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Tags darauf begehrte ein sonderbarer Mensch Audienz beim Großen Sprecher. Sechs Finger hatte er an jeder Hand, an jedem Fuß sechs Zehen. War er ein Bote der Unterwelt? Vorsorglich begab sich Motecuzoma zu den Schwarzen Häusern. So hieß die Höhere Schule für Söhne und Neffen des Großen Sprechers und des Cihuacoatl, der Weiblichen Schlange. Sie stand am Tempel der Erdgöttin, die mit dem Totenland und überhaupt mit dunklen Dingen und allem Geheimnisvollen verbunden war. Hier hatte Motecuzoma einen stillen Raum, der ihm angemessen schien, solch einen Gast zu empfangen. Er überquerte den Innenhof der Schwarzen Häuser und betrat das mit blauschwarzen Wandbehängen ausgekleidete Gemach. Noch hörte er den Brunnen plätschern. Er ließ ein Feuerbecken in seine Nähe rücken und, sobald die Flamme kräftig brannte, den Mann mit den sechs Fingern rufen.

Der kam lautlos wie ein Geist heran, denn seine Schritte wurden von den dichten Federteppichen verschluckt. Noch als er sich niederwarf, vernahm Motecuzoma nicht das leiseste Geräusch.

Der Fremde durfte sich erheben. „Was führt dich zu mir?“

„Totecuiyo, hast du nicht Befehl erlassen, dass ein jeder – ob Mann, ob Frau, ob Kind – dich aufzusuchen habe, der etwas Ungewöhnliches bemerkt? Namentlich Traumdeuter, Wahrsager und Zauberer, die das Verborgene kennen?“

„Wohl sehe ich, dass du dergleichen in einem Sack auf dem Rücken trägst. Doch hüte dich, mir Trug zu enthüllen.“

„Ich heiße Uhu und bin der Erste Magier am Hof meines Herrn.“

„Dass du mir ja keine Menscheneule bist, die sich der Schwarzen Kunst schuldig macht. Woher kommst du?“

„Ich bin aus der Stadt Tetzcoco gebürtig, wo eine eigene Strafkammer sich mit solchen Leuten beschäftigt.“ Der Magier zog ein Blatt Papier hervor, auf dem Cacamas Namenszeichen, ein Maiskolben, prangte.

„Was schickt mir mein Neffe?“

Der Bote nahm den Sack von der Schulter und zog ein längliches Etwas heraus. „Dies gehört dir. Du allein vermagst seine Bedeutung zu ermessen. Streck deine Hände aus, o Herrscher!”

Dies tat Motecuzoma. Die Gabe wurde ihm in beide Hände gelegt. Steifes Gefieder streifte seine Haut. Sprachlos blickte er auf ein totes Purpurhuhn mit violettem Kopf und Bauch und einem leuchtend grünen Rücken.

Der Magier schwenkte eine Kürbisrassel. „Es ist ein ganz besonderes Purpurhuhn, o Herrscher, eines mit einem göttlichen Zeichen, denn an der Stirn trägt es den Zauberspiegel.“

Motecuzoma erkannte ein blaues Oval, und darin flammte plötzlich der Widerschein des Feuers.

„Wenn du es wünschst, wirst du darin den Himmel und die Sterne sehen – die Zukunft, Totecuiyo.”

„Woher hast du den Spiegelvogel?“

„Ich fand ihn im Schilf, o Herrscher. Nachdem ich das Zeichen entdeckt hatte, zeigte ich es meinem Herrn. Er wurde grau wie der Nebel im Sumpf und sprach, dass es alleine dir gebühre, es zu deuten.“

„Lass mich das Zeichen sehen!”

Der Zauberer ließ etwas in das Feuerbecken rieseln. Ein weißer Ball explodierte, darauf verbreitete sich ein herber, betörender Duft. Es wurde taghell um Motecuzoma.

„Der Spiegel gleicht dem nächtlichen Himmel. Aus seiner Tiefe kommen Lichter. Sie treiben heran, sie fallen wie Sterne. Siehst du sie, Totecuiyo?”

Motecuzoma schaute in den Spiegel. Kleine Punkte rasten auf ihn zu, die immer größer wurden, bis sie die Form von Sternen hatten.

„Sie kommen, o Motecuzoma-tzin, sie kommen! Sie fallen über uns her!“

Gebannt starrte Motecuzoma auf den Kopf des Vogels, den er noch immer in den Händen hielt. Schwindel erfasste ihn. „Es sind die Sterndämonen.“

„Nicht die Sterndämonen! Sieh genau hin, Totecuiyo! Die fremden Zauberwesen sind es.”

