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Am Abend verlangten wir unseren Kommandanten zu sprechen. Wer weiß, ob Graaf uns die Erlaubnis dazu gegeben hätte. Aber er war aufgebrochen in die Stadt, wo er jemanden kannte. Umso besser, so gelang es uns, ihn zu umgehen. Der Kommandant hörte uns zu, ohne uns anzusehen, während sich seine Hände unruhig in den Taschen bewegten, als würde er nach etwas suchen. Er war ein wenig älter als wir. Im Zivilleben betrieb er einen Großhandel für Stoffe, was wir uns nur schwer vorstellen konnten. Für uns war er seit eh und je der Kommandant von etwas.

Was wir ihm sagten, wusste er bereits. Er warf ab und zu einen Blick zur Tür und nickte dann wieder heftig mit dem Kopf. Nicht weil er in Eile gewesen wäre, sondern weil er uns verstand. Natürlich übertrieben wir ein wenig. Man musste hier viel verlangen, um etwas zu erreichen. Falls wir etwa morgen der Ansicht wären, dass der Koch ein wenig geizte mit seinen Portionen, so müssten wir ihm sagen, dass wir vor Hunger sterben, um daran etwas zu ändern.

An jenem Abend gab es andere Dinge zu besprechen, wichtige Dinge, und der Kommandant verstand uns und nickte manchmal. Wir erklärten ihm, dass uns das Jagen lieber wäre, als Erschießungen vorzunehmen, dass wir die Erschießungen wahrhaftig nicht mögen würden, dass sie uns deprimierten und dass wir nachts von ihnen träumten. Am Morgen verfielen wir in Trübsal, sobald wir daran dächten, und würden sie schließlich überhaupt nicht mehr ertragen, und alles in allem, wenn wir erst einmal ernsthaft krank wären, würden wir zu nichts mehr zu gebrauchen sein. Wir sprachen ohne Scheu mit ihm. Mit einem anderen Kommandanten hätten wir nicht so freimütig und offen geredet. Er war Reservist wie wir und schlief ebenfalls auf einem Feldbett. Aber die Massenblutbäder hatten ihn stärker altern lassen als die anderen. Er war abgemagert und wirkte manchmal so ratlos, dass wir befürchteten, er könnte vor uns krank werden und ein anderer, weniger verständnisvoller Kommandant an seine Stelle treten. Möglicherweise sogar aus dem näheren Umfeld. Graaf zum Beispiel, unser Leutnant, der nicht auf einem Feldbett schlief. Mit sich selbst ging er rücksichtsvoll um, aber nicht mit uns. Mit ihm gäbe es weniger Kohlen und noch mehr Appelle. Ein fortwährendes Heraustreten und Wiederwegtreten, das würde uns mit Graaf erwarten. Allein beim Gedanken daran hörten wir die Eisenplatte, deren Klang uns von früh bis spät begleiten würde. Es musste nicht ausgesprochen werden, wir mochten unseren Kommandanten, mitsamt seiner Ratlosigkeit.

Er bewilligte uns, worum wir ihn gebeten hatten, und am nächsten Tag brachen wir auf, Emmerich, Bauer und ich. Wir machten uns vor Tagesanbruch auf den Weg, vor der ersten Erschießung, ohne Frühstück im Magen, aber dafür blieb es uns erspart, Graafs gehässigem Blick zu begegnen. Es war Nacht, es fror. Die Straße war härter als Stein. Wir marschierten lange Zeit, ohne Pause, in der Kälte, unter dem gefrorenen Himmel, aber mit einem leichten Glücksgefühl.

Mir war zumute, als hätte ich unserem Kommandanten gestern Abend Lügen erzählt über unsere Nächte, denn diese Nacht hatte ich von etwas ganz anderem geträumt: Emmerich, Bauer und ich waren in einer Straßenbahn unterwegs. An und für sich ein sehr einfacher Traum, aber gerade deshalb war er außergewöhnlich. Wir saßen zu dritt in der Straßenbahn, um uns herum Ruhe und Frieden, alles wirkte vollkommen real, im Gegensatz zu vielen der anderen Träume. Nichts deutete darauf hin, dass etwas falsch wäre und allein ein Produkt meines Geistes.

Ich erzählte Emmerich und Bauer nichts von meinem Traum. Ich fürchtete, sie würden mir sonst von ihren erzählen. Hier war es besser, seine Träume für sich zu behalten, gleichviel, ob es gute oder böse waren. Und warum sollte man sie überhaupt behalten?

Ein Wintermahl (eBook)

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