Читать книгу Ein Wintermahl (eBook) - Hubert Mingarelli - Страница 6
Оглавление1
Draußen klirrte das Eisen. Der Ton klang im Hof einen Moment nach, im Kopf noch länger. Er würde nicht noch einmal erklingen. Wir mussten sofort aufstehen. Leutnant Graaf hatte es nie nötig, zweimal auf das Eisen zu schlagen. Ein schwaches Licht drang durch das vereiste Fenster. Emmerich lag schlafend auf der Seite, Bauer weckte ihn. Es war später Nachmittag, aber Emmerich glaubte, es sei Morgen. Er richtete sich auf, betrachtete seine Stiefel und schien nicht zu begreifen, warum er die ganze Nacht in ihnen geschlafen hatte.
Währenddessen hatten Bauer und ich unsere Stiefel bereits angezogen. Emmerich stand auf und ging zum Fenster, aber da man wegen des Eises nicht hindurchsehen konnte, hielt seine Verwirrung weiterhin an. Bauer brachte ihm bei, dass Nachmittag war und dass Graaf uns gerufen hatte.
»Was ist denn schon wieder?«, maulte Emmerich. »Wozu denn? Dass wir draußen in der Kälte verrecken?«
»Mach schon«, sagte ich.
»So siehst du aus«, gab Emmerich zurück. »Ich soll mich beeilen, bloß um aufrecht stehend zu erfrieren?«
Wir dachten alle wie er. Die ganze Kompanie dachte so. Warum hielt es Leutnant Graaf für nötig, uns draußen antreten zu lassen? Was er uns zu sagen hatte, hätten wir uns ebenso gut im Warmen anhören können, vor unseren Feldbetten stehend. Es war ihm wohl nicht feierlich genug, in der Turnhalle das Wort an uns zu richten. Nein, er musste eine Eisenplatte an einem Telefonmast aufhängen lassen! Den Lärm, den sie machte, wenn er daraufschlug, diesen unheilverkündenden Ton hassten wir noch mehr als die Kälte, die uns draußen erwartete. Wir hatten keine Wahl, einem direkten Befehl mussten wir gehorchen. Aber es bedurfte dennoch eines gewissen Mutes, um bei einem solchen Wetter nach draußen zu gehen.
Wir hatten unsere Mäntel angezogen, hatten uns die Schals mehrfach umgewickelt, im Nacken verknotet und die Sturmhauben aufgesetzt. Wir hatten alles bedeckt, bis auf die Augen, und traten im Hof der Turnhalle an. Bauer, Emmerich und ich waren die Letzten.
Die Kälte war für uns nichts Neues mehr, wir wussten, was uns erwartete, und doch überraschte sie uns jedes Mal wieder. Es fühlte sich an, als dringe sie durch die Augen ein und breite sich überall aus, wie eiskaltes Wasser, das durch zwei Löcher läuft. Die anderen standen bereits in Reih und Glied, bibbernd vor Kälte. Während wir unsere Plätze aufsuchten, zischten sie uns zu, was für Arschlöcher wir seien, die Kompanie so lang warten zu lassen. Wir reihten uns schweigend ein, und als jeder damit aufgehört hatte, von einem Fuß auf den anderen zu treten, um sich aufzuwärmen, sagte uns Leutnant Graaf, dass heute welche kommen würden, aber wahrscheinlich spät, sodass die Arbeit für den nächsten Tag vorgesehen wäre und dass sie diesmal an unsere Kompanie fallen würde.
Graaf konnte nicht wissen, wie seine Mitteilung auf uns wirkte. Er konnte nicht sehen, ob wir einander hinter unseren Vermummungen etwas zuraunten. Er sah lediglich unsere Augen.
Er hatte uns nicht gesagt, wie viele von ihnen kommen würden. Er wusste zwar, dass das für uns überaus wichtig war. Jedoch musste er fürchten, dass, wenn es sehr viele wären, sich schon ab heute Abend einige von uns krankmelden würden.
Er gab uns das Zeichen zum Wegtreten, wandte sich um und ging auf das Haus zu, in dem die Offiziere untergebracht waren.
Wir hätten jetzt die Reihen auflösen und in die Wärme zurückkehren können, aber wir taten es nicht. Wir blieben an Ort und Stelle. Wir hätten viel darum gegeben, in die Wärme zurückkehren zu können, und dennoch harrten wir aus. Vielleicht lag es an der Arbeit, die uns morgen erwartete. Oder daran, dass wir ohnehin schon bis ins Mark gefroren waren, sodass ein paar Minuten mehr oder weniger keinen Unterschied mehr machten.
Diejenigen, die sich heute um den Ofen kümmern mussten, nutzten die Gelegenheit und machten sich daran, die Kübel zu füllen. Bauer und ich sahen zum Offiziershaus hinüber, weil es den Eindruck machte, als gäbe es darin eine Badewanne – worüber wir gesprochen hatten, ehe das Eisen erklungen war. Ich hatte ihm gesagt, dass ich damals gespart hatte, um mir eine Badewanne leisten zu können. Wir verwendeten dieses Wort oft: damals. Wir sagten es meist im Scherz, manchmal ernst gemeint. Emmerich trat zu uns. Er versuchte, seine Verwirrung vor uns zu verbergen. Vom Schlaf hatte er dunkle Schatten unter den Augen.
Endlich kehrten wir zurück und setzten uns auf Bauers Feldbett. Wir sprachen auch hier nicht von der Arbeit, die uns morgen erwartete. Aber dadurch, dass wir nicht davon sprachen, fühlten wir uns umso mehr von ihr bedrängt.