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Die automatische Videothek
ОглавлениеDiese erste Gründung klingt aus heutiger Perspektive nach unternehmerischem Selbstmord. Eine Videothek.
Doch Anfang des Jahrtausends streamte man seine Filme noch nicht. Man ging in einen Videoverleih, holte einen Stapel dicker schwarzer Kassetten ab, glotzte einen Abend durch, spulte die Filme dann freundlicherweise zurück (sonst kostete das Aufpreis) und brachte sie wieder in den Laden. Ziemlich umständlich. Und ziemlich schlecht zu erreichen, zumindest in Passau, wo man von der Uni zur nächsten Videothek gut 40 Minuten Fußmarsch (einfach) absolvieren musste, nur um dann festzustellen, dass die einzige »James Bond«-Kopie leider wieder mal übers Wochenende vergriffen war. In Passau gab es also wenig zu gucken.
»Wir machen eine Videothek auf, die ganz wenig Platz braucht, und sparen so Miete!« Das war die zündende Idee von Philipp, der sich mit Immobilien schon immer am besten von uns auskannte. Und was braucht wenig Platz? DVDs! Immer noch super neu, damals. »Wir sparen noch mehr Platz, wenn wir eine automatische Verleihmaschine aufbauen«, fiel Hubertus ein, der von uns allen schon immer das größte Faible für Automaten und Roboter aller Art hatte.
Tatsächlich haben Hubertus und Philipp im Jahr 2002 genau eine solche Videothek mitten in Passau aufgemacht. Damit hatten sie ganz nebenbei einen Testballon: Funktionierten sie als Gründer-Duo? Ich war ja noch nicht dabei.
»Das war anfangs nicht leicht«, sagt Philipp heute. »Wir hatten beide so einen Dickkopf, dass wir einen Trick anwenden mussten, um zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen: Ich musste an geraden Wochentagen nachgeben, Hubertus gab an ungeraden Tagen nach.« Heute arbeiten wir mit etwas ausgefeilteren Methoden zusammen.
Die Videothek war eine mutige Gründung: Die Juristen waren sich damals nicht einig, wie man mit diesen Videoautomaten umgehen sollte (»An Feiertagen Filme ausleihen?«), viele Bürger runzelten schon vor der Eröffnung die Stirn (»Braucht’s des?«) und die Mieten waren in Passaus Zentrum für studentische Unternehmer hoch. Für einen Miniladen reichte es aber. Glücklicherweise fanden die beiden schnell einen italienischen Hersteller von DVD-Verleihautomaten, der sowieso gerade nach Deutschland expandieren wollte – und so wurden die beiden praktisch über Nacht zu Videothekaren. Und zu Unternehmern. Und unfreiwillig auch zu Telefonseelsorgern.
An der Tür nämlich hing ein Schild mit den Handynummern von Hubertus und Philipp – 24 Stunden Erreichbarkeit gehören zu einer solchen Videothek eben dazu. Zumal es auch eine Menge Filme mit FSK 18 zu leihen gab, die unsere Eltern der Kategorie »niveauloser Schmuddelfilm« zugeordnet hätten. Aber Eltern müssen ja nicht alles wissen, und eine Roboter-Videothek nur mit künstlerisch wertvollen Arthouse-Filmen funktioniert nun mal einfach nicht.
Genau diese Verbindung zwischen »niveaulosem Schmuddelfilm« und 24/7 führte leider dazu, dass Philipp an geraden und Hubertus an ungeraden Wochentagen mitten in der Nacht aus dem Schlaf geklingelt wurde und mit dem Fahrrad in die Passauer Innenstadt flitzte, um verklemmte Filme aus dem Automaten zu fummeln. Was immer dann passierte, wenn ein Kunde heimlich im Schutz der Nacht etwas zurückgeben wollte, die DVD-Hülle nicht richtig zugemacht hatte und diese deshalb in der Mechanik fest hing. Also praktisch jede Nacht. Manchmal auch mehrmals pro Nacht. Manchmal passierte so etwas auch dem gleichen Kunden mehrmals in der gleichen Nacht. Ziemlich lästig, vor allem in Klausurzeiten und bei Schnee und Eis. Aber auch ganz interessant, was für Typen sich welche Filme ausleihen und dann nicht richtig zumachen.
Philipp und Hubertus war die ganze Prozedur meist unangenehmer als manchen Kunden, von denen einige während dieser Service-Begegnungen dann ein Porno-Fachgespräch führen wollten. Und was schon damals klar war: Murphy’s Law schlägt immer zu: »What can go wrong, will go wrong.« Immer dann, wenn es am nervigsten ist. So musste Philipp dann vor seiner ersten Vordiplomsklausur mehrfach ausrücken und DVD’s aus dem Automaten holen.
Die relativ hohe Quote an diesen nicht-für-unsere-Eltern-und-schon-gar-nicht-für-Kinder-geeigneten Filmen mit der dazu passenden Kundschaft führte dazu, dass sich Hubertus und Philipps Identifikation mit ihrem Laden in Grenzen hielt. Deshalb verkauften sie den Videostore, bevor sie einen zusätzlichen Studienabschnitt in Budapest absolvierten – in dem sich vor allem Hubertus mit dem beschäftigen konnte, was ihn am meisten umtrieb und was heute für uns extrem wichtig ist: Marketing.
Kurz nach der Rückkehr aus Budapest traf ich Hubertus mitten in der Nacht zufällig an der Tankstelle in der Passauer Innenstadt wieder. Alles, was ich rausbrachte: »Ach, da bist du ...!« Seitdem waren wir Freunde. Heute werde selbst ich als Nerd bei dem Gedanken nostalgisch: Damals konnte man sich noch verlieren, sich dann aber zufällig an Tankstellen wiederfinden. Niemand konnte irgendwo einchecken oder seinen Standort per iMessage schicken.
Es dauerte dann nicht lange, bis wir endlich zu dritt zusammentrafen und sofort wussten: Da passt was. Wir wollen etwas machen. Zu dritt. Eigentlich egal was. Hauptsache: machen.