Читать книгу PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Alaska Saedelaere - Hubert Haensel - Страница 13
7.
ОглавлениеDas Land lag in Agonie, es erstarrte in den Fängen der sengenden Hitze, die den Boden verbrannte und die Krume aufbrach. In der flirrenden Luft verwischten Konturen zur Unkenntlichkeit, gewannen Spiegelungen ferner Orte Bestand. Ein gigantischer, gleißender Ozean bestimmte das Bild, eine aufgewühlte, gischtende Region, in der jedes Leben verdorrte.
Düsterrot, von flackernden Eruptionen umgeben, stand wie ein alles verschlingendes Ungetüm die Sonne am Horizont. Sie bewegte sich kaum, hielt scheinbar unverrückbar Totenwache und hatte längst die Nacht dem Tag angeglichen. Ihre Glut ließ die fernen, schroffen Gebirgszüge wie Glasschmelze erscheinen.
Sand, Staub und Hitze beherrschten diese namenlose Welt. Ihr Wasser war längst verdunstet; es gab keine Wolken, deren Schatten dem gequälten Land Linderung versprochen hätten, wenigstens ein letztes hoffnungsvolles Aufflackern vor dem endgültigen Tod. Die Sonne dehnte sich aus, sie wuchs und blähte sich zu einem hungrigen Ungetüm, das eines Tages seine letzten Kinder verschlingen würde.
Bald!
Obwohl niemand mehr in ohnmächtiger Wut und Verzweiflung die Fäuste zum Himmel emporreckte und die gnadenlose rote Gottheit verfluchte, hing ein stetes Raunen und Wispern in der Luft. Schwarzer Sand flutete träge mit dem Wind, füllte Senken mit trügerischem Boden und führte die Erosion fort, die Wasser und Frost vor undenkbar langer Zeit begonnen, aber nie vollendet hatten.
Hie und da schienen sich die Geister dieser Welt zu erheben, als wollten sie noch einmal ihr Schicksal selbst bestimmen, dann wirbelten Sand und Staub in spiralförmigen Bahnen hoch in die Atmosphäre wie ein letztes Aufbäumen. Aber solche Windhosen hatten nie lange Bestand und fielen kraftlos in sich zusammen, kaum dass sie größere Mengen Sand trugen. Zurück blieben tiefe Wunden, weit verstreut, die manchmal die Vergangenheit sichtbar werden ließen, ehe der Sand erneut vieles begrub.
Die Hitze hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Jeder Atemzug schien flüssiges Feuer in seine Lungen zu pumpen. Sein Schädel drohte zu zerspringen, als eine Bö ihm Sand entgegenpeitschte. Abwehrend riss er die Arme vors Gesicht.
»Das sollten Sie nicht tun, Sir«, warnte eine leise, akzentuierte Stimme. »Das Wundplasma braucht noch kurze Zeit, um die Schorfbildung abzuschließen.« Etwas Kühles umfing seine Handgelenke und zog die Arme zur Seite – er hatte nicht die Kraft, sich dagegen zu wehren. Gleich darauf spürte er die Kälte auch an den Schläfen ...
... sie vertrieb die letzten Bilder in seinem Innern, ließ sie verwehen wie die Schleier des Morgennebels über dem Goshun-See bei Sonnenaufgang. Wie ein Mosaik zerplatzte das Abbild der fremden, unwirtlichen Welt in Tausende von Bruchstücken, aber nicht eines davon konnte er bewahren. Zurück blieb eine beklemmende Leere, das Gefühl hilfloser Ohnmacht – und ein pochender Schmerz, der nach einem heißen Aufwallen rasch abebbte.
Er starrte in ein blendendes Licht und nahm nur Schemen wahr, menschliche Silhouetten, die über ihm schwebten, Bedrohung und Hilfe zugleich. Was immer er sagen wollte, einzig ein gequältes Stöhnen drang über seine Lippen.
