hatte.

»Deighton ... Sir?«, brachte er stockend hervor.

»Na endlich«, erklang es aus dem Schottmelder. »Ich bin hier, um mit Ihnen zu reden, Mr. Saedelaere. Also aktivieren Sie Ihren Deflektor!«

»Wollen Sie wirklich einen Mann ohne Kopf sehen, Sir? Unterhalten können wir uns auch so. Wobei ich nicht weiß ...«

»Über Ihre Zukunft, Mr. Saedelaere. Ich komme jetzt zu Ihnen – und ich hoffe, dass Sie mich nicht in die nächste Irrenanstalt schicken.«

Alaska zerbiss eine Verwünschung zwischen den Zähnen und versteifte sich. Mit der Rechten tastete er nach dem Mikroprojektor am Jackenkragen. Ein Summton verriet ihm auch ohne optische Kontrolle, dass das partiell unsichtbar machende Feld aktiviert war.

Augenblicke später glitt das Schott zu seiner Unterkunft auf. Alaska drehte sich um. Vergeblich suchte er nach einer Regung in Deightons Miene, die Erschrecken oder eine ähnlich negative Empfindung zeigte.

»Sie sind gekommen, um mir zu sagen, dass die Veränderung inoperabel ist, dass ich mich von Menschen fern zu halten habe? Sie wollen mich für den Rest meines Lebens isolieren?«

»Ich weiß es nicht.«

Saedelaere schien gar nicht hingehört zu haben. »Ich ziehe die Deportation vor«, sagte er hart. »Bitte sorgen Sie dafür, dass ich auf einen unbewohnten Planeten gebracht werde. Ich will wenigstens noch den Eindruck von Freiheit genießen. Oder ist das zu viel verlangt?«

Galbraith Deighton hatte mit schnellen Schritten den Raum durchquert. Fast schon auf Tuchfühlung mit dem Transmittergeschädigten blieb er stehen, umfasste ihn an beiden Oberarmen und drückte ihn auf den Stuhl zurück. »Überdenken Sie Ihre vorgefasste Meinung, Mr. Saedelaere. Niemand hat die Absicht, Sie einzusperren, geschweige denn zu deportieren.«

»... wie soll ich mein Leben normal weiterführen?«

»Darüber reden wir später. Solange nicht feststeht, dass Ihr Gesicht wirklich irreparabel geschädigt wurde ...«

Saedelaere schüttelte den Kopf. Erst danach wurde ihm bewusst, dass der Solarmarschall des Deflektorfeldes wegen die Geste nicht sehen konnte. »Wie geht es also weiter?«, fragte er.

»Die Transmitter von Bontong und Peruwall wurden von Spezialisten der SolAb bis auf den letzten Chip auseinander genommen. Es gab nicht den geringsten Hinweis auf eine Fehlfunktion, keine Materialschäden, keine Sende- oder Empfangsfehler – nichts, was nur einen Deut außerhalb der Norm gelegen hätte.«

Saedelaere stieß einen undefinierbaren Laut aus.

»Ich spüre Ihre Unsicherheit«, fuhr Deighton fort. »Sie versuchen fast schon verzweifelt herauszufinden, was in den vier fehlenden Stunden geschah. Die nahe liegende Erklärung wäre ein Zeitsprung infolge unbekannter Einflüsse während des Transmitterdurchgangs.«

»Ich habe diese Zeit bewusst erlebt«, widersprach Saedelaere. »Ich wurde wiederverstofflicht und erneut entmaterialisiert, aber mir fehlt bis auf wenige vage Fetzen jede Erinnerung.«

»Sind Sie sicher?«

Saedelaere zuckte mit den Achseln.

