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Besitzer von Dörfern
ОглавлениеDer ehemalige Kadi von Herat, der treffliche und gerechte Ala ul-Mulk aus Chorasan, nach einer Audienz beim Herrscher von Indien zum Gouverneur der Stadt Lahari in der Provinz Sindh ernannt und mit der Verwaltung ihrer Einkünfte betraut, hatte an der Expedition unter Imad ul-Mulk Sertiz mit seinen Soldaten teilgenommen. Ich beschloss, mit ihm nach der Stadt Lahari zu reisen. Er besaß fünfzehn Schiffe, mit denen er über den Indus abwärtsfuhr; sie beförderten sein Gepäck, und auch ich reiste mit ihm.
Unter den Schiffen Ala ul-Mulks befand sich auch ein Fahrzeug, Ahaura genannt, eine Art Jacht, wie sie bei uns vorkommt, nur dass sie etwas breiter und kürzer war. In der Mitte des Schiffes befand sich ein hölzerner Aufbau, zu dem man auf einer Treppe hinaufstieg und auf dem ein Pavillon errichtet war, der für den Emir bestimmt war, wenn er dort Platz nehmen wollte. Dabei saß ihm sein Gefolge gegenüber, und seine Sklaven standen rechts und links von ihm. Die Mannschaft jedoch, die rund vierzig Leute umfasste, musste rudern. Die Ahaura wurde von vier Schiffen zur Rechten und Linken umgeben. Zwei von ihnen trugen die Insignien des Emirs, nämlich die Fahnen, Pauken, Hörner, Trompeten und Oboen, die man in Marokko »gaita« nennt. Auf den beiden anderen Schiffen hielten sich die Musiker auf. Es war eine recht unterhaltsame Fahrt von Tagesanbruch bis zur Zeit des ersten Mahls; da wurden die Pauken gerührt und die Hörner geblasen, bald ließen sich die Sänger hören, und so ging es ohne Unterlass weiter. Zur ersten Mahlzeit des Tages schlossen sich die Schiffe zusammen und legten aneinander an. Sie wurden durch Stege verbunden, und die Sänger betraten die Ahaura des Emirs. Dort mussten sie singen, bis er die Tafel aufhob. Dann aßen sie selbst und kehrten auf ihr Schiff zurück. Nach dieser Unterbrechung wurde die Fahrt in der vorgeschriebenen Ordnung bis in die Nacht fortgesetzt. Bei Anbruch der Dunkelheit wurde am Flussufer das Nachtlager aufgeschlagen, wo der Emir in seinen Zelten abstieg. An der gedeckten Tafel nahm der größte Teil der Truppen teil. War das letzte Abendgebet verrichtet, so zogen die Nachtwachen, die regelmäßig abgelöst wurden, auf. Sooft eine Wachmannschaft ihren Dienst beendet hatte, rief ein Ausrufer aus ihren Reihen mit lauter Stimme: »Herr und König, soundso viele Stunden der Nacht sind verflossen!« Dann übernahm die nächste Abteilung die Nachtwache, und wenn sie abgelöst war, verkündete auch ihrerseits der Ausrufer, wie viele Stunden inzwischen vorübergegangen waren. Kam der Morgen, wurden die Hörner geblasen, die Pauken geschlagen, das Morgengebet gebetet und das Frühstück aufgetragen. War dies beendet, so nahm man die Reise wieder auf.
Entschließt sich der Emir jedoch zu einer Landreise, so geschieht dies unter Hörnerklang und Paukenschall. Voraus ziehen die Kämmerer des Emirs, dann folgen die Infanteristen, die dem Emir vorangehen. Unmittelbar vor ihnen befinden sich sechs Reiter, von denen drei Pauken umgehängt haben, während die anderen drei Oboen führen. Nähert man sich einem Dorf oder einer anderen Siedlung, so schlagen diese Reiter die Trommeln und lassen die Oboen ertönen, worauf die Pauken und Hörner der militärischen Eskorte einfallen. Beiderseits der Kämmerer befinden sich die Sänger, die abwechselnd singen. Zur Zeit der ersten Mahlzeit wird haltgemacht.