»Sie werden gleich einschlafen, Mr. Saedelaere. Die Verletzungen, die Sie sich zugefügt haben, sind zum Glück nicht lebensbedrohlich.«
Er spürte die Müdigkeit. Sie machte ihm Angst. Er wollte nicht schlafen, denn dann lieferte er sich dem Unheimlichen aus, das in seinem Gesicht nistete. Das durfte nicht sein. Niemals durfte das ... das Ding die Oberhand gewinnen.
Nein! Lautlos bewegten sich seine Lippen. Er spürte sie kaum, sie gehörten ihm nicht mehr.
Panik stieg in ihm auf. Das Herz hämmerte gegen die Rippen, als wolle es den Brustkorb sprengen, sein Atmen wurde zum qualvollen Keuchen.
»Nein«, ächzte er. »Nicht schlafen ... nie wieder!«
In der Erinnerung sah er sich im Spiegel: ein flackerndes, buntes, brodelndes Etwas. Wie ein hungriges Raubtier sprang es ihn an und grub die Zähne tief in sein Fleisch. Die Krallen im Gesicht hinterließen tobende, zuckende Striemen.
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er atmete nicht mehr, hörte einfach auf, nach Luft zu ringen, während sein Herzschlag aussetzte, von neuem begann und ein-, zweimal stolperte, dann endgültig innehielt.
Alaska spürte, dass er starb, doch es berührte ihn kaum. Wie aus weiter Ferne hörte er das Schrillen der Überwachungssensoren.
Ein kurzer, stechender Schmerz an der Halsschlagader. Unwillig wollte er den Kopf zur Seite drehen, doch er war zu keiner Regung mehr fähig und konnte die Injektion nicht verhindern.
Gleich darauf ergriff eine nie gekannte Müdigkeit von ihm Besitz, und er spürte eine wohltuende, besänftigende Ruhe. Nur das Ding in seinem Gesicht zuckte wütend. Was immer du bist, dachte Saedelaere grimmig, du stirbst mit mir.
Dann war nichts mehr.
Zeitlos dämmerte er dahin, sich seiner selbst kaum bewusst. Nur hin und wieder schienen sich aus dem Nichts heraus vage Empfindungen zu verdichten, doch sie verwehten rasch, bevor sie intensiver werden konnten.
Er schwebte ...
... in einer prickelnden, belebenden Flüssigkeit. Geräusche verdichteten sich, die an das Gurgeln und Blubbern aufsteigender Luftblasen erinnerten.
Alaska Saedelaere hatte die Knie an den Leib gezogen und streifte gelegentlich mit einer Hand über sein Gesicht. Immer dann jagte ein Adrenalinschub durch die Adern und steigerte die unbewusste Anspannung.
Die Erinnerung traf ihn mit unbeschreiblicher Härte. Er schrie, schluckte Flüssigkeit, schlug hilflos um sich. Seine Arme zerrissen Dutzende hauchdünner Sensorfäden, aber gleichzeitig tauchte er auf. Sauerstoff aus einer Maske, die ihm jemand auf Mund und Nase presste, strömte durch seine Atemwege, während ein wohlig warmer Luftzug ihn abtrocknete und die verklebten Lider löste.
Schwerfällig drehte er den Kopf, hoffte mehr zu sehen als nur die Leuchtelemente in der hohen Decke.
Seine Frage klang vorwurfsvoll: »Warum wurde ich zurückgeholt?«
»Alle Körperfunktionen sind stabil«, sagte eine Roboterstimme, ohne auf die Frage zu achten. »Sie haben sieben Stunden und vierzehn Minuten in der Nährlösung verbracht. Über die Haut wurden Spurenelemente und Neurotransmitter aufgenommen ...«
»Warum?«, wiederholte Saedelaere ungeduldig.
