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|44|14 AACHEN 8. BIS 11. SEPTEMBER 1862 Katholische Universität IN BERLIN STUDIERT – UND TROTZDEM EIN MANN
Оглавление„Es fehlt uns an Männern!“, behauptet der Mainzer Domkapitular Christoph Moufang in Aachen wieder und wieder. Für den Mangel macht er mehrere Ursachen aus: den Despotismus der Fürsten, die Bürokratie und die „verweichlichende“ Erziehung in Familie und Schule. „Was aber am meisten Not tut, das ist die Universitätsfrage! Großer Gott, wie liegt da Alles im Argen!“ Moufang versteht nicht, dass ein katholischer Vater seinen Sohn auf eine staatliche, womöglich protestantisch geprägte Universität schickt, „wo er alle Chancen dazu hat, seinen Sohn verdorben zurückkehren zu sehen“.
Tatsächlich haben die Katholiken im 19. Jahrhundert ein anderes Problem: ein Bildungsdefizit. In Preußen sind neun von zehn Universitätsprofessoren protestantisch, laut Moufang gibt es dort nur einen einzigen katholischen Medizinprofessor. Die Katholiken gelten ihren Gegnern pauschal als zurückgeblieben, ungebildet und religiös verblendet. Der Plan für eine Katholische Universität ist daher ein Dauerbrenner. Die neue Hochschule soll sich „prinzipiell in Allem“, wie ein Redner es definiert, der Autorität der Kirche unterwerfen, auch in den Naturwissenschaften. Diskutiert werden vor allem die Standorte Münster und Salzburg. Doch bisher ist es bei Absichtserklärungen geblieben. Mal hofft man, dass die zu Beginn des Jahrhunderts verstaatlichten Universitäten an die katholische Kirche zurückgegeben werden, mal sieht man die Verantwortung bei den Bischöfen.
In Aachen berichtet jetzt Johannes Möller, ein deutscher Geschichtsprofessor, begeistert von der Katholischen Universität im belgischen Löwen. Diese werde einzig und allein durch Spenden unterhalten. „Was das kleine Belgien mit seinen vier Millionen Menschen zustande gebracht hat, sollte dies dem großen katholischen Deutschland unmöglich sein?“, fragt er provozierend.
Die Generalversammlung ist daraufhin nicht mehr zu bremsen. Den Vorschlag, erst einmal ein Gutachten von Universitäts-Professoren |45|zu beantragen, lehnt sie ab. Stattdessen wählt sie sofort eine siebenköpfige Kommission, die Kontakt zu den Bischöfen und Regierungen aufnehmen soll. Alle anwesenden Geistlichen versprechen, eine Messe für die Katholische Universität zu lesen. Und vor allem wird Geld gesammelt. Am Ende der Veranstaltung sind mehr als 11.000 Taler zugesagt. Ein Redner verkündet, die Katholische Universität habe in Aachen „ihren Geburtstag gefeiert“.
Der Mainzer Domkapitular Christoph Moufang kämpft in Aachen für eine Katholische Universität.
WAS NOCH?
Die Versammlung fordert von allen Katholiken die „rückhaltlose Unterordnung ihrer Privatmeinungen unter die Autorität der Kirche“, betont aber zugleich ihren Patriotismus. Sie verabschiedet eine Resolution gegen den Ausschluss Österreichs und bezeichnet die Zerstückelung Deutschlands als „verdammungswürdigen Frevel“. Noch einmal erklärt sie, dass sich die Kirche mit jeder Staatsform vertrage. Sie sei „keine Stütze des Despotismus und keine Feindin politischer Freiheit“, aber gegen Rechtsbruch und Revolution. Die Eroberungen des Königreichs Italien werden als „Andrang der Höllenpforten“ verurteilt. „Inmitten einer feindlichen und widerwärtigen Welt wird Deine Herde Dir überall ein Reich, überall ein Vaterland bilden“, heißt es in einem Schreiben an den Papst. Empfohlen wird die Gründung von Kasinos, von Lokalen, „wo man sich freundschaftlich versammeln, besprechen und auch zweckmäßige Blätter und Zeitschriften halten kann“. Für anstellungslose weibliche Dienstboten sind Heime zu gründen. Die katholische Kirche in Deutschland soll durch eine Generalstatistik erfasst werden. Gäste berichten unter anderem über die Lage der Katholiken im Orient, in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz.
Doch der Jubel kommt verfrüht. Als Möller vorhersagt, das Geld werde von selbst zusammenkommen, vermerkt das Protokoll: „Stimmen: Nein! Nein!“ Und der Prager Professor Johann Friedrich Schulte entgegnet Moufang: „Ich habe alle meine Universitätsstudien in Berlin gemacht, und … ich hoffe fest, ich bin trotzdem ein Mann geblieben.“ Ein Jahr später verteidigt der Tübinger Theologe Johannes von Kuhn, der an der Katholisch-Theologischen Fakultät einer staatlichen Universität offenbar gut zufrieden ist, die Unabhängigkeit der Wissenschaft und bezweifelt die Effizienz einer katholischen „Chemie, Physik, Astronomie, Mechanik“. Pius IX. heißt das Vorhaben im selben Jahr zwar ausdrücklich gut, doch der Kölner Erzbischof Johannes Kardinal von Geissel, den der Papst mit der Umsetzung der Pläne beauftragt hat, stirbt schon ein Jahr später. Dann naht der Kulturkampf, und es bleibt wieder einmal bei Absichtserklärungen.
Erst seit 1980 gibt es in Deutschland eine Hochschule, die sich „Katholische Universität“ nennt, und zwar in Eichstätt. Aber diese wird zu 85 Prozent vom Freistaat Bayern finanziert. Die ursprünglichen Pläne der Generalversammlung sind nie verwirklicht worden.