Der Herrscher sah Männer auf riesigen Hirschen. Sie rasten über das Land.

„Krieger der Totonaken sind mit ihnen.”

Motecuzoma sah auch sie.

„Krieger aus Tlaxcallan folgen.”

Motecuzoma sah Männer mit Tierhelmen, Schilden und Speeren im Spiegel.

„All jene kommen, die nicht unter deiner Herrschaft leben wollen.”

„Wer führt sie?”

„Ein entrechteter Prinz.”

Im Spiegel formte sich ein Antlitz, stolz, unbeugsam, auf dem Haupt ein roter Kamm, wie das Urbild eines Kriegers, ja des Krieges selbst: Vanilleblume!

„Hat Cacama es wie ich gesehen?“

„Cacama? Nein.“ Der Magier lachte. „Es ist Vanilleblume, der mich zu dir schickt.“

„Dann bist du eine Menscheneule.“ Motecuzoma wollte seine Wachen rufen, aber er brachte keinen Ton heraus, er konnte nicht einmal die Hand bewegen. Der Magier schwenkte eine zweite Rassel, die wie eine Klapperschlange klang. Das Geräusch nahm Motecuzoma den Willen. Er starrte wie gebannt in den Spiegel. Dort wälzte sich ein Heer heran! Die fremden Männer auf den großen Hirschen bildeten die Spitze. Sie zogen in Tenochtitlan ein. Sie schossen aus ihren Feuertrompeten und setzten die Pyramiden in Brand.

„Krieg! Tenochtitlan wird zuschanden werden! Es wird wie das Toltekenreich in Rauch und Asche untergehen!”

Dem Herrscher glitt der Spiegelvogel aus den Händen. Was für ein böser Atem von der Menscheneule ausging!

„Der Pfeil hat sein Ziel gefunden“, sagte die Menscheneule. Hilflos sah Motecuzoma an, wie sie sich bückte und in ihrem Sack das Zaubertier verstaute. Motecuzoma sank zusammen. Er nahm noch wahr, dass vorn am Ausgang seine Wachen ihre Lanzen kreuzten: Ohne sein Wort gelangte auch eine Menscheneule nicht hinaus.

Motecuzoma war in tiefen Schlaf gefallen. Nichts und niemandem gelang es, ihn zu wecken. Er wälzte sich auf seinem Lager und phantasierte wie im Fieber. Ein Name hallte durch die Träume: Huemac. So hieß der Toltekenkönig, dessen Reich untergegangen war. Am Abgrund stehend hatte er sich selbst den Tod gegeben. Motecuzomas Seele reiste in die Höhle, wo jener Selbstmord geschehen war. Sie irrte durch Gänge, Gewölbe und Grüfte, bis des Huemac Wächter sie stellten. Fürchterliche Schwerter wuchsen aus dem Boden, stachen von der Decke herab, verwehrten ihr den Weg zu Huemac, Hueeemaac, Eeemaaac. Motecuzomas Fieber stieg. Die Ärzte wussten nicht mehr weiter.

Nun spross die Sorge wie ein Giftkraut auf. Im Tempel des Tezcatlipoca versammelten sich morgens mehr Würdenträger als sonst zur Huldigung des Ixiptla. Sie saßen niedergeschlagen vor ihm und wagten schließlich gar, ihn anzureden. „Was sollen wir tun, Ixiptlatzin? Fremde Krieger sind im Land, und der Große Sprecher schläft. Wer wird die Stadt beschützen?“

Jadefisch verbarg die Überraschung hinter einer halb entrückten Göttermiene. Sein Vater hatte also Recht: Motecuzomas Stern begann zu sinken.

„Er erteilt nur noch Befehle, die keinen Sinn ergeben. So müssen seine verwachsenen Zwerge die Höhle des Toltekenkönigs aufsuchen und Opfergaben niederlegen. Er schickt sie immer wieder.“

„Und, gehen sie?“

„Ixiptla-tzin, wie sollten sie nicht? Es genügt, dass unser Herrscher die Lippen bewegt.“

„Spricht er nicht im Fieber?“

„Er ist der Große Sprecher!“

„Selbstverständlich. Aber sagt – nimmt der Toltekenkönig seine Opfergaben an?“

Die Würdenträger schluckten. „Ist es nicht so?“

„Seid unbesorgt. Jedoch, erlangt Motecuzoma seine Gunst?“

Der Priester-Weise schaltete sich ein. „Der Toltekenkönig weist ihn ab, damit er weiterlebt.“