Sekundenlang war die künstliche Mimik des Medoroboters eine Mischung aus Erstaunen und Verwunderung. »Unsere Aufgabe ist es, menschliches Leben zu erhalten, Sir«, lautete die Antwort. »Entspannen Sie sich bitte, die zweite Phase der Rehabilitation beginnt.«
»Ich denke nicht daran«, protestierte Saedelaere. »Weshalb wurde ich nicht operiert?«
»Sie würden einen derartigen Eingriff nicht überstehen, Sir. Die Zellveränderung hat sich als irreversibel erwiesen.«
»Ich bin also unwiderruflich ein Monstrum geworden, dessen Anblick andere Menschen in den Wahnsinn treibt? – Und was geschieht nun? Ich denke nicht daran, unter einem Deflektorfeld zur Kuriosität zu verkommen. Wahrscheinlich reißt sich nicht einmal der GGG-Weltraumzirkus um mich.«
»Deshalb möchte Solarmarschall Deighton mit Ihnen reden, Sir.«
»Wegen des Zirkus? – Ich empfange keinen Besuch, solange ich diesen Aussatz habe.« Saedelaere schaffte es nicht, sich auf die Seite zu drehen und dem Roboter den Rücken zuzuwenden; energetische Felder fixierten ihn auf der Antigravliege.
»Ich habe Ihre Reaktion erwartet, Mr. Saedelaere«, erklang eine Lautsprecherstimme. »Wahrscheinlich wäre ich sogar enttäuscht, wäre sie anders ausgefallen. Dass Ihnen momentan noch nicht geholfen werden kann, ist allerdings bedauerlich.«
»Keine verbalen Verrenkungen«, ächzte Alaska nach einer kurzen Pause. »Ich kann selbst meine Lage ungeschönt beurteilen.«
»Das erleichtert manches«, fuhr Deighton fort. »Unterhalten wir uns über Ihre Zukunft, Mr. Saedelaere. Sie sind körperlich bei bester Gesundheit. Was mit Ihrem Gesicht geschehen ist, macht Sie nicht krank. Sie können so alt werden wie jeder andere.«
Unruhig schweifte Saedelaeres Blick durch den Raum, streifte den Roboter und fraß sich letztlich wieder an den Leuchtplatten fest. Eigentlich hatte er alles ignorieren wollen, doch die Bemerkung des Solarmarschalls reizte ihn zum Widerspruch. »Alt?«, wiederholte er spöttisch. »Ich wüsste nicht, weshalb ich das noch wollte.«
»Sie reden bestimmt anders, Mr. Saedelaere, sobald Sie mein kleines Präsent gesehen haben. Ich schlage Ihnen einen Handel vor.«
Der Transmittergeschädigte schwieg erneut.
»Stellen Sie sich in den Dienst der Menschheit«, fuhr Deighton unbeeindruckt fort. »Sie haben die Fähigkeit dazu.«
Saedelaere starrte unverwandt an die Decke.
»Ich spüre Ihre Zweifel, Alaska, ihre Einsamkeit und die Verzweiflung. Aber für diese Empfindungen besteht kein dauerhafter Grund. In der SolAb wären Sie nicht der Einzige, der ein schweres Schicksal trägt.«
Tief atmete der Techniker ein. Sein Schnaufen klang gequält. »Hätten Sie sich für einen Alaska Saedelaere vor dem Transmitterunfall interessiert, Solarmarschall?«
»Die Frage stellt sich so nicht.«
»Sie wollen also nur mein Gesicht ... das neue, tödliche.«
»Das wiederum wäre eine zu eingleisige Wahrheit.«
»Vergessen Sie's. – Danke, Mr. Deighton, für Ihren Versuch, mir zu helfen, aber käuflich bin ich nicht. Falls Sie es wirklich ernst meinen, lassen Sie mich auf eine unbesiedelte Welt fliegen und halten Sie mir andere Menschen vom Hals.«
»Glauben Sie wirklich, dass Ihnen das auf Dauer gefallen würde? Sie haben Zeit, Mr. Saedelaere, Ihre Ablehnung zu überdenken. Ich komme gleich zu Ihnen. – Bis dahin sollten Sie allerdings mit der Maske vertraut sein.«
»Das Fesselfeld wird abgeschaltet, Sir«, sagte einer der Roboter. »Setzen Sie sich langsam auf.«
Das Schwindelgefühl, das ihn überfiel, wich ebenso schnell wieder. Alaska brauchte höchstens zwei Minuten, bis er auf den Beinen stand und die bereitliegende Kleidung anzog. Als ihm der Roboter ein Stück Plastik hinhielt, reagierte er nicht sofort.
