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Passau. Liebe auf den zweiten Blick

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Die Zeit steht still in Passau. Wenn am Abend niemand mehr in der Innenstadt unterwegs ist, scheint es, als habe jemand ordentlich durchgefegt, hier und da die Blumentöpfe zurechtgerückt, dann beherzt auf OFF gedrückt. So um das Jahr 1689 vielleicht, als die alte Fürstenstadt nach einem gründlichen Großbrand gerade frisch im barocken Pastell neu aufgebaut und die erste Zeitung erschienen war.

Tagsüber: Da kommen die Touristen. Mehr als 200.000 pro Jahr, darunter viele Amerikaner. Denn die Stadt liegt zum Beispiel »very romantic« am Zusammenfluss dreier Flüsse: Inn, Donau und Ilz. Wenn die Touristen dann gegen Abend zurück auf ihre Halbpensionsboote eilen, dann kommt tatsächlich, kein Scherz, Italien-Feeling auf. Eine Vespa im Ohr, Weißwein in der Hand: So wird man von der Schönheit dieser Kulisse fast erschlagen.

Im Winter allerdings ist Passau vor allem: neblig. Sehr sogar. Und persönlich fand ich den Passauer Nebel im Studium sogar noch schlimmer als den berühmten Berliner Winter. Und, um das Bild noch zu verdüstern, Passau umranken viele Geschichten: Die beginnen meist mit Nazis, brauner Soße und der Nibelungenhalle – und enden bei Studenten, die das Semester angeblich immer mit Champagner ausklingen lassen.

Da tut man der Stadt unrecht: Passau ist nicht rechts, aber zugegeben doch traditionell konservativ und katholisch. Die Studenten-Schickeria prägt die Stadt, aber nicht jeder Student gehört zur Schickeria und ohne Studenten und die Uni wäre Passau vermutlich nur etwa halb so relevant und spannend wie heute. Da wo die Nibelungenhalle stand, steht heute die Neue Mitte. Die ist architektonisch nicht ganz mein Fall, doch mit ihr hat das Stadtzentrum erfolgreich die Panade des Dritten Reichs abgestreift.

Wir drei wussten rein gar nichts von Passau vor unserem Umzug nach Niederbayern. Halt, fast nichts: Die Uni sollte gut sein, das war immer im Hinterkopf. Außerdem: kleine Stadt, Campus-Feeling und so. Heute lieben wir Passau, und wie das so oft ist bei Blind Dates: Unsere ersten Passauer Minuten waren noch krampfig, aber mit jedem Schluck Wein wurde es besser.

Nachts feierten wir also viel. Sehr viel, wie fast alle Passauer Studenten. Tagsüber lenkte uns die Stadt nicht groß von unseren Studieninhalten ab. Wir waren also brav und nahmen Kurs auf die Regelstudienzeit: Philipp und Hubertus studierten BWL. Ich Jura.

In den Semesterferien ist Passau gefühlt nur halb voll. Und im Sommer 2005 gesellte sich zu dieser Reizarmut eine so deutlich erhöhte Temperatur, dass nach den letzten Klausuren des Sommersemesters unsere Nerven blank lagen. Hubertus, Philipp und ich wollten nur noch raus aus unseren total überhitzten Wohnungen. Wir hatten keine Lust mehr auf Rechnungswesen und Gesetzbücher. Wir wollten raus aus der Stadt, die wir nach vier Jahren Studium fast in- und auswendig kannten.

Unsere Rettung war der »Panzer«. Ein Mercedes-Kombi mit kantigen Formen und graugrünem Lack, der fast 600.000 Kilometer auf dem Buckel hatte und dessen Tankanzeige über mehr als 300.000 davon schon nicht mehr funktionierte. Wenn man mit dem Panzer fuhr, bedeutete das also immer Abenteuer, schon auf kleinen Strecken. Und in ein solches stürzten wir uns in diesem Sommer: Wir wollten zum Badesee, das Leben auf ON stellen.

Ich erinnere mich noch genau, als Hubertus und ich uns das erste Mal über den Weg gelaufen waren. Es war ein kalter Tag im Oktober 2001, die Welt wunderte sich zu dieser Zeit noch über die gerade geplatzte »Internet-Bubble« und wir saßen in einem typischen, kahlen Seminarraum. Der Kurs: Italienisch für Anfänger. Ein Kurs, von dem wir uns ein bisschen Dolce Vita in diesem Herbst versprachen. Er war für unseren Lebensweg absolut entscheidend – immerhin lernten wir uns kennen –, im Hinblick auf das ursprünglich gesetzte Lernziel aber ein Totalausfall: Italienisch ging nicht in unsere Köpfe. Erstens fehlte uns tutti kompletti das Talent. Und zweitens hörten wir dem Dozenten überhaupt nicht zu, weil wir unsere eigenen Themen viel spannender fanden. Blogs, Computer, Startups, Design – das trieb uns viel mehr um als die italienische Grammatik. Lebenserkenntnis: Sprachtalent? Setzen, Sechs. Nerdfaktor: Eins plus. In der Abschlussklausur schließlich schrieb ich keinen einzigen fehlerfreien Satz. Und verlor Hubertus danach erst einmal aus den Augen.

Hubertus und Philipp kannten sich zu dieser Zeit schon längst. Philipp war sogar der Erste überhaupt, den Hubertus in Passau kennengelernt hatte. Er kam gerade aus Hamburg vom Praktikum bei einer Werbeagentur, wo Websites ab zehn Millionen Euro gebaut wurden. Die beiden kamen bei einem abendlichen Studentenevent ins Gespräch, das Hubertus heute als »neutral bis spießig« erinnert. Nach dem dritten Bier wussten sie sicher, dass sie irgendwie aus der vorgezeichneten Spur ausscheren mussten: Das Penthouse, von dem zukünftige Investmentbanker träumen, war ihnen egal. Das Reihenhaus (bei weniger stressigen Jobs) erst mal auch. Stattdessen: »Lass uns was Eigenes machen!«, sagte Hubertus. »Okay, Australien«, fiel Philipp ein. Da flogen sie dann in den Semesterferien hin – und auf dem Rückflug fiel ihnen die Idee für ihr erstes Startup ein. Das sie 2002 tatsächlich an den Start brachten! Mit Müsli hatte das überhaupt nichts zu tun, es legte aber einen wichtigen Grundstein für die Gründung von mymuesli fünf Jahre später.

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