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Jedesmal, wenn Kiran in die USA reiste, war er aufs Neue überwältigt von diesem Land. Er liebte die Urwüchsigkeit der Natur, die endlose Weite der Landschaft, die in seltsamem Kontrast stand zu der klaren rechtwinkligen Struktur der Vororte mit ihren einfachen Einfamilienhäusern und den fachen Bürgersteigen. Kiran legte den Kopf zurück und sog die warme Luft ein. Er roch dieses unverwechselbare Gemisch aus frischem Gras, Erde, Pinien und der für September typischen schweren Feuchte überall. Über all dem lag der Geruch von etwas unbestimmt Süßlichem. Jedesmal, wenn er in die USA kam, fiel ihm als erstes dieser Geruch auf. Mehr als in jedem anderen Land, das er besucht hatte. Sie fuhren über den Potomac, und Kiran genoss den Blick auf das in der Ferne schimmernde Washington.

Steve hatte vor der Andrews Airbase auf ihn gewartet und lässig an seinem Oldsmobile Convertible gelehnt. Als Kiran schließlich vor ihm stand, war es, als ob kaum eine Woche vergangen war, seit sie sich zum letzten Mal getroffen hatten. Steve sah aus wie immer. Kiran hatte die große Gestalt mit den hochgezogenen Schultern schon von weitem ausgemacht. Ein verschmitzter Ausdruck lag auf Steves markantem Gesicht, das von einem ewig widerspenstigen schwarzen Haarschopf gekrönt war. Sie hatten sich herzlich umarmt, waren in den Sportwagen gestiegen, um erst einmal zum Frühstücken in einen Diner zu fahren.

Das Mr. Crowley’s befand sich auf halbem Wege zwischen Washington und Quantico, das südlich lag. Abseits des Highways gelegen konnte man von hier Belmont Bay überblicken, wo der Potomac in ein breiteres Flussbett überging. Sie nahmen auf der Terrasse Platz und genossen den warmen Morgen. Washington erfreute sich seit zwei Wochen an einer für diesen Monat untypischen Temperatur von über dreißig Grad. In den vergangenen Jahren hatte Kiran oft gegrübelt, wie sein Wiedersehen mit diesem Ort wohl verlaufen würde. Seltsamerweise fühlte er sich befreit und glücklich, als ob er aus dem Exil heimgekehrt wäre. Selbst Winston Crowley, der Besitzer des Diners, hatte ihn nach kurzem Zögern wiedererkannt und in die Arme geschlossen.

Jetzt saßen sie in der Sonne, tranken frisch gebrühten Kaffee und warteten auf die Spezialität des Hauses, Double Steak & Eggs, begleitet von einer Portion Blaubeerpfannkuchen davor und einem AnanasBananen Kompott zum Schluss, dazu eine Karaffe mit frisch gepresstem Orangensaft. Nach einem solchen Frühstück benötigte man für den Rest des Tages keine weitere Nahrung mehr. Kiran seufzte entspannt und ließ den Blick schweifen.

»Well, well, well«, sagte Steve. »Zurück im Zentrum des Wahnsinns und mit einem fehlgeleiteten Torpedo im Gepäck. Kein schlechter Auftritt. In Quantico ist das ziemlich schnell rumgegangen.«

»Und, was spricht man so?«, fragte Kiran.

»Nicht Besonderes. Die Leute von der alten Mannschaft fragen sich, wie du jetzt wohl so drauf bist.«

»Und der Rest? Keine alten Rachegefühle?«

»Ach was. Wir werden uns in erster Linie bei deinen Freunden von der Verhaltensforschung aufhalten, dort liebt man dich noch genauso wie damals, vor allem Margie.«

»Sie ist immer noch dort?«,

»O ja«, antwortete Steve glücklich grinsend. Margaret Elena Trczebiatowski war, wie auch ihr Name, eine äußerst komplexe Person. Auf ihre eigene Art attraktiv, hektisch und hochintelligent, aber ohne jegliche Begabung, ihre Gefühle für andere auf normale Weise zu kommunizieren. Ihre Schwärmerei für Kiran hatte seinerzeit zu einigen absurden Szenen geführt, an denen sich Steve bis zur Ekstase ergötzt hatte.

»Sie hat bereits die Ermittlungsergebnisse beider Morde an die Wand gepinnt und wahrscheinlich für ein erstes Profil eine Nachtschicht eingelegt. Das wird ein Fest, mein Lieber.«

Kiran warf ihm einen säuerlichen Blick zu.