»Bitte legen Sie das an, Sir!«
Misstrauisch betrachtete Alaska das nur millimeterdicke graue Gebilde. Es erschreckte ihn. Die menschliche Gesichtsform war deutlich herausgearbeitet: Kinn, Nase und Wangenknochen, sogar die Jochbögen. Das Ding reichte vom Kinn bis über den Haaransatz und seitlich bis zu den Ohren und den Kiefergelenken. Ein einfacher, aber wirksamer Haltemechanismus sorgte dafür, dass es nicht verrutschen konnte.
»Bitte, Sir!«
Der Roboter reichte ihm die Maske so, dass die leeren Augenhöhlen und die starre, leicht geöffnete Mundpartie nicht allzu abschreckend wirkten.
Alaska presste die Lippen zusammen; sein Kopfschütteln war ein knappes, kaum merkliches Zittern.
»Wenn Sie mich nicht umbringen wollen, Mr. Saedelaere«, dröhnte die Lautsprecherstimme lauter als zuvor, »setzen Sie die Maske auf. Und keine Sorge, sie passt Ihnen wie angegossen. Ihr Schädel wurde vermessen, während Sie im Tiefschlaf lagen.«
Alaska griff nach der Maske, zögerte jedoch, bevor er das Plastik berührte, und zog die Hände so ruckartig zurück, als hätte er sich soeben die Finger verbrannt. Im nächsten Moment sah es aus, als wollte er sich die Haare raufen, doch abermals hielt er in der Bewegung inne. In Augenhöhe ballte er die Hände.
»Ich helfe Ihnen, Sir«, sagte der Medoroboter.
Saedelaeres Brustkorb hob und senkte sich unter hastigen Atemzügen, aber er widersprach nicht. Regungslos ließ er es zu, dass der Roboter die Maske über sein Gesicht schob und befestigte.
Mit geschlossenen Augen lauschte der Transmittergeschädigte in sich hinein. Das heftige Aufwallen, als die Maske die Haut berührte, ließ für Sekundenbruchteile Hoffnung aufkeimen, das fremde Zellgewebe würde sich ablösen. Aber schon im nächsten Moment ebbten die Kontraktionen wieder ab.
»Spüren Sie die Auflagepunkte?«, wollte der Roboter wissen.
»Sie sind rau«, sagte Saedelaere. »Ich weiß nicht ...«
»Stört Sie etwas?«
Der Techniker zuckte mit den Achseln und öffnete die Augen wieder. Das Empfinden, Plastikgeruch einzuatmen, mochte der Einbildung entspringen. Jedenfalls hinderte ihn die Maske nicht am Atmen. Andererseits war sein Blickfeld eingeschränkt – unwesentlich zwar, doch er empfand das als Behinderung. Die Sehschlitze waren zu klein; egal wie er den Blick wandte, stets hatte er eine verschwommene Kante vor sich.
Weil Tränen die Sicht trübten, begann Alaska aufgeregt zu blinzeln, und als das nicht half, tastete er nach der Befestigung, um die Maske abzunehmen. Der Medoroboter hinderte ihn daran.
»Ich hoffe, die Maske entspricht Ihren Vorstellungen, Mr. Saedelaere. Damit können Sie in die Öffentlichkeit zurück.« Diesmal erklang Galbraith Deightons markante Stimme nicht aus den Lautsprechern. Der Chef der Solaren Abwehr stand im Durchgang zum Nebenraum.
»Die Maske ist nicht völlig geschlossen«, sagte Alaska. »Wie hoch ist das verbleibende Risiko?«
Langsam, doch ohne zu zögern, kam Deighton näher. Erst neben Saedelaere blieb er stehen. Der Transmittergeschädigte zuckte zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.
