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KAPITEL SECHS

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Die Transportkapsel schoss über die Schienen. Wehmütig blickte ich ein letztes Mal zurück auf das Meer glitzernder Hochhäuser. Ich vermisste schon jetzt die nie enden wollende Hektik der schlaflosen Stadt, die mir immer Geborgenheit gegeben hatte. Ich liebte es, in der Anonymität der Masse unterzutauchen und mich darin treiben zu lassen. Ich liebte es, Menschen zu beobachten. Ich studierte ihre Bewegungen, die gleich und doch so unterschiedlich waren. Alle jagten nur einem Ziel hinterher: Ihr Leben in Jaikong zu bewahren, abzusichern.

Amali schluchzte immer noch. Sie hing an Ropex’ Arm. Sie war wenigstens mit ihrem Märchenprinzen zusammen. Was machte es da schon aus, im Dritten leben zu müssen. Immer hatte ich die beiden Gothic-Punks belächelt, mit ihren an der Seite rasierten Haaren, den fingerbreiten Lidstrichen und den schwarzen Klamotten mit lächerlich klimpernden Schnallen. Aber jetzt war ich neidisch auf ihr Glück.

Ich zog meine Mundwinkel nach oben. Frau Alenkowa hatte einmal gesagt: Eine gute Schauspielerin lebt ihre Rolle, jeden Augenblick. Wenn du lachst, sei wirklich glücklich. Wenn du weinst, sei wirklich traurig. Und es klappte meistens. Wenn ich ein Lächeln auf meine Lippen zwang, fühlte ich ein wenig Glück durch meine Adern fließen. Doch heute wollte es nicht funktionieren, so sehr ich auch die Mundwinkel nach oben zog. Mir war zum Heulen zumute.

Quinn, dieses Riesenarschloch, hatte mich sitzen lassen. Eigentlich bereute ich die Ohrfeige von gestern kaum noch. Früher hatte ich gedacht, dass Quinn auf liebenswerte Art verplant war. Jetzt wusste ich, dass er ein gnadenloser Egoist war.

Die Transportkapsel tauchte in den Tunnel, der unter der Kuppel nach draußen führte. Ich lehnte mich zurück und versuchte, einen allerletzten Blick auf den zart grauen Himmel zu erhaschen. Alles vor meinen Augen verschwamm. Stumm ließ ich die Tränen über die Wangen laufen. Ich wollte nicht in das hysterische Schluchzen von Amali einfallen.

Nur für Sekunden rasten wir zischend durch den Untergrund. Dann schoss die Transportkapsel wieder nach oben. Mein Magen fühlte sich an, als würde er umgestülpt. Das tiefe Schwarz des Tunnels wich einem gelblichen Braun. Willkommen im ersten Industrie-Ring!

Im Smog links und rechts der Schienen zogen sich fensterlose Hallen scheinbar endlos bis zum Horizont. Kein Architekt hatte sich die Mühe gemacht, den rechteckigen Quadern eine Identität zu geben. Sie waren nur durchnummeriert. Willkommen in deinem neuen Leben, Kalana. Ich spürte einen Hustenreiz, obwohl die Transportkapsel bestimmt über eine ordentliche Filteranlage verfügte. Und im ersten Industrie-Ring musste die Luft fast noch erträglich sein. Hier wurde nichts produziert. Da gab es nur Lager: Warenlager, Bauteillager, Zwischenlager, Umschlaglager, Logistikzentren und so weiter. Der Air Quality Index kletterte selten höher als 1000. Das war ein Wert, den man fast noch als gesund bezeichnen konnte und trotzdem sah alles trist und düster aus. Über den Stand der Sonne konnte man höchstens spekulieren.

„Wir müssen uns in den ersten Industrie-Ring hocharbeiten. Dort suchen wir uns gemütliche Jobs und genießen das Leben. Gute Clubs soll es hier auch geben“, sagte Ropex. Ich wollte schon etwas antworten, aber natürlich meinte er nicht mich. Er sah Amali tief in die Augen. Sie schniefte. Es klang fast zuversichtlich.

Je weiter wir fuhren, umso undurchdringlicher wurde die Luft. Die Sichtweite schrumpfte Meter um Meter.

Schließlich passierten wir die Grenze zum zweiten Industrie-Ring und irgendwann erreichten wir den dritten. Der Air Quality Index lag jetzt bei 2390. Noch nie hatte ich so dreckige Luft gesehen. Es war unmöglich zu erkennen, ob neben der Schienentrasse Hallen lagen oder wir durch eine verwüstete Landschaft fuhren. Undurchdringliches Grau umgab uns wie eine staubige Pferdedecke. Selbst hier drinnen in der Transportkapsel war der Dreck zu riechen. Ich gab dem Hustenreiz nach und wusste, dass dieser mich nicht mehr aus seinen Klauen lassen würde.