Fünf Tage lang reiste ich mit Ala ul-Mulk. Wir gelangten an den Sitz seiner Statthalterschaft, nämlich die Stadt Lahari, einen sehr schönen Ort am Strand des Ozeans. Bei ihr ergießt sich der Indus ins Meer, sodass dort zwei große Wasser zusammenkommen. Lahari hat einen bedeutenden Hafen, den die Seefahrer aus Südarabien und Persien besuchen. Deshalb sind auch die Steuereinnahmen der Stadt groß und das Vermögen der Bewohner beträchtlich. Emir Ala ul-Mulk berichtete mir, dass der Steuerertrag dieser Stadt jährlich sechzig Lak beträgt. Davon erhält er fünf Prozent. Unter diesen Bedingungen übergibt der Sultan seinen Beamten die Provinzen: Sie dürfen nämlich die Hälfte des Zehntels vom Steuerertrag für sich einziehen.
Eines Tages ritt ich mit Ala ul-Mulk in die Umgebung der Stadt aus. Wir kamen dabei in eine Ebene, die rund sieben Meilen von der Stadt entfernt ist und Tarna genannt wird. Dort erblickte ich eine unübersehbare Menge von Steinen, die aussahen, als wären es Menschen- oder Tierbilder. Sie waren jedoch größtenteils verwittert, sodass ich die Gesichtszüge der Gestalten nicht erkennen konnte. Von ihnen war nichts weiter übriggeblieben als die Figur eines Kopfes oder eines Fußes. Unter diesen Steinen befanden sich auch welche, die Getreidearten darstellten, wie Weizen, Kichererbsen, Bohnen und Linsen. Auch ganze Trümmer einer Stadtmauer und Häuserreste waren zu sehen. In den Ruinen eines Hauskomplexes, der aus behauenen Steinen bestand, erhob sich ein Postament, das wie aus einem einzigen Stück gearbeitet aussah. Darauf stand die Statue eines Mannes, der einen übermäßig langen Kopf hatte und den Mund seitwärts am Gesicht, die Hände jedoch hinten am Rücken wie ein Gefesselter trug. An dieser Stelle gab es auch Wasserpfützen von äußerst üblem Geruch und auf einer Mauer eine indische Inschrift. Ala ul-Mulk erklärte mir, dass die Geschichtsschreiber behaupten, an diesem Ort sei einst eine große Stadt gewesen, deren Einwohner sehr böse gewesen seien, sodass sie in Stein verwandelt wurden; die Figur auf dem Postament in dem großen Hauskomplex sei ihr König gewesen, weshalb man das Gebäude bis jetzt den Königspalast nenne. Die indische Inschrift auf einer Mauer erzähle die Geschichte des Untergangs dieser Stadt. Dieses Ereignis fand vor rund eintausend Jahren statt (möglicherweise handelt es sich um die Ruinen des alten Daibal – Dewal – Debal es-Sindh).
Fünf Tage lang hielt ich mich bei Ala ul-Mulk in Lahari auf. Zum Abschied versah er mich reichlich mit Lebensmitteln. Ich begab mich nach Bakar, einer ansehnlichen Stadt, die von einem Kanal des Indus durchschnitten wird. In der Mitte dieses Kanals befindet sich ein schönes Hospiz, in dem Reisende untergebracht und verpflegt werden. Dieses Hospiz wurde von Kalu Khan in der Zeit seiner Statthalterschaft über die Provinz Sindh erbaut. Neben dem Rechtsgelehrten und Gebetsvorsteher Sadr ed-Din und dem Richter der Stadt, Abu Hanifa, lernte ich den ehrwürdigen, frommen und keuschen Sems ed-Din Mohammed aus Schiraz kennen, der hochbetagt ist. Er erklärte mir, dass er über 120 Jahre alt sei. Von Bakar aus kam ich nach Ujah, einer großen Stadt am Indus, die schöne Märkte und prachtvolle Bauten besitzt. Ihr Gouverneur war ein trefflicher und edler Fürst, Jelal ed-Din al-Kiji, ein tapferer und großmütiger Mann. Später starb er in dieser Stadt nach einem Sturz vom Pferd.
Zwischen mir und diesem edlen Fürsten bildete sich eine Freundschaft. Als der Sultan nach Daulat-Abad reiste und mir befahl, in der Residenz Digli zu bleiben, sagte Jelal ed-Din zu mir: »Du benötigst viel für deinen Unterhalt, und der Sultan wird lange ausbleiben. So nimm denn mein Dorf und ziehe dessen Einkünfte ein, bis ich zurückkehre.« Dies tat ich auch und bezog aus diesen Einkünften ungefähr fünftausend Dinare. Gott möge ihn aufs Beste belohnen!