»Es wäre für mich fatal, könnte ich Risiken nicht einschätzen. Sie werden schnell lernen, mit dem Handicap zu leben, Mr. Saedelaere. Und bitte, behalten Sie Ihre Schutzbehauptung für sich, dass Sie das nicht wollen. Ich spüre nicht nur Ihre neu erwachte Hoffnung, ich bin auch bestens über Sie informiert.«
»Sie haben in meinem Leben herumgeschnüffelt?« Mit einem Ruck schüttelte Alaska die Hand ab. »Ich mag das nicht.«
»Und ich weiß gerne alles über meine Leute«, sagte der SolAb-Chef.
Alaska Saedelaere stieß ein knappes, zynisches Lachen aus. »Gib dem Geheimdienst den kleinen Finger, und du verlierst die ganze Hand. Dafür bin ich nicht geschaffen.«
»Sind Sie sich dessen sicher, Mr. Saedelaere?« Als Alaska nicht sofort antwortete, fügte Deighton betont hinzu: »Wir wissen doch beide, dass die SolAb Ihnen unter den gegebenen Umständen eine neue Heimat bieten kann. Mein Angebot steht.«
Zögernd schüttelte Alaska Saedelaere den Kopf. »Der Teufel ist ein Egoist und tut nicht leicht um Gottes willen, was einem andern nützlich ist«, zitierte er mit bebender Stimme. »Sprich die Bedingung deutlich aus; ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.«
Deighton lächelte dezent. »Goethe – altterranischer Lyriker, zirka elfhundert Jahre vor meiner Geburt. Außer Rhodan und Bull kann heute kaum mehr jemand aus Faust zitieren.«
»Sie vergessen Atlan.«
»Da haben Sie Recht. Und wenn wir schon dabei sind: Atlan interessiert sich ebenfalls für Sie.«
Überrascht und unwillig zugleich stieß Saedelaere die Luft aus. Mit hängenden Schultern und schlotternder Kleidung wirkte er wie das Elend in Person. »Ich verkaufe meine Seele nicht. Weder an die SolAb noch an die USO.« Er vollführte eine entschieden ablehnende Bewegung und legte beide Hände in den Nacken, als wolle er die Maske lösen.
»Obwohl Sie auf Ihren Vater nie gut zu sprechen waren, Alaska, seine Gene können Sie nicht leugnen.«
Der Techniker versteifte sich jäh.
»Ihr Vater, heißt es, hatte ebenfalls ein Faible für klassische Literatur. Außerdem haben Sie seinen Eigensinn und die Introvertiertheit von ihm.«
»Lassen Sie Tresham aus dem Spiel!«, fuhr Alaska auf. »Ich will nichts von ihm hören.« Sein Adamsapfel hüpfte hektisch und verriet, dass er eigentlich noch mehr sagen wollte. Trotzdem schwieg er. Nicht zuletzt weil sein Gesicht erneut zu zucken begann. Gleichzeitig sah er den Solarmarschall wie hinter wogenden Nebelschleiern verschwinden und die Beleuchtung dunkler werden.
Ein, zwei Schrecksekunden vergingen, bis Alaska Saedelaere begriff. Das zuckende Gewebe strahlte wieder heller. Dieses Flackern beeinträchtigte nicht nur seine Sehschärfe, sondern auch die Farbwahrnehmung. Graue Töne nahmen überhand, und erst zum Rand seines Sichtfelds hin bildeten sich Farben in der Art newtonscher Ringe.
Die Hände hochreißen und die Öffnungen der Maske abdecken war für Alaska eins. In derselben Bewegung wandte er dem Solarmarschall den Rücken zu. Falls es nicht ohnehin zu spät war. Er hatte geahnt, dass die Plastikmaske ein Fehlschlag sein würde.
»Sie sorgen sich unnötig«, erklang es hinter ihm. »Mir geht es gut, ich kann bislang keine Anzeichen von geistiger Umnachtung feststellen. Außerdem habe ich nicht vor, den Löffel abzugeben.«
»Bitte?«, fragte Alaska widerwillig.