„Gut gesprochen!“

Auf die Runde fiel ein Schatten. Der Oberpriester! Jadefisch fühlte sich ertappt. „Ich bete Tag und Nacht für seine Genesung“, sagte der Oberpriester. „Wie geht es ihm? Du warst an seinem Lager, Sternfinder.“

„Es sind zu viele Ärzte um ihn – Wahrsager, Traumdeuter, Zauberpriester, sogar Schamanen mit ihrem Tamtam.“

„Hilft gar nichts?“

„Nein.“

„Die Menscheneule, die den Zauber bewirkte, muss ihn auch aufheben!“

„Sie weigert sich.“

In die Würdenträger kam Bewegung. Der Übeltäter wurde verflucht. „Wenn ich den in die Finger kriege!“, drohte Atlixca, Herr des Richterhauses. „Seinetwegen warte ich vergeblich auf den Marschbefehl!“ Dabei schielte er auf den Ixiptla, in dem er wohl vor allem einen Kriegsgott sah. Sollte dieser ihn ins Feld beordern? ‚Atlixca, ich befehle dir …‘ Der verwirrte Jadefisch begann zu lachen. Lag das an der Gesichtsbemalung? Er wollte die Menscheneule sehen.

Die Würdenträger blickten zu Boden. Das Gottesabbild lachte noch einmal. Wie war die Welt so heiter! Welch himmlischen Duft verströmte der Blumenstrauß, den Atlixca – oder wer war es gewesen? – ihm gespendet hatte! Solche große bunte Blüten! Oh, er verdiente, dafür die göttliche Musik zu vernehmen. Welche Flöte sollte er benutzen? Er hatte in jeder Hand eine. Der Priester-Weise nahm ihm eine Flöte ab und führte ihn hinaus.

Auch die Würdenträger gingen. Der Priester-Weise hatte vor, sich seinen Büchern zu widmen, aber der Oberpriester hielt ihn zurück. „Der Ixiptla macht mir Sorgen.“

„Weswegen?“

„Erschien es dir nicht auch, als habe er den Rausch nur vorgetäuscht? Zu lange lauschte er mit unbewegter Miene, zu plötzlich sprang er wie ein Clown von seinem Sitz. Er foppt uns, Sternfinder.“

„Durch ihn spricht Tezcatlipoca.“

„Ja! Tezcatlipoca lässt ihn seine göttlichen Sandalen in ein Schmutzloch setzen. Ins Schatzhaus schickt Er ihn mit angesteckter Pfeife! Jetzt sendet Er ihn zu der Menscheneule – und wer weiß, zu welchem Zweck!“

„Er, Der Seinen Spott Mit Uns Treibt.”

„Der Ixiptla soll nicht die dunkle, sondern die helle Seite des Tezcatlipoca verkörpern. Freundlich, gefällig soll er sein – ein Gott, dem wir vertrauen können, der Regeln folgt, der tut, was nützt.“ Der Oberpriester seufzte. „Sternfinder, du allein kannst ihn dazu bewegen.“

„Wie werde ich dem Gott gebieten?!“

„Verstärke die Wirkung der Götterfarbe. Gib mehr von den zermahlenen Samen der weißen Acker-Winde hinein.“

Darum also war der Oberpriester heute so gesprächig. Der Priester-Weise wiegte das Haupt. „Wenn er zu viel davon bekommt, dann wird er einer Gliederpuppe gleichen. Er wird dumm und stumpf, als würde seine Götterfarbe nicht mehr leuchten.”

„Das darf natürlich nicht geschehen. Normalerweise macht die Acker-Winde sanft. Sie hat noch jedem Abbild geholfen, seine Bürde zu tragen. Finde die beste Dosierung heraus! Keineswegs darf der Ixiptla unser Ritual verletzen.”

Der Oberpriester kannte sich selbst sehr gut mit den heiligen Pflanzen aus. Er würde die Farbe alleine bereiten, fiele es ihm nicht so schwer, die Samen abzuzählen. Seine Augen veränderten sich. Er konnte immer weiter in die Ferne sehen, indes die kleinen Dinge nahe bei ihm mehr und mehr verschwammen. Er brauchte also den Priester-Weisen.

„Ich werde nichts tun, was ihm schadet“, bekräftigte dieser.

„Du bist es, der ihn durch sein Jahr geleitet. Bedenke, dass ihm noch mehr Bedeutung zuwächst, falls der Herrscher nicht gesundet.“

Der Priester-Weise antwortete vage. Er wollte nicht den Grund für ein Zerwürfnis legen.