»Also«, sagte er, um einen etwas sachlicheren Ton bemüht, »ich nehme an, wir gehen mit Margie erst mal alles durch und überlegen dann, wie wir weiter vorgehen. Was ist mit Greenberg?«

»Der ist in Seattle. Um den brauchen wir uns nicht zu kümmern. Ich habe mit der Familie von Patricia Masterson einen Termin für morgen früh vereinbart, danach einen mit dem Vater des ersten Opfers. Heute treffen wir uns zusammen mit Margie und Special Agent Johnson, der die Sache seinerzeit bearbeitet hat und uns über die Ermittlungen hier und in Raleigh aufklären wird. Trotzdem sollten wir da auch noch mal hinfahren, mein Wagen braucht Auslauf und ich auch.«

Sie unterhielten sich noch eine Weile über die Veränderungen in Quantico und Kirans Unterkunft dort, dann näherte sich ihnen eine schlanke Bedienung, die lässig ein Tablett mit dampfenden Pfannkuchen und zwei unter riesigen Steaks verschwindenden Tellern balancierte.

Eine Stunde später, um zehn Uhr Ortszeit, kamen sie in der FBI-Zentrale an. Kiran befand sich trotz des Nachtflugs körperlich noch in der mitteleuropäischen Zeitzone und fühlte sich, als sei es bereits Nachmittag. Steve brachte ihn zunächst zu einer der Gästeunterkünfte auf dem Gelände und empfahl sich in sein Büro, damit Kiran sich frisch machen konnte.

Quantico schien sich kaum verändert zu haben, wenn man von einigen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen rund um das Gelände absah, die Kiran so noch nicht kannte. Er war sich nicht sicher, ob ihn das beruhigte. Mit den vertrauten Gebäuden waren auch die ersten Erinnerungen zurückgekommen. Ganz plötzlich, als ob sie in den Bäumen gelauert und auf ihn gewartet hätten. Obwohl er nur kurz duschen und seinen Koffer ausräumen wollte, konnte er die aufsteigenden Bilder nicht ab wehren.

Er trat ans Fenster. Dort unten auf dem Parkplatz hatte er gestanden und Greenberg die Hand geschüttelt. Ein lauer Wind hatte durch die Bäume gestrichen und flirrende Sonnenstrahlen durch die Blätter dringen lassen. Trotz der frühen Stunde war überall auf der Anlage bereits eine hektische und erwartungsfrohe Betriebsamkeit spürbar gewesen. Eine weitere Ausbildungszeit war zu Ende gegangen. Schüler der Abschlussklassen versammelten sich in ihren eleganten Anzügen. Familienangehörige trafen ein, letzte Arbeiten an Podien und an der Bestuhlung wurden für die Abschlusszeremonie verrichtet.

Auch Kiran hätte teilnehmen sollen, war jedoch von den Festivitäten ausgeschlossen worden. Vorausgegangen waren die schlimmsten Tage seines Lebens. Die Katastrophe, die nur zweiundsiebzig Stunden zuvor ein getreten war.

Kiran hatte an drei Prüfungen teilgenommen. Die ersten beiden, Operationsplanung und Verhaltensanalyse, jeweils in einer inszenierten Stresssituation, hatte er mit Bravour bestanden. Schließlich war es an die letzte Hürde gegangen. Ein willkürlich zusammengestelltes Einsatzteam sollte unter Verfolgung eines gegnerischen Teams schnelle und bewegliche Zielattrappen ausschalten. Im Prinzip unterschied sich diese Prüfung nicht von den unzähligen anderen Übungen, die sie in den Monaten zuvor Tag und Nacht durchgeführt hatten.

Neu war, dass die Prüflinge mit scharfer Munition hantierten, die sie auf die Zielattrappen verschossen. Die Angriffsteams waren dagegen mit Farbmunition ausgerüstet, da sie den Auftrag hatten, ihre menschlichen Gegner erbarmungslos unter Feuer zu nehmen. Die umständlichen Sicherheitsbelehrungen rund um diese Prüfung belasteten die Nerven der Auszubildenden über jedes gewohnte Maß hinaus. Der Druck in den Prüfungssituationen wurde von Mal zu Mal intensiviert. Unbarmherzig wurden so all jene aussortiert, die der Herausforderung nicht gewachsen waren. Immer mehr Prüflinge verloren die Nerven, brachen vor oder auch während der Prüfung zusammen. Trotzdem hatte sich niemand ausgemalt, dass es in jenem Jahr zu einem tödlichen Unfall kommen sollte.

Eine Sirene erklang und riss Kiran kurz aus seinen Gedanken. Das Signal erinnerte ihn schmerzlich an den Alarm, den die Schießerei auf dem Prüfungsplatz aus gelöst hatte. Die Bilder in seinem Kopf begannen zu verschwimmen. Dave lag in seinen Armen und hustete Blut. Umstehende brachen in Panik aus. Kiran vom Rettung steam in eine Decke gehüllt, dann in einem kahlen Raum Greenberg gegenübersitzend.

Kiran schüttelte den Kopf. Er legte die Finger kurz an die Schläfen und leerte seinen Kopf. Dann ging er duschen.

Kalter Zorn

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