In der Stadt Ujah traf ich den frommen, enthaltsamen und edlen Scheich Kutb ed-Din Heidar vom Geschlecht Alis, der mich das Büßergewand anziehen ließ. Er war ein rechtschaffener Mann. Das Kleid, das er mir geschenkt hatte, führte ich immer mit mir, bis zu jenem Tag, als mich die ungläubigen Inder auf dem Meer ausplünderten.
Von Ujah reiste ich nach der Stadt Multan. Dies ist die Hauptstadt der Provinz Sindh und die Residenz des Generalgouverneurs. Auf dem Weg dorthin befindet sich in der Entfernung von zehn Meilen vor der Stadt der Fluss, der unter dem Namen Chosrau Abad bekannt ist. Diesen großen Strom kann man nur mit einem Schiff überqueren. Dabei wird das Gepäck der Reisenden aufs Genaueste durchstöbert und ihre Ausrüstung untersucht. Zur Zeit unserer Ankunft war es üblich, dass von allem, was die Kaufleute mit sich führten, der vierte Teil als Abgabe entrichtet werden musste; ferner zog man für jedes Pferd sieben Dinare als Zoll ein. Später, zwei Jahre nach unserer Ankunft in Indien, hob der Sultan diese Zölle auf und ordnete an, dass von den Reisenden nur die Armentaxe und das Zehntel erhoben würden. Als wir uns anschickten, diesen Fluss zu überqueren, und unsere Ausrüstung durchsucht werden sollte, war mir dies sehr peinlich. Obwohl sich in meinem Gepäck nichts Besonderes befand, schien es den Leuten doch sehr wertvoll zu sein. Ich fand es widerwärtig, dass man meine Habe durchsuchte. Durch Gottes Gnade kam gerade ein General des Kutb el-Mulk, des Gouverneurs von Multan, an. Er befahl, dass meine Sachen nicht untersucht werden sollten. Dies geschah auch, und ich pries Gott für die Güte, die er mir erwiesen hatte. Nachdem wir am Flussufer übernachtet hatten, besuchte uns am nächsten Morgen der Leiter des Meldeamtes, der aus Samarkand stammende Dihkan. Er hat die Aufgabe, dem Sultan die Neuigkeiten aus dieser Stadt und ihrem Bezirk mitzuteilen, zu berichten, was dort vorfällt und wer dort ankommt. So wurde ich denn von ihm ausgefragt und kam in seiner Gesellschaft vor den Gouverneur von Multan.
Als ich vor Gouverneur Kutb el-Mulk, einem der bedeutendsten und verdienstvollsten Emire, erschien, kam er mir entgegen, fasste meine Hand und hieß mich an seiner Seite Platz nehmen. Zum Geschenk machte ich ihm einen Sklaven, ein Pferd und getrocknete Rosinen und Mandeln. Gerade dies ist eines der größten Geschenke, die man den Bewohnern dieses Landes machen kann, da sich dort weder Rosinen noch Mandeln befinden und nur von Chorasan eingeführt werden. Der Sitz des Emirs befand sich auf einer mit Teppichen ausgelegten, großen Estrade. In seiner nächsten Nähe hielten sich der Richter Salar und der Prediger auf. Zu seinen beiden Seiten saßen die Generale der Armee und hinter ihm standen die Bewaffneten. Vor ihm paradierten die Truppen. Auf dem Platz waren viele Bogen aufgestellt. Erscheint nun ein Mann, der ins Heer als Schütze aufgenommen werden will, so bekommt er einen dieser Bogen, um ihn zu spannen. Diese Bogen sind der Stärke nach verschieden. Nach der Kraft, die der Mann beim Spannen anwendet, fällt sein Sold aus. Wünscht jemand als Reiter zu dienen, so muss er eine andere Leistung vollbringen: Er treibt sein Pferd an und stößt mit einer Lanze nach einer befestigten Scheibe. An einer niedrigen Mauer ist außerdem ein Ring aufgehängt; er treibt sein Pferd zum Galopp an und nimmt den Ring mit seiner Lanze auf. Hat er das vollbracht, so gilt er als ein besonderer Reiter im Heer. Will jedoch jemand als reitender Schütze dienen, so wird ein Ball auf die Erde gelegt. Der Soldatenanwärter versucht, im Reiten den Ball zu treffen. Nach dem Maß der Geschicklichkeit beim Treffen des Zieles fällt dann der Sold des Mannes aus.