»Sie glauben, sich zu entsinnen, weil Sie eine Erinnerung brauchen«, vermutete der Solarmarschall. »Als Techniker sind Sie es gewohnt, Details zu hinterfragen. Andererseits gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich jeder Erklärung widersetzen. Ich wage sogar zu behaupten, dass die Menschheit mehr offene Fragen mit sich herumschleppt als in jedem früheren Jahrhundert. Je tiefer unsere Raumschiffe in den Raum vorstoßen, desto schlechter wird das Verhältnis. Jede Antwort, die wir erhalten, bringt zwei neue Fragen.«

»Sie befinden sich doch in der glücklichen Lage, die Beantwortung dieser Fragen eines Tages zu erleben«, sagte Saedelaere.

Der SolAb-Chef zog die Brauen hoch. Er lächelte, aber zugleich umfloss ein bitterer Zug seine Mundwinkel. »Der Vergleich hinkt, Mr. Saedelaere. Andererseits ist uns potentiell Unsterblichen Ihr Gefühlschaos seit diesem Unfall vertraut. Wir alle entsprechen nicht mehr der Norm, sind Stigmatisierte, und das ist auf Dauer nur erträglich, wenn man die Menschen wirklich liebt. – Mögen Sie die Menschen, Mr. Saedelaere?«

»Weil auch ich mit einem Stigma leben muss – mit einer körperlichen Entstellung, die mich zur tödlichen Gefahr werden lässt?« Der Transmittergeschädigte machte eine ablehnende Handbewegung. »Behaupteten Sie nicht eben, noch sei nichts entschieden? Was ist wahr, Mr. Deighton?«

Nachdem der SolAb-Chef gegangen war, starrte Saedelaere minutenlang auf das geschlossene Schott. Er fragte sich, was Galbraith Deighton wirklich von ihm gewollt hatte. Die einzige plausible Antwort war, ihn darauf vorzubereiten, dass der Transmitterunfall sein Leben für immer verändert hatte. Nichts würde mehr so sein wie noch vor wenigen Tagen.

Alaska ballte die Hände, öffnete sie wieder und konzentrierte sich dabei auf das schwache Ziehen im Gesicht. Es ließ sich nicht beeinflussen.

Dieses Ding führte ein unbegreifliches Eigenleben, das ihm nicht gefiel. Mehr noch: Es ängstigte ihn. Ebenso wie die fahle Aura, die von dem veränderten Gewebe ausstrahlte. Die Menschen würden ihn meiden wie einen Pestkranken des Mittelalters. An Liv wagte er schon gar nicht zu denken. Sie war für ihn der erste wirkliche Halt in einem an Enttäuschungen nicht eben armen Leben gewesen. Seit dem Transmitterunfall fürchtete er in seinen Träumen, auch sie in den Wahnsinn zu treiben. Obwohl er ihr Wiedersehen ebenso ungeduldig herbeisehnte.

Prompt begann er sich zu fragen, ob Solarmarschall Deightons Besuch Teil eines psychologischen Tests gewesen war. »Ich will kein Versteckspiel«, stieß er hervor. »Ich will die Wahrheit, so unangenehm sie auch sein mag.«

Saedelaere ließ sich aufs Bett sinken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte hinaus in die Dunkelheit. Von Saturn war nichts mehr zu sehen, nur ein schmaler, golden flirrender Ausschnitt seines Ringsystems. Die Ansammlung von Staub, Eiskristallen und Gesteinsfragmenten schien sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Der Anblick hatte etwas Erhebendes und Beruhigendes zugleich und ließ alle menschlichen Probleme zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen.

Alaska Saedelaere verstand in dem Moment, dass er sich selbst und seine Veränderung akzeptieren musste. Erst dann würde er die nötige Ungezwungenheit aufbringen, die ihn in den Augen anderer nicht als Monstrum erscheinen ließ.

Meine Zellschwingung hat sich verändert. Wenn das die einzige Erkenntnis ist, die nach sechs Stunden Fixierung in künstlicher Schwerelosigkeit und Schichtaufnahmen im Bereich der Molekularstruktur gewonnen wurde, läuft etwas schief. Das hätte ich vorher sagen können. Diese Aura, die von meinem Gesicht ausgeht, lässt nichts anderes als eine Zellveränderung vermuten.