Indessen streifte Jadefisch um das Gefängnis. „Wartet hier!“, befahl er dem Gefolge. „Drinnen ist es eng, leicht kann einer durch die Latten fingern.“

„Was sollte ihm das nützen?“ fragte Goldfasan.

„Etwas Tabak, etwas Glut. Er legt ein Feuer, und man wird sie alle retten müssen – Diebe, Räuber, Mörder, unkeusche Priester, Händler, die kleine Kinder in die Sklaverei verkauften, Ehebrecher, vielleicht sogar Spione, Geheimnisverräter, auch jene Menscheneule, die den Anschlag auf den Großen Sprecher verübte.“

„Und du, Ixiptla-tzin, willst dich allein zu jenen begeben?“

„Niemand wird wagen, mich zu berühren.“

Jadefisch betrat das Gefängnis. Wo hielt man die Menscheneule fest? Das schummrige Haus war voll mit Leuten jeden Standes. Im letzten der niedrigen Lattenverschläge fand er den Schwarzmagier schließlich. Er hatte wirklich etwas Eulenhaftes, wie er da auf dem Steinfußboden hockte, klein und grau und reglos, doch mit wachen Augen, die den Besucher taxierten.

„Was verschafft mir die Ehre? Kann ich dir von Nutzen sein?“

„Du? Mir?“

„Ich besitze viele Fähigkeiten.“ Der Magier legte gleich drei Finger auf die Lippen und spreizte die anderen ab. Jadefisch blickte verstohlen auf die Hand. Hinter dem kleinen Finger stand noch einer, kurz und knubbelig, zur Seite ab.

„Nur Flughäute habe ich nicht“, sagte der Gefangene schmunzelnd.

„Es heißt, die Zauberer flögen jede Nacht an die Grenzen der Welt.“

„Auf den Schwingen des Windes.“

„Weshalb bist du dann noch hier?“

„Hat man mich nicht meiner Hilfsmittel beraubt?“

„Wo sind sie?“

Die Menscheneule wies auf eine Bank an der Wand gegenüber. „In dem Sack dort drüben.“

Jadefisch holte ihn. „Lass sehen. Ein ausgestopfter Vogel. Eine Rassel. Pülverchen und Pflanzensamen.“

„Farbiger Salpeter, Bärlappsporen und Anis.“

„Lässt sich damit Verwirrung stiften?“

Die Menscheneule grinste breit. „Streu es ins Feuer, Ixiptla-tzin.“

„Was davon brauchst du, um dich in die Luft zu schwingen?“

„Nur den Vogel.“

„Leuchtet ein.“

„Er hat die Größe meines Kopfes.“

„Dann passt er ja nicht durch die Stäbe.“ Während Jadefisch dies sagte, löste er von außen schon den Riegel.

Der Magier spielte mit den Fingern in der Luft. Im Gefängnis erhob sich Geschrei: „Mich auch, Ixiptla-tzin, auch mich!“

„Wer von euch sitzt unschuldig hier?“

„Ich!“

„Ich!“

„Ich!“

Das ganze Haus begann zu toben. Rasch schob Jadefisch den Vogel durch den Spalt und stellte sich davor, so dass die herbeieilenden Wärter nichts sahen. Die schlugen mit Stöcken gegen die Stäbe. Auch zu der Menscheneule kam einer.

„Was brüllst du so?“

„Was, ich? Ich kriege kaum den Mund auf, bring mir endlich Wasser!“

„Zauber dir welches!“

„Ich hex dir gleich was an!“

„Warte nur, bis der Große Sprecher erwacht. Dann lässt er dich in Stücke hacken oder den Boden deines Käfigs mit scharfen Schneiden übersäen.“

„Er hat nicht mehr die Kraft, dergleichen zu befehlen.“

„Du wagst es noch, ihn zu verspotten? Die Kehle möge dir verdorren!“

„Welch nobler Wunsch“, ließ Jadefisch sich vernehmen.

„Verzeih, Ixiptla-tzin. Ich war in Sorge um Motecuzoma.“ Der Wärter beugte sich zu Boden.

„Du gehst auf der Stelle Wasser holen! Und zwar für jeden hier!“

„Jjjjawohl, Ixiptla-tzin.“

„Ein bisschen plötzlich!“

Der verschreckte Wärter sprang auf und pfiff seine Mannschaft zusammen.

Jadefisch verlor keine Zeit. Er zog auch den zweiten Riegel heraus.

