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KAPITEL ELF

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In den nächsten Tagen besserte sich Quinns Laune erheblich. Der Unterricht in der Kadettenschule wurde spannender. Sie lernten, mit dem Egalisierer umzugehen, trainierten Festnahmen und übten Nachteinsätze. Auch das Vincoon-Auswahltraining nahm ordentlich Fahrt auf. Sie übten komplizierte Spielzüge und machten die ersten Testspiele. Die Gruppe war nun auf zwölf Teilnehmer geschrumpft. Drei hatten freiwillig aufgegeben und die anderen wurden von Cassaio aussortiert. Cassaio, der immer freundlich war, sich mehr wie ein Kumpel denn Ausbilder benahm, fällte glasklare Entscheidungen, ließ nicht den geringsten Zweifel, dass er das Sagen hatte und sich Einschleimen nicht auszahlte. Selbst Kirk konzentrierte sich auf seine Spurts und Torschüsse und hielt sich mit blöden Kommentaren zurück. Quinns Beschleunigungswerte hatten sich deutlich verbessert. Und die gemeinsamen Ballstafetten von Quinn und Lyrah konnte Cassaio gar nicht oft genug erwähnen. Auch außerhalb des Spielfelds suchte Lyrah immer öfter Quinns Nähe. Vor und nach dem Training, in den Unterrichtspausen und im Speisesaal.

Das passte Kirk natürlich überhaupt nicht. Auch wenn er sich jede offene Feindseligkeit verkniff, machte er Quinn das Leben schwer. Stück für Stück gelang es Kirk, Quinn wie ein arrogantes Arschloch aussehen zu lassen.

Quinn kam gegen Kirks Machenschaften einfach nicht an. Aber die anderen würden schon noch erkennen, dass Quinn ein Vincoon-Ausnahmetalent war und eine erfolgreiche Profikarriere auf ihn wartete. Dann würden sie alle angekrochen kommen.

Heute war der lang ersehnte Tag. Der endgültige Kader der Aero-Cadets wurde ausgewählt und die Anzahl der Spieler musste von zwölf auf sechs zusammengestutzt werden: ein Team von fünf Spielern plus Auswechselspieler – die offizielle Größe eines Vincoon-Kaders.

Diese letzte Auswahl führte nicht mehr Cassaio durch, sondern wurde von Colonel Foggerty getroffen. Colonel Foggerty war berüchtigt, ein knallharter Hund. Gleich in den ersten Tagen seiner Ausbildung hatte Quinn wahre Schauergeschichten vom Colonel gehört. Foggerty befehligte das Counter-Terror-Corps, eine gefürchtete Sonderheit zur Terrorismusbekämpfung. Daneben war er oberster Vincoon-Beauftragter der Aeronauten. In seiner Jugend spielte Foggerty professionell Vincoon. Er war ein herausragender Stürmer und wurde von seinen Fans und Gegnern voller Respekt Rocketraider genannt. Doch ein schweres Foul durch einen gegnerischen Verteidiger beendete seine Karriere viel zu früh. Rocketraider abgestürzt titelten damals die Nachrichten. Foggerty wechselte zum Counter-Terror-Corps und legte dort einen rasanten Aufstieg hin. Vor drei Jahren übertrug Präsidentin Paal ihm das Kommando des Counter-Terror-Corps und zusätzlich wurde er zum Oberbefehlshaber der Vincoon-Sportdivision berufen. Er war einer der einflussreichsten Männer Jaikongs.

Abgesehen von den ersten grauen Haarsträhnen hatte Foggerty immer noch das Aussehen eines Vincoon-Profistürmers. Auch seine Bewegungen ließen sein wahres Alter nicht erahnen. Es ging das Gerücht, dass Foggerty jeden Morgen um drei Uhr aufstand und vor dem Frühstück drei Stunden im Fitnessstudio verbrachte. Angeblich hatte Foggerty in seinem Leben noch nie länger als vier Stunden am Stück geschlafen. Seine Gegner zu vernichten, das war es, was ihn antrieb. Seine Wutanfälle waren legendär und selbst Elite-Aeronauten des Counter-Terror-Corps sollen schon heulend vor ihm zusammengebrochen sein.

Quinn hatte seine Skates angeschnallt und ließ gerade die Verschlüsse der Trompeten um seine Unterarme schnappen, da betrat Colonel Foggerty das Spielfeld. Selbst wenn Quinn ihn nicht aus den Augenwinkeln gesehen hätte, hätte er seine Energie gespürt. Cassaio folgte Foggerty mit ehrfürchtigem Abstand. Er wirkte heute unglaublich angespannt. Von seiner Lockerheit war nichts mehr übrig geblieben.