Die Ärzte wissen nicht, dass ich Tagebuch führe. Zumindest lassen sie mich in dem Glauben. Andererseits lag das Schreibzeug kaum zufällig hier. Ich spüre, dass mir diese archaische Methode der Konfliktbewältigung gut tut und ich wenigstens mein inneres Gleichgewicht wiederfinde. Alles aufschreiben heißt, sich damit auseinander zu setzen, bewusst das Schreckliche zu verarbeiten. Ein Mnemospeicher würde denselben Zweck erfüllen, doch was gedankenlos aufgesprochen wird, verfliegt schnell. Ich habe mich wohl nie zuvor ähnlich intensiv mit mir selbst beschäftigt wie in den vergangenen Tagen auf Mimas.

Die Probleme sind immer noch die gleichen, aber ihre Brisanz schwindet. Weil alles zur Gewohnheit wird? Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich Menschen nur mit aktiviertem Deflektor gegenübertreten darf. Roboter sind meine Begleiter während der Untersuchungen.

Elf Tage liegt der Unfall inzwischen zurück. Mit dem zeitlichen Abstand relativiert sich sogar meine Panik. Ich bedauere, dass meinetwegen Menschen sterben mussten oder den Verstand verloren. Gott ist mein Zeuge, ich habe das nicht gewollt, ich hätte mich lieber selbst umgebracht, als das zuzulassen.

Handschriftliche Aufzeichnung

vom 5. März 3428 n. Chr.

In der folgenden Nacht wachte Alaska Saedelaere mehrmals von Albträumen geplagt und schweißgebadet auf. Ein intensives rotes Glühen umfloss sein Gesicht. Unter seinen tastenden Fingern fühlte sich die Haut jedoch normal an, weder fiebrig noch unterkühlt. Nur der Schweiß machte sie feuchter als für gewöhnlich, und die Bartstoppeln sprossen nicht mehr. Jedenfalls vermisste Alaska von den Wangenknochen bis zum Kinn das sonst übliche feine Kratzen.

Für den kommenden Tag waren genetische Untersuchungen angesetzt. Einerseits fragte er sich, weshalb die Ärzte ihm nicht schon zu Anfang Zellproben entnommen hatten, andererseits schreckte er gerade vor diesen Tests zurück und hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend, sobald er daran dachte.

Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere. Die Nacht war endlos.

Irgendwann ertrug Alaska es nicht mehr, in die Dunkelheit zu starren, das von ihm ausgehende fahle Leuchten zu ignorieren und zugleich auf jede innere Regung zu lauschen wie ein Hypochonder auf die Anzeichen einer neuen Krankheit. Ruckartig setzte er sich auf.

Hatte ihn der Transmitterunfall einer zellverändernden Strahlung ausgesetzt? Er wusste zu wenig über das menschliche Erbgut, eben nur, was für einen Techniker im Umgang mit Reaktoren, Waring-Konvertern und Energiespeichern sowie ihrer speziellen Abschirmung unerlässlich war. Harte Gammastrahlung verursachte je nach Dosis den schnellen Tod oder ein langes Siechtum, die Wirkung fünfdimensionaler Energien war diffiziler.

Wahrscheinlich hatten die Mediziner alle konventionellen Möglichkeiten ausschließen wollen, bevor sie das fünfdimensionale Spektrum mit einbezogen.

Alaska Saedelaere schwang sich von der Bettkante auf. Vergeblich versuchte er, auf dem abgedunkelten Panoramafenster wenigstens den Hauch einer Spiegelung zu erfassen. Das fahle Leuchten brach sich in der Scheibe, doch es ließ keinen Rückschluss auf seinen Ursprung zu.

Alaska empfand eine grimmige Genugtuung, dass die medizinischen Kapazitäten ebenso wenig über den Zustand seines Gesichtes wussten wie er selbst. Sie hatten noch nicht einmal eine Möglichkeit gefunden, sich vor den Folgen seines Anblicks zu schützen. Natürlich verweigerten sie ihm deshalb, das eigene Antlitz zu sehen. Alaska sortierte das inzwischen unter der Rubrik »gekränkte Eitelkeit« ein.

