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|54|19 BAMBERG 31. AUGUST BIS 3. SEPTEMBER 1868 Kirchenmusik WIDERHALL VON ENGELSSTIMMEN
ОглавлениеEs gibt kein Entkommen: „Wenn unsittliche Musik im Theater ertönt, kann ich mich davor bewahren, indem ich wegbleibe; wenn aber die unsittliche Musik in der Kirche ertönt, bin ich durch die Kirche moralisch genötigt, sie in mich aufzunehmen“, hat Franz Xaver Witt bereits im Vorjahr in Innsbruck geklagt. Ein „armes verlassenes Kind“ sei die Kirchenmusik, das niemand pflegen wolle. In Bamberg hat der langjährige Chorallehrer am Regensburger Priesterseminar soeben den Cäcilienverband gegründet, der schon 500 Mitglieder zählt. Die Generalversammlung soll ihn jetzt den Bischöfen, der Geistlichkeit, den Chorleitern und „sonstigen Freunden der echten katholischen Kirchenmusik“ empfehlen.
Witt hat ein Ziel: Die katholische Kirchenmusik soll wieder werden, „was sie war, ein Wiederhall jenes tausendstimmigen Halleluja, das von Engelsstimmen ertönt“. Es gibt einiges zu tun. Offenbar erscheint nicht nur Gegnern des Katholizismus die Kirchenmusik oft „indezent“, „rein äußerlich“, trivial oder sentimental. Man klagt und spottet über die Musik, die doch eigentlich zur höheren Ehre Gottes dient: Das tut weh. Zudem ist die Kirchenmusik in Witts Augen nicht nur ein verlassenes, sondern auch ein gefährliches Kind: Eine „unsittliche“ Kirchenmusik sei schlimmer als unsittliche Reden, denn die „Idee der Musik“ trete „meist verhüllt auf“ und werde darum nicht sofort erkannt, erklärt der Priester.
Der neue Verein fördert den Choral, das „würdige“ Orgelspiel und den vielstimmigen Gesang. Witt betont, kein Puritaner und nicht „katholischer als der Papst“ zu sein. „Wir wollen für das feierliche Hochamt auch den feierlichen Pomp der Kirchenmusik, aber alles nur an der rechten Stelle und am rechten Platz.“ Auch für die Instrumentalmusik und das „echt kernige“ kirchliche Volkslied gebe es Raum. Die Mitglieder des Vereins würden nicht nur für den Palestrinastil eifern, sondern |55|vorwärts streben und auch „moderne und modernste Mittel nicht verschmähen“. Witts Idol bleibt aber unverkennbar ebenjener Giovanni Pierluigi da Palestrina, der berühmte italienische Komponist des 16. Jahrhunderts, dessen bekanntestes Werk die „Missa Papae Marcelli“ ist, die er seinem Förderer Marcellus II. widmete. Schon Haydn, Mozart und Beethoven sind nach Ansicht Witts für den Gottesdienst ungeeignet – eine Meinung, die, gerade in Österreich, nicht alle Katholiken teilen.
Es ist einer Reihe von Missverständnissen zu verdanken, dass ausgerechnet die heilige Cäcilia zur Patronin der Kirchenmusik wurde. Der ursprünglichen Legende zufolge wurde sie mit einem Heiden zwangsverheiratet. „Während die Hochzeitsinstrumente erklangen, sang sie in ihrem Herzen allein dem Herrn.“ Mit feierlicher Musik dürfte sie also keine guten Erinnerungen verbinden. Dieses Bild hat François-Joseph Navez 1824 gemalt.
WAS NOCH?
Die Versammlung gründet ein Zentralkomitee, das die Beschlüsse ausführen und künftige Versammlungen vorbereiten soll. Zur Frage, ob das neue Komitee oder die Versammlung über den nächsten Tagungsort entscheidet, gibt es eine lange Diskussion. In Resolutionen verurteilt die Versammlung die Kirchenpolitik Österreichs, Badens und – mit Blick auf Polen – Russlands. Sie protestiert außerdem gegen die Entchristlichung der Schulen. Enttäuscht wird festgestellt, dass der Bonifatiusverein nur ein Viertel der Spenden seines protestantischen Gegenbildes, des Gustav-Adolph-Vereins, erhält; für Katholiken in der Diaspora werden daher weitere Maßnahmen beschlossen. Mit Blick auf Auswandererfragen bildet die Versammlung einen Ausschuss. Zur Unterstützung des Kirchenstaats sollen die Katholiken Michaelsbruderschaften und Petersvereinen beitreten. Francesco Nardi, Richter an der Römischen Rota, dem höchsten Gerichtshof der katholischen Kirche, spricht anerkennend von den Deutschen im Dienst der päpstlichen Armee. Die Versammlung diskutiert die Forderung nach einem gesetzlich fixierten Mindestlohn. Für das gesellige Beisammensein empfehlen Redner die katholischen Kasinos.
Die Generalversammlung nimmt Witts Antrag dennoch einstimmig an, 1870 bestätigt Pius IX. den Verein höchstpersönlich. Witt erhält als Komponist Anerkennung von Franz Liszt und Anton Bruckner. Einen neuen Palestrina bringt der Cäcilienverband, entgegen den Hoffnungen Witts, nicht hervor, zur Erfolgsgeschichte wird er trotzdem: Heute gehören dem Cäcilienverband in Deutschland, Österreich und der Schweiz fast 400.000 Sängerinnen und Sänger in Kirchenchören an. Und noch immer streiten Katholiken gerne darüber, welche Musik für die Liturgie angemessen ist. Benedikt XVI. sieht, seinen gesammelten Schriften zufolge, in großen Teilen der Rock- und Popmusik einen Antikult, vergleichbar den antiken dionysischen Religionsformen, mit Erlösungspraktiken, die „dem Rauschgift verwandt und dem christlichen Erlösungsglauben von Grund auf entgegengesetzt“ seien. Musik „dieses Typs“ müsse daher aus der Kirche ausgeschlossen werden.
Franz Xaver Witt gründete 1867 den Cäcilienverband zur Pflege der Kirchenmusik.
Das an die Popkultur angenäherte „neue geistliche Lied“ hat sich dennoch einen festen Platz im „Gotteslob“ erobert – und gibt nicht zuletzt auf den Katholikentagen heutzutage den Ton an.