Quinn hetzte auf das Spielfeld. Obwohl Quinn sich sicher war, dass er in den Vincoon-Kader der Aero-Cadets berufen würde, fühlten sich seine Hände feucht an und seine Knie waren wachsweich.

„Viel Glück“, zischte ihm Lyrah zu, als sie direkt neben ihm eine Hundertachtzig-Grad-Drehung hinlegte.

„Dir auch!“ Und das meinte Quinn ernst, denn sie harmonierten erstklassig auf dem Spielfeld.

„Männer“, schrie Foggerty. „Aufstellung!“

Foggerty nannte seine Spieler immer Männer, auch wenn Frauen darunter waren. In einem legendären Interview hatte er einmal gesagt, dass Vincoon ein Spiel für Männer sei und wer sich für eine Mannschaft qualifizierte, somit ein Mann sein musste.

Foggerty ließ als Erstes die Standardübungen durchführen. Im Spurt landete Quinn auf einem Platz im Mittelfeld, womit er ziemlich zufrieden war. Beim Gliding lag er wie gewohnt ganz vorne, nur beim Schießen aus der Bewegung vergab er zu viele Treffer. Quinn hatte keine Ahnung, wieso es heute nicht lief. Das Schießen bewegter Bälle, also die Grundlage jedes Mehrfachpasses, war eigentlich Quinns Königsdisziplin. Heute verschoss er drei von zehn Bällen.

Am Ende der Übung stand Quinn irgendwo im Mittelfeld und nur sechs wurden in den Vincoon-Kader aufgenommen. Das Testspiel würde über die endgültige Platzierung entscheiden. Quinn spielte im Team mit Lyrah und Kirk war ihr Stürmer. Die Abwehr übernahmen Bremko und Toto. Quinn mochte die beiden nicht besonders, aber alles, was jetzt zählte, waren Pässe und ausgefeilte Spielzüge. Auf ihrer Ersatzbank saß Marlen, die am liebsten auch auf Quinns linker Mittelfeldposition spielte. Foggerty würde die Spieler rotieren lassen.

„Wir schaffen es. Die machen wir fertig. Lange Bälle zu mir“, feuerte Kirk die Mannschaft an und benahm sich, als wäre er der Captain. Quinn hielt den Mund, sah in den Himmel und versuchte sich zu konzentrieren. Die Hochhäuser rund um das Trainingsgelände schienen in der Mitte über der Arena fast zusammenzuwachsen. Ihre Glasfassaden glitzerten wie Edelsteine. Nur in der Mitte war der Himmel zu sehen. Quinn genoss das herrliche Himmelgrau über sich. Wie der Himmel wohl draußen in den Industrie-Ringen aussah? Er dachte an Ropex und Amali und … Nein, er verbot es sich, an sie zu denken.

„Schläfst du?“, rief ihm Lyrah zu.

Quinn zuckte. Er hatte glatt den Anpfiff verpennt. Lyrah feuerte ihm den Ball zu und forderte einen Pass zurück, wie sie es so oft in den letzten Wochen trainiert hatten. Er sah die leuchtende Kugel leicht angedreht auf sich zurasen. Instinktiv riss Quinn seine Fängertrompete hoch. Da schoss ein gegnerischer Mittelfeldspieler auf ihn zu. Den hatte er völlig übersehen. Der Spieler sprang hoch. Quinn hechtete in die Flugbahn des Balls. Seine rechte Trompete zielte exakt auf den Ball. Da spürte er einen brutalen Stoß an seiner Schulter. Der Zusammenprall mit dem gegnerischen Mittelfeldspieler riss ihn von den Skates. Noch ehe Quinn auf dem Boden aufschlug, jagte Adrenalin durch seinen Körper. Quinn sah den Ball jetzt wie in Zeitlupe – klar und präzise. Er schob den Arm mit der Fängertrompete ein wenig nach oben, um seine Position zu korrigieren.

Quinn konnte sich nicht mehr daran erinnern, was er zuerst spürte: den Stoß, als der Ball in seine Trompete schoss, oder den stechenden Schmerz in seiner Hüfte, als er auf den Betonboden aufschlug.