Nur die Medoroboter kannten die Veränderungen in seinem Gesicht. Aber was ihre optischen Systeme registrierten – im Spektrum des sichtbaren Lichts, im Infrarot- und Ultraviolettbereich –, wurde in geschlossenen Datenbanken gespeichert. Kein Mensch bekam die Aufzeichnungen zu sehen.

Sein eigenes spöttisches Lachen erschreckte Saedelaere. Eben war ihm durch den Sinn gegangen, dass die Mediziner von den Folgen seines Unfalls sprachen wie ein Blinder vom Sonnenuntergang. Seine Anspannung stieg. Er begann eine unruhige Wanderung, nur wenige Schritte hin und wieder zurück. Verzweifelt fragte er sich, was er während des Transmitterdurchgangs gespürt hatte. Einen Schlag, einen Aufprall? Einbildung das alles? Schließlich presste er seine Stirn und die Handflächen gegen die kühle Scheibe und verharrte schwer atmend.

Körperlos mit empfindungslos gleichzusetzen wäre ein Fehler gewesen. Das Entstofflichungsfeld des Transmitters hatte nicht nur seinen physikalischen Körper transportiert, sondern seinen Geist, die Seele oder wie immer der Mensch das eigene Ich umschrieb.

Was bist du?

Alaska Saedelaeres ganze Aufmerksamkeit richtete sich nach innen, auf sein Gesicht.

Oder wer bist du?

Gab es eine Möglichkeit, festzustellen, ob das Ding lebte? Die wiederkehrenden Zuckungen konnten die Folge von Nervenreizungen sein, und die glühende Aura verlor vielleicht mit der Zeit an Intensität. Handelte es sich nur um eine statische Aufladung, die den Zellzusammenhalt gewährleistete?

Vielleicht gab es irgendwo in der Milchstraße ein intelligentes Wesen, das sich in diesem Moment ähnlich einsam fühlte wie er selbst, das sein Gesicht betastete – mit Fingern, Tentakeln, Klauen oder Saugnäpfen – und den Augenblick verfluchte, in dem zwei hyperenergetische Trägerwellen miteinander interferierten.

»Falls es dich wirklich gibt«, murmelte Alaska innerlich bebend, »werde ich dich finden. Dann machen wir den Austausch rückgängig.«

Gurgelnd stieß er sich ab und taumelte in die Nasszelle, hielt minutenlang den Kopf unter den Massagestrahl der Dusche und ignorierte das Stechen und Zucken im Gesicht. Er ließ sich sein Leben nicht von einem Zufall rauben. Dafür hatte er es sich zu hart erkämpft.

»... Sie werden die Entnahme nicht spüren, äußerstenfalls ein leichtes Kratzen. Für Vergleichszwecke benötigen wir Zellansammlungen aus der Bindehaut und dem darunter liegenden Muskelgewebe.«

Alaska Saedelaere verzog die Mundwinkel zu einem verunglückten Grinsen. Sein Gesicht spannte wie nach einem tiefgreifenden Sonnenbrand.

Starr blickten die Sehzellen des Medorobots auf ihn herab. Obwohl der Schädel aus Metallplastik menschliche Züge hatte, empfand Alaska die unmittelbare Nähe des Roboters als bedrückend. »Beschreibe mir, was du siehst!«, verlangte er. »Wie empfindest du mein Gesicht?«

»Unverändert, Sir.«

Alaska fühlte sich ausgeliefert und hilflos zugleich. Das mochte entweder daran liegen, dass er bis zum Morgen nicht mehr geschlafen hatte, oder mit dem Umstand zusammenhängen, dass alle bisherigen Untersuchungen angeblich ohne Ergebnis geblieben waren. »Ich erwarte eine Beschreibung«, drängte er.

