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Merkwürdige Art der Geschenke
ОглавлениеIm Namen Gottes, des gnädigen Erbarmers! Gott segne unseren Herrn Mohammed, seine Familie und seine Genossen und gebe ihnen Heil!
So spricht der Scheich Abu Abdallah Mohammed, Sohn des Abdallah, Sohn des Mohammed, Sohn des Ibrahim vom Stamm Lewata aus Tanger, bekannt unter dem Namen Ibn Battuta:
Als der Kalender den ersten Tag des göttlichen Monats Moharrem des Jahres 734 (12. September 1333) zeigte, gelangten wir an den Indusstrom, auch Panjab genannt, was »die fünf Gewässer« heißt. Dieser Strom ist einer der größten der Welt und mündet in der heißen Zone; die Bewohner dieses Landes bestellen die Aussaat, wie es die Bauern Ägyptens bei der Nilüberschwemmung tun. Dieser Strom bildet die Grenze des Reiches, das der erhabene Sultan Mohammed Schah, der König von Indien, regiert.
Als wir das Ufer des Flusses erreicht hatten, kamen die zuständigen Beamten des Meldungsamtes zu uns, um dann Kutb el-Mulk, dem Gouverneur der Stadt Multan, von unserer Ankunft zu berichten. Damals war Sertiz, ein Leibeigener des Sultans, Gouverneur von Sindh, der gleichzeitig das Amt des Inspekteurs der Provinzen innehatte, und vor dem die Truppen des Sultans paradieren mussten. Sein Name Sertiz bedeutet so viel wie »Schlaukopf«. Zur Zeit unserer Ankunft hielt er sich in der Stadt Siwestan auf, die in Sindh liegt und von Multan zehn Tagesreisen entfernt ist. Zwischen der Provinz Sindh und der Stadt Delhi, der Residenz des Sultans, ist man fünfzig Tage unterwegs. Gibt aber das Meldeamt der Provinz Sindh eine Nachricht an den Sultan auf den Weg, so erreicht ihn die Meldung innerhalb von fünf Tagen mit der Staatspost.
Die Staatspost in Indien gründet sich auf zwei verschiedene Beförderungsarten. Für die Pferdepost, die sogenannte »Ulak«, stehen alle vier Meilen dem Sultan gehörende Pferde bereit. Die Läuferpost hingegen ist so eingerichtet, dass jede einzelne Meile in drei Abschnitte unterteilt wird. Am Ende eines jeden Abschnitts befindet sich eine gutbesetzte Ansiedlung, in der die zum sofortigen Aufbruch bereiten Läufer sitzen. Gegürtet und mit einer zwei Ellen langen Geißel neben sich, die an ihrem Ende Kupferschellen trägt, warten sie auf die zu befördernde Nachricht. Verlässt der Kurier die Stadt, nimmt er den Brief in die eine Hand, erfasst die schellenbehangene Geißel mit der anderen und stürmt mit aller Kraft davon. Den ihm vorauseilenden Klang der Schellen hören die Läufer der nächsten Station und machen sich bereit, die Post zu übernehmen. Erscheint nun der Kurier, so ergreift ein Läufer das Schreiben und jagt fort, so schnell er laufen kann. Auch er schwingt die Geißel, bis er zur nächsten Abschnittsstation gelangt, wo sich der Vorgang wiederholt, bis der Brief endlich seinen Bestimmungsort erreicht hat.
Auf diese Weise befördert man auch sehr oft Früchte, die aus Chorasan stammen und in Indien recht begehrt sind. Man legt sie in Schüsseln und versendet sie in höchster Eile, damit sie der Sultan möglichst schnell genießen kann. Ebenso transportiert man auch Schwerverbrecher, indem man den Delinquenten in einen Tragsessel packt, den die Kuriere auf ihren Kopf nehmen und im Laufschritt davontragen.
Wenn die Beamten der Meldebehörden dem Sultan schreiben, um ihn über die Ankunft eines Fremden zu unterrichten, der einen seiner Staaten betreten hat, so studiert der Herrscher den Brief in allen Einzelheiten, aus dem er auch entnehmen kann, wie sein Äußeres beschaffen ist und wie er sich kleidet. Dazu lässt man den Sultan wissen, von wie vielen Reisegefährten er begleitet ist, wie groß die Zahl seiner Diener und Sklaven, ja auch seiner Tragtiere ist. Hinzu kommt, dass man, soweit erkennbar, alle Gewohnheiten schildert, etwa wie der Fremde geht und steht. Schließlich enthält der Brief auch Angaben über das von dem Besucher mitgeführte Geld.