Natürlich hatte er nicht mehr genügend Zeit, um seine Schusshand in Position zu bringen und den Ball zurück zu Lyrah zu passen. Er fühlte, wie der Ball im Accelerator beschleunigt wurde und mit wahrscheinlich 300 Stundenkilometern aus der Trompete jagte – senkrecht in den Himmel. Ein Rückpass auf Lyrah sah anders aus.

Er hörte Kirk fluchen. Der gegnerische Mittelfeldspieler stieß ein zufriedenes Grunzen aus. Quinn wusste, dass Foggerty jetzt ein dickes Minus hinter seinen Namen setzte oder ihn vielleicht ganz von der Liste strich. Aber ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Die gegnerische Mannschaft bekam Einwurf. Ausgehend vom linken hinteren Verteidiger. Drei, nein vier kurze Stationen und ein Pass auf den gegnerischen Stürmer. Bremko und Toto konnten nicht abwehren. Der Stürmer fing den Pass, brachte sich umständlich in die richtige Schussposition und feuerte aus seinem riesigen Fatdaddy-Accelerator, ein nach Quinns Meinung unhandliches Gerät, das zugebenermaßen eine gigantische Schussleistung lieferte. Bowli! Sie langen 0 : 3 hinten.

„Kann passieren. Bleibt ruhig! Konzentriert euch! Wir packen das“, feuerte Kirk die Mannschaft an. Quinn hasste Kirks bescheuertes Team-Getue. Kirk war verdammt noch Mal nicht ihr Captain.

Anstoß: Toto passte zu Bremko. Bremko schoss Quinn einen nervösen Ball zu, als wollte er den Ball so schnell wie möglich loswerden. Quinn beschleunigte, fing den Ball sicher und leitete ihn elegant an Lyrah weiter. Während der Ball in Lyrahs Accelerator beschleunigte, drehte sie sich einmal um sich selbst und feuerte in Quinns Laufbahn. Die gegnerischen Mittelfeldspieler waren durch Lyrahs Drehung völlig verwirrt. Kirk versuchte, sich aus der Überwachung der beiden Verteidiger davonzustehlen und mit einer Geschicklichkeit, die Quinn ihm nicht zugetraut hätte, kippte Kirk auf die Frontrollen und schoss quer über das Spielfeld. Quinn fing den Ball und passte ihn weiter zu Kirk. Der schnappte den Ball aus dem Flug, drehte sich um neunzig Grad und feuerte ansatzlos. Treffer! Ein klassischer Stürmer-Dishi. Es stand eins zu drei.

Das Spiel blieb unglaublich nervös. Alle agierten fahrig, man merkte ihnen die Anspannung an und Mannschaftsdienlichkeit wich knallhartem Egoismus. Jeder wollte es schaffen. Nur Quinn und Lyrah gelangen einige ziemlich coole Kombinationen, so sah es zumindest Quinn. Einmal applaudierte sogar Cassaio. Quinn konnte sich eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen, als Kirk zwei todsichere Dinger vergurkte.

Nach dem zweiten Drittel lagen sie 27 : 31 hinten. Die Stimmung in der zweiten Pause war mies. Kirk gab nicht mehr den Teamplayer, sondern rechnete jedem gehässig seine Fehler vor.

„Du hättest einen Bowli und einen Super-Dishi mehr machen müssen. Das waren beides erstklassige Vorlagen“, giftete Quinn zurück.

„Jungs, hört mit der Streiterei auf!“, mischte sich Lyrah ein. „Lasst uns wie Profis auftreten und nicht wie irgendein Proleten-Team aus den Industrie-Ringen.“ Lyrah legte ihre Hand auf Quinns Unterarm. Ihre Wärme beruhigte ihn augenblicklich und er sah, dass diese winzige Geste bei Kirk das Gegenteil auslöste.

Foggerty ließ das letzte Drittel anpfeifen. „Männer, da will ich mehr von euch sehen. Ihr seid doch kein Kegelklub. Ich will Einsatz sehen, nicht dieses Lulliballgeschubse!“

Alle nickten brav. Quinn wollte gerade über die Bande flanken, da rief Colonel Foggerty: „Woodburn, du bleibst auf der Bank. Ich will Marlen im Mittelfeld sehen.“

Wie betäubt drehte Quinn ab und rollte zur Auswechselbank.

Marlen kam besser ins Spiel als Quinn gehofft hatte. Sie lieferte einige ordentliche Kombinationen mit Lyrah ab. Aber dann endlich begann sie zu patzen und ihre Pässe kamen nicht mehr bei Kirk an. Der Abwehrtölpel Bremko leistete sich einen Schnitzer nach dem anderen. Zuverlässig sorgte er dafür, dass die gegnerische Mannschaft ihren Vorsprung ausbauen konnte.

