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DIM SUM WAR NORMALERWEISE eine ruhige Angelegenheit – man trank Jasmintee und aß ein wenig von all den kleinen Gerichten, die in gemächlicher Abfolge serviert wurden, aber kaum hatten sie Platz genommen, klingelte Mays Handy. Sie nahm den Anruf entgegen, ihre Brauen hoben sich sofort.

Chi-Tze, formte sie lautlos mit den Lippen.

Ehe Ava reagieren konnte, klingelte ihr eigenes Handy – ein Anruf vom Queen Elizabeth Hospital. Sie hatte sofort ein flaues Gefühl im Magen und nahm den Anruf rasch an.

»Ava, ich bin’s – Onkel.«

»Ist alles in Ordnung?«

»Jaja. Ich fühle mich besser, aber Parker will mich erst heute Abend oder morgen früh entlassen. Er sagt, wenn ich darauf bestehe zu reisen, bräuchte ich noch mehr Kraft.«

»Gott sei Dank ist wenigstens einer vernünftig.«

»Ich werde mich hüten, mich mit ihm anzulegen.«

»Möchtest du, dass ich vorbeikomme?«

»Nein, das ist nicht nötig. Sonny kommt und holt mich, wenn ich entlassen werde.«

»Und Schanghai?«

»Morgen, schätze ich.«

»Onkel«, sagte Ava langsam, »wenn du nicht in Hongkong bist, dann werde ich vielleicht auch verreisen.«

»Natürlich, nur zu«, erwiderte er. »Aber sag mir, hat das irgendwas mit dem Problem in Borneo zu tun?«

»Wie bitte?« Ihre Überraschung war nicht zu überhören.

Er schwieg, und eine Sekunde lang dachte Ava, sie hätte ihn vor den Kopf gestoßen. Dann fragte er: »Hast du nach der Hochzeit schon mit May Ling gesprochen?«

»Sie sitzt mir gegenüber. Warum fragst du?«

»Changxing.«

»Was ist mit ihm?«

»Er hat mich vor einer Stunde angerufen, um sich zu erkundigen, wie es mir geht. May hat ihm erzählt, dass ich im Krankenhaus bin. Aber eigentlich wollte er mir von einem geschäftlichen Problem in Borneo erzählen.«

May telefonierte immer noch, und Ava sah, dass sie ziemlich beunruhigt war. Sie verspürte wachsenden Unmut. »Warum das?«

»Ich weiß es nicht.«

»Nun, es stimmt, es gibt ein Problem, aber das hat nichts mit ihm zu tun.«

»Er meinte, es geht um eine Menge Geld und dass es dich und May betrifft.«

»Beides richtig.«

»Kannst du das Problem lösen?«

»Vielleicht. May ist im Begriff, nach Borneo zu fliegen, und ich mache mich heute Abend auf den Weg nach Amsterdam, falls ich einen Flug bekomme.«

»Ava, du musst es mir nicht erzählen, aber wie viel Geld könntest du persönlich möglicherweise verlieren?«

»Zwölf bis fünfzehn Millionen US-Dollar.«

»Kein Wunder, dass Changxing mir das unbedingt erzählen wollte.«

»Ich habe das Geld.«

»Dennoch …«

»Onkel, ich komme zurecht«, versicherte sie.

»Mag sein. Aber ich mache mir dennoch Sorgen um dich und deine Zukunft«, erwiderte er. »Wie dem auch sei, ich habe nach Changxings Anruf mit Peter Hutchinson gesprochen. Ich weiß, du und ich haben die wesentlichen Punkte meines Testaments besprochen, aber ich habe ihn gebeten, sich mit dir zu treffen, wenn du Zeit hast, und dir die Einzelheiten und die Zahlen vorzulegen. Du wirst keine Geldsorgen haben, selbst wenn der Verlust doppelt so hoch sein sollte, wie du gesagt hast.«

»Ich weiß.«

»Also triff dich mit ihm.«

»Das ist nicht nötig.«

»Tu es mir zuliebe. Es gibt weitere Vorkehrungen, von denen ich dir nichts erzählt habe – einige betreffen Sonny und Lourdes. Du solltest von ihnen wissen, und ich würde dir gern noch alle Fragen beantworten, die du vielleicht hast.«

Ava war klar, dass sie nicht nein sagen konnte. »Ich kann das erst machen, wenn ich aus Amsterdam zurück bin, also nagele mich jetzt noch nicht auf einen Termin fest«, entgegnete sie. »Aber ich treffe mich gleich nach meiner Rückkehr nach Hongkong mit ihm.«

»Danke.«

Ava sah May über den Tisch hinweg an. Sie hatte ihr Telefongespräch beendet und starrte ins Leere.