»Über eine direkte oder indirekte Konfrontation wird nach Analyse der Gewebeproben entschieden.« Die Greifhand des Roboters schwebte wenige Zentimeter über ihm. Saedelaere sah, dass die Fingerkuppen eine Vielzahl winziger Kapillaren freigaben. Sekundenbruchteile später spürte er Kälte an den Schläfen. »Die entnommenen Zellpakete werden schockgefroren«, sagte der Roboter.

»Wann fällt die Entscheidung über eine Operation?« Alaska schloss die Augen, als der Roboter mit beiden Händen zupackte und seinen Kopf zur Seite drehte.

»Nach der DNA-Analyse. Jetzt nicht mehr reden, Sir!«

Ein eisiger Hauch fraß sich tief ins Gewebe vor. Der Schmerz war intensiver als alles zuvor. Alaska biss die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien. Gleichzeitig schien ein irisierendes Feuer sein Gesicht zu verbrennen.

Erst als der Roboter die Hände zurückzog, begann das Glühen wieder zu verblassen. Saedelaeres Blutdruck und die Herzfrequenz fielen nach einem jähen Anstieg langsam auf Normalwerte zurück.

»Ich fühle mich ... als hätte mir ein Okrill ... den Kopf abgeleckt«, brachte er stockend hervor. Okrills waren die gefährlichsten Tiere des Extremplaneten Oxtorne. Vor rund tausend Jahren hatte ein havariertes Auswandererschiff auf jener Höllenwelt notlanden müssen. Ohne Aussicht auf Hilfe von außen hatte sich den Siedlern nur die Wahl geboten, zu sterben oder sich mit gentechnischer Hilfe der extremen Umwelt anzupassen. Nach drei Generationen waren für die Nachkommen der Schiffbrüchigen die 4,8fache Schwerkraft ebenso normal gewesen wie die schwankenden Temperaturen zwischen plus einhundert und minus einhundertzwanzig Grad Celsius. Einige Oxtorner hatten zudem in den Okrills, deren Intelligenz der von terranischen Delphinen glich, treue Helfer und Beschützer gefunden. Die Tiere sahen aus wie achtbeinige Riesenfrösche, ihre Muskeln besaßen die Härte von Stahlplastik, und die meterlange Zunge teilte elektrische Schläge aus, die Menschen töten und Terkonitstahl schmelzen konnten.

»Sie stehen unter Schock, Mr. Saedelaere«, sagte der Roboter. »Die Anomalie in Ihrem Gesicht widersetzt sich offensichtlich der Entnahme.«

»Dieses ... Etwas ... reagiert eigenständig?« Die Anspannung trieb Alaska den Schweiß aus allen Poren. Bewusst vermied er es, »intelligent« zu sagen; das war seine eigene Vermutung, die er nicht mit dem Roboter teilen wollte.

Wer bist du?, formulierte er erneut in Gedanken, freilich ohne eine Antwort zu erhalten.

»Sie durchleben einen psychischen und physischen Umbruch«, erläuterte der Roboter, »und beginnen, die körperliche Veränderung zu akzeptieren. Ihr vegetatives Nervensystem wehrt sich bereits gegen den Versuch, die Unfallfolgen rückgängig zu machen. Vielleicht, weil Sie sich mittlerweile in einer Position sehen, die Aufmerksamkeit weckt. Nach einer Operation würden Sie in die Anonymität der Masse zurücksinken.«

»Das ist ja lächerlich!«, begehrte der Techniker auf.

»Ihr Unterbewusstsein reagiert darauf anders, Mr. Saedelaere.«

Alaska stieß ein trockenes Husten aus. »Eine Maschine urteilt über die Psyche eines Menschen? – Ich weigere mich, das länger anzuhören.«

Ohne auf das flackernde Leuchten zu achten, das sich auf dem Rumpf des Roboters brach, verlangte er, in seine Unterkunft zurückgebracht zu werden.

PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Alaska Saedelaere

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