Mit versteinerter Miene beobachtete Foggerty das Spiel. Zehn Minuten vor Schluss nahm er schließlich einen krassen Wechsel vor. In der gegnerischen Mannschaft tauschte er nur den Stürmer aus. Aber Quinns Mannschaft rührte er gehörig durcheinander. Er schickte Bremko auf die Bank, beorderte Kirk als Verteidiger zurück in den Strafraum und schickte Quinn als Stürmer auf den Platz.

Quinn stieß sich ab und beschleunigte. Wo blieb nur der verdammte Pass von Marlen oder Lyrah? Die gegnerischen Verteidiger stellten den Raum zu und ließen keinen Zweifel, dass sie Quinn fertigmachen würden. Wie aus dem Nichts tauchte Lyrah hinter einer Betonwelle auf. Sie drückte ihre Knie ganz durch, ließ sich in die Luft schleudern, pflückte den Ball vom Himmel und feuerte ihn in einem Irrsinnstempo ab. Weit vor Quinn schlug der Ball auf. Quinn schoss nach vorne, schnappte den wegspritzenden Aufsetzer und wollte ihn direkt im Dish versenkten. Doch links und rechts vor ihm standen wie aus dem Boden gewachsen die beiden gegnerischen Verteidiger. Sie machten die Schussbahn dicht. Da käme nicht einmal eine Murmel durch. Quinn wollte keinen sinnlosen Verzweiflungsschuss abfeuern. Er zog seine Schusshand zurück, drehte radikal und passte zurück zu Lyrah.

„Deiner“, schrie er.

Lyrah stand goldrichtig, als hätte sie genau diesen Pass erwartet. Mit einem lässigen Schmatzen verschwand der Ball in ihrer Fängertrompete. Ohne einen Blick auf Quinns Laufweg zu verschwenden schoss sie direkt, zielte irgendwie auf den wirbelnden Dish. Sie schien sich ihrer Sache sehr sicher zu sein. Und dann war der Ball drin. Ein Hero-Dishi im Auswahlspiel, das war der absolute Wahnsinn! Die Spieler schrien auf. Selbst Cassaio riss die Fäuste hoch und Colonel Foggerty nickte anerkennend.

Es war schon fast nebensächlich, dass ihre Mannschaft jetzt in Führung lag. Lyrah und Marlen lagen sich in den Armen und wollten nicht aufhören zu jubeln. Foggerty pfiff das Spiel noch einmal an. Aber irgendwie war jetzt die Luft raus. Die Gegner wehrten sich kaum noch. Sie glaubten selbst nicht daran, mit einem Hero-Dishi das Spiel ein weiteres Mal drehen zu können. Es war keine große Kunst, dass Quinn in den letzten Minuten noch zwei Bowlis erzielte. Kirk hielt die Abwehr sauber. 78 : 60. Der Sieg fühlte sich genial an und nach dem Abpfiff lagen sich selbst Kirk und Quinn in den Armen.

„Männer, Aufstellung!“, kommandierte Foggerty. Cassaio stand angespannt einen Schritt hinter dem Colonel.

„Ich erwarte von meinen Spielern, dass sie ihre Leistung jederzeit zu einhundert Prozent abrufen und wenn ich es verlange auch zu zweihundert Prozent.“

Quinn hatte das Gefühl, über weite Strecken hundertfünfzig Prozent geleistet zu haben. Foggerty musste doch gesehen haben, dass er das größte Mittelfeldtalent in der Arena war.

„Wer ist im Team, Sir?“, fragte Kirk noch atemlos vom Spiel.

„Eure Leistungswerte müssen noch berechnet werden. Ich gebe den Vincoon-Kader der Aero-Cadets heute Abend in der Cosmique-Bar bekannt.“

Alle nickten. Natürlich wusste jeder, dass die Cosmique-Bar ganz oben im 200. Stockwerk des Jaikong-Towers lag. Ohne offizielle Einladung kam man da nicht hinein.

Lyrah lächelte Quinn an. „Wir könnten gemeinsam hingehen. Holst du mich ab?“

Quinns Mund fühlte sich trocken an. „Klar, gerne“, wollte er antworten, aber da hatte sich schon Kirk dazwischengedrängt und sagte: „Alles klar, wir treffen uns um sieben im Foyer.“

Rußatem

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