Irgendwann quietschten die Bremsen. Wir wurden langsamer, rollten aus und blieben schließlich stehen. Die Tür öffnete sich. Ropex kletterte als Erster aus der Kapsel und strich seinen Scheitel zurecht, als gäbe es hier draußen nichts Wichtigeres, als gut auszusehen. Amali ließ sich von ihm heraushelfen. Auf dem Bahnsteig bewegten sich ein paar Gestalten. Sie gingen langsam und geduckt. Ich sah nur ihre Umrisse.

Ich fühlte mich wie in einen Staubsaugerbeutel gesperrt. Das Kratzen in meinem Hals ließ sich nicht weg husten. Es grub sich immer tiefer ein. War hier überhaupt noch Sauerstoff in der Luft?

Ropex deutete auf seine Atemmaske und setzte sie auf. Meine baumelte noch um den Hals. Ich schob sie über Mund und Nase und zog sie ganz fest. Ich hatte Mühe, genügend Luft durch den Filter zu ziehen und meine Lungen mit Luft zu füllen.

Amali hing an Ropex’ Arm. Sie sah zu ihm auf. Am liebsten hätte ich ihr für diesen schmachtenden Blick eine gescheuert. Quatsch, ich war nicht eifersüchtig. Die Sache mit Quinn hatte ich selbst verbockt. Dafür konnte doch Amali nichts.

Die vermummten Gestalten auf dem Bahnsteig waren eilig im Smog verschwunden. Ich konnte niemanden mehr sehen.

Pfeifend beschleunigte die Transportkapsel in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Ich blickte ihr sehnsüchtig nach. Im nächsten Augenblick war sie ganz verschwunden.

„Und jetzt?“, fragte ich unsicher.

„Amali und ich gehen zur Ringverwaltung“, sagte Ropex.

„Kannst ja mitkommen“, schlug Amali vor.

Ich nickte und war froh, nicht ganz alleine zu sein.

Wir folgten den schwach glimmenden Pfeilen im Boden zur Ringverwaltung. Ich weiß nicht, wie lange wir durch den Dreck irrten. Ich hatte jegliche Orientierung verloren, da schälte sich ein Gebäude schwach aus dem Smog. Über dem Eingang leuchtete in roten Buchstaben: Ringverwaltung. 3. Industrie-Ring. Neben dem Eingang war ein Bildschirm in die Wand eingelassen. Ein Werbeclip zeigte einen jungen Mann in grauem Overall. Er strahlte übers dreckverschmierte Gesicht. In der linken Hand hielt er eine Atemschutzmaske, in der rechten eine Zahnbürste. So wichtig wie Zähneputzen: die tägliche Filterreinigung für deine Gesundheit.

Ich musste husten. Der Eingang war durch eine Schleuse gesichert. Zuerst wurde der Dreck aus unserer Kleidung gesaugt. Dann wurden wir mit einer Flüssigkeit besprüht, die nach Krankenhaus roch. Schließlich durften wir durch die zweite Schleusentür gehen und standen in der Eingangshalle der Ringverwaltung. Auf den Bänken im Wartesaal saßen ein paar in dreckige Lumpen gehüllte Gestalten. Ihre Blicke waren starr und leer. Die Beamten der Ringverwaltung saßen hinter Panzerglas. Bestimmt gab man ihnen ordentlich gefilterte Luft zum Atmen. Wir zogen Wartenummern für Neueingewiesene. Wie sich das anhörte. Aber es stimmte schon, sie hatten uns in den Dritten eingewiesen, hierher deportiert.

Nach etwa zwei Stunden waren wir endlich dran. Nervös trat ich an den Schalter. Eine kleine Frau saß dahinter. Ihr Gesicht war grau. Falten hatten sich tief in die Haut gegraben. Am schlimmsten aber war ihr müder Blick. Bestimmt hatte sie seit Jahren nicht mehr gelacht.

Als ich mein Spiegelbild in der Panzerglasscheibe betrachtete wurde mir klar, dass ich in ein paar Jahren genauso aussehen würde.

„Ja?“, sagte die Frau ausdruckslos.

„Ich bin neu hier, gerade angekommen.“

„Name?“

„Kalana Zookie.“

Sie tippte etwas auf den Bildschirm vor ihr. Schließlich legte sie ihre Handflächen ineinander und hob den Kopf.

