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|40|12 PRAG 24. BIS 27. SEPTEMBER 1860 Nationalismus PHANTASMA DES TEUFELS
ОглавлениеDer italienische Nationalismus ist für Friedrich Michelis ein Unding. Seit dem Sardinischen Krieg 1859 schrumpfen Österreich-Ungarn und vor allem der Kirchenstaat, die Truppen der Einheitsbewegung sind auf dem Vormarsch. „Die Revolution bemächtigt sich in diesem Augenblicke der Gefühle der Nationalität, um sie zu einem Phantasma, zu einer Einbildung zu erheben, womit der Teufel in der Welt seine Zwecke erreicht“, erklärt der Kirchenhistoriker Michelis. Anders als den Tschechen spricht er den Italienern eine eigene Nationalität rundweg ab. „Italien ist ein langer Streifen Landes, von Gott nicht zur Nationalität gestempelt, sondern es ist in allen Zeiten von verschiedenen Nationalitäten bevölkert gewesen.“
Diese Ansichten teilen nicht alle Redner. Prag erscheint als der richtige Ort, um über das Verhältnis von Katholizismus und Nationalität zu diskutieren. Die Versammlung werde „an einem erhebenden Beispiele zeigen, wie das Christentum die Nationen vereinigen soll und wie unsere heilige katholische Kirche alle ihre treuen Söhne, wenn auch von verschiedenen Zungen, durch die Einheit des Glaubens und der Liebe auf der ganzen Erde verbindet“, heißt es in der Einladung. Öffentliche Versammlungen finden sowohl in Deutsch als auch in Tschechisch statt.
Katholizismus und Nationalismus gehen durchaus zusammen, etwa in Irland und Polen. Doch in Deutschland ist der Nationalismus protestantisch geprägt. Die Katholiken tun sich schwer mit ihm – wegen ihrer Sympathien für den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus. So erinnert der Präsident der Generalversammlung, Heinrich O’Donell, an das Pfingstereignis: Christen „aus allen Stämmen“ seien „wie ein Herz und ein Sinn“ gewesen. „Wohl muss man zugeben, dass diese idealen Zustände in weite Ferne gerückt sind, aber sie sind ein Vorbild, ein Ziel, nach welchem wir zu streben haben.“
WAS NOCH?
Da die öffentlichen Sitzungen in zwei Sprachen, Deutsch und Tschechisch, viel Zeit beanspruchen, kommt es kaum zu intensiveren Diskussionen oder weitreichenden Beschlüssen. Die Entwicklung in Italien überschattet die ganze Veranstaltung, nachdrücklich empfehlen Redner die Michaelsbruderschaften, die den Papst finanziell unterstützen. Zugunsten des Kirchenstaates wurden fast 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt. Ein Redner macht die Situation der weiblichen Dienstboten für die 12.000 bis 14.000 unehelichen Kinder verantwortlich, die jährlich in Wien zur Welt kommen. Heftig geschimpft wird auf die „Judenpresse“ und ihre „Satansblätter“.
„Ob ich ein Tscheche bin, ob ich ein Deutscher bin, was soll das, wenn ich nur ein wahrer Katholik bin“, skandiert auch Michelis. Nationalität sei „ein Stück von unserem Fleische“, erklärt er, und das ist despektierlich gemeint. „Wollt ihr die Nationalität pflegen, als wäre sie das letzte Ziel, so habt ihr euren katholischen Glauben verleugnet. Ihr braucht sie nicht totzuschlagen, aber ihr sollt sie züchtigen, damit sie sittlich gereiniget werde.“ Und keine Nation dürfe sich „ihrer Stellung überheben“. Michelis endet mit einem Lobpreis der Soldaten des Vatikanstaats. Der folgende Redner fühlt sich dabei „mit einem empfindlichen Schmerze durchzuckt“ – zwei seiner Söhne kämpfen gerade aufseiten des Kirchenstaats in der Festung Ancona.
In der geschlossenen Versammlung beantragt Michelis später, eine Denkschrift „über das Verhältnis der germanischen Völker zu den romanischen und slawischen vom katholischkirchlichen Standpunkte aus zu veranlassen“. Der Rechtsprofessor Johann Friedrich Schulte entgegnet, er würde gerne wissen, „wer sich dem Kunststücke unterziehen werde, die nationalen Besonderheiten in Körpergestaltung, Geistesanlagen u.s.w. festzustellen“. Er sehe die Gefahr, sich lächerlich zu machen. Fast einstimmig lehnen die Anwesenden den Antrag von Michelis ab.
Die italienischen Nationalisten marschieren derweil weiter in den Kirchenstaat hinein. Zwei Tage nach Ende der Generalversammlung fällt Ancona.
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Die italienische Einigung führt nach und nach dazu, dass der Kirchenstaat immer kleiner wird. Die Jahreszahlen bezeichnen den Anschluss der Gebiete an das Königreich Sardinien-Piemont beziehungsweise das Königreich Italien.