Читать книгу Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien - Immo Opfermann - Страница 16

Die Liste von 1950 ist unvollständig, wurde im Zusammenhang mit dem Prozess ergänzt, jedoch bleibt die genaue Zahl der ins Lager Verschleppten ungewiss. Sie war für das Gericht wichtig, weil viele der Aufgeführten als Zeugen aussagten. Die Pfarrchronik Schömberg stellte fünf Jahre früher fest: „Am 21. Mai wurden 24 Männer und 13 Frauen auf 1 Nacht in das Lager Dormettingen gesperrt.“ Beide Listen, die der Toten wie die der Davongekommenen, enthalten keine Auskunft über die Funktionen und Tätigkeiten der Verhafteten während der NS-Zeit. Die Verhaftungen erfolgten immer nach dem gleichen Muster: Nach schriftlicher oder mündlicher Denunziation26 wurden ehemalige kleine und größere Funktionäre des nationalsozialistischen Staates, insbesondere der DÖLF, von den Handlangern Delètres (Polen und Tschechen, auch Helmer-Sandmann) in ihren Wohnungen verhaftet und oft schon dort misshandelt, anfangs in den örtlichen Rathäusern und Kommandanturen „verhört“ und dann ins Lager gebracht, später sofort ins Lager, wo sie als „politische Gefangene“ separiert wurden. An den Verhören war außer Delètre und Kovar auch Helmer-Sandmann beteiligt. Delètre inszenierte dabei seine Auftritte: Er trug die Uniform eines französischen Oberleutnants, requirierte den Sportwagen des Schömberger Arztes Dr. Josef Fricker und ließ sich in diesem durch die Ortschaften chauffieren, wenn die Denunzierten abgeholt wurden. Milan Kovar saß im Fond mit schussbereiter Maschinenpistole in Drohgebärde. Der Name, den Delètre sich zugelegt hatte, klang, zumindest in deutschen Ohren, ähnlich wie der des französischen Oberbefehlshabers, des Generals de Lattre de Tassigny, den die besiegten Deutschen gekannt haben dürften. Diese Inszenierung wird wohl allenthalben Eindruck hinterlassen haben, sie diente der Einschüchterung und war Tarnung mörderischen Handelns. 26 Der Satz des Dichters Hoffmann von Fallersleben, des Verfassers des „Liedes der Deutschen“, den er in seinen „Politischen Gedichten“ 1843 geschrieben hatte, dürfte zum Allgemeingut im Denken gehört haben: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ „Quellen“ Schwarzes Lager Dormettingen:
chronologische Reihenfolge Mai 1945 Bericht: Viktor Rebstock Wegewart, Bauer (03.05.–17.05.1945 im Lager) Juni 1945 Brief: Liesel Kirchhardt Bauunternehmer Metzingen, DÖLF (ihr Mann am 16.05. verhaftet, am 26. Mai getötet) 13.08.1945 Brief: Rudolf Rohrbach Besitzer des PZW (24.04.45 ein Tag im Lager) 25.08.1945 Befragung: Martha Wiehl Hausfrau aus Weilen u. d. R. (ab 10.05.1945 mehrere Wochen im Lager) 28.01.1946 Bericht: Christian Zeh Verkaufsleiter im PZW (03.–15. Mai im Lager) 12.04.1948 Befragung: Arno Schreiber kaufmänn. Angestellter (28.04.–20. 05.1945 im Lager) 17.08.1948 Befragung: Friedrich Geise Leiter von Wüste 9 (29.04.–15.05.1945 im Lager) 29.09.1948 Befragung: Christian Zeh Sept. 1950 Befragung: Christian Zeh 09.09.1950 Befragung: Josef Aicher PG und Ortswalter der DAF (= Deutsche Arbeitsfront) (03.05.–16.05.1945 im Lager) 20.09.1950 Befragung: Wendelin Müller Bürgermeister Irslingen (29.04.–19.05. im Lager) 24.11.1951 Abschrift des URTEILS in der „Strafsache Franz Helmer-Sandmann“ Sitzungen des „Schwurgerichts in Rottweil 1./6. Oktober 1951 Voruntersuchungen und Prozessakten zu diesem Prozess 29.03.1951 Zeitungsberichte vom Prozess gegen Franz Helmer-Sandmann Rottweil Juli 1957 Zeitungsberichte vom Prozess gegen P. A. Maurer Hechingen („Des Schwarzen Lagers zweiter Akt“) 1951 Akte: Landgericht Rottweil: „Illegales KZ in Dormettingen“ Ks 3/51 Js 7223/47 1945 Entnazifizierungsakten Rudolf Rohrbach aus dem Staatsarchiv Sigmaringen 1970 Heinrich Eggert (16.5.–20.05.1945 im Lager) und Trick (23. auf 24.04.45 im Lager) aus großem zeitlichen Abstand: 1970 und später unter Verwendung der Zeitungsberichte Diese Quellen sind umso glaubwürdiger, je näher am Geschehen sie verfasst, je weniger Stereotype, verbal und inhaltlich, benutzt worden sind. Die meisten dieser frühen Berichte wurden im Zusammenhang mit den Voruntersuchungen zum Prozess bei Aussagen vor Polizeibeamten oder Gerichtsbehörden bestätigt, sodass Zweifel nicht angebracht sind. Der Trick-„Bericht“ jedoch von 1972 mit der Überschrift „Inferno von Dormettingen“, der 1. auf dem Eggertbericht, 2. vorwiegend auf Zeitungsberichten von 1951 und 1957 und 3. in dem Abschnitt „Augenzeugenberichte“ mutmaßlich auf dem Zuhören im Rottweiler Schwurgerichtsprozess von 1951 gegen Helmer-Sandmann beruht, unterscheidet sich von allen anderen Quellen durch den zeitlichen Abstand und die sentenzenhaften Beurteilungen des Geschehens. Die wichtigsten Dokumente sind die Prozessakten und das Urteil im Prozess gegen Helmer-Sandmann von 1951, weil sie den Tatsachen am nächsten kommen. Ein Großteil derjenigen wird als Zeugen vernommen, die zeitweise im „Schwarzen Lager“ inhaftiert waren und die eigene Berichte hatten verfassen können oder bereits bei behördlichen Befragungen gehört worden waren. Allerdings stellt das Gericht fest, es habe über die Aussage eines Befragten „keinen Zweifel“, weil er Dinge gewusst habe, die vorher „in der Presse noch nicht erschienen waren“. Es wird implizit also eine Wechselbeziehung zwischen den Veröffentlichungen in der Presse und den Zeugenaussagen hergestellt. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die Zeugen, die sich untereinander kannten, sich möglicherweise abgesprochen, sich wechselseitig an die Ereignisse erinnert und ermutigt hatten, um im Prozess mit gemeinsamer Stimme der Opfer zu sprechen.

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