„Ich kann dir nur eine Halbtagsstelle anbieten, bei Plastic Fantastic in der Dreiundvierzigsten. Na ja, für den Anfang wirst du damit schon zurechtkommen.“

Halbtagsstelle, das klang gar nicht so übel. Ich hatte sowieso keine Lust, den ganzen Tag zu schuften. „Und wo bekomme ich eine Wohnung?“

Die Frau sah mich mitleidig an. „Für deine Unterkunft ist der Arbeitgeber zuständig. Bei Plastic Fantastic werden sie dir einen Platz im Schlafsaal zuweisen.“

Ich schluckte und musste völlig fassungslos ausgesehen haben.

„Die Zeiten waren für uns alle schon einmal besser“, versuchte sie mich zu trösten. „Das kannst du mir glauben.“

Ich drehte mich um und ging zu den anderen.

„Und?“, fragte Ropex.

„Halbtagsjob bei Plastic Fantastic“, murmelte ich und war wie vor den Kopf gestoßen. Das war doch nicht mein Leben, was hier draußen auf mich wartete.

Ropex wurde aufgerufen. Er nahm Amali einfach mit. Ich wartete auf die beiden. An der Wand hing eine Karte des dritten Rings. Die Straßen waren mit farbigen Pfeilen markiert. Ich starrte die blinkenden Pfeile an, ohne den Weg zu erkennen. Ich wartete darauf, jeden Moment aus diesem widerlichen Albtraum aufzuwachen.

Erschrocken drehte ich mich um, als mir jemand auf die Schulter klopfte. Ropex sah mich an. „Wir haben auch einen Job bei Plastic Fantastic.“ Dann wandte er sich der Karte zu und murmelte: „Wir müssen den gelben Pfeilen folgen und dann die lila Route nehmen bis zur Dreiundvierzigsten. Sie war mit blauen Doppelpfeilen markiert.“

Ich nickte und folgte Ropex und Amali wortlos.

Keine Ahnung, wie lange wir durch den dritten Industrie-Ring irrten. Auf der Karte hatte es nicht so weit ausgesehen. Keiner sprach. Mit den Atemschutzmasken konnte man sowieso nicht richtig reden. Überall der Dreck und die schier undurchdringliche Luft. Alles sah gleich aus. Ohne die leuchtenden Markierungen im Boden hätten wir Plastic Fantastic niemals gefunden.

Aber schließlich waren wir dort. Der Eingang war mit einer Schleuse gesichert. Die gleiche Prozedur wie vorhin, und wir standen im Empfangsbereich: ein Tresen, daneben eine dunkelbraune Ledersitzgruppe auf einem weinroten Teppich. Über die Wand flimmerten Bilder von Jaikong. Sehnsüchtig blickte ich auf den hellgrauen Himmel.

Die Frau an der Rezeption lächelte uns säuerlich an: „Ihr seid von der Ringverwaltung geschickt worden?“

Wir nickten.

„Dies ist der Kundeneingang. Mitarbeiter nehmen den Lieferanteneingang im Hof.“

Auf dem Bildschirm funkelte jetzt das Foto eines schwarzblau verspiegelten Hochhauses. Jeder kannte den Wolkenkratzer mit dem weißen Adler vorne drauf. Es war die Zentrale der Aeronauten. Obwohl es idiotisch war, suchte ich das Bild nach Quinn ab.

Die Frau murmelte ein paar Worte in ihren Kommunikator. Dabei hielt sie die Hand vor den Mund. Schließlich sagte sie laut zu uns: „Direktor Bo will euch sprechen. Den Gang entlang, dann das dritte Zimmer rechts.“

In dem Raum, den uns die Frau zugewiesen hatte, gab es weder Teppich noch Fenster. Auf blankem Betonboden stand ein Tisch mit verrosteten Metallfüßen und vier Stühlen. An der Wand war ein Waschbecken montiert, sonst nichts. Neonlicht flutete den Raum.

Ein Mann mit schwarz glänzenden Haaren trat ein. Die Haare waren mit irgendeiner Paste eng an den Kopf frisiert. Der Mann sah aus, als wäre er früher einmal ein guter Sportler gewesen, Zehnkämfer oder Schwimmer. Jetzt war er in die Jahre gekommen und hatte einige Kilo zu viel auf den Rippen. Aus seinem Hemdkragen quollen schwarze Haare, genau wie aus den Manschetten des strahlend weißen Hemds. Sein durchdringender Blick scannte uns ab, als könnte er unsere Gedanken lesen. Ich versuchte, ihm auszuweichen. Sein Blick folgte mir.