Kommt nun der Reisende nach Multan, in die Hauptstadt der Provinz Sindh, so muss er sich dort so lange aufhalten, bis eine genaue Verfügung des Herrschers vorliegt, die seine Vorsprache und Behandlung bei Hof regelt. Dies gibt einen Eindruck vom Verhalten, Charakter und von den Ausgaben des Fremden wieder.
Der König von Indien, Sultan Abu’l Mujahid Mohammed Schah, erweist den Fremden hohe Ehren und besonderes Wohlwollen. Da er ihnen Verwaltungsämter und Würden verleiht, ist die Mehrzahl seiner Hofleute, Kammerherren, Wesire und Richter, aber auch seiner Schwäger, ausländischer Herkunft. Auf seinen Befehl hin müssen die Fremden in seinen Staaten mit dem Titel »A’izza«, was »Erlauchte Herren« heißt, angesprochen werden. Mit der Zeit ist dieser Titel dann zu einem Eigennamen geworden.
Jeder Besucher, der zur Audienz geladen wird, muss dem Sultan ein Geschenk anbieten und es ihm, gewissermaßen als Einführung, überreichen. Der Herrscher aber gibt es ihm doppelt und bisweilen mehrfach zurück. Als man sich nun an dieses Verhalten des Königs gewöhnt hatte, sahen die Kaufleute in Sindh und Indien darin eine Chance für ihr Geschäft. Sie räumten jedem, der am Hof des Sultans vorsprechen wollte, Kredite von Tausenden von Dinaren ein und statteten ihn mit dem aus, was er als Geschenk zu überreichen gedachte oder für sich selbst in Gestalt von Reittieren, Kamelen und Ausrüstung benötigte. Sie dienten ihm nicht nur mit ihrem Geld, sondern auch mit ihrer Person, indem sie sich ihm als Gefolge zur Verfügung stellten. Kam der Fremde nun zur Audienz vor den Sultan und erhielt das entsprechende Geschenk, so zahlte er den Kredit und die ganzen Vorschüsse zurück. Auf diese Weise warf das Geschäft den Kaufleuten einen großen Profit ab, sodass es letztlich zu einer guten und beständigen Einnahmequelle wurde.
Als ich in der Provinz Sindh angelangt war, verfuhr ich in gleicher Weise und deckte mich mit Pferden, Kamelen und Sklaven ein. So hatte ich in der Stadt Ghazna bei dem irakischen Kaufmann Mohammed ed-Duri rund dreißig Pferde und ein Kamel, das eine Last Perserpfeile trug, gekauft, da der Sultan ein solches Geschenk besonders schätzte. Dieser Kaufmann erzielte durch mich einen beträchtlichen Gewinn und kehrte als schwerreicher Mann heim. Nach vielen Jahren begegnete ich ihm noch einmal in der Stadt Aleppo.
Als wir den Indus, der hier Panjab heißt, hinter uns gelassen hatten, durchquerten wir auf unserem Weg einen schilfbewachsenen Sumpf. Da griff uns ein Karkadann, ein Nashorn, an. Es ist dies ein Tier von dunkler, fast schwarzer Farbe, mit einem ungeheuren Leib und einem mächtigen, ungewöhnlich dicken Kopf. So pflegt man zu sagen: »Das Karkadann ist ein Kopf ohne Rumpf.« Das Tier ist kleiner als der Elefant, während sein Kopf weit größer als ein Elefantenkopf ist. Zwischen seinen beiden Augen hat es ein einziges Horn, dessen Länge ungefähr drei Ellen und dessen Dicke etwa eine Spanne beträgt. Als es uns angriff, stellte sich ihm einer unserer Reiter entgegen. Das Nashorn wandte sich sofort gegen das Pferd, durchbohrte mit seinem Horn dessen Schenkel, warf es zu Boden und kehrte ins Schilfdickicht zurück, sodass wir keine Gelegenheit hatten, es zu erlegen. Nach dem Nachmittagsgebet sah ich wieder ein Nashorn, das in einer Niederung weidete. Bei unserem Näherkommen ergriff es jedoch die Flucht. Zusammen mit dem König von Indien sah ich schließlich zum dritten Mal ein Nashorn. Der Sultan und wir, sein unmittelbares Gefolge, saßen auf Elefanten, während die Jäger zu Fuß und mit Pferden in den Schilfwald eindrangen, das Tier aufscheuchten, es töteten und seinen Kopf ins Lager brachten.