»Onkel, ich muss jetzt Schluss machen«, sagte Ava. »Falls sich deine Pläne ändern, lass es mich bitte wissen. Ansonsten bin ich hoffentlich irgendwann heute auf dem Weg nach Amsterdam.«

»Grüß May Ling von mir, und dir wünsche ich eine gute Reise.«

Ava legte das Handy auf den Tisch. »May, was ist passiert? Du wirkst aufgebracht.«

»Chi-Tze hat Amanda angerufen«, antwortete sie. »Sie hat sie angerufen, um ihr zu sagen, dass ich komme. Sie wollte wissen, was sie zu erwarten hätte.«

»Warum das?«

»Sie meinte, sie sei nervös. Sie wisse nicht, was ich vorhabe. Sie dachte, ich hätte vielleicht sogar die Absicht, den Betrieb zu schließen.«

»Das ist der erste Tag von Amandas Flitterwochen. Das weiß sie doch sicher?«

»Und der letzte, wie Chi-Tze sagt.«

»Was soll das heißen?«

»Amanda hat natürlich gefragt, warum ich nach Borneo fliegen will und warum Chi-Tze fragt, was sie zu erwarten habe. Also hat Chi-Tze ihr von unserem Problem erzählt.«

»O Gott!«

»Amanda hat es nicht gut aufgenommen.«

»Welchen Teil?«

»Beide. Sie war schockiert über das drohende finanzielle Desaster und offenbar nicht besonders erfreut darüber, dass ich ihr nichts davon erzählt habe.«

»Die Hochzeit –«

»Natürlich, und ich bin sicher, dass sie letztlich verstehen wird, warum ich ihr nichts gesagt habe.«

»Was also hat sie vor?«

»Sie hat vor, morgen nach Borneo zu fliegen.«

»Das ist verrückt.«

May Ling zuckte die Achseln. »Als Geschäftspartnerin steht es ihr gut an.«

»May, du musst Amanda anrufen und ihr sagen, dass sie bleiben soll, wo sie ist.«

Sie unterbrachen ihr Gespräch, als die ersten Gerichte serviert wurden. May nahm ihre Essstäbchen und angelte sich einen gedünsteten Baby-Tintenfisch, der in Currysauce gebettet war. »Chi-Tze hat ihr genau das bereits gesagt«, nahm sie den Faden wieder auf, als der Kellner fort war. »Amanda habe nur gemeint, sie lebe schon ein Jahr mit Michael zusammen und bezweifle, dass sie auf ihrer Hochzeitsreise neue Entdeckungen machen würde.«

»Scheint, als sei das für dich in Ordnung«, sagte Ava.

»Nicht ganz, aber es freut mich, dass Amanda ihre Verpflichtungen unserem Unternehmen gegenüber ernst nimmt.«

»Warum hat Chi-Tze geplaudert?«

»Sie ist offenkundig in Nöten und kann nicht klar denken.«

»Wann haben die beiden miteinander gesprochen?«

»Vor ungefähr einer halben Stunde.«

»Amanda hat keine von uns angerufen«, sagte Ava.

»Vielleicht braucht sie Zeit, um die schlechten Nachrichten zu verdauen. Und wir wissen nicht, wie weit Chi-Tze ins Detail gegangen ist.«

»Amanda möchte vielleicht auch nicht, dass wir ihr ausreden, nach Borneo zu fliegen.«

Ava merkte, wie ihre Aufmerksamkeit abgelenkt wurde, als frischgebackene Rettichküchlein, gefüllt mit Schinken und Zwiebeln, auf den Tisch kamen. Gleich darauf dachte sie wieder an Amanda, und dann an Changxing, der wie ein Schuljunge hinter ihrem und May Lings Rücken Dinge ausplauderte, und ihr verging der Appetit. Sie erwog kurz, Onkels Gespräch mit Changxing zu erwähnen, aber dann überlegte sie es sich anders. Es hatte keinen Sinn, selbst auch noch Dinge weiterzutratschen.

»Du musst Amanda anrufen«, sagte sie.

»Ja, das tue ich.«

»Mach es jetzt gleich.« Ava nahm ihr Handy und wählte Amandas Mobilnummer. Sie hörte, wie der Anruf direkt auf die Mailbox geleitet wurde. »Ich bin’s – Ava. Ruf mich oder May sobald wie möglich an«, hinterließ sie. Dann wählte sie Michaels Nummer. Das Gleiche. »Sie gehen nicht ran.«

»Und du isst nicht«, sagte May.

»Ich kann nicht.«

»Ich eigentlich auch nicht«, erwiderte May und legte die Stäbchen bedächtig auf ihre Schale. »Ich glaube, ich muss so schnell wie möglich nach Borneo.«

Die zwei Schwestern von Borneo

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