„Ihr seid die Neuen? Die Ringverwaltung hat euch geschickt?“, fragte der Mann und blickte jetzt auf seinen Computer. „Mehr als Halbtagsjobs kann ich euch nicht bieten“, brummte er. „Da könnte ja jeder kommen. Alle wollen immer mehr, aber ordentliche Atemluft ist teuer. Der Strom für die Filteranlage kostet mich ein Vermögen, ganz zu schweigen von der Reinigung der Filter. Solange ihr nicht eingearbeitet seid, zahle ich immer drauf. Das ist kein Geschäft für mich. Ich nehme euch nur, um die Quote der Ringverwaltung zu erfüllen. Und wenn ihr euch nicht reinkniet, fliegt ihr. Zehn andere stehen längst Schlange. Verstanden?“

Ich hatte nicht das Gefühl, dass er auf eine Antwort von uns wartete. „Wie viel Geld bekommen wir, Herr Bo?“, fragte Ropex.

Der Mann sah uns an, als verstünde er nicht recht. Barsch sagte er: „Direktor Bo, ich heiße Direktor Bo. Darauf lege ich Wert. Dafür habe ich jahrelang hart gearbeitet. Mir wurde auch nichts geschenkt. Und was die Bezahlung angeht: das wäre ja noch schöner. Ihr bekommt zwei Malzeiten am Tag und dürft euch im Schlafsaal aufhalten. Dort gibt es natürlich keine Atemluft der Qualität B-minus, aber einfach gefilterte Luft ist in jedem Fall besser als draußen zu leben. Wo kämen wir da hin, wenn ungelernte Hilfskräfte 24 Stunden am Tag B-minus Atemluft fordern würden. Dann könnte ich meinen Laden sofort zusperren. Die Konkurrenz ist groß.“

„Entschuldigung, wir sind neu hier“, sagte ich unsicher.

Direktor Bo schnaufte ungeduldig. „Also gut, Mädchen, dann noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: Hier draußen in den Industrie-Ringen gibt es nirgendwo Luftqualität der Klasse A-plus, so wie ihr es aus Jaikong kennt. Davon können wir hier nur träumen. In den Produktionshallen sorge ich dank aufwändiger Filtertechnologien für hervorragende Luft der Qualität B-plus. Aber das ist teuer. Ihr solltet einmal meine Rechnungen sehen, Stromkosten, Sauerstoffkosten und Reinigung der Filter. Diese Luftqualität steht euch nur während der Arbeitszeit zur Verfügung. In den Schlafsälen sind nur einfache Luftsiebe installiert, die den gröbsten Dreck raushalten. Mehr ist nicht drin. Deswegen will jeder so lange wie möglich arbeiten. Wenn ihr fleißig seid und euch geschickt anstellt, könnt ihr euch in ein paar Monaten um Sonderschichten bemühen und irgendwann vielleicht für einen 8-Stunden-Job bewerben. Meine allerbesten Mitarbeiter erhalten das Privileg von 14-Stunden-Schichten. So lässt sich das Leben hier draußen aushalten, kaum schlechter als in Jaikong.“

Der spann doch komplett. Ich schielte auf mein Aerometer. Es leuchtete gelb. Dabei waren wir kaum zwei Stunde draußen gewesen.

„Ja, schau es dir nur genau an. Dein Aerometer ist der beste Motivator, um ordentlich zu arbeiten. Halbtagskräfte landen an den meisten Tagen bei orange oder einem Hellrot. Weiter draußen sieht die Sache schon anders aus. Im Vierten oder Fünften läuft das Aerometer jeden Tag bis lila und manchmal leuchtet es sogar schwarz.“

Mir wurde ganz schwindelig. Jedes Kind wusste, dass die Luft in den Industrie-Ringen mies war, aber nicht, dass man nur während der Arbeitszeit brauchbare Atemluft bekam.

„Eure Schicht beginnt morgen früh um 6 Uhr. Ihr fangt bei der Entgratung an. Meldet euch in der Halle bei Lenket, meinem Produktionsleiter. Fragen?“

Ropex und Amali schüttelten ihre Köpfe. Ich hatte keine Ahnung, was Entgratung war. Direktor Bo stand auf und wollte gehen. Doch ehe er die Türklinke berührte, zuckte er zurück. „Jetzt hätte ich es beinahe vergessen. Ihr müsst eure Arbeitsverträge noch unterschreiben.“ Aus einer Schublade zog er drei geheftete Stapel Papier. Er strich sie vorsichtig glatt, als wären sie kostbar. Jedem von uns drückte er einen Arbeitsvertrag in die Hand. „Bitte, auf der letzten Seite unterschreiben.“

Direktor Bo zog einen dunkelblau marmorierten Kugelschreiber aus der Sakkotasche und gab ihn mir. Ich unterschrieb mit krakeligen Buchstaben: Kalana Zookie. Dann reichte ich den Stift an Ropex weiter. Aber statt zu unterschreiben, begann Ropex den Vertrag zu lesen – von Seite eins, ganz vorne.