Als wir bei dem Emir erschienen waren und ihn begrüßt hatten, ordnete er an, dass wir in einem Haus außerhalb der Stadt absteigen sollten, das den Schülern des frommen Scheichs Rukn ed-Din gehört. Normalerweise wird dort niemand als Gast aufgenommen, bevor nicht ein Befehl vom Sultan kommt. Zwei Monate nach meiner Ankunft in Multan erschienen ein Kammerherr des Sultans, der Polizeikommandant und drei Eunuchen bei mir. Sie fragten mich nach dem Grund meiner Ankunft. Ich erklärte ihnen, dass ich gekommen sei, in den Dienst des »Herrn der Welt« zu treten, also des Sultans, wie er in seinen Ländern genannt wird. Eine Anordnung des Sultans besagte nämlich, dass niemandem, der aus Chorasan komme, der Eintritt nach Indien zu gestatten sei, außer er erscheine in der Absicht, sich dauernd niederzulassen. Nachdem ich die Delegation des Sultans informiert hatte, dass ich gekommen sei, in Indien zu bleiben, ließen sie den Richter und die Notare kommen, um einen Vertrag für mich und diejenigen meiner Gefährten aufzusetzen, die ebenfalls hierbleiben wollten.
Es war mir die Möglichkeit geboten worden, mit einem hohen Gast des Sultans, Chodawend Zadeh, von Multan in die Residenz zu reisen. Bis zur Hauptstadt benötigt man vierzig Tagesreisen, die jedoch in einem durchaus wohlbebauten Land vor sich gehen. Der Kammerherr und sein Gefährte, die zur Begleitung Chodawend Zadehs delegiert waren, besorgten alles, was man zur Bewirtung des Gastes und seiner Gefährten benötigte. Sie nahmen aus Multan an die zwanzig Köche mit sich. Der Kammerherr reiste stets über Nacht zum nächsten Halteplatz voraus, um dort die Mahlzeiten und andere Dinge vorzubereiten, sodass Chodawend Zadeh und wir stets zum fertig zubereiteten Essen ankamen. Nachdem jeder im Allgemeinen mit seiner Reisegruppe zusammen aß, hatte ich nur einmal Gelegenheit, beim Essen mit Chodawend Zadeh zusammen zu sein. Dabei wurden folgende Speisen serviert: Zuerst wird das Brot vorgelegt. Dies ist eine Art dünner Kuchen, etwa wie ein Fladen. Dann wird das gebratene Fleisch in große Stücke geschnitten, sodass ein Hammel etwa vier oder sechs Teile bildet, wobei jeder Mann ein solches Stück erhält. Außerdem serviert man in Butterschmalz gebackene Kuchen, die dem gewöhnlichen Weißbrot unserer Länder ähnlich sehen. In diese Kuchen gibt man eine Süßigkeit hinein, eine weiße Sülze mit Mandeln, die Subaniya heißt. Jeden dieser Kuchen belegt man mit einer dünnen, süßen Bäckerei, die aus feinem Mehl, Zucker und zerlassener Butter angefertigt ist. Dann wird in großen Porzellanschüsseln mit Butter, Zwiebeln und grünem Ingwer gebratenes Fleisch aufgetragen. Anschließend wird das Samusek serviert, kleingehacktes, mit Mandeln, Nüssen, Pistazien, Zwiebeln und Grüngewürz bereitetes Fleisch, das sich im Inneren einer in Butterschmalz gebackenen Pastete befindet. Jeder Teilnehmer am Essen erhält vier bis fünf Stück davon. Der nächste Gang ist in zerlassener Butter gedünsteter Reis, der mit Hühnern belegt ist. Nach den »Kadi-Happen« wird schließlich Kairenser Naschwerk geboten. Der Kammerherr steht bei der Tafel, bevor gespeist wird, und verneigt sich in Ehrerbietung nach der Weltrichtung, in der sich der Sultan aufhält. Alle Anwesenden tun das Gleiche. Das Zeichen der Ehrerbietung ist ein Neigen des Kopfes, wie die Gebetsverbeugung. Hat man dies getan, so setzt man sich zur Mahlzeit nieder. In Becher aus Gold, Silber und Glas wird Kandiszuckerwasser gefüllt, das ist Rosenzucker, den man in Wasser aufgelöst hat. Während man es vor dem Essen trinkt, spricht der Kammerherr: »Im Namen Gottes, des Allmächtigen!« Ist das Essen vorbei, so bringt man die Krüge mit Bier. Noch einmal werden Betel und Pinangnüsse serviert. Hat man auch davon genommen, so sagt der Kammerherr wiederum: »Im Namen Gottes, des Allmächtigen!«, die Gäste stehen auf, verneigen sich wie vor der Mahlzeit und ziehen sich zurück.