„Solltest du je in Bedrängnis kommen – oder jemand, der dir nahesteht“, flötete die Menscheneule, „geh in die Stadt Otompan, in den Palast Vanilleblumes, und frag nach Uhu, der den Spiegelvogel fand.“

„Wo liegt Otompan?“

„Du paddelst nach Norden über die Lagune, durchquerst die enge Stelle, die dem dünnen Hals eines Flaschenkürbisses gleicht, und fährst in die oberen Seen hinauf, bis zur Höhe der Sandspinneninsel Xaltocan. Dort biegst du nach Osten. Vom Ufer aus wanderst du weiter der aufgehenden Sonne entgegen.“ Der Magier nestelte an seinem Gürtel. Er gab Jadefisch einen vertrockneten Vogelfuß. „Diese Klauen einer Eule haben mich bis heute beschützt. Sie können sogar unsichtbar machen. Wer sie mir bringt, dem schulde ich mein Leben.“

Jadefisch versteckte das Pfand in der Verzierung der linken Sandale. Er erhob sich. Die anderen Insassen riefen nach ihm. Damit sie ihn nicht zu früh verrieten, öffnete er im Vorübergehen wahllos die Türen. Dann begab er sich nach draußen, um das Durcheinander zu betrachten. Während die Flüchtenden mit den Wasserträgern zusammenstießen, drückte sich der Magier an der Wand um das Hofgeviert.

„Warum hast du das getan?“, fragte Goldfasan.

„Weil Tezcatlipoca die Unschuldigen schützt.“

„Was – die haben alle nichts verbrochen?“ Goldfasan lachte. „Fehlte nur, dass du auch die Menscheneule …“

„Die Menscheneule!“ Schädelwand stürzte los und stolperte aber über Jadefischs Bein.

„Ixiptla-tzin! Ich wollte doch nur …“

„Tezcatlipoca ins Handwerk pfuschen?“

Schädelwand fügte sich, in seinem Stolz verletzt. Was war das nur für ein Ixiptla?

Dasselbe fragte sich der Oberpriester, der den Ixiptla starr vor Wut empfing.

„Den Gott bewegt die Lust auf üble Streiche. Darf man den Grund erfahren?“

Jadefisch erschrak. War er zu weit gegangen? Er setzte eine ernste Miene auf. „Yaopol-tzin, der Ruf des Großen Sprechers war gefährdet. Ich habe ihn nur wiederhergestellt.“

„Das ist ja lächerlich!“

„Lächerlich ist, dass ein kleiner, grauer Magier dem Großen Sprecher etwas anhaben kann.“

Der Oberpriester schluckte. „So habe ich das noch gar nicht betrachtet.“ Er verneigte sich.

Der Priester-Weise tat ein Übriges, ihn zu besänftigen. „Wenn du doch im Hof der Schwarzen Häuser deine Flöte spielen wolltest?“

Jadefisch begriff, dass es nicht gut war, abzulehnen.

Das Erste, was Motecuzoma durch die Mauern des Schlafes vernahm, war leise Musik. Er wähnte sich jetzt auf dem Weg zum toten König Huemac. Sehnsüchtig folgte er den Tönen. Aber dann verstummte die Musik, und Huemac war noch immer nicht zu sehen. Er lauschte, ob nicht wenigstens ein Echo in den Gängen hallte – aber nichts. Man narrte ihn!

Er wurde langsam ungehalten. Anstatt des Huemac kamen seine Ärzte. Sie bebliesen ihn mit Rauch. Sie strichen ihm mit Kräuterbüscheln über den Leib. Sie machten ihm Wickel. Das Fieber sank, er hörte auf, im Traum zu reden. Endlich erwachte er.

„Lasst mich mit ihm allein“, sagte eine vertraute Stimme.

„Sternfinder?“ Er blinzelte. Vom Licht, das in den Raum fiel, taten ihm sogar die Wimpern weh.

Der Priester-Weise hielt ihm eine Schale an die Lippen. „Du bist die Mutter und der Vater Tenochtitlans. Du musst zu Kräften kommen.“

Die Medizin schmeckte bitter. „Was fehlt mir, Sternfinder?“

„Du wurdest Opfer eines bösen Zaubers.“

„Der Magier mit dem Spiegelvogel …“ Die Bilder des Krieges kehrten zurück, die Männer auf den Hirschen, die Feuertrompeten, das Heer des Küstenlandes, das Heer von Tlaxcallan, das Heer von Vanilleblume. Motecuzoma sank auf das Lager. Er schloss die Augen und dachte an Huemac. Die Höhle des Toltekenkönigs leuchtete ihm golden durch die Nacht.

Die zerbrochenen Flöten

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