Ungeduldig trommelte Direktor Bo mit den Fingern auf den Tisch. Sein mächtiger Körper bebte. „Unterschreibt! Meine Zeit ist knapp.“

„Ich wollte nur …“, sagte Ropex.

Nach einem ungeduldigen Blick von Direktor Bo drehte Ropex den Vertrag um und unterschrieb auf der letzten Seite. Und Amali konnte es nicht schnell genug gehen, auch unterschreiben zu dürfen.

Direktor Bo zückte seinen Kommunikator: „Frau Gaschel, hier sind drei Neue. Bringen Sie sie in die Schlafsäle.“

Und dann wandte er sich noch einmal an uns: „Ich erwarte, dass ihr alles gebt. Wer sein Plansoll nicht erreicht, der fliegt. Habt ihr mich verstanden?“

Amali und ich nickten. Selbst Ropex murmelte etwas, das nach Zustimmung klang. Direktor Bo verließ grußlos den Raum.

Es dauerte nicht lange, bis eine grobschlächtige Frau kam, die mich an einen Ackergaul erinnerte. Ohne sich vorzustellen, brummte sie mit einer Reibeisenstimme: „Mitkommen!“

Ich fühlte mich, als würden wir abgeführt.

„Die Betten in den Schlafsälen sind mehrfach belegt. Ihr dürft die Schlafsäle nur während der zugewiesenen Zeiten betreten. Männer und Frauen schlafen in getrennten Räumen. Besuche sind absolut verboten“, knurrte Frau Gaschel, ohne sich umzudrehen. „Wer gegen die Schlafsaalverordnung verstößt wird ohne Warnung fristlos entlassen.“

Sirrende Neonröhren leuchteten die langgezogenen Gänge gleißend hell aus.

„Frauenschlafsaal“, sagte sie irgendwann und öffnete eine schwere Metalltür. Sie sah mich an. „Du schläfst in Bett 121. Die andere bekommt das Bett über dir, Nummer 122. Checkt euch ein und verlasst es morgen früh genauso wie ihr es vorgefunden habt.“

Die Tür fiel hinter uns zu. Der Schlafsaal war eine fensterlose Halle. Links und rechts vom Mittelgang reihte sich Stockbett neben Stockbett. Bett 121 war das letzte in der linken Reihe. Als ich mich über den Bildschirm eincheckte, wurden mir 6 Stunden zugewiesen, dann musste ich es wieder verlassen haben. Die karierte Bettdecke war so exakt gefaltet, dass die Karos aufeinander zu liegen kamen. Im Schlafsaal stank es wie in einer alten Sportumkleide. Darunter mischten sich Ruß und Dreck. Die Luftqualität war bestenfalls D-minus.

Wenn ich mein restliches Leben bei Plastic Fantastic verbringen musste, würde mir eine durchschnittliche Lebenserwartung von 40 Jahren reichen. Schon die ersten Stunden waren unerträglich. Warum hatte ich mich in der Schule nicht mehr angestrengt? Ich Riesenrindvieh. Genau genommen hatte ich mich sogar angestrengt. Für diesen bescheuerten Schulstoff war mein Kopf einfach nicht gemacht. Aber wieso ich die Theaterprüfung vergeigt hatte, war mir ein totales Rätsel. Frau Alenkowa hatte mir immer Mut gemacht, dass ich es schaffen würde. Aber leider war Frau Alenkowa zur Abschlussprüfung schon nicht mehr an der Schule gewesen. Von einem Tag auf den anderen war sie einfach gegangen. Sie hatte sich nicht einmal verabschiedet. Irgendwie war ich es gewohnt, dass mich die Leute verließen, wenn ich sie am dringendsten brauchte: meine Eltern, Frau Alenkowa und natürlich auch Quinn. Ausgerechnet sein Lachen konnte ich nicht vergessen. Es war total ansteckend gewesen. Man kam ihm einfach nicht aus.

Ich starrte auf meine Bettdecke. Die Karos begannen in meinem Kopf zu flimmern.

Rußatem

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