»Ich meine, ich fühle mich nicht, als müsste ich bald sterben. Drehen Sie sich wieder um, Mr. Saedelaere. – Das ist ein Befehl!«
»Ich sagte schon einmal, dass ich mich nicht kaufen lasse.«
»Sind Sie immer so stur?«
»Im Übrigen ...«, Alaska ließ endlich die Hände sinken, weil sich kein Widerschein mehr abzeichnete, »... im Übrigen bin ich Zivilist und gedenke, das zu bleiben. Falls Sie Geld für die Behandlung bekommen ...«
»Hören Sie auf!« Galbraith Deighton, ansonsten für seine innere Ausgeglichenheit und persönliche Beherrschung bekannt, reagierte höchst selten so schroff. »Sie machen sich das Leben selbst schwer, Saedelaere. Warum akzeptieren Sie nicht, dass Ihnen jemand helfen will?« Er ging zwei schnelle Schritte vorwärts, umfasste mit beiden Händen Alaskas rechten Oberarm und zog den Techniker zu sich herum. Für einen flüchtigen Moment schienen sich seine Pupillen zu weiten, als er direkt in die Augen des Transmittergeschädigten schaute, dann lächelte er. »Es ist nur Ihr verändertes Gesicht, das die verheerende Wirkung hat. Die Aura allein bleibt unbedenklich.«
Alaska bezweifelte noch, dass ihm das Stück Plastik auf Dauer helfen konnte. Hör auf, darüber nachzudenken!, schoss es ihm durch den Sinn. Das hieße doch nur, dass ich den Zustand akzeptiere. Und genau das wollte er nicht. Laut sagte er: »Haben Sie erwogen, Solarmarschall, dass Ihr Zellaktivator Sie schützt?«
Ehe Deighton zu einer Erwiderung ansetzen konnte, meldete sich Dr. Bishar über Interkom.
»Die Vermutung ist unzutreffend«, kommentierte der Arzt und gab damit zu erkennen, dass zumindest der SolAb-Chef lückenlos überwacht worden war. »Ich habe mich in dem Moment in die optische Wahrnehmung des Medoroboters eingeschaltet, als Sie die Maske anlegten. Dass ich leider nicht zum Kreis der Aktivatorträger gehöre, weiß jeder. Trotzdem registriere ich keine Veränderung an mir. Und nicht zuletzt erinnere ich daran, Alaska, dass Ihre Freundin ebenfalls die Aura sah, zwar nur für einen denkbar kurzen Moment und im Spiegel, aber selbst die Aufzeichnungen von Peruwall haben zu Todesfällen geführt. Das heißt, dass die Plastikmaske ein brauchbares Hilfsmittel ist – vorausgesetzt, Sie fühlen sich darunter wohl.«
»Habe ich eine andere Wahl als Maske oder Deflektorfeld?« Nervös begann Saedelaere, seine Finger zu massieren. »Die Entscheidung ist für mich wie zwischen Teufel und Beelzebub.«
»Ich weiß«, sagte Deighton.
»Über kurz oder lang werden wir einen brauchbaren Therapieansatz finden«, behauptete Dr. Bishar. »Betrachten Sie die Maske als Übergangslösung.«
»Für wie lange?«
»Zwei, drei Wochen vielleicht. Wir versuchen alles Menschenmögliche, aber wir dürfen die Sicherheit nicht außer Acht lassen. Das kostet Zeit. Bitte, werden Sie nicht ungeduldig.«
Alaska verzog die Mundwinkel in einer unwilligen Grimasse. Zugleich wurde er sich bewusst, dass die Maske starr war und seine Regungen nicht wiedergab. Ohnehin würde er Zeit brauchen, sich an sie zu gewöhnen.
»Ich will in meine Unterkunft zurück«, verlangte er.
Ohne sich dessen bewusst zu werden, tastete er mit gespreizten Fingern zum wer weiß wievielten Mal über das Stück Plastik hinweg.
»Die Solare Abwehr steht für Sie offen, Mr. Saedelaere«, wiederholte Deighton.