Nachdem wir am Indus zwei Tage lang unterwegs gewesen waren, kamen wir in die Stadt Jenani, einen großen und schönen Ort am Ufer des Flusses mit prächtigen Marktplätzen. Die Bewohner gehören einem Volksstamm mit Namen Samira an. Schon ihre Ahnen hatten sich zur Zeit ihrer Eroberung in den Tagen des Hajjaj Ibn Yusuf hier niedergelassen. Darüber und über die Gewohnheiten dieser Leute berichtete mir der Scheich und Gebetsvorsteher, der gelehrte, fleißige, keusche und fromme Rukn ed-Din, einer der drei Männer, die ich nach Ankündigung des heiligen und rechtschaffenen Scheichs Burhan ed-Din al-Araj aus Alexandria auf meiner Reise antreffen würde und die ich auch tatsächlich traf, Preis sei Gott! Die Angehörigen dieses Stammes Samira essen niemals mit jemandem zusammen, noch darf ihnen irgendwer beim Essen zuschauen, auch verschwägern sie sich ausschließlich mit ihresgleichen.
In der Stadt Jenani lebten der Emir Unar es-Samiri und der Emir Kaisar ar-Rumi, beide im Dienst des Sultans. Sie hatten dort rund 1800 Reiter zur Verfügung. In der Stadt wohnte auch ein ungläubiger Hindu mit Namen Ratan. Als ein sehr geschickter Rechner und Sekretär nahm er an einer Delegation eines Emirs an den Herrscher von Indien teil. Da der König Gefallen an ihm fand, gab er ihm den Titel »Herr von Sindh«, ernannte ihn zum Gouverneur dieses Gebietes, belehnte ihn mit Siwestan und Umgebung und übergab ihm die Insignien seines Amtes, nämlich Trommeln und Fahnen, wie sie hohe Würdenträger erhalten. Als er in das Land Sindh zurückkehrte, waren Unar, Kaisar und die anderen erbost, dass ihnen allen der Ungläubige als Herr vorgesetzt worden war, und sie fassten den Beschluss, ihn zu beseitigen. Als nun einige Tage nach seiner Rückkehr vergangen waren, machten sie ihm den Vorschlag, die Umgebung der Stadt zu besuchen und sich über deren Zustand genau zu unterrichten. Er ging auf ihren Rat ein und verließ mit ihnen die Stadt. Als sich die Nacht über die Erde senkte, veranstalteten sie einen Tumult im Lager und gaben vor, ein Löwe sei eingedrungen. Sie stürmten in das Zelt und töteten den Ungläubigen. Dann kehrten sie in die Stadt zurück und ergriffen alles, was sich dort an Schätzen des Sultans befand. Dies waren zwölf Lak. Ein Lak hat den Wert von zehntausend indischen Golddinaren oder 25 000 maghrebinischen (marokkanischen) Golddinaren. Die Aufrührer wählten Unar zu ihrem Anführer und nannten ihn Malik Firuz. Er teilte das Geld unter die Soldaten auf. Dann aber fürchtete er um sein Leben; denn er hielt sich weit entfernt von seinem Stamm auf. So verließ er die Stadt, und mit ihm suchten seine nächsten Verwandten ebenfalls ihr Heil in der Flucht, die sie schließlich in ihre Heimat brachte. Der Rest der Truppen wählte Kaisar ar-Rumi zu ihrem Anführer.
Die Nachricht von diesem Geschehen erreichte Imad ul-Mulk Sertiz, den Leibeigenen des Sultans, der damals Generalgouverneur von Sindh war und in Multan residierte. Er zog Truppen zusammen und setzte sie zu Lande und auf dem Indus in Marsch. Zwischen Multan und Siwestan sind zehn Tagesreisen. Kaisar trat ihm entgegen, wurde aber mit seinen Soldaten schmählich besiegt, sodass er sich hinter den Stadtmauern verschanzen musste. Sertiz schloss die Stadt ein und brachte Wurfmaschinen in Stellung. Nach vierzig Tagen baten die Belagerten um Gnade, die ihnen Sertiz auch gewährte. Als sie sich jedoch ergeben hatten, brach er sein Wort und befahl, die Aufrührer hinzurichten. Jeden Tag ließ er einige enthaupten, andere mitten entzweischneiden und wieder andere schinden, deren Haut mit Stroh gefüllt und an der Stadtmauer aufgehängt wurde, sodass über weite Strecken dieser Mauer entlang diese ans Kreuz geschlagenen Häute zum Entsetzen aller Betrachter hingen. Sertiz ließ auch die abgeschlagenen Köpfe in der Mitte der Stadt zu einem Hügel aufschichten.
Schon bald nach diesem Ereignis stieg ich in der Akademie dieser Stadt ab, auf deren Flachdach ich zu schlafen pflegte. Wenn ich in der Nacht erwachte, sah ich die gekreuzigten Häute, sodass mich Schaudern ergriff und ich kein Vergnügen an meinem Aufenthalt in der Akademie empfand. So entschloss ich mich, diese Stadt möglichst bald wieder zu verlassen.