»Ich eigne mich nicht als Agent. Schon gar nicht mit dem auffälligen Äußeren.« Alaska lachte heiser.
»Als Techniker wären Sie mir ebenfalls willkommen. Denken Sie wenigstens darüber nach.«
»Nein.« Alaska hörte sich selbst dumpf und verzerrt und musste sich dazu zwingen, die Stimme nicht zu heben. »Ich bin weder auf Almosen noch auf Mitleid aus.«
»Vielleicht«, sagte Galbraith Deighton, »ändern Sie Ihre Meinung, sobald Sie einige Nächte lang darüber geschlafen haben.«
Die Zeit vergeht in gleich bleibender Monotonie. Obwohl manches anders geworden ist, erstarren für dich die Tage in medizinischer Routine. Liv ist in deiner Nähe; ihr seht euch regelmäßig, wenngleich meist nur für kurze Zeit. Viel Freiraum bleibt dir nicht – aber du willst ihn auch gar nicht, sofern die Mediziner es wirklich schaffen, die Veränderung rückgängig zu machen. Sie zwängen dich in enge Kammern, in denen Energiefelder jede Bewegung unterbinden. Schicht um Schicht wird dein Körper analysiert. Danach fühlst du dich jedes Mal hundeelend, und dein Gesicht tobt.
Was hat Dr. Bishar inzwischen über die Veränderung herausgefunden? Du erfährst es nicht ...
Seit vier Tagen trägst du die Maske. Obwohl du weiterhin hoffst, dass es nicht nötig sein wird, dich an dieses starre graue Ding zu gewöhnen, setzt du es zunehmend öfter auf. Nicht nur, wenn Liv dich besucht. Mittlerweile reagiert deine Haut weniger empfindlich auf den Kontakt – das raue Gefühl ist zwar geblieben, aber der Schmerz schwindet. Du glaubst, du könntest die Maske wirklich stundenlang tragen. Genau das wird dir wohl bevorstehen.
Du willst jetzt nicht daran denken.
Das Unvermeidliche kommt ohnehin überraschend. Du hast es am eigenen Leib erlebt, du bist Alaska Saedelaere, der Transmittergeschädigte ...
Vierzehn Tage auf Mimas und schon der sechste Tag, an dem du dein entstelltes Gesicht zeitweise hinter der Maske verbirgst. Heute ist der 14. März 3428 – das Datum wirst du dir vielleicht merken müssen. Denn Dr. Bishar zeigte sich heute seltsam wortkarg, als zögere er, dir endlich die Wahrheit zu sagen – du vermutest, die Mediziner haben endgültig Gewissheit, dass sie dir nicht helfen können –, und Liv gab dir vor gut einer Stunde zu verstehen, dass sie gerne mit dir schlafen möchte. Du nennst das »Akklimatisierung«, langsames Heranführen an die Normalität nach dem Unfall, sofern man von »Normalität« jemals wird sprechen können.
Du weißt, was dich erwartet:
... ein Leben als Abnormität.
... ein Leben hinter der Maske.
Wir Menschen haben uns längst an den Anblick der bizarrsten Lebewesen gewöhnt (jedenfalls aus unserer Sicht). Sogar unser eigenes Volk zeigt mit den umweltangepassten, zwei Meter fünfzig großen Ertrusern und den nicht einmal mehr zwanzig Zentimeter kleinen grünhäutigen siganesischen Zwergen eine früher nie für möglich gehaltene genetische Bandbreite. Doch jemandem, der sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt, wird man nach wie vor mit Misstrauen begegnen. Weil er etwas zu verbergen hat.
Du weißt das.
Dennoch hast du dir noch keine ernsthaften Gedanken über die Zukunft gemacht. Du kannst nicht mehr als Techniker arbeiten. Hat sich jemand von der Interstellar Equipment and Positronic Inc. nach deinem Befinden erkundigt? Oder wurden alle Anfragen abgeblockt? Du weißt es nicht – und wenn du ehrlich bist, interessiert es dich überhaupt?
Bleibt die Frage, auf die wohl niemand eine Antwort finden wird: Warum?